Theater Viel Lärm um Nichts Die Komödie der Irrungen von W. Shakespeare


 

 

 
Das doppelte Doppel

Bitte halten sie ihre Dokumente bereit, um sich ausweisen zu können. Einige Vorgänge aus der jüngsten Vergangenheit machen es notwendig, dass sie sich präzise ausweisen und identifizieren können. So wird der Zuschauer sinngemäß im Theater Viel Lärm Um Nichts in der Pasinger Fabrik durch eine freundlich klingende Stimme begrüßt. Dass die Sache ernst ist, erfährt man dann auch gleich. Egeon, honoriger Kaufmann aus Syracus, kam nach Ephesos, um seinen verlorenen Sohn zu suchen. Der ist ein Zwilling und verschwand durch einen Schiffbruch auf hoher See gemeinsam mit seinem Diener Dromio. Die Anwesenheit Egeons ist jedoch rechtswidrig und er wird stracks zum Tode verurteilt, wenn er nicht durch einen, heute würde man sagen Sponsor, ausgelöst wird. Die rührige Geschichte, dem Herzog von Ephesos erzählt, bringt ihm eine 24stündige Gnadenfrist. Wie es die Komödie will, sind beide Zwillingsbrüder mit beiden Dienern, die ebenfalls Zwillinge sind, auf der Insel. Der Antipholus, der seit wenigen Stunden auf der Insel weilt, versteht nicht, dass jeder ihn kennt, grüßt, beschenkt und in sein, Antipholus Heim fordert, wo er seinen ehelichen Pflichten nachkommen soll. Hingegen versteht der andere Antipholus, der am Orte ansässig ist, nicht, warum ihm sein Heim verweigert wird, man Schulden bei ihm einfordert, die er nicht gemacht, und warum ihm viel anderes Ungemach widerfährt.

Shakespeares Erstling (hier streiten die Geister) ist eine geniale Adaption des Plautusstückes "Die Menaechmen" (Die Zwillinge). Ohne auf philosophischen Tiefgang zu verzichten, kann der Zuschauer eine spritzige und explosive Boulevardkomödie erleben, die auf keinen Fall vorab erzählt werden sollte. Komödien haben es nun an sich, dass sie gut enden und so löst sich am Ende das Damoklesschwert, welches über dem Haupt Egeons schwebte, in Wohlgefallen auf.

 

Serpil Demirel, Markus Hennes, Yasmin Ott, Johannes Berg, Achim Grauer

© Hilda Lobinger

 

Die Inszenierung in der Pasinger Fabrik, der höchstes Lob gezollt werden darf, wurde von Andreas Seyferth besorgt, der selbst die Rolle des Egeon übernahm. Stephan Joachim, der für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnete, bereitete Regisseur Seyferth einen artifiziellen Raum, in dem sich das Spiel wie eine schwebende, brausende und bisweilen lyrische Illusion entfaltete. Die frische Bearbeitung von Margit Carl nahm dem Drama um Tod, Verwechselung und Liebe alle klassizistische Schwere und erlaubte es dem Zuschauer, die zeitlose Geschichte recht heutig zu erleben. Die "Irrungen", bei Shakespearen heißt es "The Comey of Errors", sind ein intelligenter Reigen von schier unmöglichen Konstellationen, denen dennoch eine unglaublich zwingende Logik innewohnt. Artifiziell ist das Stück und zugleich so nahe am Menschen. Artifiziell war auch die Inszenierung von Andreas Seyfert, der jeglichen Bezug auf einen Topos, oder eine Zeit vermied.

Es liegt auf der Hand, dass hier große Gefahren lauern, wenn Regie und Darsteller die Sache nicht auf den Punkt bringen können. Andreas Seyfert und seine Mitstreiter schafften dies zum größten Vergnügen für das Publikum. Johannes Berg brillierte als Dromio/Dromio. Diese Rolle des Dieners ist spätestens seit der Commedia dell arte die beliebteste und ergiebigste in einem derartigen Stück. Irrwitz und Chaos verbreitend, war er doch zumeist das Opfer, denn alle Wut der genasweisten Herrschaft entlud sich (wortwörtlich) auf seinem Haupt. Johannes Berg verstand es durchgängig, zwei Diener zweier Herren zu gestalten. Das vermochte Markus Hennig als Antipholus/ Antipholus nicht durchgängig. Gelegentlich musste der Text befragt werden, um herauszufinden, welcher der beiden Herren er gerade war. Da war Serpil Demirel besser dran. Zwar gestaltete sie nebenher auch einen Kaufmann, doch ihre Rolle als Ehefrau Adriana war sehr eindeutig. Facettenreich spielte sie ein überaus zänkisches Weib. In ihrer Spielwut erinnerte sie gelegentlich an eine Stange Dynamit, deren Lunte unentwegt brennt. Als Gegenentwurf agierte Yasmin Ott, die eine etwas blaustrümpfige, von innerer Glut erhitze Schwester gab. Im Zusammenspiel waren beide eine perfekte Ergänzung, die einander in ihrer Komik erhöhten.

Und da bereits von Tiefgang die Rede war: Bei allem Spaß, der unbestritten herrschte, wurde eine Frage sehr deutlich. Es war die Frage nach der Individualität des einzelnen Menschen, und, um es zeitgemäß zu artikulieren, was bleibt übrig vom Menschen in einer Zeit, in der Individualismus die letzte Religion zu sein scheint, wenn er sich selbst plötzlich und unerwartet selbst begegnet.

Die Antwort sollte sich der verehrte Leser im Theater Viel Lärm um Nichts holen. Ein kurzweiliger und dennoch anspruchsvoller Abend wird garantiert. Wie man sieht, beides muss nicht zwangsläufig im Widerspruch stehen, auch wenn das nicht unbedingt im Trend der Zeit ist.



Wolf Banitzki

 

 


Die Komödie der Irrungen

von W. Shakespeare

Übersetzung/Fassung: Margrit Carls

Markus Hennes, Johannes Berg, Serpil Demirel, Yasmin Ott, Achim Grauer, Andreas Seyferth, Margrit Carls

Regie: Andreas Seyferth