Theater Viel Lärm um Nichts Oskar und die Dame in Rosa von Eric-Emmanuel Schmitt


 

 

 
Die Schönheit des Vergänglichen

Wenn Menschlichkeit in der Kunst Gestalt annimmt, dann ganz sicher auch in der Person von Èric-Emmanuel Schmitt und seinen Werken. Das bekannteste ist vermutlich die Vorlage für den Film "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran". Die Menschlichkeit des Philosophen und Schriftstellers Schmitt geht immer auch einher mit den verschiedensten Formen von Religiosität. In der heutigen Zeit ist diese Mischung suspekt, doch bei Schmitt unverfänglich, weil heilsam. Fast möchte man meinen, Schmitt vollbringe Wunder. Im Herbst vergangenen Jahren startete die Zeitschrift "Lire" eine Umfrage mit folgender Fragestellung: "Welche Bücher haben Ihr Leben verändert?" "Oskar und die Dame in Rosa" wurde zusammen mit der Bibel, den "Drei Musketieren" und dem "Kleinen Prinzen" genannt.

Obgleich es um den Tod eines Kindes mit Namen Oskar geht, ist die Geschichte ziemlich unspektakulär. Krebskranke Kinder, Oskar hat Leukämie und ist unheilbar, werden mehr oder weniger in Krankenhäusern verwahrt. Ein Leben haben sie nicht mehr. Oskar kann diesen Mangel nicht akzeptieren. Als er begreift, dass die Erwachsenen, Eltern, Ärzte und Pfleger, sich ihm gegenüber so distanziert verhalten, weil sie mit der Unheilbarkeit der Krankheit nicht umgehen können, erkennt er seine Macht. Von nun an diktiert er die Spielregeln. Seine erste Forderung ist der freie Zugang zur Dame in Rosa, Oma Rosa genannt, wann immer es ihm gefällt. Zwischen ihr, ‚einer pensionierten Catcherin mit mehr als 150 Kämpfen', und dem Knaben entwickelt sich eine sehr befreiende Beziehung. Oma Rosa gibt Oskar Ratschläge, zu denen die anderen Menschen nicht fähig sind. Zwischen Oskar und ihr gibt es keine Lügen. Wozu auch, beide haben nichts mehr zu verlieren.

Die Fantasie schlägt Brücken und verhilft Oskar zu einem kompletten Leben. Jeden Tag durchschreitet er 10 Jahre und jeden Tag berichtet er Gott in einem Brief von seinen Höhenflügen, Erkenntnissen, Tiefschlägen und Betrübnissen. Am Ende, Oskar ist inzwischen älter als 100 Jahre und weitestgehend versöhnt mit der Welt, stellt er ein Schildchen auf seinem Nachttisch auf: "Nur Gott darf mich wecken!"
 

Eva-Ingeborg Scholz

© Hilda Lobinger

 

Regisseur Andreas Seyferth gelang ein Geniestreich mit der Besetzung. Eva-Ingeborg Scholz, Jahrgang 1928, den älteren Mitbürgern aus frühester Nachkriegsfilm- und Theatergeschichte bekannt, spielte Oskar und die Dame in Rosa. Die kleine fragile Frau mit großer Bühnenpräsenz verschmolz die Rollen geradezu in sich, war kindlich (nie kindisch) und damenhaft zugleich. Vom hohen Identitätsgrad der Darstellerin mit Text und Geschichte kündeten ihre hellwachen leuchtenden Augen und die Wellen der Begeisterung, die durch ihren zarten Körper wogten. Ausstatter Stephan Joachim, der auch für das nur aus Andeutungen bestehende Bühnenbild verantwortlich zeichnete, kleidete Eva-Ingeborg Scholz überwiegend in Rosa. Er fand das perfekte Maß, "Oma Rosa" als "die Frau in Rosa" herauszustellen, ohne sie lächerlich zu machen. Sie war einfach zauberhaft anzuschauen.

Die äußere Regie von Andreas Seyferth hielt sich in engen Grenzen, denn nach dem Auftritt, einem kurzen Dekorieren der Bühne mit Holztieren, kleinen Teppichen, alles Mitbringsel der alten Frau, setzte sich Eva-Ingeborg Scholz auf eine kleine Bank, die sie bis zum Schlussbild nicht mehr verließ. Alles konzentrierte sich fortan auf den Text und die Geschichte. Die Wechsel zwischen den beiden gespielten Figuren, zwischen Stimmungen und erzählten raumgreifenden Geschichten war filigrane Arbeit und verlangte Regie und Darstellung höchste Sensibilität ab. In vornehmlich leisen und überaus harmonischen Tönen wurde eine großartige, weil menschliche Geschichte erzählt und wenn es in der Inszenierung überhaupt Probleme gab, dann wohl auf Seiten von Andreas Seyferth. Der musste das augenscheinliche Temperament seiner achtzigjährigen Darstellerin im Zaum halten.

Es ist, wie eingangs erwähnt, eine unspektakuläre Geschichte, die auf ebenso unspektakuläre Weise auf die Bühne des Theaters Viel Lärm um Nichts in der Pasinger Fabrik gebracht wurde. Jedoch, der Zuschauer, der aufgeschlossen genug ist, kann durchaus etwas Spektakuläres erleben. In der heutigen Gesellschaft werden ganz natürliche Dinge mit Vorsatz und auf panische Weise verdrängt: Vergänglichkeit (Siechtum und Krankheit) und Alter. Im Theater viel Lärm um Nichts kann man die Schönheit von Vergänglichkeit und Alter erleben.
 
 
Wolf Banitzki

 

 


Oskar und die Dame in Rosa

von Eric-Emmanuel Schmitt

Eva-Ingeborg Scholz

Regie : Andreas Seyferth