Theater Viel Lärm um Nichts Henry IV von William Shakespeare


 

 

 
Falstaff oder von den Vorzügen der Wollust und der Völlerei

Margit Carls hat sich des Stückes „King Henry IV“, von Shakespeare in der Zeit zwischen 1596 und 1598 verfasst, angenommen und eine Spielfassung erarbeitet, die sprachlich ins Hier und Heute hineinreicht. Shakespeare hätte es vermutlich gefallen, denn er war stets dafür aufgeschlossen, in Nebenszenen über Tagespolitik zu extemporieren. Allein, es ging Frau Carls nicht nur darum, den Shakespeare-Text verständlicher und übersichtlicher zu gestalten, sondern auf dezente Weise darauf hinzuweisen, dass die Literaturfiguren auch die heutige Realität bevölkern. Das Stück spielt in Kriegs- und Bürgerkriegszeiten, in Zeiten der Neuverteilung von Pfründen. Wer einen unverstellten Blick auf die Realität hat, der wird eingestehen müssen, dass wir ebenfalls in Kriegszeiten leben, wenngleich auch sichtbar keine Klingen gekreuzt werden. Der heutige Krieg ist ein ökonomischer und ein psychologischer. Gewaltige Unternehmen werden in unblutigen Schlachten an der Börse erobert, zerschlagen und verscherbelt. Die heutigen Menschen leben in einem Klima, das geprägt ist von Taktiken und Strategien, Begriffe aus dem Wortschatz des Militärs. Die modernen Heerführer sitzen in Vorstandetagen und Aufsichtsräten, und sie denken und handeln wie warlords. Der militärische Einsatz ist dabei nicht mehr ultima ratio, wenn er nur Effizienz verspricht.

Henry IV, einst Henry Bolingbroke geheißen, hatte Richard II. ermordet und sich selbst inthronisiert. Nicht nur, dass der Usurpator von Gewissensbissen geplagt wurde, er musste sich gegen die Rebellion des einstigen Verbündeten und jetzigen Todfeindes Percy Heißsporn verteidigen. Henrys Sohn, ebenfalls Henry mit Namen (genannt Hal oder Harry), hatte wenig Interesse an der Macht seines Vaters, und zog es vor, mit Sir John Falstaff durch die Kneipen und Hurenhäuser zu ziehen und seinen Lebenswandel durch kriminelle Handlungen zu finanzieren. Der Schutz durch die Obrigkeit war ihm gewiss. Mehr noch profitierte Falstaff von dieser unheiligen Allianz, denn sein (im übelsten und konsequentestes Sinn) epikureisches Wesen bedurfte des Schutzes einer hochgestellten Persönlichkeit. Sein Weg war gepflastert mit Lügen, Betrügereien und Schurkenstreichen aller Couleur. Bei näherer Betrachtung erkennt der Zuschauer oder Leser, dass Falstaff eine durchaus zentrale Figur im ungeheuerlichen Treiben der Mächtigen war. Als sich Hal auf die Seite seines Vaters schlug und eine wesentliche Rolle bei der Niederschlagung der Rebellion spielte, begann der gesellschaftliche Aufstieg Falstaffs im Fahrwasser des Prinzen of Wales. Gegen Ende war er ein hochdekorierter Mann, obgleich sein Ruhm erstunken, erlogen und erschlichen war. Als Hal die Krone von seinem Vater erbte und legitimer König wurde, wandelte sich sein Wesen schlagartig. Er ließ die einstigen Zech- und Waffenkumpanen fallen. Falstaff stürzte.

Der Reiz des Stückes besteht vornehmlich in dem Gegensatz staatsmännischen Denkens und der realen Überleberlebensstrategie Falstaffs. Eigentlich gibt es zwischen beiden Arten des Denkens keinen allzu großen Unterschied. Doch durch das Handeln Falstaffs nehmen die Vorgänge menschliche, allzumenschliche Dimensionen an. Obgleich das Stück vergleichsweise selten gespielt wird, hat es seinen unleugbaren Reiz, denn die Figur des Falstaffs ist auf ihre Weise ein ähnliches Schwergewicht wie Hamlet oder Macbeth.

 
henry

Hubert Bail, Hannes Berg

© Hilda Lobinger

Shakespeare war es gelungen, eine Lebensphilosophie auf sehr logische und zugleich lebensnahe Weise zu definieren. Tatsächlich entfaltete Falstaff die Philosophie der Faulheit und des Genusses aber erst in „Die lustigen Weiber von Windsor“ zu exemplarischer Größe. In „King Henry IV“ gerät die Geschichte um den Fresser, Säufer und Hurenbock zu einer Eulenspiegelei mit tiefen Einblicken in das menschliche Wesen. Hal: „Siehe, die Weisheit brüllt auf der Straße und keiner hört hin.“

Auch wenn es heute schwer vorstellbar ist, so war das Theater Shakespeares immer auch Volkstheater, in dem es derb und deftig zuging. Sowohl Margit Carls als Autorin, als auch Andreas Seyferth als Regisseur folgten dieser Tradition. So wurden Deftigkeiten, wie sie in Shakespeares Stück häufig vorkommen, in eine heutige Sprache übersetzt, gelegentlich auch durch zeitgenössische Vulgarismen ergänzt. Die Obszönitäten als Bestandteil der Handlung oder des Denkens verletzten den „guten Geschmack“ nicht wirklich. Andreas Seyferth vermied jegliche Manierismen und ließ direkt und ungeschönt in sprachlichem und gestischem Duktus spielen. Das belebte die z.T. trockenen Passagen des historischen Verlaufs der Dramengeschichte. Nebenbei bemerkt hielt Shakespeare nicht allzu viel von historischer Genauigkeit. Viele Denkmäler, die er historischen Figuren durch seine Stücke errichtete, erwiesen sich als literarische Chimären.

Stephan Joachims Bühne war zweigeteilt. Links der Sitz des Königs mit Ehrfurcht gebietendem Tisch und Fauteuil, rechts ein Ledersofa als Ort des Lasters. An den Wänden Stimmung schaffende abstrakte Bilder, die sich im von Stephan geschaffenen Licht permanent wandelten. Kongenial zu szenischen Situation und den raumverändernden Lichtstimmungen sprengte das Klangkonzept von Kai Taschner den Spielraum und entrückte den Zuschauer in die Welten kriegerischer Auseinandersetzungen, in denen Heros und Tod das Wort angaben. Die Tatsache, dass sieben Darsteller vierundzwanzig Rollen spielten, muss als konzeptionelle Meisterleistung gewertet werden. Dabei kam weder ein Verwirrspiel, noch eine darstellerische Dopplung heraus. Alles blieb übersichtlich und verständlich. Die Darsteller agierten in jeder Rolle durchweg differenziert, einfallsreich und mit großer physischer Präsenz. Dabei ging es richtig zur Sache. Sie einzeln zu beschreiben würde den Rahmen sprengen. Einzig Joachim Bauer soll genannt werden. Seine Besetzung als Fallstaff  war eine hervorragende Wahl. Ausgestattet mit einem „fatsuite“ entsprach er ganz und gar nicht dem Klischee des saufenden, fressenden und hurenden, zumeist grobschlächtig und tumb angelegten Falstaff. Bauers Spiel war überaus sensibel und schlitzohrig zugleich. Dieser Falstaff war keine lächerliche Figur, wenngleich  er sich einige Male lächerlich machte.

Die Tatsache, dass die Inszenierung drei Stunden dauert, sollte nicht schrecken. Längen wies der lange Theaterabend nicht auf und obgleich die Eingriffe in den Shakespeareschen Text durch Margit Carls nicht unerheblich waren, blieb die Schönheit der Sprache des großen Briten nicht auf der Strecke. Die lebendige und sinnesfreudige Inszenierung ist eine gute Gelegenheit, sich mit einem Shakespearestück auseinander zu setzen, das über Substanz verfügt, in der Umsetzung im Theater Viel Lärm um Nichts Spaß macht und dennoch nur selten in den Spielplänen zu finden ist. Zu einem Besuch wird darum geraten.

Wolf Banitzki

 

 

 


Henry IV

von William Shakespeare  
Eine Tragikomödie, in welcher der ehrenwerte Sir John Falstaff eine gewichtige Rolle spielt. Spielfassung Margit Carls

Hubert Bail, Joachim Bauer, Hannes Berg, Manuel Renken, Sven Schöcker, Joachim Vollrath,  Dave Wilcox

Regie: Andreas Seyferth