Theater Viel Lärm um Nichts Elektra von Hugo v. Hofmannsthal


 

 

 
... den Wahnsinn einzusehen

Die Mythen der Vergangenheit sind unsere kulturelle Genetik. Darum scheint es, als könnten die Protagonisten ihren Schicksalen nicht entrinnen, Schicksale, die nicht selten durch Blut verbunden sind. Wir beschreiben die mythologischen Geschichten als zeitlos und somit als immer modern. Es wird Zeit, die Mythen so umzuschreiben, dass es ein Entrinnen und eine Einsicht in die Möglichkeit des Entrinnens geben kann. Sonst werden uns die Mythen nie aus dem Kreislauf der Gewalt entlassen, die die Geschichte der Menschheit bis auf den heutigen Tag beherrscht. Manchmal agieren diese Mythen orakelhaft aus dem Unterbewusstsein heraus, manchmal müssen sie als Argument herhalten.

Die Geschichte von Elektra ist eine Geschichte des uneingeschränkten Hasses. Elektras Mutter Klytämnestra hatte den Vater Agamemnon, einen wahrlich hassenswerten Menschen, nach dessen siegreicher Rückkehr aus dem Krieg gegen Troja gemeinsam mit dem Geliebten Aegisth auf heimtückische Weise ermordet. Die Kinder Elektra, Chrysotemis und Orest wissen um die Freveltat der Mutter. Ein normales Leben ist nicht mehr möglich. Elektra lebt mit den Hunden im Vorhof des Palastes. Orest hatte man fortgeschafft, denn das eherne Gesetz der Rache, so sahen es die Götter vor, würden ihn zu weiteren Bluttaten zwingen: " Ich weiß nicht, wie die Götter sind. Ich weiß nur, sie haben diese Tat mir auferlegt, und sie verwerfen mich, wofern ich schaudre." Folglich trachteten Klytämnestra und Aegisth dem Knaben nach dem Leben.

Für Elektra war Orest und seine Wiedergutmachung der Blutschuld einziger Lebensinhalt geworden. Im Gegensatz zur Schwester Chrysotemis war sie nur von diesem einen Gedanken der Rache beseelt. Chrysotemis hingegen träumte von einem normalen Leben, einem mit Mann und Kindern und ein wenig Glück. Sie fasste das Dilemma mit folgenden Worten zusammen: "Du bist es, die mit Eisenklammern mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du, sie ließen uns hinaus. Wär nicht dein Hass, dein schlafloses unbändiges Gemüt, vor dem sie zittern, ah, so ließen sie uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!" Elektra aber bleibt unbeugsam, auch der Mutter gegenüber, die keinen Schlaf mehr findet. Auch ihr ist klar, und wieder wird das Blut beschworen, " auch diese Träume müssen ein Ende haben. Wer sie immer schickt: ein jeder Dämon lässt von uns, sobald das rechte Blut geflossen ist." Das rechte Blut fließt, denn Orest erscheint, und tötet beide ohne jeden inneren Zweifel. Als die Bluttat vollbracht war, fehlten Elektra die Worte: "Schweigen und Tanzen!" Doch dann verlor sie den Boden unter den Füßen. Sie hatten jeden Lebenssinn eingebüßt.
 

 

Regisseur Stephan Joachim setzte ganz auf die mythologische Substanz und ihre psychologischen Verstrickungen. Er reduzierte das Libretto auf die Begegnungen zwischen Elektra und Chrysotemis, Elektra und Klytämnestra und Elektra und Orest. Mehr bedurfte es auch nicht, den Konflikt und seine Vielseitigkeit zu transportieren. Doch Stephan Joachim, der auch den Raum gestaltete, und für den der Raum mehr ist als nur Spielort, zelebrierte durch den Minimalismus der Ausstattung (schwarzer Raum und einige Kreidefelsen) und einem relativ aktionslosen, darum aber um so intensiveren Spiel diese mythologische Unentrinnbarkeit. Ihm gelang kathartisches Theater im besten Sinn. Lena Scholles Elektra war geballte Hassenergie. Wie ein Raubtier vor dem Sprung erzeugte sie permanente Bedrohlichkeit. Nina von Düsterlho als Chrysotemis rang voller Anmut um einen Ausgleich. Sehnsuchtsvoll träumte sie von der Errettung aus dem Käfig blutschänderischer Abhängigkeit, von einem normalen Leben. Balbina Brauel gab eine wuchtige Klytämnestra, eine Königin, deren letzte Tage ihr bereits ins Gesicht geschrieben standen. Sie vermittelte glaubhaft, warum die Gattenmörderin ihre Macht im Palast noch immer aufrecht erhalten konnte. Stephan Joachim schließlich erschien als Orest auf der Bühne, vibrierend vor dem "Unentrinnbaren". Seine Darstellung war verhalten, womit der Text raumgreifend wurde. Sein Sprachduktus war natürlich und hatte einen ausgewogenen Rhythmus, etwas, was man Lena Scholle gewünscht hätte. Gelegentlich spielte sie zu sehr die Emotionen, die sie beim Publikum erzeugt wissen wollte. So konnten sich die Bilder nicht immer zur wirklichen Größe entfalten.

Das Ende kam abrupt, die innere Erschütterung ebenso. Die Katharsis war perfekt. Stephan Joachim bewies mit seiner Inszenierung nicht nur die Wirkungsträchtigkeit des Textes von Hofmannsthal, sondern auch dessen theatralische Poetik.

 
Wolf Banitzki

 

 


Elektra

von Hugo v. Hofmannsthal

Balbina Brauel, Lena Scholle, Nina von Düsterlho, Stephan Joachim

Regie und Ausstattung: Stephan Joachim
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