TamS Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit von Horst Hussel
Misstraue deinem Zeigefinger, wenn es um die Zähne geht!
„Formalistische Umtriebe“ – besser kann man die literarischen Abenteuer des 1934 in Greifswald geborenen und in Berlin lebenden Malers und Schriftstellers Horst Hussel kaum beschreiben. Im historischen Kontext betrachtet, war diese Stigmatisierung allerdings wenig schmeichelhaft und durchaus existenzbedrohlich. Verhängt war das Urteil gegen Hussel von den Kunstasthmatikern der DDR-SED, die in Hussels Darstellungen bloßes Formenspiel sahen, das vom „notwendigen Klassenkampf“ ablenkte und folglich eine „dekadente künstlerische Auffassung“ darstellte. Hussel wurde von der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee gefeuert. Dass es ihm nicht um akademische Titel ging, beweist die Tatsache, dass er im August 1961, also zum Zeitpunkt des Berliner Mauerbaus, auch sein drittes Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg hinschmiss.
Die akademischen Ehren wurden ihm dennoch zuteil, als die ehemalige DDR-Malerschmiede in Berlin-Weißensee ihm das Abschlusszeugnis im Jahr 1990 nachträglich zuerkannte. Kaum anzunehmen, dass Hussel dieses Diplom mehr bedeutete, als eine verspätete Genugtuung. Viel wichtiger war ihm vermutlich die Ehrenpräsidentschaft der Schwitters-Gesellschaft. Denn die ist wohl mehr als jede akademische Einrichtung Hussels künstlerische Heimat.
Hussel war mit seinen „Umtrieben“ allemal dichter am Menschen dran als die Klassenkampffantasien der DDR-Stalinisten, denen jede künstlerische Form jenseits des „sozialistischen Realismus“ suspekt war, weil sie sie in ihrer Fantasielosigkeit ohnehin nicht verstanden. Die verbissenen Hüter der sozialistischen Kunstdoktrin sind längst perdu, geblieben sind uns die literarischen Perlen von Horst Hussel, dessen faszinierende Dramolette in der Regie von Burchard Dabinnus im TamS zu sehen sind. Ort aller Handlungen ist eine Bank auf einem Friedhof mit Meerblick und einzelnem Baum, der, wie einige Charaktere bei Samuel Beckett ausgeliehen sein könnte.
Hier treffen sich Damen und, auch wenn der Untertitel „Damengespräche“ ist, einige Herren, um die Welt zu reflektieren. Sie entstammen vornehmlich der Kukident-Society, was die Themen schon mal deutlich eingrenzt. Wahrnehmung ist eines, denn die leidet ja bekanntlich im Alter und so stellt man sich des Öfteren die Frage, ob da wohl was ist, oder war, oder nicht und warum nicht. Antworten bleiben aus. Wozu auch, hat man doch beinahe alles hinter sich. „Es gibt keine Überraschungen.“ Das stimmt nicht ganz, denn gelegentlich gerät man schon in Rage. Beispielsweise über die Nachbarin, die einfach nicht sterben will, oder über den Hund einer anderen Dame, dessen Hässlichkeit radikale Taten fordert. Eine Axt kommt auch vor, wie im Titel versprochen, doch letztlich, und das stimmt versöhnlich, enden alle Wege immer wieder an der Bank auf dem Friedhof, das einzig Sichere im Leben aller Beteiligten. Überhaupt, man sollte sich nicht mehr allzu weit entfernen vom Friedhof… Und wenn es um den Sinn der zahlreichen Szenen geht, mögen jüngere Besucher diesen vielleicht hier und da vermissen, die älteren indes haben deutliche Ahnungen und Gewissheiten.
Burchard Dabinnus inszenierte die Miniaturdramen mit viel Feingefühl für Details und großem Verständnis für das Theater des Absurden. Die durchweg komischen Szenen entfesselten weniger Gelächter, als vielmehr unausweichliches Schmunzeln. Hussels elegant-skurrilen Ideen sind fernab von Plattitüden und Klischees angesiedelt; jede für sich ist eine Entdeckung, die selbst philosophischen Ansprüchen stand hält. Regisseur Dabinnus ist es gelungen, sie in ebenso hochkarätiges Schauspiel umzusetzen. Dabei konnte er auf drei Erzkomödianten zurückgreifen. Allen voran Anne-Isabelle Zils, deren Naturell schon eine Menge Komik parat hält, die aber zudem erstaunlich wandlungsfähig ist. Astrid Polak, die zumeist eine bezaubernde alte Dame gab, ließ es ebenso weder an Vorder- noch an Hintersinn und auch nicht an Boshaftigkeiten mangeln. Selbst einen Stalin- oder vielleicht auch Nietzscheschnurrbart trug sie mannhaft. Christian Buse wandelte in beiderlei Geschlechtern auf den Kriegspfaden gesellschaftlicher Umgangsformen mit einem sehr eigenen Verständnis von Mitmenschlichkeit. Er stand in seiner emotionalen Ekstase auch schon mal ohne Hosen da.
Ein wichtiger Grund für das Gelingen der Inszenierung war das wunderbare Bühnenbild und die ausschweifenden Kostüme von Claudia Karpfinger. Das Bühnenbild beschrieb keinen realen Topos, sondern einen nüchtern-abstrakten Lebensraum, in dem auch die zahllosen Kostüme vornehmlich artifiziell und dabei doch wundervoll kleidsam waren. Dieses Ambiente lenkte nicht ab und fokussierte die zum Teil surrealen oder absurden Vorgänge. Die Darsteller spielten in den vielen unterschiedlichen Figuren eine immens große Palette darstellerischer Farben. Unter der Spielleitung von Burchard Dabinnus wurde nichts verschenkt und ein reicher Strauß figürlicher Blüten machten den Abend zu einer Ohren- und Augenweide, dessen Textur vermutlich auch mit einem zweiten Besuch nicht endgültig entschlüsselt werden kann.
Es war unbedingt ein wunderbarer Abend, der einmal mehr die Stärken des TamS zutage förderte. Das TamS ist eine Institution, die im Umgang mit anspruchsvollsten Absurditäten oder mit hochklassigem Nonsens überzeugt. Niemand sollte nun glauben, dass sich keine nachhaltigen, für das Leben bedeutsame Wahrheiten in „Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit“ finden. Allein, manche kann man erst erkennen, wenn man die entsprechenden Lebenserfahrungen persönlich gemacht hat. Eine wäre: Misstraue deinem Zeigefinger, wenn es um die Zähne geht!
Prädikat: Erkenntnistheoretisch wertvoll, zumindest bei nahender Demenz!
Wolf Banitzki
Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit
Damengespräche von Horst Hussel
Astrid Polak, Anne-Isabelle Zils, Christian Buse
Regie: Burchard Dabinnus
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TamS Schad um die Hasen. Obwohl. von Beate Faßnacht
Alles Gewohnheit
Der Brauch trägt eine Vorstellung des Behagens für die Menschen über die Zeit, wie es etwa der Frühschoppen nach dem sonntäglichen Kirchgang tut. Mit ihm werden ethisch religiöse Grundbegriffe weitergegeben, Gesellschaftsrecht als zweite Natur dem Menschen antrainiert. Mittlerweile scheint die erste Natur, das Entstandene vergessen ... Schad um die Hasen. Obwohl ... Leben wider die erste Natur ist ziemlich ungesund. Zudem offenbart sich Absurdität, setzt man eine Natur über die andere.
Unauffällig mit Theke, Tisch und Bank und damit unverkennbar als Kneipe, war die Bühne gestaltet. Das Bühnenbild wirkte irgendwie „originalgetreu“ und konnte doch überall stehen. Vier Männer, zwischen ihnen die Wirtin und Anni, die Kellnerin standen um einen Fernseher, in welchem die Nachrichten liefen. Die neuesten Sensationen sollten Gesprächsstoff liefern in die kahle gewohnte Umgebung. Man kannte sich, kannte Schwächen und Stärken, bestätigte sich in den geübten Verhaltensmustern, suchte Anreiz. Dann betrat eine fremde Frau die lokale Szene. Neugier und Skepsis brachen hervor, als sich die auffallend Schöne mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Was wollte sie hier? Catalina Navarro Kriner stand alsbald in Unterwäsche vor den Gästen und forderte selbstbewusst Begleitung ein. Doch die Männer ließen sich die Gläser füllen. Selbst der vitale weltgewandte Axel Röhrle blieb in sich gefangen, ließ sich nicht überzeugen. Dabei ist alles nur ein Prozess der Anpassung an Reize, die bisher als Tabu galten und nun als Leitbild stehen. Wird die Bereitschaft zu einem Verhalten durch zu häufige Wiederholung überstrapaziert, so erfordert es immer stärkere Reize um eine Reaktion zu erfahren. Obwohl ... die Sinne sich längst abgestumpft verhalten. Die Wirtin führte das Kommando, während die Männer nur wie unnütz in der Kneipe herumstanden, dazu verdammt den, als heilsbringend bzw. erlösend deklarierten Stoff zu konsumieren. Reden ja, ein wenig reden wurde ihnen gestattet, nur nicht zu viel, oder gar zu auffällig. Denn sonst zückte die Wirtin (Helmut Dauner) resolut die Bratpfanne und die Androhung zuzuschlagen. Ein anderes Bild der Frau, als das der in kurzem schwarzem Lederkleid sich in Pose setzenden Fremden. Klischees und damit Gewohntes. Unbeeindruckt davon schien der Naive, Burchard Dabinnus, der zwar die nette brave Kellnerin Anni (Judith Huber) liebte, doch dem der Mut zur Konsequenz abhanden gekommen war. Obwohl ... die Rede ist auch schon ein Handeln. Und für das „Obwohl“ war im Stück der abseits sitzende ruhige Maria Peschek zuständig. Stets auf der Suche nach einem plausiblen Gegenargument, blieb er ohne weitere Äußerungen auf der Suche. Allein das gefüllte Glas bot ihm Ausflucht. Der Junge mit dem Spitznamen „Shakespeare“ zeigte Interesse an der schönen Fremden, ließ sich aber unaufwändig von den anderen in die Schranken weisen. Aufmerksamkeit suchend produzierte sich Christoph Theussl. Die Sprache in dieser Gesellschaft ist mittlerweile auf den Endreim reduziert, wie die Dichter in den Kneipen angekommen sind und als Anhänger der Flasche entlarvt. Klischees und damit Gewohntes. Regisseur Lorenz Seib gelang in der Inszenierung bravourös die Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Klischee und Kunst und Doppeldeutigkeit. Immer wieder hielten die Schauspieler die Zeit an, verharrten starr in eindringlichen Bildern, den Reiz des Augenblickes voll auszudrücken. Obwohl ... die Zeit nicht angehalten werden kann.
Biederkeit regiert. Eine Biederkeit, die eine nach außen gestülpte Intimität als vermeintliche Weltoffenheit propagiert und die doch nur in Voyeurismus und Exhibitionismus gleichzeitig gefangen ist – sich selbst in ihrer Unzulänglichkeit über die Medien narzistisch in den Mittelpunkt stellt. „.Einen Scheißdreck bringen die heutzutage.“ (Dazu das Bild einer Sanitäranlage aus der Überwachungskamera.) Auch daran hat man mittlerweile die Gesellschaft gewöhnt. „Schalt aus. Ich mag das nicht mehr sehen.“ Es wäre zum Heulen, doch dann hörte auch der Regen vor dem Fenster auf. „Mir fällt nichts mehr ein.“ ... „Draußen gibt es nicht mehr.“
Die Zerstörung der ersten Natur geht weiter, und dazu erklang traurig lakonisch von der Kellnerin Anni: „Schad um die Hasen.“ ... Obwohl ... es dient der Bequemlichkeit und ist somit legitim. Wie paralysierte Marionetten führten die Darsteller das Stück dem Publikum vor Augen, ganz so, wie das aktuelle gesellschaftliche Programm durchgezogen wird. Die Phrasen aus dem Lautsprecher des Fernsehers beschränken sich auf die kleinen Katastrophen, einen Flugzeugabsturz, während die eigentliche unaufhörlich voranschreitet und es längst rot, feuerrot vor den Fenstern brennt. Beate Faßnacht und das Ensemble des TamS holten den Brand ins Haus, auf die Bühne und boten außergewöhnliches Theater mit den Mitteln des scheinbar Gewöhnlichen. Dafür erhielten sie anerkennenden anhaltenden Applaus!
C.M.Meier
Schad um die Hasen. Obwohl
von Beate Faßnacht
Judith Huber, Catalina Navarro Kirner, Maria Peschek, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Axel Röhrle, Christoph Theussl
Regie: Lorenz Seib
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