Teamtheater Tankstelle Schloss Gripsholm von Kurt Tucholsky




Liebelei und Weltgeschichte

Eine kleine Geschichte sollte es werden, ein Lückenfüller für Verleger Ernst Rowohlt und eine Fingerübung für den Dichter Kurt Tucholsky. Tatsächlich wurde es eine der bekanntesten Geschichten der deutschsprachigen Literatur, ein echter Dauerbrenner, verlegt, verfilmt, dramatisiert und auf die Bühne gebracht. Diesem Versuch, Prosa auf die Bühne zu bringen, gebührt Nachsicht, und diese fordert nicht nur die Inszenierung am Teamtheater ein.

Was macht den Reiz der Geschichte aus, dass Theatermacher immer wieder nach ihr schielen? Zum einen ist es ein genialischer Text, mit leichter Feder geschrieben. Die Ingredienzien: Liebe, Erotik und Poesie. Zum anderen ist es ein überaus politischer Text, der auf sensibelste Weise eine große Bestürzung vor dem aufziehenden Nationalsozialismus vermittelt.

Horst Ulrich Wendler, der die Prosavorlage für das Theater szenisch aufbereitete, versuchte glücklicher Weise gar nicht erst, ein Theaterstück daraus zu machen. Und daran tat er gut, denn die innere Struktur der Tucholskyschen Erzählung ist dafür absolut ungeeignet. Er setzte auf die lyrischen Werte, ohne die Geschichte aus dem Auge zu verlieren. Heraus kam eine neue Vorlage für ein Erzähltheater, welche sich szenisch strukturieren lässt.

Markus Menzel , Ursula Berlinghof, Johanna Friedrich

© Stephan Rumpf


Daddy und Lydia reisen gemeinsam nach Schweden, um dort Urlaub zu machen. Sie sind ein Paar der besonderen Art. Lydia, eine selbstbewusste Frau, ist zu abgeklärt, um im Zusammensein eine endlos währende Romanze zu sehen. Daddy, hinter dieser Figur verbirgt sich Tucholsky selbst, macht seinerseits keinen Hehl daraus, dass er bislang noch jede Frau betrogen hat, zumindest mit seiner Schreibmaschine. Die Prämissen stimmen und so bleibt die Beziehung zwischen beiden unbeschadet, als sich erst Karlchen, Freund von Daddy, und später Billie, Freundin von Lydia, für einen kurzen Zeitraum den beiden in erotischer Weise zugesellen. Tucholskys Plädoyer für erotische Experimente ist eines der bemerkenswerten und macht einen Großteil des Reizes in dieser Literatur aus.

Die politische Komponente ist jedoch nicht weniger wirkungsvoll angelegt. Tucholsky wählt die Figur eines Kindes, um den Zuschauer vor dem aufziehenden Regime der Unmenschlichkeit und der Repression zu warnen. Ada, ein sechs- oder siebenjähriges Mädchen lebt im benachbarten Internat unter der Fuchtel einer "Führerfrau". Gemeinsam wenden sich die Freunde an die in der Schweiz lebende Mutter, um das Kind aus den Fängen der Furie zu befreien. Als der Urlaub zu Ende ist, reisen sie zu dritt, die kleine glückliche Ada als verbindendes Glied, in Richtung Schweiz. Hinter diesem Bild steht dann auch mehr, als der erste Schein vermuten lässt, der Exodus von zahllosen Intellektuellen und Künstlern. Damit dieses Bild nicht verloren geht, bedarf es eines sensiblen Umgangs mit dem Text und einigen deutlichen Fährten für den Zuschauer, denn was würde vom Text übrig bleiben ohne diese historische politische Aussage? Kaum mehr als eine mäßige und belanglose Liebesgeschichte.

Regisseur Ernst Matthias Friedrich bemühte sich deutlich um die Doppelbödigkeit der Geschichte, wenn gleich das Bühnenbild von Esther Toronszky dieses Anliegen nicht sonderlich unterstützte. Mehr als eine gelungene Bühnenrückwand, die Details von Vorgängen und Figuren sichtbar machte, war wenig Sinnvolles und viel Überflüssiges auf der Bühne, das gelegentlich auch schon mal weggeräumt werden musste.

Das Spiel der Darsteller war intensiv und von der Regie sinnfällig gesteuert. Allein, während Franziska Ball als Billie noch erotische Fantasien beim Zuschauer provozieren konnte, war das Spiel von Ursula Berlinghof so herb, dass es einiger Vorstellungskraft bedurfte, zu verstehen, warum Daddy (Markus Menzel) unbedingt das Lager mit ihr teilen wollte. Menzel entwickelte immerhin die Figur des Dichters auf sehr originelle Art und mit deutlichem Habitus, ohne plakativ oder klischeehaft zu sein. Philipp Weiches Karlchen erfüllte die Erwartungen, die ein Leser nach der Lektüre des Prosatextes von diesem skurrilen und erfrischenden Burschen hat. Franziska Ball hatte zudem noch die Gelegenheit, als "Führerfrau" ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Das tat sie mit Nachdruck.

Wenn gleich von der verführerischen und idyllischen Kulisse des Schlosses Gripsholm in der Teamtheater-Inszenierung wenig zu spüren war, wurde der Geist der Tucholskyschen Erzählung, die eine heitere ist, befördert. Und auf den sollten wir auch fürderhin nicht verzichten.


Wolf Banitzki

 

 


Schloss Gripsholm

von Kurt Tucholsky

In einer szenischen Bearbeitung von Horst Ulrich Wendler

Markus Menzel, Ursula Berlinghof, Philipp Weiche, Franziska Ball, Johanna Friedrich

Regie: Ernst Matthias Friedrich
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