Teamtheater Tankstelle LAPUTA NOVA Eine Performance von Alexia Hermann
Kunst wider den „kosmischen Bankrott“
„Laputa Nova“, eine Performance aus Wort, Klang, Tanz und Bildern ist eine überaus komplexe Arbeit, für deren Konzeption und Regie Alexia Hermann paraphiert. Gegenstand ihrer künstlerischen Erkundungen sind Utopien, menschliche Ideen von einer letzten Behausung, in der der Mensch vor allem Unglück, auch dem selbstgeschaffenen, geschützt ist. Dass dieses Unterfangen nur scheitern kann, steht außer Frage, doch auch im Scheitern kann Erkenntnis errungen werden.
Inspirieren ließ sich Alexia Hermann von Francis Bacons Romanfragment „The New Atlantis“, einer Utopie aus dem Jahr 1614, in der der Philosoph und Politiker die Gründung wissenschaftlicher Akademien nach völlig neuen Gesichtspunkten anregte. Es handelt sich dabei allerdings nicht, wie in der Werbung unterstellt, um die erste neuzeitliche Utopie. „Utopia“ von Thomas Morus erschien bereits 1516, und Tommaso Campanellas „La città del sole“ (Der Sonnenstaat) wurde 1602 verfasst. Diese Anmerkung soll nicht als Kritik aufgefasst werden, sondern als Hinweis darauf, wie utopienträchtig die europäische Renaissance war, insbesondere angesichts des Fehlens von Utopien in der heutigen Zeit. Um so wertvoller erscheint jedes Nachdenken darüber.
Einen weiteren Ansatz bot das Werk von Richard Buckminster Fuller (1895-1983). Fuller erlebte seinen eigenen sozialen Niedergang so schmerzhaft, dass er im Suizid den einzigen Ausweg sah. Schließlich entschied er sich, sein Leben einem Experiment zu weihen, dessen Inhalt die Frage war: In wie weit kann das menschliche Individuum zu Verbesserung der Lebenssituation der ganzen Menschheit beitragen? Er notierte seine Bemühungen peinlichst genau in Tagebuchform über ein halbes Jahrhundert hinweg. Als eine wichtige Strategie zur Vermeidung von Krisensituationen betrachtete er die „spontane Kooperation“ aller Menschen. Als Architekt entwickelte er „Minimalprinzipien“ die einen „kosmischen Bankrott“ verhindern und nachhaltige Entwicklungschancen für die menschlichen Spezies sichern sollten. Ausdruck dieses Strebens waren seine „Domes“ oder „geodätischen Kuppeln“, die Alexia Herrmann in ihrer Performance in zwei- und auch in dreidimensionaler Form einband.
Und last not least wurden Textpassagen aus der Komödie „Die Vögel“ des Athener Dichters Aristophanes (etwa 450 v. Chr. bis 380 v. Chr.) verwendet. Darin wurde die Geschichte zweier Athener Exilanten, Peithetairos (übersetzt: Berater) und Euelpides (übersetzt: gute Hoffnung), erzählt, die Athen den Rücken kehrten, um über die Machtergreifung der Vögel eine Stadt zu erbauen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“.
Ich bitte um Nachsicht für die ausschweifenden Erklärungen der Quellen, doch sie erschienen mir unumgänglich für ein besseres Verständnis dieser Performance, die sehr stark auf die emotionale Rezeption des Betrachters zielte.
„Laputa Nova“, eine Performance aus Wort, Klang, Tanz und Bildern ist eine überaus komplexe Arbeit, für deren Konzeption und Regie Alexia Hermann paraphiert. Gegenstand ihrer künstlerischen Erkundungen sind Utopien, menschliche Ideen von einer letzten Behausung, in der der Mensch vor allem Unglück, auch dem selbstgeschaffenen, geschützt ist. Dass dieses Unterfangen nur scheitern kann, steht außer Frage, doch auch im Scheitern kann Erkenntnis errungen werden.
Inspirieren ließ sich Alexia Hermann von Francis Bacons Romanfragment „The New Atlantis“, einer Utopie aus dem Jahr 1614, in der der Philosoph und Politiker die Gründung wissenschaftlicher Akademien nach völlig neuen Gesichtspunkten anregte. Es handelt sich dabei allerdings nicht, wie in der Werbung unterstellt, um die erste neuzeitliche Utopie. „Utopia“ von Thomas Morus erschien bereits 1516, und Tommaso Campanellas „La città del sole“ (Der Sonnenstaat) wurde 1602 verfasst. Diese Anmerkung soll nicht als Kritik aufgefasst werden, sondern als Hinweis darauf, wie utopienträchtig die europäische Renaissance war, insbesondere angesichts des Fehlens von Utopien in der heutigen Zeit. Um so wertvoller erscheint jedes Nachdenken darüber.
Einen weiteren Ansatz bot das Werk von Richard Buckminster Fuller (1895-1983). Fuller erlebte seinen eigenen sozialen Niedergang so schmerzhaft, dass er im Suizid den einzigen Ausweg sah. Schließlich entschied er sich, sein Leben einem Experiment zu weihen, dessen Inhalt die Frage war: In wie weit kann das menschliche Individuum zu Verbesserung der Lebenssituation der ganzen Menschheit beitragen? Er notierte seine Bemühungen peinlichst genau in Tagebuchform über ein halbes Jahrhundert hinweg. Als eine wichtige Strategie zur Vermeidung von Krisensituationen betrachtete er die „spontane Kooperation“ aller Menschen. Als Architekt entwickelte er „Minimalprinzipien“ die einen „kosmischen Bankrott“ verhindern und nachhaltige Entwicklungschancen für die menschlichen Spezies sichern sollten. Ausdruck dieses Strebens waren seine „Domes“ oder „geodätischen Kuppeln“, die Alexia Herrmann in ihrer Performance in zwei- und auch in dreidimensionaler Form einband.
Und last not least wurden Textpassagen aus der Komödie „Die Vögel“ des Athener Dichters Aristophanes (etwa 450 v. Chr. bis 380 v. Chr.) verwendet. Darin wurde die Geschichte zweier Athener Exilanten, Peithetairos (übersetzt: Berater) und Euelpides (übersetzt: gute Hoffnung), erzählt, die Athen den Rücken kehrten, um über die Machtergreifung der Vögel eine Stadt zu erbauen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“.
Ich bitte um Nachsicht für die ausschweifenden Erklärungen der Quellen, doch sie erschienen mir unumgänglich für ein besseres Verständnis dieser Performance, die sehr stark auf die emotionale Rezeption des Betrachters zielte.
Shin Lee, Peter McCoy, Stefan Lehnen, Gabriele Graf © Stephan Rumpf |
Michele Lorenzinis Bühne war vollständig in Weiß gehalten. Sie hatte die Form eines Amphitheaters, wobei rückseitig weiße, halbrunde Wände platziert waren, die einerseits Projektionsflächen für die atmosphärischen Videos von Simone Dobmeier, im Gegenlicht gleichsam Schirme für Schattenspiele waren. Zu Beginn der Vorstellung war eine „geodätische Kugel“ von Fuller, den man auf projizierten Bildern sitzend in seiner Werkstatt sehen konnte, an Gummibändern im Bühnenraum installiert. Dieser Kugel näherte sich archaisch-rhythmisch tanzend der beinahe nackte, den Anbeginn der menschlichen Zeit symbolisierende Peter McCoy. Er drang in diese Kugel, die Welt beschreibend, ein, verfing sich in ihr und trug sie dann wie ein Gefängnis davon. Der Mensch war jetzt in seiner Behausung materiell und psychisch gefangen.
Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen begannen nun, mit Auszügen aus oben genannten Utopien Auswege aufzuzeigen, wie der Mensch seinem selbstverursachten Gefängnis zu entfliehen versuchte. Die Unternehmungen scheiterten, endeten immer wieder in Leid und Elend. Der Mensch bleibt sich selbst der ärgste Feind. Dies körperlichen Ausdruck zu verleihen, näherten sich die Darsteller einander immer wieder tänzerisch. Die einfachen figürlichen Konstellationen waren leicht verständlich, in ihrer Ästhetik anmutig, sehnsuchtsvoll und auch leiderfüllt. Peter McCoy, der für die Choreografie verantwortlich zeichnete, schuf eindringliche Bilder ohne Exzentrik. Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen überzeugten nicht nur in ihrer Körperlichkeit, sondern sprachen ihre Texte mit großer Präzision, maßvoll engagiert und mit großer gestalterischer Kraft. Entscheidend für die Eindringlichkeit der Bilder und der gesprochenen Worte war der ausgeklügelte Klangteppich, der unterschwellig emotionale Vibration erzeugte. Die Performance war durchgängig spannungsgeladen, übervoll mit Assoziationsmöglichkeiten und auf hohem darstellerischen Niveau.
Als Gabriele Graf als letzten Akt, quasi als Abgesang auf alle menschlichen Bemühungen, die Bilder von Sabine Hoffmann an den Rückwänden platzierte, musste der Betrachter das Scheitern erkennen. Die Vögel waren auf die Erde gestürzt. Nicht unschuldig daran waren vorgeblich die Götter, Sinnbild für die Schicksalhaftigkeit der menschlichen Existenz.
Wenn diese wunderbare Inszenierung auch in angedeuteter Resignation endete, so reizte sie doch zum Widerspruch. Allein das Erkennen der Unvollkommenheit des Menschen, sich selbst in den Zustand dauerhaften Glücks zu versetzten, ist ein unmissverständlicher Ansatz für neuere Utopien, die es längst gibt. Spätestens seit Friedrich Nietzsche lautet der Auftrag, durch das „Überwinden des unzulänglichen Menschen“ den „Übermenschen“ zu schaffen. Dieser Übermensch ist, frei von allen letzten tierischen Eigenschaften, ein soziales Wesen, also frei von Egoismen und fähig zur „spontane Kooperation“, wie sie sich Fuller wünschte. Aufgemerkt: Der erste Schritt Nietzsches war die Abschaffung Gottes, ein Akt der Befreiung aus der Schicksalhaftigkeit. Dieser Schritt war gleichsam die Ouvertüre zur vollständigen Selbstbefreiung, zur Emanzipation hin zum selbstbestimmten Wesen. Diese Selbstbefreiung gilt es anzugehen, um einer Welt zu entfliehen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“ (Aristophanes vor 2400 Jahren).
Die Performance von Alexia Hermann steht als ein hochkarätiges Diskussionsangebot im künstlerischen Raum, in dem die zur Zeit wichtigsten, weil letzten Fragen der menschlichen Entwicklung verhandelt werden: Die Verhinderung des „kosmischen Bankrotts“.
Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen begannen nun, mit Auszügen aus oben genannten Utopien Auswege aufzuzeigen, wie der Mensch seinem selbstverursachten Gefängnis zu entfliehen versuchte. Die Unternehmungen scheiterten, endeten immer wieder in Leid und Elend. Der Mensch bleibt sich selbst der ärgste Feind. Dies körperlichen Ausdruck zu verleihen, näherten sich die Darsteller einander immer wieder tänzerisch. Die einfachen figürlichen Konstellationen waren leicht verständlich, in ihrer Ästhetik anmutig, sehnsuchtsvoll und auch leiderfüllt. Peter McCoy, der für die Choreografie verantwortlich zeichnete, schuf eindringliche Bilder ohne Exzentrik. Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen überzeugten nicht nur in ihrer Körperlichkeit, sondern sprachen ihre Texte mit großer Präzision, maßvoll engagiert und mit großer gestalterischer Kraft. Entscheidend für die Eindringlichkeit der Bilder und der gesprochenen Worte war der ausgeklügelte Klangteppich, der unterschwellig emotionale Vibration erzeugte. Die Performance war durchgängig spannungsgeladen, übervoll mit Assoziationsmöglichkeiten und auf hohem darstellerischen Niveau.
Als Gabriele Graf als letzten Akt, quasi als Abgesang auf alle menschlichen Bemühungen, die Bilder von Sabine Hoffmann an den Rückwänden platzierte, musste der Betrachter das Scheitern erkennen. Die Vögel waren auf die Erde gestürzt. Nicht unschuldig daran waren vorgeblich die Götter, Sinnbild für die Schicksalhaftigkeit der menschlichen Existenz.
Wenn diese wunderbare Inszenierung auch in angedeuteter Resignation endete, so reizte sie doch zum Widerspruch. Allein das Erkennen der Unvollkommenheit des Menschen, sich selbst in den Zustand dauerhaften Glücks zu versetzten, ist ein unmissverständlicher Ansatz für neuere Utopien, die es längst gibt. Spätestens seit Friedrich Nietzsche lautet der Auftrag, durch das „Überwinden des unzulänglichen Menschen“ den „Übermenschen“ zu schaffen. Dieser Übermensch ist, frei von allen letzten tierischen Eigenschaften, ein soziales Wesen, also frei von Egoismen und fähig zur „spontane Kooperation“, wie sie sich Fuller wünschte. Aufgemerkt: Der erste Schritt Nietzsches war die Abschaffung Gottes, ein Akt der Befreiung aus der Schicksalhaftigkeit. Dieser Schritt war gleichsam die Ouvertüre zur vollständigen Selbstbefreiung, zur Emanzipation hin zum selbstbestimmten Wesen. Diese Selbstbefreiung gilt es anzugehen, um einer Welt zu entfliehen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“ (Aristophanes vor 2400 Jahren).
Die Performance von Alexia Hermann steht als ein hochkarätiges Diskussionsangebot im künstlerischen Raum, in dem die zur Zeit wichtigsten, weil letzten Fragen der menschlichen Entwicklung verhandelt werden: Die Verhinderung des „kosmischen Bankrotts“.
Wolf Banitzki
LAPUTA NOVA
Eine Performance von Alexia Hermann
Gabriele Graf, Shin Lee, Stefan Lehnen Tanz & Choreographie: Peter McCoy Regie und Konzeption: Alexia Hermann |