Teamtheater Tankstelle Die Nashörner von Eugène Ionesco




Die Savanne ist überall

Behringer und Freund Hans treffen sich am Sonntagvormittag im Cafe am Kirchplatz. Die Kleinstadt dämmert vor sich hin und Hans kritisiert Behringer wegen dessen von Verwahrlosung gezeichneten Erscheinung. Behringers Einstellung ist fatalistisch, erscheint ihm doch seine Existenz als absurd. Einzig Daisy, die Chefsekretärin im Verlag, in dem auch Behringer arbeitet, vermag seine Lebensgeister zu erregen. Noch hat er ihr seine Liebe allerdings nicht gestanden. Am Nebentisch parlieren der Logiker und ein anderer Herr auf absurdeste Weise über unterschiedliche Gegenstände des Daseins. Da findet man schon einmal heraus, dass der Hund (Er hat vier Beine.) eigentlich ein Katze ist (Auch sie hat vier Beine.) und umgehrt. Ausgehend vom klassische Syllogismus von Sokrates: “Alle Menschen sind sterblich, ich bin ein Mensch, also bin ich sterblich”, erscheint das logisch, wenngleich schwachsinnig. Plötzlich und für alle Beteiligten schockierend, überquert ein Nashorn den Kirchplatz. Auf der Strecke bleibt die Katze der Frau des Hauses. In der allgemeinen Betroffenheit streiten sich Hans und Behringer darüber, ob es ein afrikanisches oder ein asiatisches Nashorn war. Beide zerstreiten sich und Hans verlässt wutschnaubend das Restaurant.

Am nächsten Tag wird im Verlag engagiert darüber diskutiert, ob das Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Während Stech den Vorgang leugnet, und ihn mit einer fatalen Ungenauigkeit der Journaille begründet, vertreten Daisy und Wisser die gegenteilige Ansicht. Auch der zu spät kommende Behringer vermag als Augenzeuge keine Aufklärung zu leisten. Es geht hoch her, bis Herr Schmetterling, der Abteilungsleiter, entschlossen zur Arbeit mahnt. Dann erscheint Frau Ochs, um ihren Mann wegen Krankheit zu entschuldigen. Im selben Augenblick taucht das Nashorn wieder auf und an seinem Augenrollen muss Frau Ochs erkennen, dass es sich um ihren Mann handelt, der eine perfekte Metamorphose vollzogen hat. Von nun an wird die Sache virulent und eine Person nach der anderen verwandelt sich in eine Nashorn. Freund Hans folgt Herrn Ochs als erster nach. Daisy ist die letzte, die sich, beeindruckt von der Kraft der Nashörner (und ihrer erotischen Ausstrahlung), in ein solches verwandelt. Immerhin haben beide in den wenigen Stunden davor gefühlte fünfundzwanzig Jahre Ehe hinter sich gebracht. Schließlich bleibt nur noch Behringer zurück, der sich der Verwandlung standhaft widersetzt.

nashorn
Eugène Ionescos Theaterstück von 1957, das inzwischen zu einem Klassiker des Theaters des Absurden avancierte, ist eine grandiose Parabel auf die Wandlung des Individualmenschen hin zum ideologisch verführten Herdentier. Nicht von ungefähr erscheint die Geschichte als eine absurde, sind doch die gesellschaftlichen Vorgänge häufig nicht minder absurd. Gemeiner Volkssinn ist selten logisch, sondern folgt verquasten Instinkten und einer fatalen Ansteckung vermittels dümmster und kaum nachvollziehbarer, zur Absurdität neigender totalitärer Ideologien. Der Wohlfühlfaktor in der Herde ist bekanntlich ein besserer. Das Stück ist brandaktuell, denn der heutige bürgerliche Mensch in seiner Vereinsamung ist allzu schnell bereit, seine Individualität aufzugeben, um in der Gemeinschaft der Herde aufzugehen. Eine spontan auftretende Befindlichkeit reicht aus, um den eigenen Verstand zu leugnen.

Regisseur Andreas Wiedermann hatte den Text tagespolitisch aufgepeppt und setzte auf furioses komödiantisches Spiel. Im Bühnenbild von Udo Ebenbeck, bestehend aus fünf tischartigen Bühnenelementen, die durch die Darsteller zu unterschiedlichsten Raumsituationen umgestellt wurden, agierten die jungen und spielwütigen Darsteller des Theaters ImPuls mit sichtlicher Leidenschaft. Das Engagement jedes einzelnen war unübersehbar, allerdings auch die Gefahren und die daraus resultierenden Schwächen, die einem solchen Spielansatz naturgemäß innewohnen. Wiedermann hätte besser darauf gesetzt, die Rollen detaillierter auszuarbeiten und die Schauspieler zu darstellerischer Präzision zu führen, als durch Tempo und Aktion Effekt erzeugen zu wollen.

Die teilweise Überzeichnung der Figuren sollte ihre Absurdität, die eigentlich in den Inhalten und nicht in der Form steckte, unterstreichen. Schließlich ist die Savanne überall und selten kündigen sich Deformationen an. Der Mutierte ist ein Mensch wie du und ich. Tatsächlich wirkte das Spiel anfangs befremdlich. So brauchte es eine Weile, ehe der Zuschauer den Zugang fand. Die Darsteller wirkten z.T. gehetzt, schrill, gelegentlich linkisch, und nicht selten unpräzise. Das hohe Tempo, Texte wurden überlagert gesprochen, raubte der Inszenierung manchen Wortwitz. Es dauerte geraume Zeit, bis der Rhythmus spürbar wurde und griff. Und das, obgleich ein Percussionsduo eigens für eine rhythmische Struktur sorgte.

Dass die Inszenierung schließlich doch noch Eindruck machte, verdankte sie vornehmlich der Geschichte, die unbedingt eine spannende ist. Dabei mangelte es nicht an guten szenischen Lösungen. So verabschiedete sich jede Figur aus ihrem menschlichen Dasein mit einem populären Hit und wurde dafür von einem imaginären (und auch vom tatsächlichen) Publikum frenetisch gefeiert und von der Herde freudig aufgenommen. Die beeindruckendste Lösung setzte Regisseur Wiedermann an den Schluss, als Behringer, gehüllt in ein Betttuch und mit einer Waffe im Anschlag, das menschliche Dasein verteidigte. Der Darsteller des Behringer ließ ungerührt den Applaus über sich ergehen, ganz in seiner Mission, die Menschlichkeit zu verteidigen, gefangen. Er saß noch immer da, als das Publikum das Theater bereits verließ. Es gab keine Verbeugung der Darsteller, mit der das Publikum normalerweise aus der Geschichte und dem Theater entlassen wird. Der Zuschauer entkam der Situation nicht und musste seine Zwiespälte, die das Stück aufgebaut hatte, mit auf seinen Heimweg nehmen. Die Geschichte, so absurd sie auch erscheinen mag, vermittelt einige beklemmende Wahrheiten und sollte schon darum angeschaut werden.


Wolf Banitzki

 

 


Die Nashörner

von Eugène Ionesco

Eine Produktion von Theater ImPuls
Franz Brandhuber, Lisa Erdmann, Urs Klebe, Matthias Lettner, Christina Matschoss, Martina Mühlpointner, Clemens Nicol, Josef Pfitzer, David Thun

Spielleitung: Andreas Wiedermann