Teamtheater Tankstelle Drei Nächte mit Madox von Matéï Visniec
Madox oder wie man sich selbst begegnet
Das Leben ist ausgeblendet in dem kleinen Ort am Meer. Seit Jahren schon ist kein Gast mehr in Brunos Pension/Cafe abgestiegen. Grubi verbringt seit Jahren seine Nächte einsam, nur an die Flasche gelehnt, in seinem Leuchtturm, und Caesar hat seit Jahren schon keine Fahrgäste mehr. Straßenkehrer Hjiami verrichtete seine Arbeit ohne jegliche Hoffnung auf menschliche Begegnung und Clara hat ihrerseits nur Klagen über die Vernachlässigung ihrer Selbst und ihres Etablissements für die Männer des Ortes. Agonie und Apathie allenthalben.
Doch seit drei Tagen ist alles anders. Wie die Männer und auch Clara berichten, ist ihnen ein Herr begegnet, ein toller Kerl mit einer Narbe unter einem Auge und einer Taschenuhr mit berückendem Spiel. Sie haben die Nächte miteinander verbracht beim Spiel und der Liebe. Wie? Was? Jeder zur gleichen Zeit mit dem selben Herrn? Ja, und jetzt wird es spannend. Herr Madox besitzt die Fähigkeit, an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit zu sein. Mehr noch, der genaue Beobachter kann bemerken, dass Herr Madox sich selbst begegnen kann. Die schlichten Provinzgemüter sind verstört und überfordert. Die erste Reaktion ist, diesen Gauner muss man dingfest machen, besser, gleich töten, denn so einer ist zu allem fähig. Immerhin hat er an die Totenruhe der Lebenden gerührt mit seinen Geschichten vom ertrunkenen Bruder und der kleinen Brücke, über die er nicht zu gehen vermochte. Andererseits sollte man ihn nicht gehen lassen, denn das plötzlich aufgekommene Leben fühlt sich nicht schlecht an. Die Verheißungen, die seine Person mit sich brachte, sind zu verlockend. Da ist dieses Spiel, das Herr Madox entwickelt, in dem es keinen Sieger oder Verlierer gibt. Was für ein Spiel mag das wohl sein, das alle Regeln auf den Kopf zu stellen scheint. Schließlich will man Herrn Madox gemeinschaftlich zur Rede stellen. Die Überraschung, die sie erleben, ist gewaltig und stellt alles in Frage.
Matéï Visniec, in Frankreich lebender Rumäne, schuf mit diesem Stück eine poetische Hinterfragung des Seins. Er überschreitet dabei nur scheinbar physikalische Grenzen, denn das menschliche Unterbewusstsein besitzt diese Fähigkeit unbestritten. Sehnsüchte, Verzweifelungen und der menschliche Drang nach Aufhebung der unumstößlichen Vereinsamung gebiert Fantasien, die alles bewegen können. Visniec, dessen Leben von politischer Verfolgung geprägt war, sieht die Erlösung und die Überwindung politischer und gesellschaftlicher Unfreiheiten in der Poesie des Daseins. Die Fantasie ist ein übermächtiger Verbündeter. Man muss sie nur einzusetzen wissen. Seine sprachlich minimalistischen und auf das Wesentliche durchdeklinierten Figuren sind Kunstfiguren und zugleich dem Leben entlehnte, glaubhafte Figuren.
Das Leben ist ausgeblendet in dem kleinen Ort am Meer. Seit Jahren schon ist kein Gast mehr in Brunos Pension/Cafe abgestiegen. Grubi verbringt seit Jahren seine Nächte einsam, nur an die Flasche gelehnt, in seinem Leuchtturm, und Caesar hat seit Jahren schon keine Fahrgäste mehr. Straßenkehrer Hjiami verrichtete seine Arbeit ohne jegliche Hoffnung auf menschliche Begegnung und Clara hat ihrerseits nur Klagen über die Vernachlässigung ihrer Selbst und ihres Etablissements für die Männer des Ortes. Agonie und Apathie allenthalben.
Doch seit drei Tagen ist alles anders. Wie die Männer und auch Clara berichten, ist ihnen ein Herr begegnet, ein toller Kerl mit einer Narbe unter einem Auge und einer Taschenuhr mit berückendem Spiel. Sie haben die Nächte miteinander verbracht beim Spiel und der Liebe. Wie? Was? Jeder zur gleichen Zeit mit dem selben Herrn? Ja, und jetzt wird es spannend. Herr Madox besitzt die Fähigkeit, an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit zu sein. Mehr noch, der genaue Beobachter kann bemerken, dass Herr Madox sich selbst begegnen kann. Die schlichten Provinzgemüter sind verstört und überfordert. Die erste Reaktion ist, diesen Gauner muss man dingfest machen, besser, gleich töten, denn so einer ist zu allem fähig. Immerhin hat er an die Totenruhe der Lebenden gerührt mit seinen Geschichten vom ertrunkenen Bruder und der kleinen Brücke, über die er nicht zu gehen vermochte. Andererseits sollte man ihn nicht gehen lassen, denn das plötzlich aufgekommene Leben fühlt sich nicht schlecht an. Die Verheißungen, die seine Person mit sich brachte, sind zu verlockend. Da ist dieses Spiel, das Herr Madox entwickelt, in dem es keinen Sieger oder Verlierer gibt. Was für ein Spiel mag das wohl sein, das alle Regeln auf den Kopf zu stellen scheint. Schließlich will man Herrn Madox gemeinschaftlich zur Rede stellen. Die Überraschung, die sie erleben, ist gewaltig und stellt alles in Frage.
Matéï Visniec, in Frankreich lebender Rumäne, schuf mit diesem Stück eine poetische Hinterfragung des Seins. Er überschreitet dabei nur scheinbar physikalische Grenzen, denn das menschliche Unterbewusstsein besitzt diese Fähigkeit unbestritten. Sehnsüchte, Verzweifelungen und der menschliche Drang nach Aufhebung der unumstößlichen Vereinsamung gebiert Fantasien, die alles bewegen können. Visniec, dessen Leben von politischer Verfolgung geprägt war, sieht die Erlösung und die Überwindung politischer und gesellschaftlicher Unfreiheiten in der Poesie des Daseins. Die Fantasie ist ein übermächtiger Verbündeter. Man muss sie nur einzusetzen wissen. Seine sprachlich minimalistischen und auf das Wesentliche durchdeklinierten Figuren sind Kunstfiguren und zugleich dem Leben entlehnte, glaubhafte Figuren.
Klaus-Peter Bülz, Katja Rupé, Lorenz Gutmann, Wilhelm Beck © Stephan Rumpf |
Clara (Katja Rupé), die Hure des Dorfes, ist eine selbstbewusste Frau, deren Sehnsucht nach Entrinnen aus der Tristesse sichtbare Körperlichkeit bekam. Raumfüllend griff sie nach der Sympathie der Männer, die sie schon so lange vernachlässigten. Immerhin, sie wird gehen, den Ort verlassen mit einem Zug, den es bekanntlich nicht gibt, denn der Ort ist eine Endstation, grenzt ans Meer. Aber sie hat bereits die Tickets, und ihr Zug wird fahren, wird das Meer durchqueren, die Berge und auch die Täler. Bruno (Klaus-Peter Bülz) bekam die Vorgänge nicht so recht in seinen sturen Schädel, war darum sofort bereit, sich mit Aggression zu verteidigen. Es war ihm nicht gegeben, diesen ersten Impuls durch andere Gefühle oder gar durch Fantasie zu überwinden. Leuchtturmwärter Grubi (Lorenz Gutmann), der die drei schönsten Nächte seit langem verlebt hatte, war ebenso überfordert, gluckste in sich hinein, weil er nicht fassen konnte, was geschehen war, und fürchtete wohl, verrückt zu werden. Auch Caesar (Wilhelm Beck) geriet in Verwirrung, suchte sein Heil in der spontanen Flucht, konnte aber letztlich der Situation nicht entrinnen und verharrte in erstaunter Lähmung. Nein, verdient hatten die sich generös gebenden Männer nichts an Herrn Madox. Doch ihr Leben und damit ihre alltäglich erprobten Haltungen waren perdu. Einzig Straßenkehrer Njiami (Ravi Rege) schien über alle diese Ungereimtheiten nicht den Kopf zu verlieren. Er quirlte sich durch die Situationen, um sich selbst nicht zu verlieren. Doch letztlich musste er sich dem kollektiven Wahn fügen, Herrn Madox und dessen Ungehörigkeiten zur Rechenschaft zu ziehen.
Es war ein unaufgeregter Theaterabend, ohne ästhetische Kapriolen. Philipp Jescheck inszenierte das „Traumspiel“ sehr selbstverständlich und realistisch. Warum auch nicht, war doch die Geschichte ein selbstbewusster Gegenentwurf zur Realität. Da sie jedoch aus einer alltäglichen, überall existierenden Realität inspiriert war, erschuf Jescheck eine andere, neue, hoffnungsvolle Realität. Die Kraft der Poesie verwandelte das von Michele Lorenzini geschaffene (Bühnen-) Cafe, holzfarben und ein wenig abgegriffen, in einen Ort der Verzauberung. Was könnte ein glaubhafterer Ort für Fantasie und Zauber sein, als das Theater. Dieser artifizielle Vorgang hatte etwas Entspannendes, denn er war frei von plattem Realismus. Wer sich der Inszenierung mit dieser Haltung nähert, hat gute Chancen, sich verwirren oder in Erstaunen versetzten zu lassen.
Nachtrag: Die Frage, wer ist Herr Madox, ist die gleiche Frage nach Herrn Godot und sollte nicht gestellt werden.
Es war ein unaufgeregter Theaterabend, ohne ästhetische Kapriolen. Philipp Jescheck inszenierte das „Traumspiel“ sehr selbstverständlich und realistisch. Warum auch nicht, war doch die Geschichte ein selbstbewusster Gegenentwurf zur Realität. Da sie jedoch aus einer alltäglichen, überall existierenden Realität inspiriert war, erschuf Jescheck eine andere, neue, hoffnungsvolle Realität. Die Kraft der Poesie verwandelte das von Michele Lorenzini geschaffene (Bühnen-) Cafe, holzfarben und ein wenig abgegriffen, in einen Ort der Verzauberung. Was könnte ein glaubhafterer Ort für Fantasie und Zauber sein, als das Theater. Dieser artifizielle Vorgang hatte etwas Entspannendes, denn er war frei von plattem Realismus. Wer sich der Inszenierung mit dieser Haltung nähert, hat gute Chancen, sich verwirren oder in Erstaunen versetzten zu lassen.
Nachtrag: Die Frage, wer ist Herr Madox, ist die gleiche Frage nach Herrn Godot und sollte nicht gestellt werden.
Wolf Banitzki
Drei Nächte mit Madox
von Matéï Visniec
Übersetzung: Jana Schindler Katja Rupé, Wilhelm Beck, Klaus-Peter Bülz, Lorenz Gutmann, Ravi Rege Regie: Philipp Jescheck |