Teamtheater Tankstelle Motortown von Simon Stevens




Bewegendes Antikriegsdrama

Danny ist Kriegsheimkehrer. Als britischer Soldat war in Afghanistan, in Kabul im Einsatz. Er war nicht wirklich lange weg, doch immerhin so lange, dass sich inzwischen vieles verändert hat. Die Freundin Marley besteht nachdrücklich darauf, dass sie kein Paar mehr sein können, denn Dannys Briefe aus dem Krieg haben ihr Angst gemacht. Sie droht mit der Polizei, wenn er nicht aufhört, ihr nachzustellen. Untergekommen ist Danny bei seinem Bruder Lee, einem sensiblen, aber behinderten jungen Mann, der inzwischen ebenfalls ein ambivalentes Verhältnis zum Bruder entwickelt hat. Der Zuschauer erfährt wenig über den Krieg und wenn, dann auch nur andeutungsweise. Da gab es ein Interview mit Danny im Fernsehen, aufgezeichnet in Kabul. Die Eltern, Danny weigert sich, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, hat die Berichterstattung über ihren Sohn sehr stolz gemacht. Sie sind die einzigen, die nicht gesehen habe, wie sehr sich der junge Mann im Krieg verändert hat. Lee, dem man auf den ersten Blick kaum etwas zutraut, resümiert, dass Danny kaputt ist, dass er schon im Interview keinen Satz zuende gebracht hatte, stark verändert wirkte.

Der Krieg hat Danny entmenschlicht. Und so ist es nur folgerichtig, dass er sich wieder nach einer Waffe umschaut. Die verlieh ihm im Krieg sein Selbstbewusstsein, war seine einzige Verbündete im Überlebenskampf. Und wenn (in einem Film oder auch Theaterstück) eine Waffe auftaucht, dann wird sie auch benutzt. Ein junges Mädchen stirbt. Warum? Es gab keinen triftigen Grund. Doch Danny hat wieder einmal sich selbst gespürt. Man ahnt bald, dass er in der Gesellschaft nicht mehr Fuß fassen wird. Die Gesellschaft, die ihn zum Töten ausgebildet hat, die ihn für ihre politischen Ziele gebraucht (oder sollte man sagen: missbraucht) hat, nimmt ihn nicht mehr auf. Sie wird ihn am Ende ausspeien wie einen faulen Fisch.

Der Dramatiker Simon Stephens (Jahrgang 1971) hat, ganz in bester englischer Tradition, ein hartes, unverblümtes und kompromissloses Stück über den Krieg und seine Protagonisten geschrieben. Es ist eine erbarmungslose Anklage gegen Krieg an sich und die, die ihn entfesseln im Besonderen. „Motortown“ ist ein literarisch-theatralischer Störfaktor am seichten politischen Bewusstsein, dass sich nach zwei Weltkriegen wieder mit der Tatsache eingerichtet hat, dass Kriege notwendig seien. Die Lügen über Demokratie, Freiheit und auch über Heldentum funktionieren schon wieder, - oder immer noch.

Marcel Tyrollers Bühnenbild im Teamtheater Tankstelle war die konsequente Umsetzung des Titels „Motortown“. Abgefahrene Autoreifen türmten sich links und recht am Bühnenrand bis unter die Decke. Autoreifen waren die wesentlichen Ausstattungselemente und die dominierenden Requisiten, und zwar mit einem erstaunlichen Nebeneffekt: Dieses Bühnenbild konnte man riechen! Ein paar Waffen, Kaffeebecher, Chipstüten, - das war’s, den Rest besorgten die exzellenten Schauspieler. Regisseur Andreas Wiedermann hat das Drama stringent, schnörkellos und hart inszeniert. Es war seine vielleicht beste Arbeit hier in München. Die Musik von Ernst Bartmann bei den Szenenwechseln peitschte die anschwellende Aggressivität und Dramatik zusätzlich voran. Doch Andreas Wiedermann hatte dabei nicht auf billige Effekte gesetzt, auch wenn manche Szenen an den Nerven der Betrachter zerrten. Vielmehr war es ihm gelungen, die Darsteller zu wirklich tieflotendem und dennoch komödiantischen Spiel zu verführen. Dieses Lob gebührt allen Bühnenkünstlern gleichermaßen, die gemeinsam acht Rollen gestalteten.

motortown

Axel Röhrle, Eva Kruijssen, Herbert Schäfer

© Hilda Lobinger


Axel Röhrle spielte einen Danny, dem eingangs in der einen oder anderen Szene die uneingeschränkte Sympathie galt. Doch Röhrle entwickelte die Figur unweigerlich hin zu einer monströsen, getrieben von den Bildern der Vergangenheit und von den Begegnungen mit den Zeitgenossen, die sich weder für den Krieg, noch für die Beschädigungen der Soldaten interessierten. Axel Röhrle gelang durchgängig eine erschütternde Authentizität. Die erstaunlichsten Verwandlungen gelangen Herbert Schäfer. Seinem Bruder Lee kaufte man die Behinderung ohne Einschränkung ab. Dabei war es kaum zu glauben, dass er in der nächsten Szene als versehrter, hysterisch kichernder Waffenhändler und wenig später als aalglatter, zynisch philosophierender, mit Goldkettchen beschwerter Verführer einer Teenagerin agierte. Schließlich setzte er als spießiger Lehrer noch eine weitere schillernde Facette frei, als er Danny zu einem „Dreier“ mit ihm und seiner Ehefrau zu verführen versuchte. Ohne Eva Kruijssen konnte allerdings nicht viel gestaltet werden, denn sie war als Exfreundin Marley widerspenstiges Objekt der Begierde, als Jade entsetztes und angstschlotterndes minderjähriges Mordopfer und als Helen eine Frau, die ihre sexuellen Begierden hemmungslos auslebte und deren Befriedigung radikal einforderte. Es war kaum denkbar, dass sich für dieses abgründige Drama ein besseres Ensemble hätte rekrutieren lassen. Großartig!

Mit dieser Inszenierung gelang der Theatergruppe ImPuls ein kritischer und kathartischer Beitrag zu einem leider schon wieder alltäglich gewordenen Thema. Ohne großen Aufwand, nur mit dem engagierten, aufrichtigen schauspielerischen Gestus und den Worten Simon Stephens gelang ein Statement, wie man es leider viel zu selten sieht und hört. In der alltäglichen Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg vernebelt globale Ökonomie, wirtschaftlicher Pragmatismus und ein neuer Kleinmut den deutlichen Diskurs. Haltungslosigkeit allenthalben. Dabei haben wir aus der Geschichte gelernt, dass bereits Stillhalten Schuld bedeutet. Wann wird der Mensch endlich die Politik überwinden und ein für alle Mal Krieg ächten? Diese Frage drängt sich nach „Motortown“ im Teamtheater Tankstelle auf. Und wenn nur einer unter den Zuschauern war, der diese Frage für sich in einem humanistischen Sinn beantwortete, hat sich Theater einmal mehr als moralische Anstalt erwiesen. Prädikat: Für Jugendliche auf der Suche nach einem positiven Wertesystem besonders geeignet!


Wolf Banitzki

 

 


Motortown

von Simon Stevens

Eva Kruijssen, Axel Röhrle, Herbert Schäfer

Regie: Andreas Wiedermann
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.