Theater 44 Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre
Du bist, was dein Leben ist
"Umsonst wird keiner verdammt. Du bist, was dein Leben ist", sagt Ines. Sie sagt es zu ihren Mitgefangenen in der Hölle und deutet damit an, dass der Mensch sich selbst irgendwann stellen muss. Sie sind zu dritt. Garcian, der Deserteur, erniedrigte seine Frau seelisch, wann immer er konnte. Ines, brachte einer Frau wegen deren Ehemann zu Tode. Estelle, die oberflächlich Schöne, tötete ihr uneheliches Kind, um auf Luxus nicht verzichten zu müssen. Sie alle finden sich in einem Hotel wieder, auf ewig aneinander gekettet. Der Ort ist die Hölle, doch es gibt weder Folterknechte, noch ein ewiges Feuer, das ihnen die Verdammnis in die Körper brennt. Sie sind vom Schicksal zusammengebracht worden, um sich gegenseitig und selbst die Hölle zu bereiten. Ihre Feigheit vor der Wahrheit ist der wirkliche Folterknecht.
Sartre schrieb dieses Stück 1943/44, um Freunden eine Spielvorlage zu liefern, mit der sie durch Frankreich touren sollte. Dabei näherte er sich dem Thema als atheistischer Philosoph und verkündete darin Teile seiner existenzialistischen Weltanschauung in ihren Grundzügen: Der Mensch ist frei und für seine Taten verantwortlich. Zudem versucht der Mensch in seiner Feigheit, den Konsequenzen seines Handelns ausgeliefert, ständig ein Zerrbild von sich selbst zu schaffen. Im Urteil anderer Menschen jedoch findet er sein erbarmungslos wahrhaftiges Spiegelbild.
Die drei Protagonisten sind, um es zugespitzt zu formulieren, moralisch niedrige Geschöpfe. In ihrem Egoismus haben sie getötet, betrogen und zerstört. Nun müssen sie ihr eigenes Bild im Spiegel der jeweils anderen Mitverdammten zur Kenntnis nehmen. Sie können die offenen Augen vor ihrer Schuld nicht mehr verschließen, denn ein Lidschlag ist ihnen nicht mehr vergönnt. Der Rest ist tiefste Verzweifelung, die Hölle an sich.
"Umsonst wird keiner verdammt. Du bist, was dein Leben ist", sagt Ines. Sie sagt es zu ihren Mitgefangenen in der Hölle und deutet damit an, dass der Mensch sich selbst irgendwann stellen muss. Sie sind zu dritt. Garcian, der Deserteur, erniedrigte seine Frau seelisch, wann immer er konnte. Ines, brachte einer Frau wegen deren Ehemann zu Tode. Estelle, die oberflächlich Schöne, tötete ihr uneheliches Kind, um auf Luxus nicht verzichten zu müssen. Sie alle finden sich in einem Hotel wieder, auf ewig aneinander gekettet. Der Ort ist die Hölle, doch es gibt weder Folterknechte, noch ein ewiges Feuer, das ihnen die Verdammnis in die Körper brennt. Sie sind vom Schicksal zusammengebracht worden, um sich gegenseitig und selbst die Hölle zu bereiten. Ihre Feigheit vor der Wahrheit ist der wirkliche Folterknecht.
Sartre schrieb dieses Stück 1943/44, um Freunden eine Spielvorlage zu liefern, mit der sie durch Frankreich touren sollte. Dabei näherte er sich dem Thema als atheistischer Philosoph und verkündete darin Teile seiner existenzialistischen Weltanschauung in ihren Grundzügen: Der Mensch ist frei und für seine Taten verantwortlich. Zudem versucht der Mensch in seiner Feigheit, den Konsequenzen seines Handelns ausgeliefert, ständig ein Zerrbild von sich selbst zu schaffen. Im Urteil anderer Menschen jedoch findet er sein erbarmungslos wahrhaftiges Spiegelbild.
Die drei Protagonisten sind, um es zugespitzt zu formulieren, moralisch niedrige Geschöpfe. In ihrem Egoismus haben sie getötet, betrogen und zerstört. Nun müssen sie ihr eigenes Bild im Spiegel der jeweils anderen Mitverdammten zur Kenntnis nehmen. Sie können die offenen Augen vor ihrer Schuld nicht mehr verschließen, denn ein Lidschlag ist ihnen nicht mehr vergönnt. Der Rest ist tiefste Verzweifelung, die Hölle an sich.
Irmhild Wagner, Franz Westner, Angelika Fanai © Hilda Lobinger |
Horst A. Reichel verabschiedet sich mit diesem Stück als Intendant und Inhaber des Theaters 44, das in fünf Jahrzehnten dieses Stück fünf Mal auf die Bühne des kleinen Kellertheaters brachte. Das kann getrost als Zeichen genommen werden, wie sehr der Intendant, Regisseur und Schauspieler dem Thema verhaftet ist.
Die letzte Inszenierung des Dramas ist eine absolut minimalistische. Bühnenbildner Arno Scholz hatte die kleine Bühne in einen sterilen Raum verwandelt, ausgestattet mit drei weißen Quadern, einer diabolischen Maske an der Wand und einer Tür, in die man eintreten, aber nicht mehr entschlüpfen konnte. Als erster Verdammter betrat Garcian, hingerichtet und von zwölf Kugeln durchlöchert, den unverdächtig anmutenden Raum. Franz Westner spielte ihn mit großem emotionalen Aufwand. Er war ein von der eigenen Angst vor dem Urteil der Nachwelt getriebener Mensch, fahrig und permanent nach Auswegen suchend. Als der Kellner, völlig emotionslos und im Gestus mehr Uniform als Mensch von Martin Böhnlein gespielt, Ines in den Raum führte, war der höllische Reigen eröffnet. Irmhild Wagner gestaltete die Ines als eine innerlich völlig abgestorbene Frau, die sofort bereit war, Qualen zu bereiten. In ihrer innerlichen Erstarrung verhieß dieses Spiel immerhin noch gefühltes Dasein im Jenseits, auch wenn es ein quälendes war. Angelika Fanai gab eine sich sehr schnell in ihrer Oberflächlichkeit selbst entlarvende Estelle. Im zauberhaften Abendkleid eine berückende Erscheinung, stülpte sie langsam aber unaufhaltsam das Ordinäre und Niedrige ihres Wesens nach außer.
Horst A. Reichel unterließ es, äußerliche Bewegung ins Spiel zu bringen. Das unaufhaltsame Abgleiten in das von Angst gekennzeichnete zerstörerische Handeln war ein innerer Vorgang, mit feinen Nuancen in Mimik und Gestik angedeutet. Reichel, der sich gern selbst als Geschichtenerzähler bezeichnet, schlug im Zuschauer eine Saite an, die im heutigen Alltag allzu sehr zu einer von den Medien gesponserten theatralischen Kundgebung verkommt: Mitgefühl. Obgleich es sich um eine fiktionale Geschichte handelte, geriet der Zuschauer in einen Strudel, der ihn über das Geschaute hinaus in die eigenen Abgründe zog. Im Gegensatz zu den regelmäßig stattfindenden Betroffenheitskundgebungen mit Menschenketten und Lichtermeeren nach Amokläufen oder den vom Menschen provozierten Katastrophen, fand hier eine Katharsis statt, der man sich kaum jemand verschließen konnte.
Es war ein gelungener Abschied des Theaters 44 aus der Kulturlandschaft der Stadt München. Es heißt zwar, dass das Theater voraussichtlich weitergeführt wird, doch es kann wohl davon ausgegangen werden, dass es nicht mehr dasselbe sein wird. Das Theater 44 stand in seiner wechselvollen Geschichte für eine Kontinuität, die es in keinem anderen Theater Münchens mehr gibt. Es war vornehmlich den Klassikern der Moderne verpflichtet. Mit den Stücken von Dorst, Sartre, Frisch, Camus oder Anouilh setzte es sich stets über wunderbare, erschreckende und auch belehrende Stücke mit dem Thema Menschlichkeit auseinander. Es war nie ein Risiko, in dieses kleine intime Theater zu gehen; der Zuschauer wurde nie enttäuscht. Im Gedächtnis blieben auch die Inszenierungen zeitgenössischer, von großen Theater zumeist zu unrecht verschmähten Autoren wie beispielsweise Daniel Call. Zeitgenössische Komödien wie die von Dario Fo oder Willy Russell gingen stets weit über die pure Unterhaltung hinaus. In München hat die Familie Reichel, soviel ist sicher, Theatergeschichte geschrieben.
Es wäre also eine gute Gelegenheit, dem Intendanten, seiner Frau Irmhild Wagner und den Schauspielern der Inszenierung von "Geschlossene Gesellschaft" durch einen Besuch berechtigten Dank zu bekunden für ein Theater, das so nur noch selten anzutreffen ist und das in München fehlen wird, wenn es verschwindet. Auch für Horst A. Reichel gilt der Titel dieser Kritik: "Du bist, was dein Leben ist." Das Theater 44 und seine Protagonisten werden noch lange in guter Erinnerung bleiben.
Die letzte Inszenierung des Dramas ist eine absolut minimalistische. Bühnenbildner Arno Scholz hatte die kleine Bühne in einen sterilen Raum verwandelt, ausgestattet mit drei weißen Quadern, einer diabolischen Maske an der Wand und einer Tür, in die man eintreten, aber nicht mehr entschlüpfen konnte. Als erster Verdammter betrat Garcian, hingerichtet und von zwölf Kugeln durchlöchert, den unverdächtig anmutenden Raum. Franz Westner spielte ihn mit großem emotionalen Aufwand. Er war ein von der eigenen Angst vor dem Urteil der Nachwelt getriebener Mensch, fahrig und permanent nach Auswegen suchend. Als der Kellner, völlig emotionslos und im Gestus mehr Uniform als Mensch von Martin Böhnlein gespielt, Ines in den Raum führte, war der höllische Reigen eröffnet. Irmhild Wagner gestaltete die Ines als eine innerlich völlig abgestorbene Frau, die sofort bereit war, Qualen zu bereiten. In ihrer innerlichen Erstarrung verhieß dieses Spiel immerhin noch gefühltes Dasein im Jenseits, auch wenn es ein quälendes war. Angelika Fanai gab eine sich sehr schnell in ihrer Oberflächlichkeit selbst entlarvende Estelle. Im zauberhaften Abendkleid eine berückende Erscheinung, stülpte sie langsam aber unaufhaltsam das Ordinäre und Niedrige ihres Wesens nach außer.
Horst A. Reichel unterließ es, äußerliche Bewegung ins Spiel zu bringen. Das unaufhaltsame Abgleiten in das von Angst gekennzeichnete zerstörerische Handeln war ein innerer Vorgang, mit feinen Nuancen in Mimik und Gestik angedeutet. Reichel, der sich gern selbst als Geschichtenerzähler bezeichnet, schlug im Zuschauer eine Saite an, die im heutigen Alltag allzu sehr zu einer von den Medien gesponserten theatralischen Kundgebung verkommt: Mitgefühl. Obgleich es sich um eine fiktionale Geschichte handelte, geriet der Zuschauer in einen Strudel, der ihn über das Geschaute hinaus in die eigenen Abgründe zog. Im Gegensatz zu den regelmäßig stattfindenden Betroffenheitskundgebungen mit Menschenketten und Lichtermeeren nach Amokläufen oder den vom Menschen provozierten Katastrophen, fand hier eine Katharsis statt, der man sich kaum jemand verschließen konnte.
Es war ein gelungener Abschied des Theaters 44 aus der Kulturlandschaft der Stadt München. Es heißt zwar, dass das Theater voraussichtlich weitergeführt wird, doch es kann wohl davon ausgegangen werden, dass es nicht mehr dasselbe sein wird. Das Theater 44 stand in seiner wechselvollen Geschichte für eine Kontinuität, die es in keinem anderen Theater Münchens mehr gibt. Es war vornehmlich den Klassikern der Moderne verpflichtet. Mit den Stücken von Dorst, Sartre, Frisch, Camus oder Anouilh setzte es sich stets über wunderbare, erschreckende und auch belehrende Stücke mit dem Thema Menschlichkeit auseinander. Es war nie ein Risiko, in dieses kleine intime Theater zu gehen; der Zuschauer wurde nie enttäuscht. Im Gedächtnis blieben auch die Inszenierungen zeitgenössischer, von großen Theater zumeist zu unrecht verschmähten Autoren wie beispielsweise Daniel Call. Zeitgenössische Komödien wie die von Dario Fo oder Willy Russell gingen stets weit über die pure Unterhaltung hinaus. In München hat die Familie Reichel, soviel ist sicher, Theatergeschichte geschrieben.
Es wäre also eine gute Gelegenheit, dem Intendanten, seiner Frau Irmhild Wagner und den Schauspielern der Inszenierung von "Geschlossene Gesellschaft" durch einen Besuch berechtigten Dank zu bekunden für ein Theater, das so nur noch selten anzutreffen ist und das in München fehlen wird, wenn es verschwindet. Auch für Horst A. Reichel gilt der Titel dieser Kritik: "Du bist, was dein Leben ist." Das Theater 44 und seine Protagonisten werden noch lange in guter Erinnerung bleiben.
Wolf Banitzki
Geschlossene Gesellschaft
von Jean-Paul Sartre
Irmhild Wagner, Angelika Fanai, Franz Westner, Martin Böhnlein Regie: Horst A. Reichel |