Halle 7 Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn von Petr Zelenka
Zivilisation oder die Abwesenheit von Kultur
Es sieht aus, als hätten sie sich überholt, die traditionellen Kulturen. Weltweit findet ein Umbruch in Zivilisation statt - oder um es mit Oswald Spengler auszudrücken: Es befinden sich alternde Kulturen in ihrem Endzustand. Revolution und Chaos sind die Folge. Doch davon ist äußerlich keine Spur, denn eine der wundervollsten Eigenschaften der Zivilisation ist die Ordnung des Alltags. Klare Richtlinien, klare Verhältnisse. Die starre äußere Lebensform lässt keinen natürlichen Fortschritt zu. Doch bilden sich Lücken, Zwischenräume, Freiräume des Individuums und diese sind der ideale Nistplatz für Träume, Sehnsüchte und vor allem die menschlichen Schwächen.
Doch selbst in diesen Nischen dominieren bereits die Normen der technischen Welt, werden übernommen und kreativ abgewandelt bis hin in den intimsten Bereich. Daraus folgert beispielsweise: Wie effektiv masturbiert man mit einem Staubsauger? Das Thema ist tauglich für eine Dissertation.
Hier setzt Petr Zelenka mit seinem Stück " Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn" an, wenn er den jungen Mücke zwischen Freundin und Staubsauger hin und her wirft. Mücke ist auf der Suche nach Zuneigung und einem natürlichen Platz für seinen Trieb. Jede Zurückweisung zwingt ihn zwangsläufig an den Staubsauger, will er nicht dem völligen Wahnsinn anheimfallen, dem Wahnsinn, dem alltäglichen, mit seinen psychotischen Vorstellungen und dem gestörten Realitätsverhältnis, mit der grenzenlosen Unvernunft die in den Wahnwitz und damit in die Tollkühnheit mündet. "Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.", so wird Gotthold Ephraim Lessing in der Ankündigung zitiert. Auch Mückes Freund Petr leidet, leidet am Verlust seiner Beziehung zu Jana. Er glaubt ihr heimlich Kopfhaar abgeschnitten zu haben, um sie durch ein magisches Ritual wieder zu gewinnen ... Petr trägt den Flaschenöffner am Gürtel, jederzeit bereit eine Bierkapsel schnippen zu lassen.
Christof Küster, Anja Scheffer |
Unter der Regie von Mario Andersen, dessen Inszenierung sich viel, gelegentlich zu viel Zeit für den Text und die Handlung nahm und der damit vermutlich den Prozess des aufsteigenden Wahnsinns zelebrierte, bot das gesamte Ensemble eine nicht immer ausgewogene schauspielerische Leistung. Oft arbeiten sie hart, um das hölzerne zentrale Bühnenelement von Peter Schickart in Bewegung zu bringen. Besonders hervorzuheben sei Ralf Weikinger, der dem Nachrichtensprecher und Vater Petrs bemerkenswert poetische Züge verlieh und dessen Spiel über die Maßen berührte.
Das Feld der Beziehungen wird von jungen Film- und Theatermachern gerne beackert, ohne dass sie jedoch neue Saat ausbringen. Sie reißen Furchen auf und fördern das Gewürm zutage.
Wurm und Erde bilden noch eine sich ergänzende Gemeinschaft. Doch wie sieht Gemeinschaft zwischen Mensch, Maschine und Glasfassade aus? Wie werden sie aussehen, die Beziehungen zwischen den Menschen in der zivilisierten Welt? Darauf habe ich bislang wenig Antworten gefunden. Meist ergeht man sich in der reflektorischen Widergabe des Absurden, des Grotesken und des Sinnentleerten und bietet bestenfalls, wie in diesem Stück, märchenhafte Lösungen an - die Schaufensterpuppe Eva verwandelt sich in eine liebende Gefährtin. Eine Sinnestäuschung? Fest steht, der Fun-Faktor, eine wichtige Größe in der Zivilisation, ist in diesem Stück gesichert.
Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn
von Petr Zelenka
Christof Küster, Uta Bonz, Ralf Weikinger, Johanna Schubert, Michael Krone, Uta Jacobi, Oscar Axelrod-Naumann, Judith Toth, Gerrit Selmeier, Anja Scheffer, Esther Urbanski, David Imper, Silvia Mayrhofer Regie: Mario Andersen |