Halle 7 Sexy Sally von Christian Lollike


 

 

Kulturindustrielle Produktion

Gruppenvergewaltigung Zeitungsbericht Staatanwaltschaft Mädchen Sex Missbrauch Justizopfer Jungs Angeklagte Zeugen Kampf Anerkennung Gewalt Tauschobjekt Macht Mechanismen - die Fakten aus dem Labor auf das Fertigungsband geworfen, zu einer dichten Szenenfolge zusammengefügt, diese ineinander versetzt und in verschiedenen Stilrichtungen abgefasst - fertig ist das Stück, mit dem der Autor das traditionelle Theater ablösen möchte. Dieses Werk ist also nicht an den herkömmlichen Kategorien zu messen, da es diese nicht mehr erfüllt.

Das inszenierte Ergebnis: Eine massive Holzwand teilte die Bühne in zwei Bereiche, wobei der hinter der Wand verborgene Konferenzraum über live-cam auf eine Leinwand übertragen wurde. Das erinnerte an Castorf und Pollesch aus Berlin, denen sich Lollike verbunden fühlt. Die Gestaltung von Bühne, Lichtregie, Kameraführung und Musik erfolgte auf künstlerisch und handwerklich ausgereifte Weise, wie man es aus gutem traditionellem Theater kennt. Auch Regie und Ensemble, oder in diesem Fall besser die Akteure, boten ausgezeichnete Leistungen. Also doch lieber Traditionsbezug in München?

Das Werk greift Zeitungsberichte auf: Im Stile einer Dokumentation wurde die Vergewaltigung von Sally abgehandelt. Dabei stand nicht fest, ob Sally tatsächlich Gewalt angetan worden war, oder ob sie nur passiv oder am Ende gar aktiv am Geschlechtsverkehr mit vier Jungs beteiligt gewesen war. Man hätte ihre Arme gehalten, wobei sie gleichzeitig aber wiederum auf allen Vieren am Boden kniete und von vier Jungs zwei abseits standen. War sie nun lustvoll am Geschehen beteiligt oder nicht? An diesem Widerspruch hingen die Argumente des Für und Wider, mit denen sich Richter, Staatsanwältin und Verteidigerin auseinander zu setzten hatten. Sally konnte dazu keinen Beitrag leisten, jedenfalls nicht vor Gericht, vor den beiden Jungs auch nicht, da zierte sie sich. Wenn sie jedoch für sich war, stellte sie eindeutig fest, dass sie nur an Sex interessiert war und ihre Fantasien hatte. Der einzige Mann, der Sally zu Hilfe kommen wollte, wird verurteilt. "Die Gerechtigkeit ... ist eine Frau, die sonntags Kuchen isst ..."

 

 

 
 

Dorina Pascu, Isabelle Höpfner

 

 

"Ein Ja ist ein Ja. Ein Nein ist ein Nein.", stellte die Staatsanwältin fest. Die Verteidigerin wiederum entgegnete: "Wir wissen doch alle, dass ein Nein auch ein Ja bedeuten kann." Die Sprache ist nur so lange verbindlich, wie alle in den Wörtern den gleichen Inhalt erkennen. Je näher das Wort an der Sache ist, umso unverkennbarer wird diese. Doch das ist heute im Zeitalter der Floskelei irrelevant geworden. Lollike setzte das Wort "begehren" wo es eigentlich heißen müsste "benutzt". Begehren impliziert mehr als nur schnelle sexuelle Befriedigung, es setzt menschliches Interesse voraus. Das kommt in seinen Texten nicht vor, denn dazu müssten die Figuren Charakter und Schicksal entwickeln. Doch darum geht es in der Aktion nicht. Die Mechanismen des Animalischen im Menschen sind es wohl, die den Autor faszinierten. Er hat es analysiert, freigesetzt und den Menschen, männlich oder weiblich, darauf reduziert.
Sally, dreizehnjährig, wird dargestellt als eine Fickpuppe ohne eigenen Willen und mit vorgefertigter Fantasie. Sexuelle Praktiken, die in Filmen vorgestellt werden, beschäftigen sie, diese gibt sie wieder, wird Anziehungspunkt für Jungen, die an Sally ihre ersten Selbstbestätigungsversuche unternehmen, was Sally wiederum zu Anerkennung verhilft. Zuweilen enträtseln sich die Figuren selbst, die keinen eigenen Satz mehr hervorbringen können, sondern reflexhaft plappern, was in der Situation üblicherweise von ihnen erwartet wird und das, um möglichst günstig abzuschneiden. Das ist Alltag in der Industriegesellschaft und Lollike verdeutlichte die Bilder. Aussagen traf er keine, das ist heute auch nicht mehr üblich. Standpunkte oder gar Lösungen sind mit traditionellen Werten und Vorstellungen verbunden und dem wurde der Kampf angesagt und der Spießigkeit und dem Humanismus auch. Gleichzeitig oder nacheinander oder durcheinander spielt dabei keine Rolle. Das ist Kunst aus der Kulturindustrie.

Diese scheinbar neue Qualität am Theater ist geringer als das, was sie abzulösen vorgibt. Sie vermittelt keine verbindliche Erkenntnis, bestenfalls Analyse und ist vielmehr die Unfähigkeit oder der Unwillen, zu einem Schluss zu kommen - man mache sich seinen eigenen Reim und stelle sich vor, das wäre Freiheit.


C.M.Meier

 

 


Sexy Sally

von Christian Lollike

Regina Welz, Ulrich Walljasper, Crisjan Zöllner, Thilo Prothmann, Isabelle Höpfner, Dorina Pascu

Regie: Dirk Engler