Halle 7 Wörter und Körper von Martin Heckmanns


 

 

Warten auf den Zusammenhang

Ein namenloser Bahnhofsvorplatz in einer namenlosen Stadt ist Schauplatz von Martin Heckmanns' Stück Wörter und Körper, das sich Regisseur Markus Schlappig für seine aktuelle Inszenierung im Theater Halle 7 ausgesucht hat. Demgemäß stellt Anja Büld einen steril-weißen, multifunktionalen Kubus in die darkBOX (Licht: Hans-Peter Boden), der in seinem reduzierten Design den weltweiten Einheitsbrei von Edelboutiquen und In-Clubs wieder spiegelt und somit eine passende Spielfläche für das Aufeinandertreffen verlorener Großstadtpflanzen bietet, das nun seinen Lauf nimmt.

Das 12-köpfige Ensemble kommt und geht meist durch namentlich beschriftete Türen. Den Zuschauer freuts angesichts der Menge der Figuren. Ein Panoptikum menschlicher Prototypen, wie man sie in jeder Stadt finden kann: der schmierige Geschäftsmann, die Bedienung in der Eckkneipe, die betrogene Ehefrau, die junge Geliebte ... Sie alle sind begegnen Lina Sommer (Anne Diedering, teils intensiv, teils grenzwertig naiv). Lina, die neben Mutter, Wohnung und Arbeit auch ihre Sprache zumindest teilweise verloren hat, wird im Laufe des eindreiviertel Stunden dauernden Abends die Leben der anderen gehörig auf den Kopf stellen. Sie wird zum Störfaktor im reibungslosen Ablauf des Alltags, zum Außenseiter, fällt durch das nicht einhalten sprachlicher Codes durch jedes Verständigungsraster.

Hans Hirschmüller verknüpft als ruhender Pol und allwissender Erzähler die verschiedenen Episoden, er verfügt als einziger über eine konsistente Sprache. Gemeinsam mit Jolanta Szczelkun (Live-Musik, Komposition) fungiert er als allgegenwärtiger und dennoch nie aufdringlicher Beobachter und Kommentator dieses Ringens um Worte und Identitäten. Durchdringt man die präzise gearbeitete Sprachschicht, werden schnell exemplarische Lebens-Geschichten sichtbar: Carolin Maiwald gibt die kanariengelbe Powerfrau, die ihren ebenso wie verheirateten wie selbstzufriedenen Liebhaber (Michael Sattler) erst zu akrobatischen Liebesspielen verleitet und ihm im Anschluss den Laufpass gibt. Sven Schöcker schwebt als "Passant" die meiste Zeit in musikalischen Sphären. Für ihn ist Sprache keine Selbstverständlichkeit und die richtige Replik schon gleich gar nicht. Julia Metternich verteilt als kokette Bardame im rosa Piratenoutfit (Kostüme: Fabiola Schiavulli) Jägermeister und Kaffee an ihre Kunden. Alle Figuren befinden sich auf der Suche: nach sich selbst, dem richtigen Partner, den Wahnsinnsauftrag, dem richtigen Wort, nach der Liebe.

   
     

 

In seiner ausgezeichneten Dekonstruktion von Wort und Sinn zeigt Martin Heckmanns, auf welch dünnem Eis sich die vermeintlich banale Alltagskommunikation bewegt. Phrasendrescherei wird als bedeutungslos entlarvt, die Figuren haben Probleme, ihr Gegenüber wirklich zu verstehen. Die Sprache steht als dreizehnter Mitstreiter im Mittelpunkt und das ist gut so. Regisseur Markus Schlappig vertraut zu recht auf Heckmanns' Sprachkunstwerke und gibt ihnen den Raum, den sie benötigen. Anhaltender Applaus.

Tina Meß

 

 


Wörter und Körper

von Martin Heckmanns

Anne Diedering, Annette Kreft, Carolin Maiwald, Julia Metternich, Antonia Schiavulli, Jolanta Szczelkun, Alica Weirauch, Samuel Dahn, Daniel Merten, Michael Sattler, Wulf Schmid-Noerr, Dave Wilcox

Regie: Markus Schlappig