Halle 7 Checkpoint von Joerg Bitterich & Ulf Goerke


 

 
Von Cojoten, Mexikanern und anderen lichtscheuen Geschöpfen

"Checkpoint" ist eine schmuddelige Kneipe an der Mexikanischen Grenze. Sie wird bevölkert von zwielichtigen Gestalten, die mit Schleusertätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie nehmen die "Migs", die illegalen Einwandrer in Empfang und leiten sie ihren Billigjobs zu. Doch dann bricht der Strom ab und eine Krisensituation kommt auf. Es bleibt Zeit, über die Problematik nachzudenken. Man kommt dahinter, dass die "Migs" eine neu entstehende Mittelschicht werden könnten. Was dann? Die Regierung hilft. Ein Agent taucht auf, der die Sache wieder in Gang bringt. Die Einwanderung, denn die USA ist ein Einwanderungsland, wird legal, nur dürfen die "Migs" das nicht wissen, sonst glauben sie, sie hätten Rechte und würden höhere Löhne fordern. Das jedoch schadet der Wettbewerbsfähigkeit. So pervers es auch klingen mag, nach den Gesetzen der Ökonomie ist es zutreffend. Nebenbei, in den USA ist kein Bürger verpflichtet, einen illegalen Einwanderer anzuzeigen. Ist das nun Menschlichkeit oder doch nur der Ökonomie geschuldet?

Das kapitalistische System ist ein System der Sklaverei, und zwar so effizient wie nie vorher. In 400 Jahren transportierte man ca. 12 Mio. Sklaven in die USA. In den letzten 10 Jahren wurden in Südostasien 30 Mio. Frauen und Kinder verkauft. (Programm zur Inszenierung) Die letzte Geschäftsidee für den "Checkpoint" ist allerdings die perverseste. Die Kneipe wird zum Mittelpunkt eines Erlebnisparks für illegale Grenzübertritte. Wer nun meint, Joerg Bitterich und Ulf Goerke hätten diese völlig bizarre Idee im Vollrausch entwickelt, dem sei gesagt, es gibt diesen Erlebnispark bereits im mexikanischen Dörfchen El Alberto. Der Park mit realistisch wirkenden Simulationen ist ein echter Renner.
 
   
 

Katinka Mache, Simin Soraya, Theresa Bendel, Andres Hilscher, Hans Kitzbichler, Norman Sonnleitner, Marco Wohlwend

© Hilda Lobinger

 

 

Im Programmheft kann der Theaterbesucher einige Zeilen von Hans Magnus Enzensberger über das "Zivilisatorische Minimum" lesen. Nach der Vorstellung wird er wissen, was davon noch übrig und wie gefährdet dieses Minimum dort ist, wo es noch fragmentarisch existiert. So abstrus die Argumentationen im Text von Bitterich auch scheinen mögen, sie sind mit Sicherheit ganz dicht dran am Kern der Wahrheit.

Regisseur Ulf Goerke, der die Szenen gemeinsam mit Joerg Bitterich erarbeitete, setzte auf die Intelligenz der Dummheit. Es sind weitestgehend schlichte Figuren, einfache und ungebildete Leute, die dieser Art des Verbrechens nachgehen, um irgendwie in der Wüste zu überleben. Manches klang wie Biertisch und war es auch, wenngleich hier der Tequila floss, reichlich. Und so war das Bühnenbild von Julia Ströder folgerichtig ein den ganzen Raum durchtrennender Bartresen. Dieser war zugleich Staatsgrenze und Gogotisch, Aussichtsturm und Schanze. Die Kostüme und der Spielhabitus der Akteure versetzte den Zuschauer in ein B-Movie. Schrill und laut (gelegentlich zu laut und polternd) ging es zu und den Betrachter beschlich das ungute Gefühl, dass es gerade deshalb authentisch sein könnte.

Einen einzelnen Darsteller herauszuheben, hieße die Leistung der anderen unter den Scheffel zu stellen. Es war ausgewogenes Ensemblespiel, das auch stille und sehr berührende Momente hatte, beispielsweise, wenn Gedichtzeilen von Ferdinand Freiligrath an die Auswanderer zitiert wurden. Dies geschah gleich in mehreren Sprachen und es wurde deutlich, dass uns eine Geschichte einholt, die wir längst überwunden glaubten.

Joerg Bitterich und Ulf Goerke gelang gutes politisches Theater, das auf artifizielle Ansätze nicht verzichtete. Sie leisteten dabei Aufklärung im dialektischen Sinne, denn sie brachten dem Betrachter die Wahrheiten auf komplexe Weise sehr nahe. Manchem würde es zu nahe sein, allein ich habe in München drei Bekannte, die sich ihren Schmutz von Philippinas wegräumen lassen. Darunter ist auch eine Illegale. Es ist doch erstaunlich, wie gut die Verdrängung funktioniert. Solange das deutsche Volk mit der Stimme des Parlamentes spricht sind wir alle durch die Bank Gutmenschen. Privat, … na ja, da wird schon mal nivelliert.

Wir sitzen ja auch warm und trocken in der Festung Europa und uns geht das Ganze ja nur bedingt etwas an. Die Burgenbauer scheuen schließlich weder Kosten noch Mühen. Doch, die Sache hat einen Haken, wie Enzensberger schrieb: "Je heftiger sich eine Zivilisation gegen eine äußere Bedrohung zur Wehr setzt, je mehr sie sich einmauert, desto weniger hat sie am Ende zu verteidigen." (Programmheft)

 
Wolf Banitzki

 

 


Checkpoint

von Joerg Bitterich & Ulf Goerke

Theresa Bendel, Andreas Hilscher, Hans Kitzbichler, Katinka Maché, Norman Sonnleitner, Simin Soraya, Marco Wohlwend

Regie: Ulf Goerke