Theater Haus der Kunst Aias von Sophokles


 

 

 
Der Mensch - wie gehabt ...

"Derjenige Glückswechsel ist der brauchbarste - d.h. fähigste, Furcht und Mitleid zu erwecken -, der aus dem Besseren in das Schlimmere geschieht." Das schrieb Aristoteles vor mehr als 2300 Jahren. Man kann davon ausgehen, dass er das Stück von Sophokles kannte. Nach dieser These, die das Wirkungsprinzip des kathartischen Theaters beschreibt, hätte seine Zustimmung geradezu euphorisch ausfallen müssen, denn die in "Aias" beschriebene Geschichte vollzieht dieses Prinzip so konsequent wie kaum ein anderes.

Aias kämpft als Verbündeter der Griechen gegen Troja. Er ist ein Held, was in der griechischen Mythologie bedeutet, dass er viele Menschen um ihr Leben gebracht hat. Als Achill im Kampf fällt, erhebt er Anspruch auf dessen Panzer und Waffen. Doch Aias ist ein Kämpfer und kein Politiker. Zudem glaubt er seines Glückes Schmied zu sein, unabhängig von der Gunst der Götter. Athene ist jedoch anderer Ansicht und bereitet Aias einen qual- und schmachvollen Untergang. Die Objekte seiner Begierde fallen Odysseus zu, der, Opportunist und Realpolitiker, in der Gunst der Göttin steht. Aias ist gedemütigt und glaubt, sich von der Schmach nur durch den Tod der Atriden (Agamemnon und Menelaos) und des Odysseus reinwaschen zu können. Athene versetzt ihn vorsorglich in einen Wahn und er metzelt in einem furchtbaren Blutbad das Beutevieh der Griechen samt Hirten nieder. Aus dem Wahn erwacht, erkennt er die neuerliche und noch schlimmere Schande und stürzt sich in sein Schwert. Nun sollte man meinen, etwas Schlimmeres könne einem Menschen nicht widerfahren. Weit gefehlt, denn die Atriden demütigen und schänden den Mann noch über seinen Tod hinaus und versagen ihm eine Bestattung.

Der gedankliche Ansatz der Inszenierung im Haus der Kunst folgte der Vorgabe von Sophokles und zeigte auf, das der autarke, nicht adaptionsfähige Mensch in der Gesellschaft zum Scheitern verurteilt ist. Die Tatsache, dass diese Aussage heute ebenso gültig ist wie zur Zeit der Archaik, die gelegentlich auch als barbarische bezeichnet wird, rechtfertigt diese Unternehmung per se. In Bezug auf das Verhalten des Menschen hat es seit mehr als zwei Tausend Jahren keine Entwicklung gegeben. Stellt sich die Frage, ob diese Botschaft auch deutlich vermittelt wurde.
 

Oliver Nägele, Lisa Wagner

© Thomas Dashuber

 

Regisseur Benjamin Walther fand für seine Inszenierung einen bemerkenswerten und durchaus logischen Ansatz. Er stellte, resp. setzte das Publikum in die Mitte der Handlung. Niemand konnte jetzt der Katharsis entgehen, außer, sie oder er verließ die Vorstellung vorzeitig. Das antike Theater von Sophokles war statuarisches Deklamationstheater und konnte es sein, da die Texte so gewaltig waren, dass sie nur einer starken kunstvollen Stimme bedurften. Hierbei folgte der Regisseur der Vorgabe nur begrenzt, was um den Preis des Wirkungsverlustes geschah.

So waren doch immerhin einige Ungereimtheiten zu beklagen. Die Musicaleinlage, in der Eva Gosciejewicz als Athene und Heiko Raulin als Odysseus die moderne Politikerkaste karrikierten, erwies sich für die Geschichte als überflüssiger Kropf. Unverständlich war auch, warum Oliver Nägele als Aias unter aufwendigem Geschnaufe und Gestöhn einen Operntod sterben musste. Seine gewaltige Körperfülle vermittelte ohnehin schon über weite Strecken mehr Behinderung als Heldenhabitus. Dass sich Eva Gosciejewicz als Athene gelegentlich wie ein Dicogirl gebärdete, erinnerte doch zumindest daran, dass die griechischen Götter sehr menschliche Eigenschaften hatten, deren Wege so unerfindlich nicht waren.

Angesichts dieser Dissonanzen war schwer nachzuvollziehen, ob der Regisseur dem Text von Sophokles misstraute oder das Publikum unterschätzte. Nötig wäre es nicht gewesen. Für seinen Einfall, Tekmessa, die schwangere Frau Aias (Lisa Wagner), mit einem Penis zu prügeln und zu demütigen, wurden die Schauspieler prompt bestraft. Einige Zuschauer verließen die Vorstellung. Leider verließen Sie die Vorstellung nicht, weil die kathartische Wirkung so unerträglich war, sondern weil es peinlich und überflüssig erschien. Der Wirkung tat es ohne Zweifel Abbruch. Diese entfaltete sich vielmehr im Spiel zweier Nebenrollen. Lisa Wagner gelang es vornehmlich durch ihre stimmliche Gestaltung, den Vorgängen über die Theatralik hinaus eine existenzielle Bedeutung zu verleihen. Ebenso gelungen gestaltete Marc Oliver Schulze die Rolle des Teukros, den Halbbruder von Aias. Er ließ seinen Text, der angefüllt mit Zorn sich gegen Menschen und Götter richtete, nicht tönen, sondern donnern. Sein verzweifelter Kampf um die letzte Ehre für Aias hatte antike Schönheit und menschliche Kraft.

Jedem Theater, das sich dieses großartigen Stückes annimmt, gebührt Dank. Die Inszenierung im Haus der Kunst, die einige sehr schöne konzeptionelle Ansätze aufwies, zu denen nicht zuletzt das gelungene Bühnenbild von Ann Heine gehörte, blieb der Vorlage von Sophokles jedoch einiges schuldig. Darüber tröstete auch nicht der kluge und bemerkenswert aufschlussreiche Text von Andrea Vilter im Programmheft hinweg.

 
Wolf Banitzki

 

 


Aias

von Sophokles

Eva Gosciejewicz, Heiko Raulin, Oliver Nägele, Lisa Wagner, Marc Oliver Schulze, Marcus Calvin, Peter Albers

Regie: Benjamin Walther