Theater ... und so fort Der letzte der feurigen Liebhaber von Neil Simon


 

 


Vom Seitenspringen

Barney Cashman, er ist 47 Jahre alt und besitzt in New York ein Fischrestaurant, befindet sich in einer echten Lebenskrise. Er ist seit 23 Jahren mit seiner Schulliebe Helma verheiratet und hatte darüber hinaus eine einzige erotische Erfahrung, die allerdings Geld gekostet und nicht länger als 15 Minuten gedauert hatte. Er ist inzwischen in einem Alter, in dem er ernsthaft über den Tod nachdenkt und plötzlich meldet sich übermächtig ein Ahnung zu Wort, dass es da auch noch etwas anderes geben müsse, als die fad gewordene Routine der Monogamie. Barney, der ständig gegen einen penetranten Fischgeruch ankämpfen muss, ist wahrlich kein Don Juan. Vielmehr war er stets der treusorgende Mann, der seine Ehefrau aufrichtig liebt. Gänzlich ungeübt im Seitenspringen, ist es leicht vorstellbar, wie qualvoll der Schritt für ihn ist. Zudem wählt er als Ort für sein Tête-à-Tête die mütterliche Wohnung. Die darf natürlich nichts von alledem mitbekommen. Freud hätte seine Freude, zumal Barney nur eine und eine halbe Stunde zur Verfügung hat, sein ohnehin diffiziles Vorhaben in die gelungene Tat umzusetzen. Scheitern ist also vorprogrammiert. Interessant ist allein das Wie!

Heiko Dietz erfüllte schon auf den ersten Blick alle dramaturgischen Anforderungen der Rolle Barneys. Er wirkte proper und gesund, sensibel, spießig aufrichtig und zugleich getrieben von seinen großen Ängsten, ertappt zu werden. Trotz freudiger Erregung konnte er seine Skrupel nie ganz überwinden. Einen Grossteil seiner Energien musste er ohnehin darauf verwenden, die Ordnung in der mütterlichen Wohnung aufrecht zu erhalten. Da waren die Sofakissen, die ihre Form von einzigartigen Handkante der Mutter empfangen hatten. Die Familienbilder auf der Anrichte waren unverrückbar zum archimedischen Dreh- und Angelpunkt des Familienuniversums geworden. Gläser und Getränke hatte Barney vorsorglich mitgebracht, um keine Spuren zu hinterlassen. Heiko Dietz geriet immer wieder ins Schwitzen angesichts der schier unlösbaren Aufgabe. Wie sollte da Erotik wachsen?

Elaine Navazio war Gast in Barneys Restaurant. Mit geradezu herkulanischem Mut hatte Barney die Adresse der mütterlichen Wohnung auf die Rückseite ihrer Rechnung geschrieben. Wird sie zur Verabredung kommen? Sie kam und das Unvermeidliche nahm seinen Lauf. Katharina Friedls Elaine war eine Frau mit erheblichen Erfahrungen beim Seitenspringen. Direkt und unverblümt signalisierte sie ihre sexuelle Bereitschaft. Die Whiskeyvorräte waren schnell aufgebraucht, denn Barney kam nicht zur Sache. Die schöne Herbe hatte zudem mit Hustenkrämpfen und Nikotinsucht zu kämpfen und war bald an dem Punkt angelangt, wo die Zigarette einen bedeutenderen Stellenwert als der Sex bekam. Barney war schlichtweg überfordert mit der Situation, schnellen und mechanischen Sex zu praktizieren. Dabei hatte er genau darauf gehofft. Am Ende war Aufräumen angesagt.
 
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Katharina Friedl , HeiKo Dietz

© Hilda Lobinger

Bobbi Michele ist in der Komödie eine flippige, durchgeknallte Schauspielerin aus Kalifornien, die es allerdings über Tingeltangel hinaus nie geschafft hat. Katharina Friedl spielte sie wie ein Frettchen auf Speed, erzählte unentwegt Geschichten, die die Haare zu Berge stehen ließen. Barney kam aus der Defensive nicht mehr heraus. Seine Annäherungsversuche wurden zusehends dilettantischer und verzweifelter. Schließlich musste er begreifen, dass er es mit einer komplett Verrückten zu tun hatte. Diese Einsicht stellte sich ein, als Bobbi Mutmaßungen darüber anstellte, dass die Polizei von Los Angeles maßgeblich an der Entführung ihres Zwergpudels beteiligt gewesen war. Das alles erregte das menschliche Jo-Jo über die Maßen, allerdings nicht sexuell. Also war Bobbi schließlich gezwungen, einen ihrer vom Seelenklempner verordneten Joints zu rauchen. Den zweiten teilte sie bereits mit Barney, der sich darauf hin ins Elysium verabschiedete. Das Aufräumen war naturgemäß schwieriger. Also hieß es: Pause.

Jeanette Fischer, beste Freundin von Barneys Frau und hochgradig depressiv, war der letzte Versuch, ein erotisches Abenteuer zu erleben. Katharina Friedl gab den Prototypen einer menschgewordenen Depression. Die Handtasche, gleich einem Schild vor dem Genitalbereich tragend, musste Barney Jeanette gewaltsam entwenden, um überhaupt auf den Pfad der Untugend zu gelangen. Obgleich Jeanette bei einem gemeinsamen Abendessen in ihrer Küche über Barney hergefallen war, und ihn somit erst ermutigt hatte, geriet der erotisch Plan sehr schnell in Vergessenheit. Stattdessen wurde über Anstand debattiert und positiver Lebenserfahrung. Bei Jeanette belief sie sich hochgerechnet gerade einmal auf  8,2 % ihrer Lebenszeit. Folglich waren ihre Auffassungen vom Leben und den Akteuren darin rabenschwarz und pessimistisch. Positiver Effekt dieser Begegnung war die gemeinsam Erkenntnis, dass man Jesus, J.F.K. und Barneys Frau Helma durchaus als Menschen mit positiven Eigenschaften ausmachen konnte. Aufräumen war nicht vonnöten, denn es war ja nichts geschehen.

Oliver Zimmers Inszenierung im Theater undsofort war eine intelligente, spitzfindige und hochtourige Umsetzung des brillanten Textes aus der Feder des Großmeisters der Komödie, Neil Simon. Intelligent war sie vor allem, weil es den Darstellern gelang, das Menschliche nicht auch nur ansatzweise zu Gunsten der Lacher aus den Augen zu verlieren. Katharina Friedl und Heiko Dietz brillierten mit Körper und Stimme. Obgleich die drei Akte zusammen gut zwei Stunden dauerten, gab es absolut keine Länge oder Spannungsschwankungen. Der Abend war nicht nur herzerfrischend kurzweilig, sondern auf liebenswerte Weise auch erkenntnisreich. Den Darstellern war es zudem zu danken, dass das Thema nie schlüpfrig wurde. Es ist eine der großen Stärken der Simonschen Dramatik, dass sie sich seit mehr als einem halben Jahrhundert nie in die Niederungen des Geschmacks verirrt. Genau das bediente auch die Inszenierung von Oliver Zimmer. Es war Theater, wie es sein sollte. Bravo! Prädikat: Unbedingt sehenswert!

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Der letzte der feurigen Liebhaber

von Neil Simon

Katharina Friedl, Heiko Dietz

Regie: Oliver Zimmer