Halle 7 Sum Sum von Laura de Weck
Kinder, Kinder
Wie eine kleine Drohne*, fleißig fleißig und doch eher der Königin hörig, geht der brave Urs-Peter seinen Weg. Wobei in diesem Fall unter Königin die ihn ernährende Firma zu verstehen ist, deren Werbeartikel, Kugelschreiber und T-Shirt für ihn „Wertgegenstände“ darstellen, die er jemandem entgegenbringt auf den er persönliche Hoffnungen setzt. Selina, er hat sie über das Internet kennen gelernt. Sprachlich steht Sum Sum für Völkerverbindung und Erkennen, denn auf der ganzen Welt werden diese Laute für die Bezeichnung der Biene verwendet. So ist es dann auch der kleinste gemeinsame Nenner, eine unbestimmte Sehnsucht, die Selina und Urs-Peter aufeinander zu gehen lässt. In diesem Fall fliegen, denn Urs-Peter hat einen weiten Weg bis zur Auserwählten zurück zu legen und kann am Ende doch nur wieder an seinen Platz zurück. Die verbindenden Elemente, da Sprache und Inhalte weitestgehend fehlen, bleiben auf unbestimmte Hoffung, Erwartungen von Selinas Schwester, Naturbetrachtung und gemeinsames Zähneputzen als Lebensritual beschränkt. Nicht ganz, denn da sind auch noch die Definition und ... doch davon erzählt das Stück.
Laura de Weck, Jahrgang 1981, Teilnehmerin an Dramatiker-Werkstätten wirft einen Blick auf ihre westliche Generation. Sie tut dies in deren Sprache und hört man genau hin, so ist der hohle Klang, die „Einsilbigkeit“ nicht zu überhören. Durchsichtig und dünn, entkernt wirken die Worte. Die Geschichte ist Alltag, aufgehängt an ein paar Ritualen.
|
|
|
|
Sabine Menne, Sandra Lühr, Sven Schöcker
© Hilda Lobinger
|
|
Regisseur Markus Schlappig ließ zur Begegnung der Beiden einen grünen Teppich auslegen, als Insel des Glücks. Weiße Vorhänge grenzten die Bühne ein, öffneten zum Zuschauer hin (Aylin Kaip). Die Szene beherrschte Sven Schöcker als Urs-Peter. Linkisch, hoffend, ungeduldig, unsicher, zornig und gleich darauf wieder versöhnlich, doch letztlich resignierend zeichnete der ausgezeichnete Schauspieler Facetten einer Figur. Sabine Menne hielt als Selina mit verspielter kindlicher Selbstverliebtheit entgegen und vermochte durchaus „ihren Urs-Peter“ zu berühren. Ebenbürtig zu sein gelang ihr für Momente, doch erreichen konnte sie ihn nicht. Die Begegnungen waren gekonnt inszeniert und zeigten was der Text nicht enthält. Sandra Lühr gab Selinas Schwester, personifizierte das stete Bemühen „zu versorgen“, „unter die Haube“ zu bringen. Der Spielraum für diese Figur war eingeschränkt, doch Sandra Lühr gab dem Wenigen etwas Gestalt. Linda Löbel erspielte den schlaksig coolen Freund Urs-Peters und verstand es, die Wiederholungen zu nuancieren.
„Super. Super. Super.“, sagt sie, sagt Urs-Peters Freund fast zu allem was auf der Bühne passierte. Und „Tschüss.“, sagte er/sie auch.
C.M.Meier
Begreift man das Festival der Halle 7, wie angekündigt, als einen Blick auf das Spektrum der Gegenwartsdramatik, so machte die Inszenierung von Sum Sum durchaus Sinn. Kontrastprogramm oder Begegnung von Welten. Denn: Wer noch in Juli von Iwan Wyrypajew geht, kann erfahren, welche Dimensionen hinter Sprache, Mann, Frau und Liebe wirklich stehen können.
* Der Begriff steht in der EDV auch für einen Zombie.
Sum Sum
von Laura de Weck
Sabine Menne, Sandra Lühr, Sven Schöcker, Linda Löbel
Regie: Markus Schlappig
|
Halle 7 Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn von Petr Zelenka
Zivilisation oder die Abwesenheit von Kultur
Es sieht aus, als hätten sie sich überholt, die traditionellen Kulturen. Weltweit findet ein Umbruch in Zivilisation statt - oder um es mit Oswald Spengler auszudrücken: Es befinden sich alternde Kulturen in ihrem Endzustand. Revolution und Chaos sind die Folge. Doch davon ist äußerlich keine Spur, denn eine der wundervollsten Eigenschaften der Zivilisation ist die Ordnung des Alltags. Klare Richtlinien, klare Verhältnisse. Die starre äußere Lebensform lässt keinen natürlichen Fortschritt zu. Doch bilden sich Lücken, Zwischenräume, Freiräume des Individuums und diese sind der ideale Nistplatz für Träume, Sehnsüchte und vor allem die menschlichen Schwächen.
Doch selbst in diesen Nischen dominieren bereits die Normen der technischen Welt, werden übernommen und kreativ abgewandelt bis hin in den intimsten Bereich. Daraus folgert beispielsweise: Wie effektiv masturbiert man mit einem Staubsauger? Das Thema ist tauglich für eine Dissertation.
Hier setzt Petr Zelenka mit seinem Stück " Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn" an, wenn er den jungen Mücke zwischen Freundin und Staubsauger hin und her wirft. Mücke ist auf der Suche nach Zuneigung und einem natürlichen Platz für seinen Trieb. Jede Zurückweisung zwingt ihn zwangsläufig an den Staubsauger, will er nicht dem völligen Wahnsinn anheimfallen, dem Wahnsinn, dem alltäglichen, mit seinen psychotischen Vorstellungen und dem gestörten Realitätsverhältnis, mit der grenzenlosen Unvernunft die in den Wahnwitz und damit in die Tollkühnheit mündet. "Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.", so wird Gotthold Ephraim Lessing in der Ankündigung zitiert. Auch Mückes Freund Petr leidet, leidet am Verlust seiner Beziehung zu Jana. Er glaubt ihr heimlich Kopfhaar abgeschnitten zu haben, um sie durch ein magisches Ritual wieder zu gewinnen ... Petr trägt den Flaschenöffner am Gürtel, jederzeit bereit eine Bierkapsel schnippen zu lassen.
|
|
|
|
Christof Küster, Anja Scheffer
|
|
Das Stück, durchaus reich an Wortwitz, absurden Situationen und Zeichnungen der menschlichen Charaktere, ist ein aktuelles Gesellschaftsporträt. Die im Programm angesprochene "kleine Insel des Glücks" findet sich im Hervorzaubern von Vergangenem, in der Nostalgie. Petrs Vater, längst ausgedient und abgeschoben, war Wochenschausprecher beim sozialistischen Rundfunk. Er erinnert sich genau an jede Mitteilung, die mit seiner Stimme über den Äther ging. Einem Zufall verdankt er die Begegnung mit Silvie, die ihn ermutigt sein Können in den Dienst der modernen Unterhaltung zu stellen und damit erneut einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.
Unter der Regie von Mario Andersen, dessen Inszenierung sich viel, gelegentlich zu viel Zeit für den Text und die Handlung nahm und der damit vermutlich den Prozess des aufsteigenden Wahnsinns zelebrierte, bot das gesamte Ensemble eine nicht immer ausgewogene schauspielerische Leistung. Oft arbeiten sie hart, um das hölzerne zentrale Bühnenelement von Peter Schickart in Bewegung zu bringen. Besonders hervorzuheben sei Ralf Weikinger, der dem Nachrichtensprecher und Vater Petrs bemerkenswert poetische Züge verlieh und dessen Spiel über die Maßen berührte.
Das Feld der Beziehungen wird von jungen Film- und Theatermachern gerne beackert, ohne dass sie jedoch neue Saat ausbringen. Sie reißen Furchen auf und fördern das Gewürm zutage.
Wurm und Erde bilden noch eine sich ergänzende Gemeinschaft. Doch wie sieht Gemeinschaft zwischen Mensch, Maschine und Glasfassade aus? Wie werden sie aussehen, die Beziehungen zwischen den Menschen in der zivilisierten Welt? Darauf habe ich bislang wenig Antworten gefunden. Meist ergeht man sich in der reflektorischen Widergabe des Absurden, des Grotesken und des Sinnentleerten und bietet bestenfalls, wie in diesem Stück, märchenhafte Lösungen an - die Schaufensterpuppe Eva verwandelt sich in eine liebende Gefährtin. Eine Sinnestäuschung? Fest steht, der Fun-Faktor, eine wichtige Größe in der Zivilisation, ist in diesem Stück gesichert.
C.M.Meier
Geschichten vom alltäglichen Wahnsinn
von Petr Zelenka
Christof Küster, Uta Bonz, Ralf Weikinger, Johanna Schubert, Michael Krone, Uta Jacobi, Oscar Axelrod-Naumann, Judith Toth, Gerrit Selmeier, Anja Scheffer, Esther Urbanski, David Imper, Silvia Mayrhofer
Regie: Mario Andersen |