Kammerspiele  Point Of No Return Performance von Yael Ronen und Ensemble


 

Der Amoklauf oder Auf zum nächst höheren Level

Als die 1976 in Jerusalem geborene Yael Ronen im Juli 2016 mit den Proben zu „Point Of No Return“ an den Münchner Kammerspielen begann, stand das Thema Sexualität im weiteren Sinn im Fokus ihrer Auseinandersetzung. Untersucht werden sollte die Zukunft des Sexes unter dem Einfluss der rasanten technologischen Entwicklungen. Doch dann fielen am 22. Juli am Münchner Olympiaeinkaufszentrum Schüsse und die Nation glaubte, endlich ihren sehnlichst erwarteten Terroranschlag zu haben. (Wiebke Puls: „Ja, München, nicht Berlin, habe ich gedacht!“) Es machte sich allerdings ein gewisse Ernüchterung breit, als sich die Tat als simpler Amoklauf entpuppte. Die Tatsache, dass bis zu 67 vermeintliche Anschlagziele gemeldet wurden, war der Auslöser für einen neuen Ansatz von „Point Of No Return“.

Yael Ronen versuchte nun gemeinsam mit den Schauspielern Niels Bormann, Dejan Bućin, Damian Rebgetz, Wiebke Puls und Jelena Kuljić eine Analyse der komplexen, von Emotionen, Reflexen und Unwägbarkeiten gesteuerten Vorgängen zu erstellen. Dabei wurden die tatsächlichen und fiktiven Erfahrungen und Inspirationen der Schauspieler eingearbeitet. Das war ein mühsamer Prozess, wie Yael Ronen im Programmheft gestand, denn sie kannte die Darsteller nicht oder zu wenig, um ihre „Musik“ zu verstehen. Heraus kam eine Bühnensituation, in der keine Darsteller agierten, sondern die Schauspieler sich selbst spielten oder gaben. Personen und Rollen blieben unentschieden. Das ganze nannte sich Performance. Inhaltlich war es ebenso wenig ein monolithischer  Guss wie eine in sich geschlossene Geschichte.

Der Abend war in drei Teile gegliedert. Gespielt wurde auf einer schiefen Ebene, z.T. an Sicherungsseilen, was meinte: alles ist in eine Schieflage geraten und wir haben ernsthafte Probleme nicht in einen Abgrund zu gleiten. Die drei Bühnenwände waren vollkommen verspiegelt. Im Hintergrund eine kleine Insel mit einer Birke und ein paar Sträuchern: Natur im urbanen Raum. (Bühne Wolfgang Menardi) Auf dem weißen Bühnenboden flackerten eindrucksvoll psychedelische Muster oder Videoprojektionen realer Vorgänge. 

  Point of no return  
 

Dejan Bućin, Wiebke Puls, Jelena Kuljić, Damian Rebgetz

© David Baltzer

 

Im ersten Teil berichteten die Schauspieler, was sie am 22. Juli, in der Zeit, in der Ausnahmezustand in München herrschte, gemacht haben. Niels Bormann hielt sich in der Kantine der Kammerspiele auf, um dort eine Fischsuppe zu essen, als die Tore am Bühneneingang geschlossen wurden. Wiebke Puls war mit ihren Kindern in einer Vorstellung. Sie haderte heftig mit der Situation, in der sie gemeinsam mit vielen anderen im Zuschauerraum saß und nicht auf der Bühne stand, Mitte-Rampe, um die Katastrophe mit ihren (gespielten) Emotionen zu begleiten und zu kommentieren. Dejan Bućin war in einem Kik-Laden gefangen und sein Handyakku gab in seinen Händen den Geist auf. Verzweiflung bemächtigte sich seiner, denn wie sollte er nun kommunizieren, dem Rest der Welt mitteilen, dass er lebte. Es war ein heiterer Teil, in denen nicht über die Opfer gesprochen wurde, sondern über die Befindlichkeiten der fünf Schauspieler. Die kokettierten vornehmlich mit ihren Eitelkeiten, führten sie spielerisch ad absurdum und lebten sie so aus.

Im zweiten Teil wurde ein Video auf den Boden projiziert, in dem ein vermeintlicher Terrorist von einem panischen Wachmann niedergestreckt und von Passanten misshandelt wurde. (Video: Claudius Schulz und Angelika Widel)  Es stellte sich im Nachhinein heraus, dass es sich um einen Eritreer handelte, der sich auffällig nervös benahm, weil er kein Asyl bekommen hatte und illegal im Land war. Er fürchtete, seinen schlecht bezahlten Hilfsarbeiterjob zu verlieren, mit dem er das Lösegeld beschaffen wollte, um seine Familie aus den Händen der Schleuser zu befreien, die, um ihren Gewinn zu maximieren, ihre Kundschaft zusätzlich noch gekidnappt hatten. Man disputierte, wie man einen solchen Eritreer spielen kann. Damian Rebgetz konnte zwar mit dem Argument punkten, dass er Ausländer ist, doch als Australier war es für ihn unmöglich, glaubhaft die „dritte Welt“ darzustellen.

Im dritten Teil sollte der Bericht einer jungen Eritreerin über ihre monatelange Gefangenschaft und ständige Vergewaltigung verlesen werden. Wiebke Puls, sie besitzt bekanntermaßen die Fähigkeit, starke Gefühle zu erzeugen, weigerte sich, denn es gab weder einen Namen des Opfers, noch ein  Datum für das Protokoll. Sie verzichtete zwar nicht auf einen Beweis ihrer Darstellungskraft und weinte auf Kommando, traute der Situation letztlich aber nicht. Jelena Kuljić, als Serbin verfügt sie naturgemäß über Kriegserfahrung, übernahm eifrig den Part. Nach einer Musikaleinlage, ein düster-melancholischer Song von Leonhard Cohen, gab es schließlich noch ein paar Informationen darüber, welche Insekten, Kriechtiere etc. eine viel größere Gefahr für unser Leben seien, als der Terrorismus. Tatsächlich belief sich der Anteil der Europäer an den Opfern des weltweiten Terrorismus gerade einmal auf 0,5%.

Die größte Provokation Yael Ronens, so das Programmheft, ist „ihr schwarzer Humor im Umgang mit historischen Konflikten“. Bleibt allerdings die Frage, mit welchem Ziel sie derart provoziert. Um Heiterkeit zu erzeugen? Das ist ihr zumindest teilweise gelungen. Ansonsten allerdings führte die Performance zu keinen tieferen Einsichten, und Lachen allein hilft niemand über seine Hilflosigkeit im Umgang mit den geschürten und gesteuerten, aber auch mit den natürlichen Ängsten hinweg. Es kann nicht angehen, dass, wenn wir die Probleme nicht beherzt angehen können, uns wenigstens mit ihrem Unterhaltungswert trösten.  Dass das Konzept ebenso wirkungslos wie seine Umsetzung war, kann auch der vagen Aussage der Regisseurin entnommen werden: „Und es (die Schießerei im OEZ – Anm. W.B.) fühlte sich nicht nur an wie das Attentat eines Einzelnen, sondern wie der Beginn von etwas, das die gesamte Stimmung verändert. Als ob jeder so etwas erwartet hätte, um dann schließlich wie in einem Spiel in ein neues Level aufzusteigen.“ Sollte das der „Point Of No Return“ sein? Also das zu verallgemeinern wäre töricht, denn viele mir bekannte Menschen nahmen es als das, was es war, der Amoklauf eines verwirrten Jugendlichen.

Das künstlerische Ergebnis auf der Bühne indes zeigte sich als eine weitere gelungene  Profanisierung der Theaterkunst ohne dabei nennenswerte Ergebnisse gezeitigt zu haben, die über das eigene Selbstverständnis hinaus gingen. Vielleicht liegt es aber auch an der Methode, mit der Yael Ronen arbeitet: work in progress. „Manchmal braucht es also eine lange Zeit, bis ich etwas schreiben kann und dann klärt sich hinterher für mich, worum es da eigentlich geht. Wenn das Stück abgeschlossen ist, versteh ich auch erst, worum es in dem Stück geht.“  (Programmheft) Und wenn beim Zuschauer keine Erleuchtung eintritt und er ohne konkrete sachliche oder emotionale Erkenntnis das Theater verlässt, so bleibt doch immerhin noch die Genugtuung, dass es gut war, darüber geredet zu haben.

Wolf Banitzki


Point Of No Return    

Performance von Yael Ronen und Ensemble

Niels Bormann, Dejan Bućin, Damian Rebgetz, Wiebke Puls, Jelena Kuljić

Inszenierung: Yael Ronen