Metropol Theater Lantana von Andrew Bovell


 

 

Quo Vadis

Zufällig befinden sich die beiden Paare Pete und Jane, sowie Leon und Sonja zur gleichen Zeit auf Abwegen in billigen Hotels, teilen sich den Dialog eines Seitensprungs. Zufällig steht Jane am Fenster, als ihr Nachbar Nick einen schwarzen Damenschuh aus dem Auto nimmt und diesen auf ein verwildertes Grundstück wirft. Zufällig stößt Leon mit Neil, einem Mann der braune Budapester trägt, beim Joggen heftig zusammen, so dass Neil's Nase bricht.

Wer anders als der Zufall, kann die Brücke bilden zwischen Figuren die nichts verbindet, die kaum noch ihren Nächsten oder sich selbst verbunden sind. Sie sind gesellschaftlich etabliert, alles scheint wohlgeordnet und doch suchen sie Sinn in neuen Begegnungen. Der Autor Andrew Bowell erzählt, nach eigener Aussage, in seinem Stück von Liebe, von menschlichen Gefühlen wie Vertrautheit und Verwundbarkeit und einer alle verbindenden Sehnsucht ... die er allerdings nicht "explizit darstellt" (Tenor des Autors). Er spricht von Emotionen ... doch diese, längst nicht mehr wahrnehmbar, schreiben keine Geschichte, sondern sind nur noch psychologisch artikulierte Feststellungen, Momentaufnahmen, so wie das Stück sie zeigt. Denn dieses bedient die Creativ-Writing-Vorstellungen von zeitgemäßem dramatischem Aufbau, mit seiner konstruierten Bruchstückhaftigkeit und der puzzleartigen Anordnung der Szenen. David Lynch lässt grüßen. Der Damenschuh und der Budapester fungieren als Verbindung. Sie sind Sinnbild für das orientierungslose Unterwegssein der Figuren in der heutigen Gesellschaft, gleichermaßen wie sie für die psychologisch begründete unausweichliche Zusteuerung auf das persönliche Trauma stehen.
 
   
 

Judith Toth, Thomas Meinhardt, Dascha Poisel, Christian Baumann

© Hilda Lobinger

 

 

Die Inszenierung rankte sich um die Metapher Schuh. Eine Reihe von Schuhen bildete die Begrenzung der Spielfläche. Dascha Poisel als die in der Kindheit vom Vater missbrauchte Psychotherapeutin Valerie, lief wiederholt wie verloren mit einem schwarzen Schuh durch die Szene, um in einer Verrenkung auf dem Boden letzte Ruhe zu finden. Christian Baumann (Neil) trug die braunen Budapester als er seiner großen Liebe Sarah nach Jahrzehnten wieder begegnete und er hinterließ diese am Rand des Meeres für Leon. Leon (Thomas Meinhardt) nahm die Schuhe mit in sein leeres zuhause. Regisseur Jochen Schölch inszenierte, in gekonnter Weise, eine klare und stringente Aufführung, die jedoch auch Längen aufwies, da viele der Begebenheiten nur allzu bekannt sind und der psychologische Text den normalerweise innewohnenden emotional-erotischen Reiz durch seine wissenschaftliche Kommentierung kippte.

"Lantana" kündigte sich als undurchdringliches "emotionales Labyrinth" an und entließ ohne wirklich mit guter Unterhaltung oder neuen Erkenntnissen aufgewartet zu haben.

 
C.M.Meier

 

 


Lantana

von Andrew Bovell

Christian Baumann, Thomas Meinhardt, Dascha Poisel, Judith Toth

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Die Furien von von Dagmar Müller / Jochen Schölch / Alia Luque


 

 

Die Damentoilette als Beichtstuhl der Weiblichkeit

"Wenn Männer wüssten, was Frauen denken, wären sie noch viel kühner", bekannte einst Pablo Picasso. Und der kannte die Frauen, möchte man meinen. Doch über Jochen Schölchs Inszenierung von "Die Furien" hängt eine Prämisse wie ein Damoklesschwert: "Männer könnten alle Frauen gehabt haben, sie würden dennoch keine einzige verstehen." Vielleicht wählte Jochen Schölch diese Über-Schrift als Schutzbehauptung, um die Unmöglichkeit seines Unterfangens vorab zu entschuldigen. Zugegeben, diese Inszenierung weckt die Begehrlichkeit, einmal Mäuschen auf einer Damentoilette sein zu dürfen. Zugegeben auch, dass wir Männer nach Ansicht des Spektakels "so klug, als wie zuvor" sind, obwohl wir vielleicht mehr wissen.

"Die Furien" ist kein Drama im herkömmlichen Verständnis, sondern "ein musikalischer Theaterabend um das Phänomen Frau". Der war in thematische Blöcke eingeteilt, die von der Toilettenfrau, einer abgeklärten Überfrau, mit komisch-philosophischen Lehrsätzen eingeführt wurden. Der Zuschauer erlebte ein furioses Schlachtfest der Eitelkeiten, Dummheiten, Verschlagenheiten und, und, und. Den männlichen Betrachter erfasste angesichts dieser Vorgänge und selbst gestrickten "Wahrheiten" das blanke Entsetzen, und er verstand plötzlich seine permanente unterschwellige Angst vor dem fremden Geschlecht. Ja, sie ist berechtigt! Augenscheinlich ist der Mann der natürliche Feind der Frau, besteht nur aus Unzulänglichkeiten und wird als animalisch-niederes Wesen niemals die Chance haben, mit der Frau auf Augenhöhe verkehren zu können. Das weibliche Wesen hingegen ist erfüllt von Sadismus, Masochismus, Pessimismus, Narzissmus, Sentimentalität und so weiter. Und so lautet denn auch die letzte Quintessenz: "Neue Männer braucht das Land!"
Sie, verehrter Leser merken schon, dass es sich hier um eine groteske Überzeichnung handelt. Aber gerade diese Überzeichnung eröffnete dem Ensemble und dem Regisseur die Chance, einen ungebändigten Spieltrieb auszuleben.

Es handelte sich bei allen Figuren auf der Bühne immer um die Frau an sich, die hier in unterschiedlichsten psychischen, physischen und moralischen Ausdeutungen ihr Gesamtbild erfuhr. Vorgeführt, man kann es auch im denunziatorischen Sinne verstehen, wurde die Frau, deren Existenz einzig im Frausein besteht. Über keine der Figuren erfährt man auch nur ansatzweise etwas über ihre gesellschaftliche Determination. Das emotionale Verhältnis zwischen Mann und Frau und Frau und Frau war einziger Mittelpunkt. Mehr hätte den Rahmen des Anliegens vermutlich auch gesprengt und der Abend wäre nicht im Entferntesten zu dem geworden, was er war, ein überschwänglicher, entlarvender und fulminant heiterer.

In kurzen Szenenfolgen wurde ein großes Repertoire an alten und sehr alten Witzen theatralisch umgesetzt, die vom Bauarbeiterwitz bis zur Sprachpointe a la Woody Allen reichte. Das Niveau der erstzitierten Art von Witzen dominierte dabei, oder stach zumindest wegen der gelegentlichen erzeugten Peinlichkeit ins Auge. Der Mensch war einer ganzheitlichen Betrachtung unterworfen, d.h. auch der Bereich unter der Gürtellinie war legitimes Schlachtfeld. Jochen Schölch und seine Mitstreiterinnen machten den Film- und Fernsehmedien vor, wie man schlagkräftige Comedy inszeniert und dabei einen höheren Anspruch vorgaukelt. Dieser Anspruch definierte sich nicht unbedingt über die Inhalte, sondern über die schauspielerische Leistung und die künstlerischen Mittel, die den Regisseur einmal mehr als Meister qualifizierten. Der Zuschauer in Münchner Theatern bekommt heute nur selten die Gelegenheit, echte Magie auf der Bühne zu erleben. Und so ist die Szene des Entleerens einer kleinen Damenhandtasche im wahrsten Sinne ein zauberhaftes Kabinettstückchen.

Die musikalischen Einlagen hatten zudem einen ganz besonderen Reiz. Die Wahl fiel auf Schlager oder Songs, deren Wirkung zumeist auf hemmungsloses "Versaggern" (Jandl) in Sentimentalität beruht. Der Regie gelang es aber, genau diese Mechanismen der Lächerlichkeit preis zu geben, ohne aber den Reiz der Musik oder des Gesangs zu zerstören. Hier leisteten die Damen des Ensemble bemerkenswertes.
Jochen Schölchs Theaterkonzeption, und in seiner Person definiert sich auch das Konzept des Metropol Theaters, zielt auf Ensemblespiel. Stars gibt es nicht. Und so wäre es müßig, die Leistung jeder einzelnen Darstellerin zu beschreiben. Jede für sich bot bestes Schauspiel und ermöglichte so spritzige und überhaschungsreiche Szenenbilder. Das Zusammenspiel war nahezu perfekt, was eine dramaturgische Präzision schuf, die man heute eher selten zu sehen bekommt. Hier ist der Regisseur den von ihm betreuten Studenten der Theaterakademie ein exzellenter Lehrmeister!

Alles in allem ist es eine überaus gelungene Inszenierung, die in Bezug auf Frauen mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt und den so genannten "guten Geschmack" nicht immer bedient. Leider gibt es aber einen Haken, der jedoch nicht der Inszenierung angelastet werden kann. Das Metropol-Theater bewirbt die Aufführungen von "Die Furien" und "I Furiosi" in einem Atemzug. Wer beide Inszenierungen gesehen hat, wird bemerkt haben, dass sich das gelungene Bühnenbild von Hannes Neumeier aus "I Furiosi" hinter dem ebenfalls sehr gelungenen Bühnenbild in "Die Furien" verbirgt. Dieser Zungenschlag ist nicht besonders sinnreich, denn "I Furiosi" ist ein Stück mit existenziellem Charakter, während "Die Furien" eine komödiantische Bühnenshow ist. Beide in einen direkten Zusammenhang zu bringen bedeutet, die großartige kathartische Wirkung des Hooligan-Dramas zurück zu nehmen oder zumindest zu verwässern. Beide Inszenierung können nicht die zwei Seiten einer Medaille sein, denn es handelt sich um unterschiedliche Währungen.



Wolf Banitzki

 

 


Leichtes Spiel

von Dagmar Müller / Jochen Schölch / Alia Luque

nach einer Idee von Jochen Schölch

Lea Kohns, Helga Fellerer, Annika Ullmann, Susanne von Medvey, Lilly Forgàch, Franziska Beyer, Henriette Schmidt, Irina Ries/Katharina Hauter

Musikalische Begleitung: Friedrich Rauchbauer / Christoph Weber

Regie: Jochen Schölch

Matropol Theater Der Elefantenmensch von Bernard Pomerance


 
 
Die "Freakshow" geht weiter …

Die Geschichte vom Elefantenmensch ist eine wahre. Sie war zudem eine noch dramatischere, als von David Lynch in seinem gleichnamigen Film (1980) oder im Theaterstück von Bernard Pomerance erzählt. Die horrible Begebenheit kann im Programmheft nachgelesen werden. Nur soviel: John Carey Merrick litt unter einer seltenen Mischung aus dem Proteus-Syndrom und Neurofibromatose. Diese Krankheit führte zu extremen Wucherungen und Entstellungen, die ihm die Titulation "Elefantenmensch" einbrachte. Merricks Lebensweg, der nur 28 Jahre lang war, führte ihn durch alle Höllen dieser Welt. Er war geschundenes Schauobjekt auf Jahrmärkten und gehätschelt in den feinen Salons der viktorianischen Ära. Der Arzt Dr. Treves nimmt Merrick aus medizinischem Interesse am London Hospital auf, um ihn zu studieren. Mit großem Erstaunen, und das ist der eigentlich Plot der Geschichte, stellt der Arzt fest, dass Merrick ein hochsensibles und intelligentes Wesen ist, das die Bibel kennt und sich an Shakespeares Texten labt. Merrick stirbt am 11. April 1890 nach seinem einzigen Theaterbesuch, als er seinem unstillbaren und selbstmörderischen Bedürfnis folgt, liegend zu schlafen.

Der Autor Bernard Pomerance, der mit diesem Stück Weltruhm erlangte, verzichtete weitestgehend auf die Ausstellung der Leiden Merricks. Sein Ziel war es, die Gesellschaft als unfähig zu entlarven, das "Andersartige", es handelt sich immerhin um ein menschliches Wesen, zu respektieren. Ob Merrick auf den Jahrmärkten angeekelt bestaunt, oder in den feinen Salons des viktorianischen Zeitalters gönnerhaft getätschelt wurde, immer handelte es sich um unmenschliche Sensationslust und Voyerismus. Warum also dieses Stück, fragt man sich, handelt es sich doch um eine Ausnahmeerscheinung. Bei genauerem Lesen des Programmheftes findet sich eine Fährte: "Merricks Skelett wird bis heute vom London Hospital aufbewahrt. Der US-Popstar Michael Jackson soll dem Krankenhaus 1986 eine Million Dollar für die sterblichen Überreste des Elefantenmenschen geboten haben." Ja, die "Freakshow" geht weiter, und genannter Popstar hat sich selbst zum Ausstellungsstück gemacht. Wer noch über ein natürliches Wahrnehmungsvermögen und ein natürliches moralisches Empfinden verfügt, der wird feststellen, dass die "Freakshow" ein wesentlicher und akzeptierter Bestandteil unserer Kultur geworden ist. Gil Mehmerts Inszenierung am Münchner Metropol Theater rückt diesen Gedanken dezent, aber mit Nachdruck in den Vordergrund.
 
   
 

Tobias Beyer, Thorsten Krohn, Schirin Kazemi, Nathalie Schott Patrick Lammer, Konstantin Moreth

© Hilda Lobinger

 

Das Stück, eine rasante Szenenfolge, spielt in einer angedeuteten Zirkusarena, für die Gil Mehmert und Gerit Jurda verantwortlich zeichneten. So wurden alle gesellschaftlichen Orte, ob Jahrmarkt, Krankenhaus, Theater, Vorstandszimmer oder Merricks letzte Zuflucht im hintersten Trakt des Hospitals zum Bestandteil theatralischer Ausdeutung. Die musizierenden Schauspieler erhoben viele Vorgänge durch schmissige Begleitung mittels "Circus Songs" (The Tiger Lillies) in den Stand von Attraktionen, was nicht selten starkes Unbehagen erzeugte.


Das Stück ist mehr als nur eine Herausforderung, denn es ist mit großen Risiken behaftet. Wie stellt man glaubhaft einen "Elefantenmenschen" dar? Regisseur Mehmerts Lösung war durchaus akzeptabel. Das Angesicht seines Merrick-Darstellers Konstantin Moreth war nur kurz von der Elefantenmann-Maske bedeckt. In dem Augenblick, in dem das menschliche Wesen sprechend sichtbar wurde, verschwand sie. Moreth spielte zwar immer noch eine entstellte Figur, aber sein sensibler Gesichtsausdruck und seine intensive Darstellung suggerierten glaubhaft die ungeheure Entstellung. Wie heißt es am Theater so treffend? Der König wird durch das Volk gespielt. So auch der "Elefantenmensch". Tobias Beyers stimmungsvolles und sehr präzises Spiel des Dr. Treves vervollkommnete das Bild vom vermeintlichen Monster um die menschliche Komponente. Der historische Treves war, wie seine Zeitgenossen, nicht frei von wissenschaftlichen und anderen Eitelkeiten. Doch die Inszenierung verlieh ihm überzeugend humanistische Züge. Am deutlichsten spiegelte Thorsten Krohn den Zwiespalt menschlichen Verhaltens angesichts einer so unerhörten Erscheinung. Als Klinikdirektor Carr Gomm spielte er alle Facetten des in seiner Stellung verhafteten Erfolgsmenschen. Mitgefühl und spekulative Erfolgssucht wechselten ebenso schnell, wie die rasanten Auf- und Abgänge der sieben Darsteller, die ein Vielzahl von Rollen zu bewältigen hatten.

Dem Metropol Theater ist es wieder einmal gelungen, eine sinnvolle Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die Zeitgeist durch starke emotionale Akzente entlarvt und überwindet. Vielleicht betrachten die Zuschauer dieser magischen Inszenierung die "normale" Medienwelt mit geschärftem Blick. Dann werden Sie nämlich entdecken, wie viel "Freakshow" im heutigen Alltag steckt.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Der Elefantenmensch

von Bernard Pomerance

Tobias Beyer, Schirin Kazemi, Thorsten Krohn, Patrick Lammer, Konstantin Moreth, Nathalie Schott

Regie: Gil Mehmert

Metropol Theater I Furiosi nach Nanni Balestrini


 

 

Das ist Kult

In ausgezeichneter künstlerischer Umsetzung wurden die Themen Fußball und Erscheinungsformen der Gewalt von Jochen Schölch auf die Bühne des Metropol Theaters gebracht. In dem sehens- und erlebenswerten Spektakel "I Furiosi - Die Wütenden" nach dem Roman von Nanni Balestrini findet "Mann" sich wieder. Der italienische Neo-Avangardist Nanni Balestrini, für den intensive Auseinandersetzung, wie seine Biografie zeigt, zum Leben gehört, beschreibt in seinem Werk die Erlebnisse einer Gruppe von Hooligans die dem AC Milano huldigen. Realistisch erzählt er von den gemeinsamen Abenteuern, bezieht dabei tatsächliche Begebenheiten mit ein und beleuchtet das Schicksal von Einzelnen. Die Bühnenfassung, eine Anlehnung an das aristotelische Theater, von Silvia Stolz und Jochen Schölch folgt keiner dramatischen Sprachgestaltung sondern behält die Erzählstruktur bei, welche die Gewalttätigkeit der Inhalte deutlich hervortreten lässt.

"Unsere Gewalt befriedigt uns, denn sie dient keinem Zweck. Unsere Gewalt ist ziellos." Durch diese Aussage entlarvt sich die Dekadenz in der Zeit.

Der Wunsch nach Aufrechterhaltung archaischer Rituale ist es, der die Männer ans Spielfeld treibt, der sie in Clans um das moderne Totem, den Fußball, vereint und gemeinsam in lauten Chören den Namen des verehrten Clubs skandieren lässt. Wie in den Jägerkulturen finden sowohl Individualitäts- als auch Gruppenbildung über diesen Weg statt, und die Bedrohung durch den Feind schweißt die Männer zusammen. Das Faustrecht, die Macht des Stärkeren, lebt hier fort und hebt die komplizierten neuzeitlichen Gesellschaftsregeln auf. Sieger und Besiegte sind klar erkennbar. Die entstehende mächtige innere Spannung baut den Zwang zur Wiederholung auf, die in Tötungs- und Todesbereitschaft gipfelt. Die immer weiter reichende Unterdrückung und Ausgrenzung bestimmter Formen von Männlichkeit in dem allgemeinen gesellschaftlichen Kontext fördert die Aktivitäten in und um die Arenen. Der Fußball wird dabei zur Marginalie. Die scheinbar kontrollierten Vorgänge erfordern seit einiger Zeit Sperrgitter, sowie weitreichende Sicherheitsmaßnahmen. Ausschreitungen und eine Spirale der Gewalt sind an der Tagesordnung.
 
   
 

Christian Baumann, Atef Vogel, Felix Kuhn, Pablo Sprungala, Klaus Meile

© Hilda Lobinger

 

 

Das Bühnenbild mit Tribüne und Gitter, gestaltet von Hannes Neumaier, versetzte das Publikum direkt vor die Südkurve ins Auge des Sturms. Hier sangen, schrieen, jubelten, heulten und kämpften Martino, Tuffetto, Falco, Zigolo, Nibbio, Occhione, der kräftige Bubo, Picchio und sein kleiner Bruder Luì, durchweg im gesellschaftlichen Leben Gescheiterte. Sie rüttelten an den Gittern und trugen Kämpfe aus, die wie rituelle Tanzszenen wirkten, verdammt echt und überzeugend. Atef Vogel zeichnete für deren Choreographie verantwortlich. Die Darstellung der Schauspieler war durchwegs intensiv und hochkonzentriert, was zweifelsohne erheblich zur Steigerung des Geschehens beitrug. Mit dieser hohen Grundspannung schlugen sie die Zuschauer in Bann. Der Betrachter wurde unweigerlich in das mörderische Treiben hineingezogen und physisch berührt. Das war große Theatermagie bei beachtlicher schauspielerischer Leistung, besonders von den fünf Studenten des 2. Jahrgangs an der Münchner Theaterakademie.

In der Länge eines Fußballspiels (incl. Pause), eine Stunde und fünfundvierzig Minuten, ging es in einer authentischen Umsetzung um Gewalt und die damit verbundene Faszination, perfekt choreographiert und mit hoher Präzision vorgetragen. Die Inszenierung erzielte damit kathartische und zugleich ästhetisierende Wirkung. Ob sich dadurch etwas ändert an: "Im Felde allein ist der Mann noch was wert.", wie Friedrich Schiller in Wallenstein äußerte, bleibt zu hoffen und abzuwarten.


C.M.Meier

 

 


I Furiosi

nach Nanni Balestrini

Theaterfassung Silvia Stolz und Jochen Schölch

Klaus Meile, Christian Baumann, Atef Vogel, Felix Kuhn, Pablo Sprungala, Raffaele Bonazza, Tristan Seith, Philipp Moschitz, Sven Hussok

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Jesus von Texas nach dem Roman von DBC Pierre


 
 
Gott hat viele Söhne ...

und Kreuzigungen finden täglich statt, auf die eine oder andere Weise. Weil es keinen Gott gibt. Gäbe es Gott, würde dieser die Menschen hungern lassen, die Menschen leiden lassen? Wohl kaum. "Es gibt keinen Gott, nur das Rudel Menschen mit ihren Bedürfnissen, die kreuz und quer sich verbreiten", so der zum Tode verurteilte Lasalle zu Vernon Gregory Little vor seinem Weg ans Kreuz. "Gib ihnen wonach sie verlangen, mische mit ..."

Der Junge Vernon sitzt wie Lasalle in der Todeszelle eines amerikanischen Gefängnisses, wartet auf sein Ende. Der Zufall, ein menschliches Bedürfnis, die Rachegelüste der Stadtbewohner und die Sensationsgier der Medien hatten ihn dahin gebracht. Der Zufall: Der Lehrer sandte ihn mit einem Auftrag aus der Klasse. Ein menschliches Grundbedürfnis zwang ihn zu einem ungeplanten Aufenthalt. Als er zurückkam, hatte sein bester Freund sechzehn Mitschüler und zuletzt sich selbst erschossen. Die Menschen der Stadt Martirio in Texas brauchen einen Sündenbock. Die Medien stürzen sich auf den Fall. Vernon, sucht seinen Weg in dieser typisch amerikanischen Kleinstadt zwischen einer übereifrigen Debuty, einer verstörten Mutter, einem vorsätzlichen Betrüger und einem perversen Psychiater aufrecht wie die Helden der Western es taten. Einen Paradigmenwechsel, den der selbsternannte Fernsehmoderator Eulalio Ledesma vorschlägt, lehnt er ab. Erst im Angesicht seines Kreuzes beherzigt Gregory Vernon Little Lasalles Worte.

Für alle in der Geschichte bemühten Vorgänge und seien sie noch so absurd, gibt es Beispiele aus der Realität. Sie drängen sich geradezu auf. Massenmord in einer Schule, Sensationsgier, Macht der Medien, Vermarktung von Hinrichtungen ... dies alles unterliegt bereits auch einem gewissen Selbstverständnis. Es scheint, als würde die Gesellschaft auf diese, den Alltag der Bedeutungslosigkeit unterbrechenden Geschehnisse, nicht mehr verzichten wollen, sie ja geradezu heraufbeschwören. Tatsachen werden unter pragmatischen Gesichtpunkten verschoben, verbogen und "zurechtgerückt", um einen gewünschten Effekt zu erzielen - Paradigmenwechsel als Lebensprinzip. Das menschliche Dasein per se wird auf diese Weise ad absurdum geführt. Denn diese Denkungsart kann dazu führen, dass ein Unschuldiger hingerichtet wird, im nächsten Atemzug jedoch derselbe Unschuldige durch die Analyse von Fäkalien gerettet werden kann. Henry Miller wusste: "Amerika ist ein Albtraum mit Klimaanlage.", und DBC Pierre weiß dies auch.

DBC Pierre, alias Peter Warren Finlay, kann als weitgereister Mittvierziger auf ein vielfältig bewegtes Leben zurückblicken und es gibt wohl nur sehr wenige Erfahrungen, die in seinem Erlebnisspektrum fehlen. Sein Blick ist scharf, seine Darstellungsweise rebellisch, die Wiedergabe der Gesellschaft und der Charaktere gnadenlos. Konstantin Moreth, der für die Bühnenfassung des Romans verantwortlich zeichnet und Regie führte, verstand es ausgezeichnet, durch diese Vorgabe Theater im Stil von Tennesee Williams auf die Bühne zu bringen. Ihm gelang eine berückende psychologische Betrachtung der amerikanischen Gesellschaft.

Die Inszenierung lebte vom Einfallsreichtum des Regisseurs, einem das Mark treffenden Bühnenbild, Martirio Texas pur, überzeugenden sechs Schauspielern die ausnehmend glaubhaft neunundzwanzig Rollen verkörperten (einen hervorheben würde bedeuten die anderen zurückzusetzen) und last but not least einem souveränen Golo Euler als Vernon Gregory Little. Es gelang ihm, dem sensiblen fünfzehnjährigen Jungen stimmig Gestalt und in dessen Nöte dimensionalen Einblick zu geben. Die Poesie des Textes tat darüber hinaus Welten auf.

Geboten wurde eine realitätsnahe Geschichte ... sehenswertes Theater - vor allem für eine Gesellschaft die ganz gerne dem "Amerikanischen" huldigt.

 
 
C.M.Meier

 

 


Jesus von Texas

nach dem Roman von DBC Pierre

Bühnenfassung von Konstantin Moreth

Golo Euler, Susanne von Medvey, Stefan Lehnen, Barbara Lackermeier, Nadine Germann, Mathias Klie, Thomas Kollhoff

Regie: Konstantin Moreth