Metropol Theater Die Furien von von Dagmar Müller / Jochen Schölch / Alia Luque
Die Damentoilette als Beichtstuhl der Weiblichkeit
"Wenn Männer wüssten, was Frauen denken, wären sie noch viel kühner", bekannte einst Pablo Picasso. Und der kannte die Frauen, möchte man meinen. Doch über Jochen Schölchs Inszenierung von "Die Furien" hängt eine Prämisse wie ein Damoklesschwert: "Männer könnten alle Frauen gehabt haben, sie würden dennoch keine einzige verstehen." Vielleicht wählte Jochen Schölch diese Über-Schrift als Schutzbehauptung, um die Unmöglichkeit seines Unterfangens vorab zu entschuldigen. Zugegeben, diese Inszenierung weckt die Begehrlichkeit, einmal Mäuschen auf einer Damentoilette sein zu dürfen. Zugegeben auch, dass wir Männer nach Ansicht des Spektakels "so klug, als wie zuvor" sind, obwohl wir vielleicht mehr wissen.
"Die Furien" ist kein Drama im herkömmlichen Verständnis, sondern "ein musikalischer Theaterabend um das Phänomen Frau". Der war in thematische Blöcke eingeteilt, die von der Toilettenfrau, einer abgeklärten Überfrau, mit komisch-philosophischen Lehrsätzen eingeführt wurden. Der Zuschauer erlebte ein furioses Schlachtfest der Eitelkeiten, Dummheiten, Verschlagenheiten und, und, und. Den männlichen Betrachter erfasste angesichts dieser Vorgänge und selbst gestrickten "Wahrheiten" das blanke Entsetzen, und er verstand plötzlich seine permanente unterschwellige Angst vor dem fremden Geschlecht. Ja, sie ist berechtigt! Augenscheinlich ist der Mann der natürliche Feind der Frau, besteht nur aus Unzulänglichkeiten und wird als animalisch-niederes Wesen niemals die Chance haben, mit der Frau auf Augenhöhe verkehren zu können. Das weibliche Wesen hingegen ist erfüllt von Sadismus, Masochismus, Pessimismus, Narzissmus, Sentimentalität und so weiter. Und so lautet denn auch die letzte Quintessenz: "Neue Männer braucht das Land!"
Sie, verehrter Leser merken schon, dass es sich hier um eine groteske Überzeichnung handelt. Aber gerade diese Überzeichnung eröffnete dem Ensemble und dem Regisseur die Chance, einen ungebändigten Spieltrieb auszuleben.
Es handelte sich bei allen Figuren auf der Bühne immer um die Frau an sich, die hier in unterschiedlichsten psychischen, physischen und moralischen Ausdeutungen ihr Gesamtbild erfuhr. Vorgeführt, man kann es auch im denunziatorischen Sinne verstehen, wurde die Frau, deren Existenz einzig im Frausein besteht. Über keine der Figuren erfährt man auch nur ansatzweise etwas über ihre gesellschaftliche Determination. Das emotionale Verhältnis zwischen Mann und Frau und Frau und Frau war einziger Mittelpunkt. Mehr hätte den Rahmen des Anliegens vermutlich auch gesprengt und der Abend wäre nicht im Entferntesten zu dem geworden, was er war, ein überschwänglicher, entlarvender und fulminant heiterer.
In kurzen Szenenfolgen wurde ein großes Repertoire an alten und sehr alten Witzen theatralisch umgesetzt, die vom Bauarbeiterwitz bis zur Sprachpointe a la Woody Allen reichte. Das Niveau der erstzitierten Art von Witzen dominierte dabei, oder stach zumindest wegen der gelegentlichen erzeugten Peinlichkeit ins Auge. Der Mensch war einer ganzheitlichen Betrachtung unterworfen, d.h. auch der Bereich unter der Gürtellinie war legitimes Schlachtfeld. Jochen Schölch und seine Mitstreiterinnen machten den Film- und Fernsehmedien vor, wie man schlagkräftige Comedy inszeniert und dabei einen höheren Anspruch vorgaukelt. Dieser Anspruch definierte sich nicht unbedingt über die Inhalte, sondern über die schauspielerische Leistung und die künstlerischen Mittel, die den Regisseur einmal mehr als Meister qualifizierten. Der Zuschauer in Münchner Theatern bekommt heute nur selten die Gelegenheit, echte Magie auf der Bühne zu erleben. Und so ist die Szene des Entleerens einer kleinen Damenhandtasche im wahrsten Sinne ein zauberhaftes Kabinettstückchen.
Die musikalischen Einlagen hatten zudem einen ganz besonderen Reiz. Die Wahl fiel auf Schlager oder Songs, deren Wirkung zumeist auf hemmungsloses "Versaggern" (Jandl) in Sentimentalität beruht. Der Regie gelang es aber, genau diese Mechanismen der Lächerlichkeit preis zu geben, ohne aber den Reiz der Musik oder des Gesangs zu zerstören. Hier leisteten die Damen des Ensemble bemerkenswertes.
Jochen Schölchs Theaterkonzeption, und in seiner Person definiert sich auch das Konzept des Metropol Theaters, zielt auf Ensemblespiel. Stars gibt es nicht. Und so wäre es müßig, die Leistung jeder einzelnen Darstellerin zu beschreiben. Jede für sich bot bestes Schauspiel und ermöglichte so spritzige und überhaschungsreiche Szenenbilder. Das Zusammenspiel war nahezu perfekt, was eine dramaturgische Präzision schuf, die man heute eher selten zu sehen bekommt. Hier ist der Regisseur den von ihm betreuten Studenten der Theaterakademie ein exzellenter Lehrmeister!
Alles in allem ist es eine überaus gelungene Inszenierung, die in Bezug auf Frauen mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt und den so genannten "guten Geschmack" nicht immer bedient. Leider gibt es aber einen Haken, der jedoch nicht der Inszenierung angelastet werden kann. Das Metropol-Theater bewirbt die Aufführungen von "Die Furien" und "I Furiosi" in einem Atemzug. Wer beide Inszenierungen gesehen hat, wird bemerkt haben, dass sich das gelungene Bühnenbild von Hannes Neumeier aus "I Furiosi" hinter dem ebenfalls sehr gelungenen Bühnenbild in "Die Furien" verbirgt. Dieser Zungenschlag ist nicht besonders sinnreich, denn "I Furiosi" ist ein Stück mit existenziellem Charakter, während "Die Furien" eine komödiantische Bühnenshow ist. Beide in einen direkten Zusammenhang zu bringen bedeutet, die großartige kathartische Wirkung des Hooligan-Dramas zurück zu nehmen oder zumindest zu verwässern. Beide Inszenierung können nicht die zwei Seiten einer Medaille sein, denn es handelt sich um unterschiedliche Währungen.
Wolf Banitzki
Leichtes Spiel
von Dagmar Müller / Jochen Schölch / Alia Luque
nach einer Idee von Jochen Schölch
Lea Kohns, Helga Fellerer, Annika Ullmann, Susanne von Medvey, Lilly Forgàch, Franziska Beyer, Henriette Schmidt, Irina Ries/Katharina Hauter
Musikalische Begleitung: Friedrich Rauchbauer / Christoph Weber
Regie: Jochen Schölch |
Matropol Theater Der Elefantenmensch von Bernard Pomerance
Die "Freakshow" geht weiter …
Die Geschichte vom Elefantenmensch ist eine wahre. Sie war zudem eine noch dramatischere, als von David Lynch in seinem gleichnamigen Film (1980) oder im Theaterstück von Bernard Pomerance erzählt. Die horrible Begebenheit kann im Programmheft nachgelesen werden. Nur soviel: John Carey Merrick litt unter einer seltenen Mischung aus dem Proteus-Syndrom und Neurofibromatose. Diese Krankheit führte zu extremen Wucherungen und Entstellungen, die ihm die Titulation "Elefantenmensch" einbrachte. Merricks Lebensweg, der nur 28 Jahre lang war, führte ihn durch alle Höllen dieser Welt. Er war geschundenes Schauobjekt auf Jahrmärkten und gehätschelt in den feinen Salons der viktorianischen Ära. Der Arzt Dr. Treves nimmt Merrick aus medizinischem Interesse am London Hospital auf, um ihn zu studieren. Mit großem Erstaunen, und das ist der eigentlich Plot der Geschichte, stellt der Arzt fest, dass Merrick ein hochsensibles und intelligentes Wesen ist, das die Bibel kennt und sich an Shakespeares Texten labt. Merrick stirbt am 11. April 1890 nach seinem einzigen Theaterbesuch, als er seinem unstillbaren und selbstmörderischen Bedürfnis folgt, liegend zu schlafen.
Der Autor Bernard Pomerance, der mit diesem Stück Weltruhm erlangte, verzichtete weitestgehend auf die Ausstellung der Leiden Merricks. Sein Ziel war es, die Gesellschaft als unfähig zu entlarven, das "Andersartige", es handelt sich immerhin um ein menschliches Wesen, zu respektieren. Ob Merrick auf den Jahrmärkten angeekelt bestaunt, oder in den feinen Salons des viktorianischen Zeitalters gönnerhaft getätschelt wurde, immer handelte es sich um unmenschliche Sensationslust und Voyerismus. Warum also dieses Stück, fragt man sich, handelt es sich doch um eine Ausnahmeerscheinung. Bei genauerem Lesen des Programmheftes findet sich eine Fährte: "Merricks Skelett wird bis heute vom London Hospital aufbewahrt. Der US-Popstar Michael Jackson soll dem Krankenhaus 1986 eine Million Dollar für die sterblichen Überreste des Elefantenmenschen geboten haben." Ja, die "Freakshow" geht weiter, und genannter Popstar hat sich selbst zum Ausstellungsstück gemacht. Wer noch über ein natürliches Wahrnehmungsvermögen und ein natürliches moralisches Empfinden verfügt, der wird feststellen, dass die "Freakshow" ein wesentlicher und akzeptierter Bestandteil unserer Kultur geworden ist. Gil Mehmerts Inszenierung am Münchner Metropol Theater rückt diesen Gedanken dezent, aber mit Nachdruck in den Vordergrund.
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Tobias Beyer, Thorsten Krohn, Schirin Kazemi, Nathalie Schott Patrick Lammer, Konstantin Moreth
© Hilda Lobinger
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Das Stück, eine rasante Szenenfolge, spielt in einer angedeuteten Zirkusarena, für die Gil Mehmert und Gerit Jurda verantwortlich zeichneten. So wurden alle gesellschaftlichen Orte, ob Jahrmarkt, Krankenhaus, Theater, Vorstandszimmer oder Merricks letzte Zuflucht im hintersten Trakt des Hospitals zum Bestandteil theatralischer Ausdeutung. Die musizierenden Schauspieler erhoben viele Vorgänge durch schmissige Begleitung mittels "Circus Songs" (The Tiger Lillies) in den Stand von Attraktionen, was nicht selten starkes Unbehagen erzeugte.
Das Stück ist mehr als nur eine Herausforderung, denn es ist mit großen Risiken behaftet. Wie stellt man glaubhaft einen "Elefantenmenschen" dar? Regisseur Mehmerts Lösung war durchaus akzeptabel. Das Angesicht seines Merrick-Darstellers Konstantin Moreth war nur kurz von der Elefantenmann-Maske bedeckt. In dem Augenblick, in dem das menschliche Wesen sprechend sichtbar wurde, verschwand sie. Moreth spielte zwar immer noch eine entstellte Figur, aber sein sensibler Gesichtsausdruck und seine intensive Darstellung suggerierten glaubhaft die ungeheure Entstellung. Wie heißt es am Theater so treffend? Der König wird durch das Volk gespielt. So auch der "Elefantenmensch". Tobias Beyers stimmungsvolles und sehr präzises Spiel des Dr. Treves vervollkommnete das Bild vom vermeintlichen Monster um die menschliche Komponente. Der historische Treves war, wie seine Zeitgenossen, nicht frei von wissenschaftlichen und anderen Eitelkeiten. Doch die Inszenierung verlieh ihm überzeugend humanistische Züge. Am deutlichsten spiegelte Thorsten Krohn den Zwiespalt menschlichen Verhaltens angesichts einer so unerhörten Erscheinung. Als Klinikdirektor Carr Gomm spielte er alle Facetten des in seiner Stellung verhafteten Erfolgsmenschen. Mitgefühl und spekulative Erfolgssucht wechselten ebenso schnell, wie die rasanten Auf- und Abgänge der sieben Darsteller, die ein Vielzahl von Rollen zu bewältigen hatten.
Dem Metropol Theater ist es wieder einmal gelungen, eine sinnvolle Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die Zeitgeist durch starke emotionale Akzente entlarvt und überwindet. Vielleicht betrachten die Zuschauer dieser magischen Inszenierung die "normale" Medienwelt mit geschärftem Blick. Dann werden Sie nämlich entdecken, wie viel "Freakshow" im heutigen Alltag steckt.
Wolf Banitzki
Der Elefantenmensch
von Bernard Pomerance
Tobias Beyer, Schirin Kazemi, Thorsten Krohn, Patrick Lammer, Konstantin Moreth, Nathalie Schott
Regie: Gil Mehmert |