Pasinger Fabrik Salome von Oscar Wilde
Opfer des Begehrens
Oscar Wilde war Enfant terrible des ausgehenden 19. Jahrhunderts und doch nur einer von vielen. Seine Sehnsüchte und sein Gebaren führten dazu, dass die englische Gesellschaft ihn bestrafte, einschloss. In seinen Werke spiegelt sich die Diskrepanz zwischen Natur und Kultur, die Abgründe in denen sich die Gelüste und Einbildungen, sowie deren Eskalation, sammeln. Der Natur ist es egal, ob das eigene Kind oder ein anderes Tier zur Selbstbestätigung der Triebe dient, sie ist stets opportun. Allein die Gesetze der Menschen, welche im Zuge der Kultivierung und Zivilisierung entstanden sind, stellen die Regeln, denen zu folgen den Menschen vom Tier unterscheidet. Die Bibel ist eine der Urschriften des aufkommenden Patriarchats und ihre Geschichten, wie die Mythen der griechischen Antike, sind zeitlos. Ihre Interpretationen jedoch folgen den Veränderungen in den Zeiten und den moralischen Betrachtungsweisen. Als der Einakter von Wilde erschien, bewirkte der Inhalt einen Eklat. Heute ist er Alltag und als verbindendes Element wirkt die Dekadenz, welche in beiden Zeiten die gesellschaftlichen Höhepunkte setzt.
Salome, die Tochter der berechnenden Herodias, erwacht zur Frau. Sie erprobt, angeleitet durch das Verhalten der Mutter, ihre Wirkung an dem jungen Soldaten Narraboth, dem Wächter des Propheten Jochanaan, welcher in einer Zisterne gefangen sitzt. Salome, von dessen Stimme angezogen, umgarnt Narraboth um den Propheten zu sehen. Der Wächter vernachlässigt seine Pflicht und sucht anschließend den Tod. Auch der Stiefvater Herodes Antipas erfreut sich an dem schönen jungen Körper Salomes und ist bereit für einen Tanz sein Königreich zu geben. Doch die junge Frau begehrt Jochanaan, ... und sei es dessen Kopf in einer Silberschüssel.
Die Aufführung empfing die Zuschauer im Foyer und führte mit dem Vortrag des Chanson „Salome“ durch Ètienne Gillig direkt ins Bühnengeschehen. Es waren Wiedererkennungselemente aus Reality-Soaps, die den Stoff ins Heute übertrugen. Die taffe dominante Mutter, der zerrissene haltlose Stiefvater, die trotzig verwöhnte eigenwillige Göre – ein ganz normale Familie, die so tat, als ob alles nur Unterhaltung wäre. Im Hintergrund erschien der Prophet auf der Leinwand, der gefürchtete (gefeierte), allgegenwärtige und doch unerreichbare Star, Zielpunkt von unzählbaren Sehnsüchten, Projektionen und Illusionen. Er glich der Ikone Marylin Manson und eine Art von asketischer Heiligkeit (was nur zu gerne mit Liebe verwechselt wird) triefte unverkennbar aus dem Videobild. Die Träume der Teenager, gerichtet an Sterne des Selbstinzenierungshimmels, sind unerfüllbar, bleiben Träume. Die Realität folgt den alten, immer gleichen Mustern. Regisseurin Ilona Zindler setzte das Theaterstück als Psychogramm um, in dem die Mechanismen von Sehnsucht und Tod im Vordergrund standen. Gabriele Weller spielte eine von Gefühlen überfließende Salome. Jede Geste, jede Äußerung zeugte von der Kraft der Jugend. „Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan! ... aber du bist unerreichbar.!“ und ihre Finger zeichneten die Konturen des Gesichtes nach. Isabell Spitzner dagegen verkörperte die erfahrene, in allen Tricks und Launen bewanderte Herodias. Die Männer wissen lassen, dass man ihren Willen erfüllt und diese doch zum eignen Vorteil manipulieren, stand auf ihrer Fahne. Das glückt allemal. Ètienne Gillig war ein Unterdrückter, ein Unaufrechter unter Gesetz und Frau. Allein seinen Gelüsten zu frönen, schien ihn mit der Realität zu versöhnen, diese erträglich erscheinen zu lassen. Überzeugend gab der Schauspieler die Schwäche zu erkennen. Er wand und wand sich, seinem Eid zu entkommen und erst in der letzten Handlung, verschaffte er sich scheinbare Befreiung. Wie immer in der Geschichte war es der Anblick von Blut. Der „Tanz der sieben Schleier“ an diesem Abend hinterließ keinen nachhaltigen Eindruck. Das Regiekonzept verschenkte hier die Möglichkeit einzigartige Momente zu schaffen. Über nette und biedere Bewegungen kam die Choreografie nicht hinaus. Tanz, das ist ungleich mehr. Und gerade eben von dem Tanz der Geschlechter, dem Ausdruck des Lebenstriebes im Dasein, erzählt die biblische Geschichte.
Es ist das Unerreichbare, das fasziniert. Das Theaterstück, der Text vermittelt ebendiese Botschaft. Der Interpretation gelang dies nur in wenigen Momenten. Will Publikum wirklich sehen, was es kennt?
C.M.Meier
Salome
von Oscar Wilde
Étienne Gillig, Stan Holoubek, Isabell Spitzner, Gabriele Weller
Regie: Ilona Zindler
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Pasinger Fabrik Tiny Kushner von Tony Kushner
Welcome to Amerika?
Die Radikalität mit der Tony Kushner einige grundlegende Miseren anspricht, ist typisch für den Gesellschaftsgeist der Großmacht. Die künstlerische Konsequenz mit der Nikolai Bogdanov die vier Einakter – Tiny Kushner – auf die Kleine Bühne der Pasinger Fabrik brachte, liegt nicht zuletzt in seiner, von den Vorfahren geerbten, Ursprungskraft. Tony Kushner, geboren in Manhattan, verkörpert den intellektuellen kritischen amerikanischen Geist und wurde als solcher mit einer Vielzahl von Preisen bedacht. Nikolai Bogdanov, Muttersprache Russisch, erhielt seine Ausbildung an der Universität für Theater, Film und Fernsehen in Kiew. In der Aufführung, hier in München in der Mitte Europas, fanden Osten und Westen zu einem sinnbildhaften Zusammenwirken besonderer Qualität. Die ansprechend artifiziellen Bilder, die auf der Bühne entstanden, veranschaulichten wie längst durch die Öffnung der Grenzen, die neue Globalisierung – welche der Schmelztopf USA bereits seit drei Jahrhunderten widerspiegelt - Identität und kultureller Ursprung sich verlieren, vermischen, Mensch sich auf den Existenzgrund zurückgeworfen findet.
Weiße Luftballons besetzten die Stühle des Zuschauerraums ...
Die Show beherrscht eine Gesellschaft. Alles ist Show, wird zu Show gemacht, verkommt in eine Show. Drei weiße Plattformen hingen über der Bühne. Der Entertainer Dominik Fenster führte professionell über die Regieanweisungen an Geschehen und Ort. Auf dem Mond hatte die große mulittalentierte Lucia Pamela ihre letzte Platte aufgenommen und hier begegnete sie, bereits jenseitig, Geraldine, Königin von Albanien. Verena Puhm und Beate Pitronik führten höchst weiblich frisch vor Augen, wie aus gelebter Geschichte, aus tragischem Schicksal universelle Unterhaltung entstehen kann. Amerika: alles reine Fantasie und die Behauptung von Happy End ...
Hendryk kommt seit fünf Jahren zu Esther. Längst ist die Beziehung über das konventionelle Verhältnis hinaus gewachsen, zumal ihre Lebenshaltungen einander gleichen, sich bedingen, ja befördern – die lesbische Psychoanalytikerin und ihr schwuler Patient. Klaus Ebert verkörperte existentiell anrührend einen in sich gespaltenen uneinigen Mann, der sich in der Liebe seines Freundes sonnte, aber auch den Kontakt, den Sex mit Esther suchte. „Wir sind ambivalent.“ T.K. Beate Pritroniks Esther war eine rational fortschrittliche Figur, und hing doch verzweifelt ihrer Bestimmung an. Was nützt das Wissen „Jede Liebe ist Übertragung.“ T.K., wenn im Innern eine Lücke klafft. ... Homophonie, Homonymisch, Homophobie ... Homo - spielt mit der eigenen Seite – entwickelt bisweilen Angst vor der anderen Seite. Sei es in einer gegengeschlechtlichen Person, sei es wohl auch in sich selbst. Im Hintergrund schwebten zurückgenommen die Partner, Verena Puhm als Dymphna und Dominik Fenster als Billybock. Ohne Seele sind die Einpoligen, die in sich Spannungslosen, die in die Mitte der Gesellschaft drängen und diese zersetzen. Ein Schlüssel zum Zerfall liegt hier – so legte die Psychoanalytikerin Esther am Ende des Aktes Hendryk den Schlüssel mit der Botschaft „Bitte abschließen.“ an die Brust. Symbolisch ...
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Verena Puhm, Beate Pitronik, Klaus Ebert
© N.Bogdanov
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Was tun, wenn der Gesellschaftsvertrag nach Rousseau, auf den auch die amerikanische Verfassung aufbaut, nicht eingehalten wird? Das Spiel um Steuerhinterziehung und Steuertyrannei ist wohl von zeitloser Gültigkeit. „Man zahlt Steuern und wartet dann 27 Minuten auf die U-Bahn. Wozu zahlt man Steuern?“ T.K. In „Ostküstenode an Howard Jarvis“ brillierten Dominik Fenster und Verena Puhm in 13 verschiedenen Rollen. In kurzen Abständen wechselten sie nicht nur Kleidung und Habitus, sie wechselten auch in verschiedene sich doch differenziert unterscheidende Figuren. Nicht nur in diesen Szenen agierten Darstellung, Regie, Technik (Video: Lev Tyves / Bühne u. Kostüm: Kerstin Junge) und Stück (Dramaturgie: Konstanze Messing) auf hohem künstlerischem Niveau. Der Index tendenziell steigend. Es herrscht der oftmals erprobte Mechanismus der Aktien: „Wenn viele Menschen arbeiten, fallen die Kurse. Arbeiten wenige, dann steigen die Kurse.“ T.K. ...
Die fadenscheinigen – „fad“ im Sinne von langweilig und bedeutungslos, „scheinig“ im Sinne von mit einem falschen Heiligenschein versehen – Argumente der ehemaligen Präsidentengattin Laura Bush bildeten den Kern eines wohlfährigen Besuchs bei irakischen Kindern. Nur, es waren die Seelen der im Krieg gemetzelten Toten, die gekleidet in hübsche Schlafanzüge vor dem Himmel ausharren, auf Erlösung warten. Beate Pitronik spielte unauffällig differenziert eine scheinbar in sich gefestigte Person im öffentlichen Rampenlicht, welche sich des Nachts an ihrer Lieblingslektüre und den Worten des „Großinquisitor“ von Fjodor M. Dostojewski festhielt, welche somit über kein eigenes Gewissen verfügte und deren Mann ungesundem dumpfem Schlaf huldigte. Drei Engel begleiteten Laura Bush, ein guter, ein böser und ein blutiger. Sie schwebten im Hintergrund und flüsterten der Frau die entscheidenden Glaubenssätze zu. „Es ist doch egal, ob andere den Fehler auch machen.“ T.K. Welch eine klein bigotte Welt ...
Weiße Luftballons besetzten die Stühle des Zuschauerraums ... Gleich unschuldigen Seelen konnte das Publikum der facettenreichen, den Kern hervor stellenden, Inszenierung folgen und manche Erkenntnis aus den, mit spielerischer Leichtigkeit dargebotenen, Ausführungen ziehen. Die pointierten Texte Tony Kushners glänzten auch in der Übersetzung von Frank Heibert, sprachlich wie intellektuell. Traditionell geprägtes Theater as it’s best ...
C.M.Meier
Tiny Kushner
von Tony Kushner
Deutsch von Frank Heibert Dominik Fenster, Klaus Ebert, Verena Puhm, Beate Petronik
Regie: Nikolai Bogdanov |