Theater ... und so fort  Gottes Last von Heiko Dietz


 

Und die Moral von …

‚Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.' hat man dem Volksmund zu sagen gelernt, dieser wiederholt es, glaubt daran und überträgt den Satz von Generation zu Generation als gälte es Unsterblichkeit weiterzutragen. Über etwas zu sprechen ist eine Sache, darüber zu schweigen keine andere. Zudem ist obige Floskel nicht der einzige Satz, welcher zu Verhaltenslehre erhoben, die Tage füllt. „Mir sind die Hände gebunden.“, lässt Heiko Dietz den Kirchenobersten wiederholt äußern. Die Bilder des Kreuzweges Jesu zieren die Kirchenwände und wenn man diese nur oft genug betrachtete, dann brennen sie sich ins Gedächtnis ein.

Der menschliche Geist benötigt Lehren und Richtlinien, welche sein Unterbewusstsein prägen und das Bewusstsein leiten, möchte er - Mensch sein - also mehr als naturgemäße tierische Verhaltensweisen ausleben. Doch dies ausgerechnet an der Geschichte eines Mannes zu orientieren, kann ziemlich in die Irre führen. Und das geschieht offensichtlich immer noch, obwohl längst eine Weiterführung eben dieser Geschichte in eine humanistische Form stattgefunden hat. Bereits vor 500 Jahren wurde sie dem damaligen Wissenstand angeglichen und wird bis heute gepflegt. Der Wissensstand hat sich seitdem potenziert und immer noch klammert mancher dunkel an jahrtausendealten Legenden als Anhänger der Mitläufer, Mitdenker- fühler sucht. Dabei sind es die Gemütszustände und artikulierten Ideale die verbinden, was die Realität trennt.

Der Zufall, nicht die ‚Fäden in Gottes Hand‘ re- agieren, machen scheinbar das Schicksal aus. Wie Magnete ziehen die gesprochenen, gelebten Gedanken die Pendants an und führen zu gemeinsamen Erlebnissen, schreiben Geschichte. Und, wer das Leid anbetet, sich vor diesem auf die Knie wirft, darf sich gewiss sein, dass es ihn in seinen Kreis aufnimmt. Den Kreis des Leides, der um sich selbst rotiert, sich dadurch selbst bestätigt. Es ist die Legende um eine Rebellion, Auflehnung gegen etablierte Machtstruktur, die gewaltsam unterdrückt und exemplarisch an den Pranger, das Kreuz gebunden wurde.

  GottesLast AndreasWKohn  
 

Ensemble

© Andreas W. Kohn

 

Als Austragungsort für die Geschichte, mit einem Inhalt der nicht sein darf, wählte der Dramatiker Heiko Dietz eine Bahnstation im Nirgendwo. Der Zug der Zeit hält für einen überschaubaren Moment an, um einen erhellenden Blick auf das permanent im Schatten der Fassaden ablaufende Geschehen zu ermöglichen. In Dialogform lässt er die Standpunkte aufeinanderprallen und ihre scheinbare, ja sich bedingende Gegensätzlichkeit erkennbar werden. Die katholische Kirche und der von ihren Vertretern vollzogene sexuelle Missbrauch an Kindern steht im Fokus. Während der erste Teil die gestattete ritualisierte Alltagsrealität wiedergibt, so fällt im zweiten Teil der heile Schein den Taten, Fakten und Daten zum Opfer. Akribisch recherchiert, beklemmend realistisch umgesetzt und doch als Theaterstück mit einigen Facetten von Humor auf die Bühne gebracht, ist es Aufklärungsarbeit auf hohem Niveau.

Diese fand in der mit grauen Brettern ausgestalteten Bühnen-Bahnhofskneipe statt. Vor der langen Theke saßgrübelnd kommentierend schauspielernd Stammgast Peter, Heiko Dietz, der, beginnend vom frühesten Früher sprach und weiterhin gleich dem Regisseur, jeweils „einen Schnitt“ bestellte zum Ende jeder Szene. Mechthild (Yvonne Brosch), die Betreiberin der Wirtschaft füllte daraufhin sein Glas erneut, unterhielt sich auf intelligent zurückhaltende Weise mit ihm, wie auch mit den eintreffenden Gästen, stets den Überblick bewahrend und im Zweifelsfall der Uneinigkeit zwischen den Anwesenden großzügig eine Runde Fernet ausgebend. Wenn das nicht … Nachdem die Ansage aus dem Bahnhofslautsprecher die Fahrtunterbrechung kommentiert hatte, betraten das Kirchenquartett die Kneipe. Der junge Vikar, Robert Ludewig, den Arm geschient, mit Koffern beladen, trug erkennbar und hörbar noch weitere schwere Last. Pfarrer, Johannes Haag, auf Äußeres und Form bedacht, verkörperte ja geradezu konzentriert das propagierte gewünschte Erscheinungsbild. Da gab sich der Bischof, Konrad Adams, schon etwas beredt leutseeliger und umgänglicher. Während sich der Kardinal, Winfried Hübner, beim Kartenspiel hinter der Zeitung/Schrift versteckte und trotzdem jede Runde gewann. Wenn das nicht … Die Putzfrau, Waltraud Lederer, geisterte in ihrer Kittelschürze zwischen den Gästen, auf Reinlichkeit bedacht, hielt sie den Wischlappen wie die Weltsicht fest in der Hand. Und Sammi der Quergeist, Josef Parzefall, wusste auf jede Wendung eine kritisch kontroverse Frage zu stellen, eine ebensolche Antwort blitzschnell parat. Das „trink was“ der Wirtin, war da beschäftigend gemeint. Wenn das nicht … Das reisende Geschwisterpaar, Petra Wintersteller und Claus-Peter Damitz, trug in der roten Reisetasche nicht nur die Ratlosigkeit über die Reiseunterbrechung und das Problem einer Geburtstagsfeier in die graue Bühnen-Bahnhofskneipe. Wenn das nicht …
Die Darsteller boten eine unprätentiös ausgezeichnete Ensembleleistung, die jede Figur gleichermaßen in Licht und Schatten, Stärke und Schwäche vorführte. Allein die Mimik und Gestik während des zweiten Werkteils erzählte mehr über die Charaktere, als Beschreibungen vermögen. Eindringlich lebendig, das Schauspiel und ebenso bewegend.

Die Auseinandersetzung mit einem brisanten aufrührenden Thema ist keine leichte, doch für den Hausfrieden einer Gemeinschaft, Gesellschaft unerlässlich. Wohl, wenn diese faktisch korrekt und emotional ausgewogen von statten gehen kann. Der versöhnende Rausch mit dem der Zuschauer das Theater verließ, der „…geht auf’s Haus“ und damit auf das außerordentliche Stück und die künstlerisch brillante Inszenierung.

C.M.Meier

 

Nachsatz:

Während ein Rausch, den das Leben bisweilen aufkommen lässt, wenn Körper zuviel eines Stoffes produzieren und ausschütten, wie beispielsweise zuviel euphorische Allmachtsfantasie den Schein von Heiligkeit verbreitet - dabei Wasser in Essig verwandelt - eine Reaktion der Schöpfung ist. Damit gilt es achtsam umzugehen …


Gottes Last

von Heiko Dietz

Yvonne Brosch, Heiko Dietz, Waltraud Lederer, Konrad Adams, Winfried Hübner, Johannes Haag, Robert Ludewig, Claus-Peter Damitz, Petra Wintersteller, Josef Parzefall

Regie: Heiko Dietz

 

Theater ... und so fort  Es war die Lerche von Ephrahim Kishon


 

 

 

Es lebe die Liebe

 

„Wo sind meine Socken? ... Santa Madonna ...“ Mit dieser Frage ging es unmittelbar ins heitere Eheleben des wohl bekanntesten Liebespaares der Geschichte. Romeo und Julia. Der geniale Gedanke des großen William Shakespeare das Verliebtsein mit dem Tod zu krönen, wurde von dem nicht minder genialen Ephrahim Kishon in einem heiteren Trauerspiel ausgesetzt. Seine Julia erwachte eine Minute bevor Romeo den Becher mit dem Gift leeren konnte ... sie fielen einander in die Arme, die reichen Veroneser Familien Montague und Capulet verstießen ihre Kinder, der Franziskanerpater segnete den Bund der Liebe, die Hochzeitsnacht blieb Beiden im Gedächtnis, ein Ballettlehrer und eine Hausfrau fristeten ihr Dasein im Italien des 17. Jahrhunderts ...

 

In einem schäbigen Zimmer erwachte Romeo, streckte ein, in einer spitzenverzierten Hose steckendes Bein aus dem schmalen Bett. Neben ihm lag Julia, auf dem Kopf eine wundervolle Perücke gespickt mit Lockenwicklern. Die perfekte Idylle war stilgetreu gestaltet worden und sofort kam überzeugend echte Atmosphäre auf. Romeo erhob sich, im Arm seine Lisa, seine Wärmeflasche. Nun, das Eheleben ist ein hartes Los und der Alltag erfordert volle Konzentration. „Willst du frühstücken?“ ... „Ja. Kaffee. Heiß.“  Sonja Reichelt als Julia und Wolfgang Haas als Romeo erspielten geradezu inspiriert ein völlig in ihr Dasein verstricktes Ehepaar. Vom zarten Geflüster bis zur gehässigen Bemerkung, vom vertrauten Geplänkel bis zur Trennungsabsicht. Nichts, was eine Ehe abwechslungsreich gestaltet, wurde ausgelassen. Die Krönung der Liebe, die Tochter Lukretia, eine pubertierende 14jährige, galt es anzuhalten ihre Hausaufgaben zu machen. Alles ganz wie im richtigen Leben. Ganz sicher kein Klamauk ... Und genau das, das ließ Shakespeare keine Ruhe. Erst drehte er sich nur in der Kiste, doch dann zwang ihn sein Geist nach dem Rechten zu sehen. Er erschien auf der Bühne. Sebastian Sash, alias William Shakespeare, bildete in seiner feinen Haltung und der gewählten sprachlichen Ausdrucksweise einen unübersehbaren Kontrast zu dem bodenständig deftigen Paar. Ja, die hohe Kunst, der auch der Ballettlehrer Romeo mit femininem Touch anzuhängen trachtete, die hohe Kunst, sie forderte ihre Opfer. Ein unterhaltsames Spannungsfeld zwischen der kunstvollen Sprache der Schlegel-Tieck Übersetzung und Originalzitaten, der für die Rolle des William von Kishon angepassten Sprechweise an den Originaltext und der doch recht volksnahen Ausdrucksweise von Romeo und Julia tat sich auf. Doch damit keineswegs genug, es musste auch noch das offensichtlich entglittene Schicksal des Liebespaares gerettet werden ... Alles (k)ein Spaß!

 

Und am Ende, am Ende wäre alles gut gelaufen, wären nur William und Lukretia einander nie begegnet. Luki und Willie, sie zogen in die Welt ... auf der Suche nach Liebe ... Wer ihnen wohl das Schicksal vorrausschreiben wird?

 

 

C.M.Meier

 

 

 

 

 


Es war die Lerche

von Ephrahim Kishon

Ein heiteres Trauerspiel mit Musik in zwei Teilen

 

Sonja Reichelt, Wolfgang Haas, Sebastian Sash

 

Regie: Heiko Dietz

Theater ... und so fort  Gretchen 89ff. von Lutz Hübner


 

 

 

 
„Das ist wohl alles schön und gut

 

Allein man läßt’s auch alles sein; man lobt euch ...“ keineswegs mit halber, nein mit voller Begeisterung und vergibt durchaus goldene Sterne an Schauspieler und Regie, Regie und Schauspieler des Ateliertheater München für die Inszenierung von „Gretchen 89ff.“. Diese führte gemütvoll die Liebe zum Theater auf den Boden der Tatsachen zurück und begegnete dem allgegenwärtigen Pathos mit einer Portion gesundem Humor. Publikum was willst du mehr?!

 

Johann Wolfgang von Goethe (Titelzitat) entwickelte „Faust“ um die Wende des 19. Jahrhunderts und seit der Uraufführung im Jahre 1829  auf der Bühne des alten Opernhauses in Braunschweig gab es wohl tausende Aufführungen des Werkes. Jede dem zeitlosen Anliegen huldigend und jede in ihrer Zeit verhaftet. Der Zeremonie des Inszenierens liegt die Wechselwirkung zwischen Regie und Schauspielern, Schauspielern und Regie zugrunde. Der Text gleicht dem Fels, dem Fels der in einem künstlerischen Akt zum theatralen Monument geformt wird. Und, dass sich in einem solchen Akt eine Fülle von Gedanken und Gefühlen breit machen, sich aufplustern, sich erheben, sich eitel sonnen, sich aufreiben, ist wohl selbstredend. Selbstredend. Unzählbar viele Gretchen standen auf Bühnen und alle, alle versuchten sich in der Kästchenszene – Seite 89 und folgende. Und, dass die Szene, diese Szene jemals den Inhalt einer brilliant amüsanten Komödie bilden würde, haben sich sicherlich weder Goethe noch Darsteller, weder Regisseure noch Goethe jemals träumen lassen.

 

Lutz Hübner schrieb die amüsante Komödie „Gretchen 89ff.“ welche 1997 in der Baracke am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde.

 

„Es ist so schwül, so dumpfig hie ..“ beginnt Goethes Gretchen und dieser Satz drückt wie kaum ein anderer die Befindlichkeit in der Gesellschaft auch im Juni 2013 aus. Die Zielsicherheit mit welcher Hübner gerade diese Szene auswählte, zeugt von klarem Geist und unbestechlichem Fingerspitzengefühl.  Es ist bedrückend und erhellend zugleich, der tragische Hintergrund einer bis ins Lächerliche überspitzten Eigenschaft – Ergriffenheit. Ergriffenheit von ... „Was ist das? Gott im Himmel! Schau ... Ein Schmuck!“ Das Pathos mit dem in der Gesellschaft dem Gott, dem Gold gehuldigt wird, sucht wohl seinesgleichen in der Welt und wird es wohl kaum finden. Zu ernst nimmt man das Spiel. Bester Stoff für humorvolle Unterhaltung, der hier doch nur im Hintergrund schwelt.

 
  Gretchen  
 

Daniela Voß, Uwe Kosubek

© Ateliertheater

 

 

Denn im Vordergrund stehen die neun kurzweiligen Szenen, in welchen auf die unterschiedlichsten Charakterkonstellationen eingegangen wird, die exemplarisch am Theater zur Interpretation von Geschehen beitragen. Welten tun sich auf: Ob Gretchen nun mehr für den Mann Faust entbrennt, oder doch eher für die Ohrringe liegt in der Intention des, doch stets auch faustschisch agierenden Regisseurs und/oder dem Gretchen in jeder Schauspielerin, in jeder Diva. Die Darstellung der vielen möglichen, zutiefst menschlichen, lokale Grenzen überwindenden Facetten geriet zum ergreifenden Spiel, Schauspiel. „Wenn man’s im Blut hat, spielt es sich von allein.“, so der Autor. Daniela Voß und Uwe Kosubek, Uwe Kosubek und Daniela Voß erspielten in der Regie von Marion Niederländer, in kleinen Gesten auf mustergültige Professionalität bedacht, eine Fülle höchst erheiternder Augenblicke. Mögen diese ihren angemessenen Platz in der Geschichte um Gretchen und Faust einnehmen.

 

„Hoffentlich spielen sie es, so wie es ist.“, schrieb Lutz Hübner an den Beginn seines Stückes und die Künstler des Ateliertheater München taten dies, fraglos.

 

 

 

C.M.Meier

 

 

 

 


Gretchen 89ff.

von Lutz Hübner

 

Daniela Voß, Uwe Kosubek

Regie: Marion Niederländer

Theater ... und so fort  Die Eisvögel von Tine Rahel Völcker


 

 

 

Der unsichtbare Frost

 

hat längst die Gesellschaft durchdrungen, ist Normalität geworden. Auf allen Ebenen im menschlichen Miteinander greift die Kälte um sich und viele sind bereits erstarrt. Gleichzeitig schmilzt das Eis der Polkappen der Erde und jahrhundertealtes Gleichgewicht gerät in Auflösung. Es ist ein Prozess, der einmal angestoßen, unaufhaltsam voranschreitet. Und da in einem geschlossenen System nichts verloren geht, findet wohl nur die Verlagerung des Bildes statt. Noch kreisen einige Vögel über dem Eis. Sie rufen, schreien ...

 

Es ist später Herbst und noch kein Eis auf dem See. Karl begegnet bei einem Spaziergang Josi und nimmt diese mit in sein perfekt arrangiertes Leben mit Eva. Doch wer ist Josi? Ist sie eine reale Person mit Eigenleben oder ist sie vielmehr nur wirklich anwesend, ein Schatten?  

 

Im Stück „Die Eisvögel“ von Tina Rahel Völcker sind es zwei junge Menschen, ein Ehepaar das sich in seiner Abgeschiedenheit zu Harmonie verbunden hat. Glück und Zufriedenheit in einem persönlich hohen Maß soll hier herrschen. Doch was ist Glück, was Zufriedenheit? Ein möglichst reibungsloser Alltag? Ein hoher Anteil an sogenannter persönlicher Freiheit, die letztlich nur einem modischen Gesellschaftsbild folgt? Fordert dies nicht auch, die doch oft sehr spontanen Emotionen auf Eis zu legen? Tine Rahel Völcker ist Absolventin des Studienganges Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin. Ihr Werk ist vor allem eine Erzählung der Umstände, der Auffassungen ihrer Figuren und gipfelt in Ansätzen von Dialogen vor allem dann, wenn der einzelne an seine Grenzen stößt, hilflos sich selbst ausgeliefert auf dem See der Gefühle treibt. An diesen Stellen kam Lebendigkeit in Form von Exzess auf, es mutete wie das verzweifelte Aufbäumen vor der völligen Erstarrung an. Während Karl seine Aufmerksamkeit mit Frust und schlechtem Gewissen in seine Arbeit investierte, so eskalierte es in Eva, richtete sich die ohnmächtige Aggression gegen Josi. Gegen ihre eigene Art?

 

Josi, das Bild des unterdrückten Weiblichen. Eva, das Bild der in den Prozess integrierten Egalen. Karl, der in Angepasstheit und Funktionalität vegetierende. Nur in wenigen Augenblicken ließ Karl seine männliche Kraft durchscheinen. Nie wirkte dies aufdringlich oder gar herrisch. Die Flucht in den Wald, war seine Strategie. Ein Mann, kein Mann, der neue Mann?

 

Sie wahren die Form, welche ihnen auch gesellschaftlich zugesprochen wird und in die sie sich eingefunden haben. Doch sind es wirklich lebendige und damit vielseitige Menschen? Die coole Erzählung konnte jeweils auch ein gepostetes Statement in einem der virtuellen Netzwerke sein. Gefühle? Was ist das? Josi blieb eine Rätselhafte. Linda Hummrich ließ in ihrem coolen Spiel ansatzweise Gefühle zu, äußerte sensibel verdeckt ihr Empfinden. Sie rief eben dieses in Karl und Eva hervor. Während sich die Auseinandersetzung zwischen den Dreien zuspitzte, kam der Winter auf, der See bedeckte sich mit einer dicken Eisfläche. Eva wurde von Pia Kolb als selbstbewusste, scheinbar selbstbewusste junge Frau gegeben, deren äußerliches Gleichgewicht dennoch als fragil durchschien. Der coole Schein war es, den es zu wahren galt – um jeden Preis. Eine schauspielerische Herausforderung, die das ganze Ensemble meisterte und die es als verschworenen Gemeinschaft erkennbar machte.  Die coolen Mitdreißiger – Die Eisvögel. Versiert wechselten sie auf der von Heinz Konrad mit Plattformen, die Zimmer des Hauses vorstellend, gegliederten Bühne die Ebenen, die verschiedenen Lebensräume. Stefan Voglhuber verkörpterte einen über allem stehenden Karl. Anfangs definierte er genau, welche Faktoren dieses „Karl-Sein“ ausmachten. Nie fiel er, im Gegensatz zu Eva aus seiner Rolle. „Ich würde alles nicht so ernst nehmen. ...“ . sagte er, ohne auffällig erkennbare Lebendigkeit.  

 

Ein Leben jenseits des Lebens. Die Wahrnehmung auf dem Funktionalen befördert die eigene Funktionalität. Ein mechanischer Kreislauf. Eine alte Volksweisheit besagt: Der Mensch ist das Produkt seiner Umgebung. Der Spiegel des ihn umgebenden. Sind die Eisvögel nicht aber auch die letzten Gefühle, welche nach Freiheit streben und dann doch in der Kälte der mechanisierten Gesellschaft untergehen?

 

Einen Platz fanden diese jedenfalls noch im Theater ... und so fort. Lebendiger Austausch zwischen Jungschauspielern, Regie und Publikum rief im Miteinander eine überaus erhellende Atmosphäre hervor. Der Inszenierung gelang es das Eis zu brechen.

 

 

C.M.Meier

 

 

 

 


Die Eisvögel

von Tine Rahel Völckerr

 

Linda Hummrich, Pia Kolb, Stefan Voglhuber

Regie: Heiko Dietz

Theater ... und so fort  UA Bitte zurückbleiben! von Heiko Dietz


 

 


Im Sonderzug durch die Wirklichkeit

 

„Bitte zurückbleiben ... bitte zurückbleiben ... bitte ... bitte ... bitte.“ An diesem Wort, Bitte, blieb das Band der Ansage hängen. Die Zeiger der Bahnhofsuhr standen auf fünf vor zwölf. Sie tun dies täglich zwei Mal und wäre dieses Bild nicht die bekannte, in der Gemeinschaft verbreitete Metapher für einen besorgniserregenden Zustand, so wäre es lediglich ein automatischer Vorgang, an sich bedeutungslos, ebenso bedeutungslos wie das abgenutzte Wort „Bitte“ in den mechanisch freundlichen Floskeln.

 

Auf dem Bahnsteig eines Vorortes harren Menschen der Verbindung zur Stadt. Zwei Bänke, ein Abfalleimer, eine Uhr, dahinter wild wuchernde Natur. Ein Wartender verbringt hier seine Lebenszeit, ein Pärchen verträgt sich und schlägt sich, eine junge Frau öffnet sich einem personifizierten Schatten, eine Therapeutin lauert pflichtbewusst zu Hilfestellung, ein Priester und eine Anwältin sind auf dem Weg zu einem Gerichtstermin. Was aussieht wie die alltägliche Momentaufnahme an einem normalen Bahnhof entpuppt sich als Vorhölle. Die Begegnungen legen nach und nach die Abgründe, Wirklichkeiten frei in denen die Protagonisten gefangen sind. Doch was ist real, was ist fiktiv? Wer ist noch real, wer wirklich? Fährt der nächste Zug nun von Bahnsteig A, oder doch von Bahnsteig B? Der Autor Heiko Dietz verflicht in dem Theaterstück sehr geschickt die Ebenen von verschiedenen Wahrnehmungen und rollt die Geschehnisse gleich einer Zeitschleife vor oder zurück. War der Anfang schon das Ende, oder erst das Ende das Ende? Der Regisseur Heiko Dietz nahm das Publikum mit auf diese Reise, ließ die Uhr rückwärts laufen, spulte im Hintergrund hörbar einen Film. Vor oder zurück? Jedenfalls fesselte er die Aufmerksamkeit und ließ nach und nach ein spannendes Bild erstehen, welches jeder Zuschauer am Ende selbst ins Schwarz der dunklen Bühne projizierte. Mehr sei nicht beschrieben, um der sehenswerten Inszenierung die Dramatik zu erhalten.

 

Das Ensemble bot gleichermaßen ausgewogene künstlerische Darstellung in ausnehmend charakteristischen Figuren. Das Ehepaar Sacha Holzheimer und Christian Buse agierten standesbewusst zwischen Wasser- und Bierflasche, die Therapeutin gab Julia Kunze in jedem Augenblick auftragsorientiert, martialisch undurchschaubar wirkte dagegen der Fremde Sebastian Krawzcynski, klar und ordentlich strukturiert die Anwältin Christa Pillmann. Der Betreuerin Sarah Dorsel war die Überforderung durch den behinderten, realistisch überzeichnenden Florian Weber deutlich anzumerken. Ein vertrauliches Gespräch entwickelten die resignierende Frau Sarah Schuchardt und die abgeklärt erscheinende Noelle Cartier van Dissel. Bodenständig als der Wartende führte Winfried Hübner eine philosophische Grundsatzdiskussion mit dem stets um Vermittlung bemühten Priester Konrad Adams. Dessen Credo: „Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand.“

 
  bittezurueckbleiben  
 

Winfried Hübner, Noelle Cartier van Dissel

© Gerald Huber

 

 

Die Hand Gottes hängt manchmal ganz schön tief, oder hängten die, die Glaubenssätze verwaltenden Bürokraten diese unter den natürlichen Abgrund, um dem Gesetz der Schuld noch ausreichend Platz einzuräumen? Die Deklarierung von Schuld, mit deren Hilfe Leid und Drangsal verstärkt, ja geradezu höllentief verfinstert werden können. Als träfen die persönlichen Handlungen wider das eigene Wissen, Gewissen, der Verlust eines nahestehenden, geliebten Menschen nicht schon hart genug, findet auch noch Ächtung statt. Da hilft nur der körperliche Tod. Endstation. Nur er wird als Befreiung missverstanden. Von Erlösung keine Spur, denn die schuldbeladenen Geister treiben sich nach wie vor auf den Bahnhöfen und den Geleisen der Denkmatrix herum, um immer neue „Unfälle“ zu verursachen und sich mit Leidensgenossen zu treffen.

 

Es kann die Aufführung, 2000 Jahre nach der Dogmatisierung der christlichen Gedanken, durchaus als Hinweis verstanden werden, den Platz des Zuschauers einzunehmen und die abgenutzten Glaubenssätze zu erkennen, hinterfragen, überprüfen. Auf den Schienen dieses Denkens in der Zeit hin und her zu reisen, um endlich die Endstation zu verlassen und die Regeln anders zu definieren. Das Stück zeigt, wie verflochten Denken und Handlung der Menschen doch mit den Vorstellungen der Altväter der Kirche sind. In deren Sätzen ist die Erde nach wie vor eine Scheibe mit der Größe eines Tellerrandes und der Andersgläubige das verdammenswerte Böse, welches letztlich nur dazu dient das eigene Gutsein zu bestätigen. Diese Behauptungen könnten „Bitte zurückbleiben!“ in der Vergangenheit, dem Tod des Vergessens anheim fallen, um einer neuen Welt den Weg frei zu machen. Einer Welt jenseits dieser ehernen abgenutzten Denkschienen.

 

Heiko Dietz verfasste „Eine unerfreuliche Komödie“, die in Andeutungen und humorvollen Wendungen ein in sich geschlossenes entlarvendes Sittenbild erstehen ließ. Aufschlussreich und amüsant unterhielt die aktuelle Inszenierung die Mitfahrenden im Theater ... und so fort

 

 

 

C.M.Meier

 

 

 

 


UA Bitte zurückbleiben!

von Heiko Dietz

 

Noelle Cartier van Dissel, Sarah Schuchardt, Heiko Dietz, Konrad Adams, Christa Pillmann, Julia Kunze, Sarah Dorsel/Mira Huber, Florian Weber, Sebastian Krawzcynski, Winfried Hübner, Sacha Holzheimer, Christian Buse

Regie: Heiko Dietz

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