Theater Haus der Kunst Gesellschaft von Samuel Beckett
Einer liegt im Dunkel auf dem Rücken, reglos. Sein Geist ist nicht sonderlich rege und darum braucht es seine Zeit, ehe er die Stimme akzeptieren kann, die ihn einholt, mal von oben, mal von links oder recht, nein, nicht von unten. Diese Stimme erinnert ihn an seine Geburt, einen Heimweg mit der Mutter, einen Spaziergang mit dem Vater, an einen zu Brei verfaulten Igel. Es werden Schritte gezählt, akribisch, und summiert. Ob sie für einen Erdumrundung reichen? Dann erwartet er Sie in dam ländliche Hexaeder, in dem er mit dem Vater das Glucksen geübt hat. Das ist die Blütezeit des Lebens gewesen. Als sie endlich erscheint, hat er inzwischen errechnet, dass es siebenhundert Millionen Herzschläge bedurfte bis zu diesem Augenblick. So einfache wie sinnlose Rechenaufgaben hatten ihm das Überleben gesichert.
Wer ist die Person dort auf dem Rücken im Dunkeln der der Stimme nachlauscht? "Der Hörer heißt H. Ha, Du liegst auf dem Rücken im Dunkeln." H. zieht es vor, nur Hörer zu sein. Namenlos. Und wer ist die Stimme? Er selbst, H. Die Stimme ist erträumt, um ein wenig Gesellschaft zu haben. Zögerliche Versuche, ein wenig mehr Gesellschaft zu schaffen, beispielsweise durch eine seit längerem tote Ratte oder durch eine arglose Fliege, werden zügig wieder unterbunden, müsste man die Fliege etwa durch eine Handbewegung verscheuchen. Nein, H. bleibt doch lieber im Dunkeln auf dem Rücken liegen.
Die Stimme erzählt vom letzten Ausgang und den Schwierigkeiten: "Du siehst dich selbst bei diesem letzten Aufbruch mit geschlossenen Augen an der Tür lehnend darauf warten, dass du dich gehen lässt." Wenn am Ende die Stimme zu verstummen beginnt, die Wörter ersterben, ist eine Fabel erzählt: "Die Fabel von einem, der von einem anderen mit dir im Dunkel fabuliert. Und wie viel besser am Ende verlorene Müh` und Schweigen. Und du wie eh und je. … Allein."
Stefan Hunstein, Ulrich Diehl © Thomas Dashuber |
Um Beckett zu verstehen, muss man sich auf seine Werke ohne Vorbehalte, ohne Anspruch und ohne Distanz einlassen. Dann offenbart sich im Gefühl das Letzte, nämlich, dass der Mensch ein verlorenes Einzelwesen ist. H. erträumt sich eine Stimme, die ihn noch einmal zu einem gesellschaftlichen Wesen werden lässt. Doch diese Gesellschaft ist eine Täuschung und darum ist der Versuch nicht von Erfolg gekrönt.. Selbst die Geschichten, die aus dem Dunkel, in dem er auf dem Rücken liegt, aufsteigen, stellen nichts dar, was das Leben als Leben kennzeichnen würde. Becketts Geschichte richtig erzählt, erschüttert den Zuschauer oder Zuhörer bis ins Mark und paralysiert ihn in (kurzzeitiger) Erschütterung. Geschehen ist dies im Haus der Kunst. Wie gut, dass dieses Haus große Türen hat.
Stefan Hunstein bearbeitete den dreißigseitigen Prosatext und schuf eine Monologfassung, die gradlinig und ohne jegliche Interpretationsversuche eine Atmosphäre erzeugte, in der die Stille, das Nichts des Verlorenseins erbarmungslos Raum griff. Allein für die Aufarbeitung des Textes muss ihm uneingeschränkter Respekt gezollt werden. Nicht weniger Anerkennung gebührt ihm für die szenische Umsetzung. Das Bühnenbild ist einer Beschreibung der Stimme entlehnt: "Form und Ausdehnung des Ortes werden durch die ferne Stimme angedeutet, (die ) … von oben als auch von allen Seiten und aus allen Ebenen … nie von unten (erschallt). Was nahelegt, daß einer mit dem Kopf in der Mitte einer geräumigen Rotunde auf dem Rücken liegt. … Und das Material? … Verlockend wäre Basalt. Schwarzer Basalt." Um diese schwarze Rotunde hat Bühnenbildner Peter Schulze vier Monitorsäulen platziert. Die Rückwand der Spielfläche fungiert gleichsam als Projektionsfläche.
Einige in Schwarz gewandete Personen trugen den Hörer herein und legen ihn auf der beschriebenen Rotunde ab, wo er mit einer kurzen Unterbrechung beinahe reglos die 75 Minuten verharrt. In Ulrich Diehl hatte Stefan Hunstein sein Ebenbild gefunden, so dass die Illusion, Hörer und Stimme seien eine Person, perfekt gelang. Darsteller Hunstein jonglierte die Beckettschen Texte mit unglaublicher Leichtigkeit, multiplizierte sich selbst medial, korrespondierte mit seinem Ebenbild auf den Monitoren und erzeugt damit den Witz, den Beckett forderte: Gehe bis zum Äußersten, dann entsteht Lachen.
Stefan Hunstein schuf die kongeniale Umsetzung eines Textes, der nicht einmal ein dramatischer ist. Er folgte dabei uneingeschränkt den Prämissen Becketts, die dieser für die Bühne vorgab und die er selbst in Inszenierungen wie "He Joe" oder "Quadrat" praktisch umsetzte. Jeder Versuch einer Interpretation des Textes führt zu dessen Zerstörung. Die Inszenierung im Haus der Kunst unterstrich diese Forderung. Dank Stefan Hunstein konnte der Zuschauer das Unglaubliche miterleben, nämlich wie der scheinbar irrationale Becketttext sinnlich erfahrbar und verständlich wurde.
Zur Wahl des Textes und zum Sinn dieser Inszenierung bleiben keine Fragen offen. Was Beckett im Entstehungsjahr von "Gesellschaft" 1979 bereits fühlte und wusste, ist heute Gewissheit geworden. Der moderne bürgerliche Mensch ist asozial, vereinzelt, zutiefst vereinsamt und darum auch agonisch. Darüber kann auch der ziellose Aktionismus nicht hinwegtäuschen, der inhaltslos und dem menschlichen Wesen zutiefst entfremdet ist. H. hat sich diesen Aktionismus letztlich versagt, wusste er doch um die Sinnlosigkeit.
Gesellschaft
von Samuel Beckett
Stefan Hunstein, Ulrich Diehl Regie und Konzeption: Stefan Hunstein |