Theater Haus der Kunst Die Frau von früher von Roland Schimmepfennig


 

 

 
Der Mensch taugt nicht für den Schwur

Es ist ein dramatisches Konstrukt, das Stück von Roland Schimmelpfennig, und dennoch ist es nicht lebensfremd. Es lotet eine Realität aus, der wir uns nur selten oder gar nicht stellen, und somit ist es eine philosophische Hinterfragung einer Alltäglichkeit. Es ist ein sinnvolles Unterfangen, daran lässt die Inszenierung im Haus der Kunst keinen Zweifel.

Frank und Claudia, seit neunzehn Jahren miteinander verheiratet, packen. Sie haben einen gemeinsamen Lebensabschnitt beendet und planen den Aufbruch, den Neuanfang in einem fernen Land. Sohn Andi muss sich fügen, zähneknirschend, denn er muss eine Liebe aufgeben, Tina. Pragmatisch fügt er sich, nicht ohne Tina gegen alle Vernunft seiner ewigen Liebe zu versichern. Er weiß, sie werden sich nie wieder sehen. Unvermittelt steht Romy, die Frau von früher, mit strahlendem Antlitz in der Tür und erinnert Frank an seinen Liebesschwur, der zwar schon vierundzwanzig Jahre zurück liegt, für sie aber uneingeschränkt gültig ist. Die Situation ist grotesk, wird aber schnell für alle Beteiligten zum Alptraum, als deutlich wird, dass Romy es ernst meint. Frank und Claudia haben, wie es scheint, eine harmonische Ehe geführt. Oder ist ihre Liebe während der Mühen in den Ebenen auf der Strecke geblieben? Gibt es sie überhaupt noch? Zweifel sind angebracht und werden für einen Augenblick zur Sicherheit, als Frank sich entschließt, Romy zu folgen. Doch sie verlangt mehr, nämlich die Auslöschung der vierundzwanzig Jahre des getrennt Seins. An diesem Punkt entfaltet sich die Tragödie, eine blutige, die auf Anleihen aus der griechischen Mythologie nicht verzichtet. Schimmelpfennig gelingt dieser Brückenschlag zwischen Bildzeitungsberichterstattung über Familienmord und Geschichten wie der von Jason und Medea. Die menschlichen Grundkonflikte sind noch gültig in der heutigen Welt, auch wenn die Arrangements und das Design des Lebens anderes vermuten lassen.
 

Ulrike Willenbacher, Stefan Hunstein, Barbara Melzl

© Thomas Dashuber

 

Regisseur Antoine Uitdehaag setzte bei seiner Inszenierung auf psychologisches Zusammenspiel der Darsteller. Bühnenbildner Tom Schenk schuf dafür die Arena, die das Publikum teilte und es so näher an die Vorgänge rückte. Die Situation zwischen Abschluss und Neubeginn brauchte nach seinem Verständnis nicht mehr als vier Türen, ein paar Kartons und die weiße, unbefleckte Leere. Nichts lenkte vom intensiven Spiel der Darsteller ab.
Stefan Hunstein ließ die Vielschichtigkeit der Person Franks behutsam wachsen. Es waren die leisen gestischen und mimischen Anklänge, die tiefere Einblicke in das Seelenleben und Charakter dieses Mannes gewährten. Ganz anders Barbara Melzl. Ihre Claudia war einfordernd und gelegentlich sogar zynisch-schnippisch. Die Fähigkeit zur brutal anmutenden Konsequenz stand außer Frage. Sie verteidigte ihr Leben, zu dem Frank fraglos gehörte. Ulrike Willenbachers Romy hatte etwas engelhaftes, was der Geschichte anfangs einen heiter-skurrilen Unterton verlieh. Doch sie entwickelte sich unaufhaltsam zum Rachengel und nach ihrem Abgang blieb das Bewusstsein von einer deutlichen Metapher. Christian Friedel und Tabea Bettin komplettierten das Spiel glaubhaft. Ihr Part war identisch mit dem der Eltern. In diesem Stück gab es keine Nebenrollen.

Die Inszenierung war verstörend und löste Fragen beim Betrachter aus. Fragen an sich selbst. Sie stoppte für einen Augenblick die mentale und emotionale Inflation des Wortes Liebe und zeigte dessen wahre Dimensionen wieder auf. Die Figur der Romy als eine Metapher für Liebe mit Absolutheitsanspruch erklärte mehr, als eine romanische Vorstellung und bewies die Janusköpfigkeit nicht nur dieser existenziellen Erscheinung. Sie zeigte uns das schreckliche Gesicht.
Liebe ist wahrscheinlich das größte Gefühl, dessen wir uns rühmen. Aber sind wir uns der Konsequenzen tatsächlich bewusst? Auf diese Frage verweist die Inszenierung sehr unsanft.

Wolf Banitzki

 

 


Die Frau von früher

von Roland Schimmelpfennig

Stefan Hunstein, Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Christian Friedel, Tabea Bettin

Regie: Antoine Uitdehaag

Theater imHaus der Kunst Natürliche Auslese von Paul Jenkins


 

 

 

Das ist Gegenwart

In die letzten scheinbar vergessenen Winkel der Erde und die letzten Geheimnisse der Menschheitsgeschichte dringen sie nun vor, die Wissenschaftler. In ihrem Schlepptau folgen die Medien und die Ökonomie. Was immer sich zur Schlagzeile machen lässt wird aufgegriffen, was immer sich als Entertainment-Point in die Welt setzen lässt wird aufgebaut. Verwertung und Konsum, das ist Gegenwart.

Der britische Autor Paul Jenkins hat sein kritisches Auge auf die Menschen in diesem Umfeld geworfen und typische Charaktere und Situationen heraus gegriffen. Es sind moderne Prototypen, die er humorvoll in seinem Werk vorführt. Seine Sprache ist zeitgemäß und voller Pointen. Psychoanalyse, Konsumverhalten, Geschlechterkampf, Extremismus, Kleinkriminalität, Gentechnik, Leihmutterschaft, Archäologie, Ökonomie, Arbeitsmarkt, Behinderung, Globalisierung heißen die Themen, mit denen die auf Individualitätssuche befindlichen Figuren im Alltag beschäftigt werden. Das Stück, welches in kurze Szenen gegliedert ist, beginnt und endet, wie könnte es heute anders sein, mit einem Therapeutengespräch. Hier wird über Glück und Unglück, Sein oder Nichtsein entschieden, hier werden die Weichen für das Leben gestellt.

 

Ulrike Arnold, Stefan Hunstein, Helmut Stange

© Thomas Dashuber

 

Mr. Brain schildert der Therapeutin seine Probleme vor dem Supermarktregal bei der Wahl von Nudeln und passender Sauce. Da wird es nur zu verständlich, dass seine Partnerin bei der Auswahl des rechten Anzugs für ein Bewerbungsgespräch zur Mithilfe gefordert ist und auch der fachkundige Rat des Verkäufers ist von Nutzen. Stefan Hunstein gab einen modernen Mann, der ganz im Banne seiner Partnerin stand. Seine Mimik Gestik und Artikulation trafen ins Schwarze, sein Schauspiel war brillant und vielfältig. Ulrike Arnold stellte seine schauspielerisch durchaus ebenbürtige Partnerin dar, die einen Mann zur Versorgung suchte und einen Vater für das, für sie von Leihmutter Mash ausgetragene Kind. Mash, lebendig gespielt von Lena Dörrie, war die jüngere Schwester eines walisischen Brüderpaares, die den vom Vater begonnen Widerstand gegen die Engländer fort führten. Bombenattentate und Taschendiebstahl waren das Metier von Johannes Allmayer (Vlad) und Jan-Peter Kampwirth (Joseph), die überzeugende schauspielerische Leistungen boten.

Joseph hatte für die Archäologin Helen (Marina Galic) den Hominiden Grant ausgegraben, der zum Mittelpunkt des neuen Kulturzentrums in Wales erkoren worden war. Wales, der rückständige Westen Englands, wurde zum Schauplatz des wirtschaftlichen Aufschwungs. Tom Schenks treffendes Bühnenbild charakterisierte die vom Kohlebergbau lebende Region mit einem wandlungsfähigen schwarzen Berg, der gegen Ende die geänderten Verhältnisse widerspiegelte.

"Natürliche Auslese", in der Inszenierung von Antoine Uitdehaag, ist ein unterhaltsames Stück Zeitgeschichte in der Tradition englischen Humors. Anregend und komödiantisch hält es dem Zuschauer einen Spiegel vor, indem er sich ohne Betroffenheit wiederfinden kann.



C.M.Meier

 

 


Natürliche Auslese

von Paul Jenkins

Stefan Hunstein, Eva Gosciejewicz, Johannes Allmayer, Jan-Peter Kampwirth, Lena Dörrie, Helmut Stange, Ulrike Arnold, Marina Galic, Marco Massafra, Sebastian Winkler

Regie: Antoine Uitdehaag

 

Theater im Haus der Kunst

 

Der Raum wird seit 2007 nicht mehr bespielt.


 

 

 

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