Kammerspiele Winter von Jon Fosse


 

 
Die Poesie der Wortlosigkeit

Kaum merklich aber unaufhaltsam macht sich ein Name in den Spielplänen der europäischen Theater breit, Jon Fosse. Ist er ein neuer "Shootingstar" in der Szene? Gewiss nicht, denn seine sprachliche Ästhetik ist alles andere als abonnementfördernd in Zeiten von "Splash" und "Comedy". Die Annahme ist verwegen und soll dennoch gewagt werden. Fosse könnte ein Ausweg sein aus dem hemmungslosen Amüsiertheater, das schamlos auch nach allen Klassikern greift.
 
"Winter" heißt das Stück, das am 29. Januar 2005 an den Münchner Kammerspielen Premiere hatte. Und wieder einmal hat dieses Theater Zeichen gesetzt. Es bedarf schon eines großen Einfühlungsvermögens, um den riesigen emotionalen Reichtum in den kargen, von Wortlosigkeit geprägten Stücken Fosses zu entdecken. Regisseur Jossi Wieler hat diese Fähigkeit einmal mehr bewiesen.
 
An einem Ort ohne Namen verharrt ein Mann (André Jung) schweigend in der Abenddämmerung auf einer Bank, als er von einer Frau (Sylvana Krappatsch) mit einem eindeutigen Angebot überfallen wird. Es ist, als wären sie die einzigen Menschen auf diesem Planeten und so finden sie, scheinbar völlig überfordert mit der Situation, trotz aller Sprachlosigkeit für eine Nacht zueinander. Am Ende entpuppt sich diese Begegnung für beide als schicksalhaft, denn beider Leben ist in der Sackgasse.
 
 

 
 

André Jung, Sylvana Krappatsch

© Leonard Zubler

 

 

Die Sprachlosigkeit, ein reales gesellschaftliches Symptom, ist für Fosse das wichtigste poetische Mittel geworden. Seine Figuren agieren durchaus bewusst, ohne sich jedoch artikulieren zu können und aus den knappen Texten, angereichert mit zahllosen Wiederholungen, und den schauspielerischen Gesten entsteht ein Spannungsfeld, in dem die Geschichte sichtbar wird. Der Zuschauer erschafft die Geschichte stellvertretend und erlebt sie somit hautnah. Damit gelang dieser Inszenierung etwas, was eigentlich selbstverständlich sein müsste, es aber nicht mehr unbedingt ist. Das Kunstwerk erwacht und lebt im Betrachter. Alles Plakative, Erzählende ist verschwunden und alles ist eine einzige Suggestion.

Bühnenbildnerin Anja Rabes gab dem Spiel einen perfekten Rahmen, der, wie der Text auch, sich nur in Andeutungen erging. Der Spielhintergrund bestand aus einer Jalousie, die Abend und Tag beschrieb. Davor stand eine Bank, die sich in der Nacht in ein Bett verwandelte. Die Jalousie öffnete sich und in einem überdimensionalem Fenster tanzten Lichtreflexe wie Botschaften aus einer fremden Welt. Das Verlorensein von "Er" und "Sie" wurde durch Wolfgang Siudas Musik wirkungsvoll überhöht. Die Reduktion auf das Wesentliche verhinderte dabei jede Form von Psychologie.

Dass dieser Text eine echte Herausforderung für jeden Darsteller ist, liegt auf der Hand und Sylvana Krappatsch bewältigte sie ebenso bravourös wie André Jung. Jungs Part war dabei der schwierigere, denn "Er" hatte eine tiefe inner Wandlung zu durchleben, ohne dass ihm dafür erklärender Text gegeben war. Seine Gesten und Haltungen, von verstört bis schmerzvoll, erzeugten eine Spannung, der der Zuschauer nicht entkam. Sylvana Krappatschs "Sie" war provokant und verstörend. Erst als sie sich am Ende in ihrer sozialen Determination zu erkennen gab, verstand der Betrachter die Rolle.

Regisseur Jossi Wieler erreichte mit dieser Inszenierung ein Höchstmaß an Poesie und künstlerischer Geschlossenheit. Sein Vertrauen in die Zeitlosigkeit des Stückes verhalf dem Publikum zu einem beeindruckenden Theaterabend, der ohne Zweifel eine Langzeitwirkung haben wird. Und noch etwas muss hervorgehoben werden. Das Stück und auch die Inszenierung lassen Hoffnung zu, Hoffnung, dass das menschliche Wesen nicht verloren ist. Man möchte angesichts des "Mainstreams" an deutschen Theatern meinen, dazu bedarf es inzwischen Mut. Wieler und seine Protagonisten bewiesen Mut.

 
Wolf Banitzki

 

 


Winter

von Jon Fosse

André Jung, Sylvana Krappatsch

Regie: Jossi Wieler