Pasinger Fabrik weFlash von Presstext


 

 

 
 
„Teamfähig finde ich super“

Fünf junge Menschen gruppierten sich um ein Sofa. Einer zupfte die Saiten der Gitarre: „Ich will was mit Menschen machen ... lauter schöne Sachen …“ und dafür machen sie den Bachelor, den Master, sind in der alternativen Szene etabliert und in NGO’s engagiert. Ihre Parolen artikulierten sie in literarisch poetischer Form: „Faschiert die Faschisten!!“  Wissen und Bildung gehören zum Selbstverständnis, wie auch viele der selbstverständlich genutzten Erklärungen von Mechanismen bestätigten. Sie zitierten Erich Fromm und Karl Marx, und doch drehte sich alles nur um die Einführung eines neuen Getränkes. Eines Energiedrinks versteht sich, gilt es doch eine Maschine in Bewegung zu halten. Die Werbemaschine, welche mittlerweile auch die Leben betreibt.

In den verschiedenen Szenen wurden die bedeutsamen Stationen im Leben der Jungen heraufbeschworen, die Begegnungen zwischen so genannten jungen Frauen und Männern, das Engagement in einer violetten politischen Bewegung, das Bewerbungsgespräch eines Praktikanten und die Firmenparty der Kreativagentur, der Chat im Netz und das geschlechtliche Abreagieren virtuell, verbal und manuell. Der bloßstellende Realismus mit dem dies geschah entbehrte keinesfalls geschickter künstlerischer Umsetzung und Darstellung, im Gegenteil, mimisch und gestisch minimalisiert und dennoch überzeichnet, wurde größtmöglicher Effekt beim Zuschauer erreicht. Man könnte es perfekt durchchoreografiert nennen, wären dazwischen nicht kurze Momente der Ratlosigkeit sichtbar geworden. Sollten auch diese gesetzt sein? Die alter Geschlechterrollen entkleideten Figuren agierten in unmittelbaren Eigenschaften, interessiert, locker, dominant, schüchtern, aggressiv. Der nackte Mensch ist kaum spannend, entwickelt erst im Team Facetten. Horvath, der Leiter der Werbeagentur, erklärte anhand des Spots für den neuen Energiedrink weFlash einen möglichst medienwirksam zusammengestellten Plot, dem auch das Theaterstück und viele Szenen des Alltags folgen.  

Ein Inszest stand als symbolische Handlung für intellektuelle Selbstbestäubung in der und durch die Werbung oder die verzweifelte Suche nach persönlicher Selbsterkenntnis, nach einem entsprechenden Gegenüber für ein Spiel. Das Theater wurde zum Reflektionsraum zwischen Bühne und Zuschauerraum, zwischen Schauspielern und Publikum. Hier setzte sich die Wirkungsweise von Darstellung und Betrachtung, Aktion und Reaktion zwischen den Menschen unmittelbar um. Diese Welt drehte sich um den Einkaufswagen und endete im Einkaufswagen.

Moritz Geiser gab einen konservativ verschlossenen zielbewussten Horvath, der persönlich emotional in dem Spiel „Lüge oder Wahrheit“ mit seiner Schwester Clara gefangen war. Anya Deubel stellte souverän die kindlich trotzig listige Schwester, ebenso wie die abgeklärte französische Agenturmitarbeiterin mit Akzent dar. Ottilie Vonbank glänzte als erfahrene Titten-Tussi nicht nur verbal aus dem Internet, sondern sie gab auch die selbstzerstörerisch abgebrühte Designerin oder ein mit Achmed chattendes verliebtes Mädchen. „... treffen wir uns in freier Wildbahn ...“ Die Mehrfachbesetzungen gelangen und die Schauspieler boten ein reiches Panoptikum an Charaktereigenschaften. Patrick Rothkegel gestaltete Achmed, mit Migrationshintergrund im Kreise der politischen Aktivisten ebenso anrührend glaubhaft, wie den linkischen brillentragenden Martin, welcher als IT-Spezialist Insiderwissen über die Nachrichtenszene kund tat und sich Anne tief verbunden fühlte. Ein bekannter Fernsehmoderator würde vor Neid erblassen, sehe er die von Timo Müller gebotene Parodie, die ihn, das Original in den Schatten stellte. Als Praktikant Frank und Kunde der Titten-Tussi zog Timo Müller von aufgesetzt selbstbewusst und hardcore bis anlehnungsbedürftig alle Register. Dem Ensemble gelang eine geschlossene vielschichtige Leistung in Darstellung, Konzeption, sowie Umsetzung. Das 2008 uraufgeführte Stück war geschickt aktualisiert worden und nahm eindeutig Bezug auf aktuelle Ereignisse. Der von den Schauspielern vollzogene Bühnenumbau gehörte ebenso zur Inszenierung, wie die Szenen selbst und steht für die geforderte Transparenz, mit der heute gearbeitet wird. Und da heute nicht Nichts geschehen darf, füllte Lena Novotny die Zeit mit live-Zeichnungen zur illustrativen Gestaltung des Bühnenhintergrundes. Diese Teamarbeit fand ich super.

Es ist ein Abend über: Die Unmöglichkeit einer Revolution innerhalb eines Systems oder Die vergebliche Suche nach einer Lösung im Eklektizismus oder Die Erleichterung liegt im Lachen und der Parodie. Doch was fehlt ist nach wie vor eine Alternative zur derzeitigen faschistoiden Wirtschaftsgesellschaft mit lückenlos bürokratischem Demokratieverständnis. Und „etwas mit Menschen machen“ würde grundsätzlich Menschen voraussetzen. Ein Rückgriff auf das Humanistische Weltbild und die, in jahrtausenden kultivierten, Rollen des Menschen könnte zukunftsträchtig sein. Entwicklung wird aber erst möglich, wenn man den aktuellen Stand überdeutlich vor Augen hatte. Doch wer über sich selbst lacht (psychotherapeutisch für korrekt erklärt) dem fehlt die Kraft, der konsequente Wille zu Veränderung. Die Luft ist raus - Stillstand.  Es flimmern nur die bunten Bildschirme.

Die Inszenierung veranschaulichte auf höchst unterhaltende und künstlerisch kreative Weise die Welt der Generation Praktikum. Sie bot jungen Zuschauern einen Spiegel, älteren den Blick auf die Ergebnisse der von ihnen in die Welt und an die Kinder und Enkel weitergegebenen Lebensvorstellungen. Wer Courage hat ... der schaue

 
 
C.M.Meier

 

 

 


weFlash© - Revolution aus der Dose

von Presstext

Text, Regie, Bühne und Schauspiel: Anya Deubel, Moritz Geiser, Timo Müller, Patrick Rothkegel, Ottilie Vonbank

Bühne/Zeichnungen: Lena Novotny

Pasinger Fabrik Vermummte von Ilan Hatsor


 

 

 
Jeder Krieg ist Bruderkrieg

"'Wir werden entrechtet, gedemütigt, enteignet und die Welt schaut tatenlos zu, so die katastrophale Wahrnehmung des palästinensischen Volkes." (Zitat Programmheft) Wer ist das palästinensische Volk? Ist es die Hamas oder die Hisbollah? Sind es die Untergrundkämpfer der Intifada oder die einfachen Menschen, die täglich nach Israel reisen um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Sind es die Staatsfunktionäre, die mit großem Selbstverständnis Subventionsgelder der EU einfordern oder die Flüchtlinge in den Lagern, die ohne jegliche Hoffnung sind? So wenig wie es das palästinensische Volk zu geben scheint, so schwer fällt es, Partei zu ergreifen. Und wenn es gilt Partei zu ergreifen, so kann dies scheinbar nur gegen Israel geschehen. Seit Jahrzehnten vergießt das jüdische Volk arabisches Blut und wehrt jegliche Kritik mit dem Recht auf Selbstverteidigung und gegebenenfalls mit der Holocaust Keule ab. Wenn eines sicher ist, dann ist es wohl die Tatsache, dass wir Mitteleuropäer dem gänzlich ratlos gegenüber stehen.

Ausgerechnet ein jüdischer Autor schickte sich nun an, zu erklären und sogar zu versöhnen. Ilan Hatsors Kammerspiel ist in dem Hinterzimmer einer Metzgerei im besetzten Westjordanland angesiedelt. Dort betreiben drei Brüder ein Tribunal. Da'ud , der Älteste ist des Verrats angeklagt. Na'im, glühender Kämpfer in einem Intifada Komitee hat von den Anschuldigungen gegen Da'ud erfahren und versucht zu retten, was nicht zu retten ist. Der jüngste Bruder Khaled, voller Bewunderung für Na'im, wegen dessen Engagements für die Befreiung Palästinas ist hin und her gerissen zwischen Bruderliebe und politischer Idee. Bald wird erkennbar, dass Da'ud mit den israelischen Sicherheitsorganen zusammen gearbeitet hat. Sein Motiv: Er will menschenwürdig leben in einer intakten Familie mit einem gesicherten, wenn auch geringen Einkommen.

Alexander Netschajew inszenierte ein Kammerspiel in der Mausefalle. Wenngleich Ilan Hatsor einen alternativen Schluss angeboten hat, in dem er zur Verständigung zwischen den Völkern aufruft, bleibt der glaubhaftere Schluss der der Katastrophe.
Alexander Netschajew, Bühnenbilder und Regisseur in Personalunion, schuf einen kühlen Raum in dem das blutige Handwerk des Schlachtens verrichtet wird. Dort ließ er die Schauspieler sehr realistisch agieren. Er baute auf die durch den Text Hatsors provozierten Gefühle, die am Ende allerdings keine eindeutigen waren. Durch seine Spielfassung war das letzte Gefühl fatalistische Resignation. Dennoch machte dieses Stück Sinn, da der Begriff Bruderkrieg eine wirkliche nachvollziehbare Dimension bekam.

 

   
 

Tobias Ulrich, Martin Carnevali, Stefan Lehnen

© Max Ott

 

 

Im Ensemble überzeugte am ehesten Stefan Lehnen als Da'ud. Sein Plädoyer für das Leben erscheint das sinnvollste. Lehnen lässt keinen Zweifel daran, dass Da'ud überlegt gehandelt hat, dass ihm der Verrat zuwider war, dass er aber im Sinne einer, soweit möglich, selbstbestimmten Existenz dazu bereit war. Sein Scheitern ist nicht selbstverschuldet, sondern Resultat einer wahnwitzigen, sich jeglicher Rationalität entziehenden Kriegssituation.

Tobias Ulrich, der jüngste der Brüder, entwickelt im Laufe des Stückes die Figur Kahleds, eines verblendeten Kindes hin zum verzweifelten Träger letzter humanistischer Restideen. Martin Carnevali als Na'im, gestaltete den mittleren Bruder als einen Menschen, beseelt von einer Freiheitsidee, zu deren blutigem Instrument er letztlich verkam. Regisseur Netschajew gelang es über eineinhalb Stunden einen Spannungsbogen zu erzeugen, an dessen Ende leider keine wirkliche Botschaft stand. So übertrug sich auf das Publikum das Gefühl der Ausweglosigkeit und des Fatalismus. Einen wirklichen Durchbruch aus der Logik des Krieges gab es nicht und dieser kann nur sein, ein konsequenter vorbehaltloser Pazifismus, der nicht mit dem Wort Auschwitz gekippt werden kann.

Es ist in jedem Fall eine sehenswerte Inszenierung, da ein Problem, das wir nur aus den Nachrichten kennen, fühlbar wird.


C.M.Meier

 

 

 


Vermummte

von Ilan Hatsor

Tobias Ulrich, Martin Carnevali, Stefan Lehnen

Regie: Alexander Netschajew
 

Pasinger Fabrik

 

 

Spielplan