Pasinger Fabrik Drei Monate und ein Tag nach dem Roman Suicide von Stefan Lange


 

Selbst ist …

… die Kreatur stets auf sich und ein artgerechtes Gegenüber angewiesen. Die Achterbahn der Gefühle treibt sie zu den absurdesten Handlungen, und wären da nicht der Verstand, die Vernunft und die Regeln einer Gemeinschaft, so gäbe es kein Menschsein. Das ausgewogene Maß zwischen all den Komponenten zu finden, darum ringen die Menschen seit Jahrtausenden. Es scheint nicht so, als würde dies gelingen. Aggression, Sehnsucht, Gier, Verzweiflung, Mitleid, Sanftmut ringen im täglichen Kampf um Vorherrschaft. Besonders die Liebe, in Form von besitzergreifender Einvernahme und Machtanspruch, prägt. Vielfältig ist sie, die Liebe, wie die mangelnde, die falsch verstandene, die übertriebene, die unterdrückende. Immer hinterlässt sie tiefe Spuren die den Charakter - die Besonderheit, die Wohnstube und das Gefängnis des einzelnen - bilden, die Summe der Erfahrungen wiedergeben.

… ein Feld der Erinnerung. Auf der Bühne standen nur wenige Requisiten, die einen Wohnraum erkennen ließen. Im rechten Hintergrund an einem Tisch mit Laptop und Buch saß ein Mann, grauhaarig. Über/in seinem Kopf erschien auf der Projektionsfläche der Autor Stefan Lange, er erklärte sein Anliegen. Der Schauspieler, Erzähler am Tisch führte den Faden weiter und so erschien vor den Zuschauern das Theater der Erinnerungen. Die Geschichte der Begegnung von Stefan und Susanne im spanischen Sommer nahm ihren Anfang. Beide mit Problemen und Wünschen behaftet, finden in den Momenten der Zuneigung Freude. Stefan möchte mehr, mehr der beglückenden und befreienden Gefühle. Doch Susanne ist an einen anderen Mann gebunden und vor allem unentschieden. Die Welt möchte sie erfahren, Abenteuer, in der Beziehung sucht sie gewohnten Rückhalt und Heimat. Illusionen und Realität beginnen zu kollidieren.

Stefan Lange, der sich über ein Buch erfolgreich von seinem Leidensweg verabschiedet hatte, auf den eingespielten Videoaufnahmen zu erkennen. Er gab seine persönlichen Erlebnisse preis, wissend, dass er seine Erfahrungen mit vielen teilt. Man(n) erkennt sich. Ralph Schicha verkörperte den Autor auf der Bühne, mal als Erzähler, mal als innere Stimme, mal als Schatten des jungen Stefan, mal als Therapeut. Wie die Zwiegespräche im Kopf sind die Auseinandersetzungen mit Innen- und Außenleben. Ralph Schicha gab einfühlsam den ergrauten ruhigen überlegenden Mann aus der Mitte der Bevölkerung. Regisseur Guido Verstegen verfolgte ein klares Konzept, unaufwändig auf die Erinnerungen im Spiegel der Gefühle fokussiert. Mit dem Spiel des Lichts, mit dem Mittel der künstlerischen Pause und der Leinwand im Hintergrund differenzierte er die Nachtschwärze von Schmerz und Depression und Todessehnsucht, in der sich der Protagonist zu verlieren drohte.

Daniel Pfaffinger wie der junge Autor, ein verlorener junger Mann. Voll Neugier auf das Leben und doch schon davon gezeichnet, begab er sich vorsichtig immer wieder auf seine Suche nach Glück. Sein Gesicht und seine Körperhaltung drückten stimmungsgemäß sowohl den Schmerz, wie die Freude als Selbsterfahrung aus. Nach der Enttäuschung blieben ihm nur die Flucht in den Alkohol, die Flucht in Entzug und die Tabletten und die Gespräche. Allein auf sich gestellt und doch wie im Bühnengeschehen immer begleitet. Wie alleine ist alleine? Diese Frage beantwortete Daniel Pfaffinger mit seiner darstellerischen Präsenz. Die junge Susanne, zurückhaltend gespielt von Claudia Riedel, suchte die Nähe von Stefan, ihn bestärkend in seinen Schwächen wie Stärken. Alleine die Schwächen siegten, da sie ihrer eigenen Unentschiedenheit folgte. Denn auch das Muster der heilen Familie ist ein, den Charakter schwächendes. Die Beiden stellten exemplarisch ein Paar vor, wie es tausende gibt.

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Daniel Pfaffinger, Claudia Riedel, Ralph Schicha

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… die Sucht nach Befreiung und der Ausdruck von Gefühlen. Dieses Anliegen nutzen die Psychologen für ihr Geschäftsmodell. Was die Religion nicht mehr allein zu leisten vermag, wird heute wissenschaftlich begründet. Was nicht vergessen werden will, wird freigesprochen - in Vergebung gehuldigt. Dabei geht es doch immer nur darum, die Erscheinungsform eines Beweggrundes neu zu definieren. Die Qualität einer Emotion wird von dem Hormonhaushalt bestimmt, den Mensch selbst steuern kann. Dies bedarf jedoch einigen Wissens, einiger Erfahrung und der Bereitschaft diese Zusammenhänge anzunehmen und wäre ein Lehrauftrag. In einer von vielfältiger Unterdrückung geprägten Gesellschaft, die den einzelnen entmündigt, wird dem keine Beachtung geschenkt. Zudem würde damit das erprobte Machtmodell in Frage gestellt, was keinesfalls sein darf. So treibt die Gemeinschaft weiter übernommene überkommene Rituale, und tritt auf der Stelle.

… der Tod die einzige Form von Erlösung. Doch bis dahin sind die Erfahrungen grob und fein, bunt und vielfältig. Und, einzig wer dem Leben huldigt, erfährt es. Stets auf der Suche nach neuen, anderen und intensiveren, überschlägt sich die Psyche in ihren Kapriolen. Manche davon sind gesellschaftlich gefördert, andere geduldet, wiederum andere verboten (was diese interessanter macht). Nichts anderes ist das umtriebige Gefühlsleben, welches den Verstand in Schach hält und die Gemeinschaft. Doch ein Mensch zu sein ist mehr, mehr als gelebte tierische Natur. Der Geist, die Gedanken und sein Wollen führen ihn über die bloße Reaktion hinaus in die nächste Illusion. Guido Verstegen schuf mit der ansprechenden Inszenierung des Romans höchst realistisches Volkstheater. Aktuell ist es überdies, in einer Welt, in der es chic ist sich in den Gefühlen zu suhlen, in den eigenen oder in denen anderer. Ein glänzender Spiegel also auch für … Selbst wir.

C.M.Meier

 


Drei Monate und ein Tag

nach dem Roman Suicide von Stefan Lange

Daniel Pfaffinger, Claudia Riedel, Ralph Schicha

Regie: Guido Verstegen

Pasinger Fabrik Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner von Ingrid Lausund


 

Beispielhaft


Das Stück von Ingrid Lausund handelt von einer Gruppe sozial engagierter Personen, die gemeinsam den Abend „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ gestalten wollen. Die Beweggründe sind so unterschiedlich wie die Menschen, doch das Ziel sollte einen. Die Probe konnte beginnen. Eva (Isabell Magath) brachte eine Kaffeemaschine mit, Eckhard (Thomas Linde) stellte den Tisch und Rainer (Reinhard Wespel) die Stühle auf, Christine (Katrin Thomaschewski) legte ihre Karteikarten aus, Leonie (Alia Groschupf) kam aufgeregt fast zu spät. Der Versuch eine prominente Person für den Auftritt zu gewinnen, scheiterte ebenso, wie keine Einigung erzielt werden konnte zur Einbindung einer afrodeutschen Freundin. Eckhard ging es vor allem um Menschen, Rainer sprach von Individuen. Vorstellungen, Vorbehalte und Klischees begannen einen Tanz, der bald mehr Aufmerksamkeit erhielt, als das Anliegen des Spendensammelns für eine Schule in Guinea Bissau. Wer darf welchen Text, welche Beiträge vortragen und wer bestimmt die Reihenfolge. Ist Publikum bei der Probe anwesend, oder ist kein Publikum im Zuschauerraum? Mit dieser Frage konfrontierte Eckhard sowohl seine Mitstreiter, als auch das Theaterpublikum. Weitere Problempunkte an denen sich die Figuren rieben, gab es ausreichend – vom Käsebrot am Tablet bis zur künstlichen Palme.


Artikult Theater und Regisseurin Petra Behcet stellten die therapeutische Psychologie in den Mittelpunkt des Abends. Gespielt wurden vor allem die Gefühle der Beteiligten, offensichtlich erkennbar. Auf die Bloßlegung der Schwächen reagierte das Publikum mit Heiterkeit. Ein Effekt, der auch zu Nähe zwischen Schauspielern und Zuschauern führte, gewollt.


Eckhard breitete seine, über sein ganzes Leben gewachsene Barmherzigkeit aus. Die Lehre der Kirche bis in jede Körperzelle verinnerlicht, stand er vor und mitten im Publikum, den Menschen. Sinnbild eines Erlösers. Oder eines von den Realitäten Gelösten. Seeligkeit strömte durch den Raum. Leonie nutzte geschickt diese Situation und holte die Spendenkiste hervor. Prompt erklärte sie, dass auch die Gruppe Artikult mit diesem Stück für eine Schule in Bissau sammelte. Die Kiste wurde an der Ausgangstüre des Theaterraumes positioniert, damit die Zuschauer einen Spendenbeitrag einwerfen konnten. Wie einfach man sich ein gutes Gewissen erkaufen kann, lehrten Institutionen schon seit Menschengedenken. Und, es funktioniert immer noch. Danach setzte die Aktionsgemeinschaft sich um den Tisch und besprach die Wünsche der Einzelnen für das abschließende Abendessen. Auch bei diesem Thema trafen die menschlichen Eigenheiten und der Zeitgeist aufeinander.


Eine unterhaltsame Aufführung, ein offensichtlich erheiternder Abend, den das Publikum mit Lachen und Applaus bestätigte.

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 Isabell Magath, Reinhard Wespel, Katrin Thomaschewski, Alia Groschupf

© Stefan Brandstätter

 

Das Plädoyer für Mitgefühl bildete den Schwerpunkt der Inszenierung. Dieser Mitleidsaufruf wirkte fast wie ernst gemeint, immerhin ging es tatsächlich darum Spenden zu bewirken. Eine künstlerische und menschliche Sackgasse. Eine gesellschaftliche Gewohnheit wurde damit bedient, keineswegs aufgedeckt.
Das Helfersyndrom vorzuführen, war damit gekippt worden. Statt aufzuzeigen wie die Grenzen zwischen Hilfe und Selbstbestätigung, welche fließend sind, gegen die Bedürftigen verschoben wurden, wurde Empathie beschworen. Doch wer ist bedürftiger, der arrogante Helfer oder der Chancenlose?


Verantwortung übernehmen, das hieße den Menschen Afrikas ihren Heimatboden wiederzugeben, den Raubbau an Bodenschätzen, den Raub der Anbauflächen und die Ablagerung von Elektroschrott u.v.m. zu beenden. Hier begänne echte Verantwortung, doch davor steht die Entscheidung.
Wie die Entscheidung fällt für Lachen oder Weinen. Jedes zu seiner Zeit, jede Reaktion im passenden Zusammenhang. Wenn „Lachen und Weinen zugleich“ (Programmheft) gefördert werden, so ist bereits jeglicher Anstand und jegliche Haltung verloren gegangen. Ohnmacht der umfassenden Entspannung – Raubbau und anschließend Spenden. Verschwimmen die Grenzen, so löst der Mensch sich auf. Verschwimmen die Grenzen zwischen Schauspieler und Mensch, wird die Rolle aufgelöst. Das Missverständnis zwischen menschlicher Nähe und Aufklärung, in diesen unverhältnismäßig emotionalen Zeiten, gilt es darzustellen. Das Theaterstück trägt zwar den Titel „Benefiz“ ist jedoch ein Theaterstück und keine Benefizveranstaltung.
Den Boden in Kenia zu nutzen um Rosen für Europa zu pflanzen, während Menschen im Umfeld verhungern, das ist tatsächlich menschenverachtend. Darüber kann man sich auch nicht durch Spenden hinwegtäuschen. Sie sind bloßer Selbstbetrug und Scheinheiligkeit. Jeder Versuch sich freizukaufen scheitert. Arm an Haltung und Verantwortung, arm an Ideen für Lösungen, reich an Lebensmitteln und Kochrezepten ist man in der geldreichen Gesellschaft. Hauptsache amüsiert und entspannt.

C.M.Meier
 
 PS:
Als ich nach der Vorstellung an der Bushaltestelle stand, entdeckte ich den Stiel einer Rose auf dem Boden liegend. Nachdem ein Mensch seinen Fuß gehoben hatte, lag er verlassen da. Ich sah genauer hin, sah mich um und entdeckte viele rote Blätter und einige grüne, verstreut auf dem Asphalt. Wie eine Metapher für Afrika, für Europa lag sie da, die zertretene Rose, dachte ich. Mangelnde Achtsamkeit und Wertschätzung führten zu ihrem Ende.
Ich hätte lachen können, lachen über ein zufälliges Kunstwerk. Ich hätte weinen können, weinen über eine willkürliche Zerstörung. Hätte ich geweint und gelacht gleichzeitig, wäre ich ein ohnmächtiger Reaktionskörper. Ich erkannte die berührende Metapher, die auch für die Aufführung gilt.
 

Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner

von Ingrid Lausund

Alia Groschupf, Thomas Linde, Isabell Magath, Reinhard Wespel, Katrin Thomaschewski

Regie: Petra Behcet

Pasinger Fabrik Shakespeares Erzählungen oder Was macht Hoffmann in der zwölften Nacht? von Katalin Fischer


 

 

Mix und Mix oder Romantische Illusionen


Hoffmann schreibt Liebesgeschichten. Im Vorspiel geht er erfolgsverwöhnt vor dem Schreibtisch auf und ab, diktiert seiner Sekretärin, und verwirft doch Seite um Seite bis er schließlich die Frau entlässt und selbst in die Tasten der Schreibmaschine tippt. Aber wieder ist er mit dem Ergebnis nicht zufrieden und die Blätter flattern. Als drei Musen auf der Bühne erscheinen, sieht es für einen Augenblick so aus, als würde eine weitere Geschichte entstehen. Allein es bleibt bei dem Versuch. Enttäuscht tritt Hoffmann mit dem Satz an die Rampe: „… Wer schreibt meine Liebesgeschichte?“

Die Virtuelle Company um Katalin Fischer verknüpfte in der Inszenierung Shakespeare und Hoffmann zu einem amüsanten Bilderbogen um die Liebe zwischen Mann und Frau. Silberfäden hingen von der,  Decke. Mit jedem erneuten Versuch verbanden die Musen verschiedene andere Bänder, wie Schicksalsfäden, wie Handlungsstränge in der einen, immer komplizierten Geschichte um die Liebe. Äußerst geschickt und kunstfertig verstrickte sie Szenenzitate aus „Wie es euch gefällt“ mit „Romeo und Julia“ und schließlich Bilder aus „Hoffmanns Erzählungen“. Der absolut kreative Prozess brachte wundervollen Kurzweil auf die Bühne, blieb aber fraglos ohne Antwort. „Sie spricht, doch sagt sie nichts.“ Das kommt einfach wirklich bekannt vor, wirft man einen Blick auf den Alltag, der allerdings stets weniger unterhaltend, bis allzu ernsthaft und anwendungsbezogen die Tage füllt. Die verklärende Romantik hat sich längst in der Vergangenheit aufgelöst, bleibt wie in dem Stück, auf die Bühne gebannt.


Überhaupt schwankte Hoffmann, Michael Pohl, zwischen Realität und Illusion. Sachlich in die Arbeit vertieft, träumte er von einem erfüllten Dasein. Michael Pohl verkörperte die Spaltung in Perfektion und unerfüllbaren Wunsch auf einfühlsame Weise. Martin Finkbeiner pflegte stumm, das bunte Glas in der Hand, verbindliche Freundschaft mit Hoffmann. „Männer sind alle gleich.“, verkündete eine der Musen. Hübsch in bunten Tüll gehüllt, suchten sie durch dekorative Äußerlichkeiten bunte Abwechslung auf die Bühne zu bringen. Gabi Fischer, Bettina Setoodeh und Agnes Manges boten von der dienstbeflissenen Sekretärin bis zur geldgeilen Tussi, der fürsorglichen Mutter und der abgehobenen Muse einen bunten Reigen von Frauenklischees, die oft erleichternd und erheiternd erkennbar waren.  Und was offenbarte dem Zuschauer dies? Auch diesem Geschlecht fehlt es an eigener Differenzierung, zumal Bettina Setoodeh als Debütantin Olympia brillant eine geradezu leblose Roboterdame darstellte. Der Weg in die Zukunft ist geebnet, auch wenn dieser in eckig anmutendem Walzerschritt romantisiert wurde. Vertraut tragende harmonische Klänge brachten Michaela Dietl am Akkordeon und Lothar Ringmayr mit Saxophon in den Raum. Die Welt war hörbar anscheinend im Lot.

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© Noah-Coen

 

Szene für Szene wurde versucht die eine Geschichte neu zu schreiben. Szene für Szene scheiterte, der sich an vergangenen Modellen orientierende Plot. Aller „guter Rat“ in Form von erprobtem Theaterstück,  Elternweisheit und Therapieversuch verpuffte in Missglück. Denn „… Liebe ist eine Geisteskrankheit …“ Selbstredend fehlte der, an Jahren im Pragmatismus, gereiften und an Coctails besonders interessierten Julia ebenso die zündende Idee. Man schaute und schaute, suchte und suchte, trug eine Brille nach und gleichzeitig mit einer anderen … und sah doch nur … Alles im Nichts.Oder war es ein DNA-Strang, der am Ende den Raum zierte? Hoffman blieb allein auf der Bühne zurück ... bis der begeistere Applaus einsetzte.


Wenn die Vergangenheit zusammenfällt in dem vergeblichen Versuch durchkontrollierten Mix daraus Zukunft zu kreieren, so bleibt nur sich auf die Natur der Liebe zu besinnen, um folgend Augenblick für Augenblick … für Augenblicke in der Gegenwart zu leben und aus dem Chaos des Verliebtseins zu schöpfen.

 


C.M.Meier

 

 


Shakespeares Erzählungen oder Was macht Hoffmann in der zwölften Nacht?

von Katalin Fischer mit Texten von William Shakespeare und E.T.A. Hoffmann

Gabi Fischer, Bettina Setoodeh, Agnes Manges, Martin Finkbeiner, Michael Pohl
Musik: Michaela Dietl, Lothar Ringmayr


Regie: Katalin Fischer

Pasinger Fabrik True Bavarian Blood von Anton Zinkl/Hans Schlicht


 

Biss-Gefahr

Der roter Samtvorhang, ein schlankes Damenbein und der Nebel des Geheimnisses sind die Attribute zur Verführung. Und ist man erstmal neugierig, so ist man ebenso schnell in das Geschehen verstrickt, es gibt kein Entkommen. Kommt Ihnen bekannt vor?

Ein paar einführende Klänge von der Klampfe und er nahm Gestalt an, der nächtlichen Alptraum des Bürgermeisters Alois Pleitling. Im Rathaus der Gemeinde Plattling in Niederbayern beratschlagt man tags darauf über einen Ausweg aus dem finanziellen Debakel. Der Makler Johann Hackl steht mit dem Sponsor in Kontakt und denkt laut darüber nach weitere Verbindungen zu knüpfen. Die leere Lagerhalle der Fabrik soll in ein Erlebnisland verwandelt werden. „Vampir statt Papier.“, so lautet der Slogan der Geld verspricht. Indes arbeitet Mike, der junge Kreative, an der Gestaltung des Eventraumes und Hackl macht sich mit einem besonderen Mitbringsel auf den Weg nach Rumänien, zur Heimat der Nachtgestalten. Doch auch hier hat die Neuzeit Einzug gehalten. Der Graf musste sein Schloss an einen russischen Oligarchen verkaufen und die Familie in eine marode Autobahnraststation umziehen. Die Gruppe hungert in dieser ausgestorbenen Region. „Kein frisches Blut mehr im Land.“ Es kommt, wie es kommen muss!

Denn, so unterschiedlich wie die Menschen es gerne hätten, sind sie dann doch nicht. Graf Vlad (Sepp Schmid) war arm, doch die adlige Haltung unverkennbar. Souverän verstand er es die Lage für sich und die Seinen zu nutzen. Beispielhaft mutierte der erst unsichere Hackl (Hans Schlicht) vom Naiven über den Wenigen zum Tollwütigen. Er erklomm die Erfolgsleiter bis zur Spitze. Während Bürgermeister Pleitling (Anton Zinkl) sich in Rechtschaffenheit übte und schließlich doch geopfert wurde. Erlösung ist eine Mär. Seine Frau, die nette Miezi (Barbara Wankerl) suchte die Lage stets zu bessern, und sei es auch nur fürsorglich mit warmem Kaffee. Auch dem stilgemäßen Chor der Vampire (Simone Pichler, Jonathan Noé, Jestina Schamberger, Isabell Schlicht) war warmes Blut offensichtlich lieber. Und der Bock Woife (Christian Auras), ein echter wilder Hund, rockte starmäßig, verführte das Publikum zu spontanem Applaus.
Der Liebe kam in dem Singspiel der ihr zustehende Raum zu. Zwischen dem jungen kreativen Mike (Daniel Kupp) aus Platting und Smeralsda (Zeybeo Tunc), der aufmümpfigen Tochter des Grafen, entspann sich eine bestsellerverdächtige Romanze. Doch die große wahre Liebe erfuhr ihre Prüfung, auch wenn in der Dunkelwelt der Glaube an Erhabenheit ebenso groß ist, wie im ganz normalen Leben. Tradition ist ansteckend. Will man dazugehören, so … Kunterbunt. Es kommt nicht wie gedacht … „True Bavarian Blood“ … Blut mit reinem Gerstensaft kann durchaus zu einer Droge werden, ebenso wie der eigenwillige Humor.

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Anton Zinkl

©

 

Der Bühnenort Plattling stand für den aufstrebenden Freistaat mit den geschäftstüchtigen Leuten, sozusagen beispielhaft für alle Staaten, die doch ganz im amerikanischen Traum in einem Nachahmungsmodus agieren und die von der Filmindustrie verbreiteten Illusionen in Realität verwandeln. Es funktioniert, wirkt doch die Macht des Refrains ungebrochen. Man muss nur wiederholen, wiederholen, wiederholen und unbedingt daran glauben, glauben, glauben, …

Von Romantik bis Sentimentalität, von Pathos bis Heimatliebe reichte das Spektrum der Tollhaus Theater Companie, die eine strahlende geschlossene Ensembleleistung bot. Unterhaltsames Draculand - alles voller Blutsauger - die Vampire sind auf dem Vormarsch. Den Autoren Hans Schlicht und Anton Zinkl gelang mit dem Stück eine wundervolle vielfältige Lebens-Show, im besten Sinn des Wortes. Gespart wurde keinesfalls an den passenden politischen Anspielungen in einer geradezu erheiternden Doppeldeutigkeit. Mit dem richtigen Biss lassen sich alle Menschen in Wiedergängern verwandeln.

Und die Moral von dem Singspiel: Nicht mit Knoblauch oder Kruzifix, sondern letztlich nur mit der gesunden Bodenständigkeit in unmissverständlicher Tonlage lassen sich Geld- und Blutvampire vertreiben, zurück in die einsame Finsternis ihrer Höllen, äh Höhlen. Und wer die Wiedergänger zuvor erleben möchte, kann sich in „True Bavarian Blood“ dem Schauer und Kitzel aussetzen. Gänsehaut und Lachen garantiert!

 

C.M.Meier

 


True Bavarian Blood

Ein gar grausiges Singspiel von Anton Zinkl/Hans Schlicht

Musik von Michael Raab

Anna-Verena Ruth, Simone Pichler, Jonathan Noé, Jestina Schamberger, Isabell Schlicht, Anton Zinkl, Barbara Wankerl, Hans Schlicht, Daniel Kupp, Sepp Schmid, Ulrike Auras, Zeynep Tunc, Christian Auras
Musiker: Michael Raab, Reinhard Windemuth, Jürgen Richter, Isabell Schlicht

 Regie: Christian Auras

Pasinger Fabrik Norway Today von Igor Bauernsima


 

 

Eiskalt


In dem mit weichen, weißen Matratzen gepolsterten Raum suchte Juli über das weltumspannende Internet den passenden Begleiter. Eine besondere Reise sollte es werden. August hegte ähnliche Gedanken und Gefühle und so verabredeten sich die Beiden zu einer Reise nach Norway. Diese sollte die Erfahrung eines Höhepunktes werden, in den alles mitgenommen und in den alles projiziert werden kann. Mit Zelt, belegten Brötchen und Dosenbier machten sie sich auf den Weg.

Aus der eiskalten Gesellschaft mit ihren rosa angestrichenen Lügen begaben sich Juli und August in die Kälte der Natur. Ein Experiment? Zwei Menschen am Abgrund … der unendlichen Freiheit. Die Natur wirkte umfassend belebend, ist sie doch immerhin der einzige Raum für Erkenntnis.

Marget Flach führte als Juli eloquent das Spiel voran, während Samuel Pock den entschlossenen und doch zögerlich wirkenden August verkörperte. Die beiden Darsteller brachten auf ausgezeichnete Weise die Gedanken und Bedenken ihrer Generation vor. Wissen schützt vor Erfahrung nicht. Und eben um die Erfahrung drehte sich das Karussell des Stückes. Regisseurin Isa Micklitza war es gelungen Szene für Szene amüsant auch doppeldeutig erkennbar werden zu lassen. Alltag und philosophische Betrachtung rückten abwechselnd, ebenso wie die Schauspieler in den Fokus. Gewollte Abwechslung als Ringen um Ausgleich im Spiel um …  „Es macht Spaß die Dinge zu tun.“ Dieser Satz war der Inszenierung deutlich anzumerken und der Humor kam, neben den nachdenklichen Momenten, keinesfalls zu kurz.

„Vernunft, was ist das?“ Es ist ein Kultzustand, die Vernunft  per se, die genauso wie die Vernunft der Technik, die Vernunft des Geldes, die Vernunft der Produktion ihren gewollten Strukturen folgt, allen voran die Vernunft des Handelns wider besseres Wissen …
Was als Komödie verstanden werden konnte, hatte durchaus seine schwarzen Seiten. Denn die Erkenntnis „Das Glück mit sich macht auch nicht glücklich.“ (die Maschine als Lebensgegenüber erweist sich immer mehr als untauglich), wollte ebenso wie eine Reihe anderer Weisheiten geäußert sein. Und die Abfrage von Befindlichkeiten mit Mikrofon im Rampenlicht, angesichts eines schwarzen Abgrunds, führte keinesfalls zu echter Erhellung, mehr zu echter Langeweile. Tatsächlich ist es in der Realität so, dass man die immer gleichen, immer gleichen längst abgenutzten Phrasen vorgesetzt bekommt und erst ...

der Tod zeigt die Quintessenz des Lebens.

 

C.M.Meier

 


Norway Today

von Igor Bauernsima

Marget Flach, Samuel Pock


Regie: Isa Micklitza