Theater ... und so fort Gottes Last von Heiko Dietz
Und die Moral von …
‚Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.' hat man dem Volksmund zu sagen gelernt, dieser wiederholt es, glaubt daran und überträgt den Satz von Generation zu Generation als gälte es Unsterblichkeit weiterzutragen. Über etwas zu sprechen ist eine Sache, darüber zu schweigen keine andere. Zudem ist obige Floskel nicht der einzige Satz, welcher zu Verhaltenslehre erhoben, die Tage füllt. „Mir sind die Hände gebunden.“, lässt Heiko Dietz den Kirchenobersten wiederholt äußern. Die Bilder des Kreuzweges Jesu zieren die Kirchenwände und wenn man diese nur oft genug betrachtete, dann brennen sie sich ins Gedächtnis ein.
Der menschliche Geist benötigt Lehren und Richtlinien, welche sein Unterbewusstsein prägen und das Bewusstsein leiten, möchte er - Mensch sein - also mehr als naturgemäße tierische Verhaltensweisen ausleben. Doch dies ausgerechnet an der Geschichte eines Mannes zu orientieren, kann ziemlich in die Irre führen. Und das geschieht offensichtlich immer noch, obwohl längst eine Weiterführung eben dieser Geschichte in eine humanistische Form stattgefunden hat. Bereits vor 500 Jahren wurde sie dem damaligen Wissenstand angeglichen und wird bis heute gepflegt. Der Wissensstand hat sich seitdem potenziert und immer noch klammert mancher dunkel an jahrtausendealten Legenden als Anhänger der Mitläufer, Mitdenker- fühler sucht. Dabei sind es die Gemütszustände und artikulierten Ideale die verbinden, was die Realität trennt.
Der Zufall, nicht die ‚Fäden in Gottes Hand‘ re- agieren, machen scheinbar das Schicksal aus. Wie Magnete ziehen die gesprochenen, gelebten Gedanken die Pendants an und führen zu gemeinsamen Erlebnissen, schreiben Geschichte. Und, wer das Leid anbetet, sich vor diesem auf die Knie wirft, darf sich gewiss sein, dass es ihn in seinen Kreis aufnimmt. Den Kreis des Leides, der um sich selbst rotiert, sich dadurch selbst bestätigt. Es ist die Legende um eine Rebellion, Auflehnung gegen etablierte Machtstruktur, die gewaltsam unterdrückt und exemplarisch an den Pranger, das Kreuz gebunden wurde.
Ensemble © Andreas W. Kohn |
Als Austragungsort für die Geschichte, mit einem Inhalt der nicht sein darf, wählte der Dramatiker Heiko Dietz eine Bahnstation im Nirgendwo. Der Zug der Zeit hält für einen überschaubaren Moment an, um einen erhellenden Blick auf das permanent im Schatten der Fassaden ablaufende Geschehen zu ermöglichen. In Dialogform lässt er die Standpunkte aufeinanderprallen und ihre scheinbare, ja sich bedingende Gegensätzlichkeit erkennbar werden. Die katholische Kirche und der von ihren Vertretern vollzogene sexuelle Missbrauch an Kindern steht im Fokus. Während der erste Teil die gestattete ritualisierte Alltagsrealität wiedergibt, so fällt im zweiten Teil der heile Schein den Taten, Fakten und Daten zum Opfer. Akribisch recherchiert, beklemmend realistisch umgesetzt und doch als Theaterstück mit einigen Facetten von Humor auf die Bühne gebracht, ist es Aufklärungsarbeit auf hohem Niveau.
Diese fand in der mit grauen Brettern ausgestalteten Bühnen-Bahnhofskneipe statt. Vor der langen Theke saßgrübelnd kommentierend schauspielernd Stammgast Peter, Heiko Dietz, der, beginnend vom frühesten Früher sprach und weiterhin gleich dem Regisseur, jeweils „einen Schnitt“ bestellte zum Ende jeder Szene. Mechthild (Yvonne Brosch), die Betreiberin der Wirtschaft füllte daraufhin sein Glas erneut, unterhielt sich auf intelligent zurückhaltende Weise mit ihm, wie auch mit den eintreffenden Gästen, stets den Überblick bewahrend und im Zweifelsfall der Uneinigkeit zwischen den Anwesenden großzügig eine Runde Fernet ausgebend. Wenn das nicht … Nachdem die Ansage aus dem Bahnhofslautsprecher die Fahrtunterbrechung kommentiert hatte, betraten das Kirchenquartett die Kneipe. Der junge Vikar, Robert Ludewig, den Arm geschient, mit Koffern beladen, trug erkennbar und hörbar noch weitere schwere Last. Pfarrer, Johannes Haag, auf Äußeres und Form bedacht, verkörperte ja geradezu konzentriert das propagierte gewünschte Erscheinungsbild. Da gab sich der Bischof, Konrad Adams, schon etwas beredt leutseeliger und umgänglicher. Während sich der Kardinal, Winfried Hübner, beim Kartenspiel hinter der Zeitung/Schrift versteckte und trotzdem jede Runde gewann. Wenn das nicht … Die Putzfrau, Waltraud Lederer, geisterte in ihrer Kittelschürze zwischen den Gästen, auf Reinlichkeit bedacht, hielt sie den Wischlappen wie die Weltsicht fest in der Hand. Und Sammi der Quergeist, Josef Parzefall, wusste auf jede Wendung eine kritisch kontroverse Frage zu stellen, eine ebensolche Antwort blitzschnell parat. Das „trink was“ der Wirtin, war da beschäftigend gemeint. Wenn das nicht … Das reisende Geschwisterpaar, Petra Wintersteller und Claus-Peter Damitz, trug in der roten Reisetasche nicht nur die Ratlosigkeit über die Reiseunterbrechung und das Problem einer Geburtstagsfeier in die graue Bühnen-Bahnhofskneipe. Wenn das nicht …
Die Darsteller boten eine unprätentiös ausgezeichnete Ensembleleistung, die jede Figur gleichermaßen in Licht und Schatten, Stärke und Schwäche vorführte. Allein die Mimik und Gestik während des zweiten Werkteils erzählte mehr über die Charaktere, als Beschreibungen vermögen. Eindringlich lebendig, das Schauspiel und ebenso bewegend.
Die Auseinandersetzung mit einem brisanten aufrührenden Thema ist keine leichte, doch für den Hausfrieden einer Gemeinschaft, Gesellschaft unerlässlich. Wohl, wenn diese faktisch korrekt und emotional ausgewogen von statten gehen kann. Der versöhnende Rausch mit dem der Zuschauer das Theater verließ, der „…geht auf’s Haus“ und damit auf das außerordentliche Stück und die künstlerisch brillante Inszenierung.
C.M.Meier
Nachsatz:
Während ein Rausch, den das Leben bisweilen aufkommen lässt, wenn Körper zuviel eines Stoffes produzieren und ausschütten, wie beispielsweise zuviel euphorische Allmachtsfantasie den Schein von Heiligkeit verbreitet - dabei Wasser in Essig verwandelt - eine Reaktion der Schöpfung ist. Damit gilt es achtsam umzugehen …
Gottes Last
von Heiko Dietz
Yvonne Brosch, Heiko Dietz, Waltraud Lederer, Konrad Adams, Winfried Hübner, Johannes Haag, Robert Ludewig, Claus-Peter Damitz, Petra Wintersteller, Josef Parzefall
Regie: Heiko Dietz