Pathos Firmenhymnenhandel von Thomas Ebermann
Der Deal mit dem Empowerment
Ob der Theaterbetrieb selbst auch bald Hymnen aus dem KBB verlauten lässt? Unser Wirtschaftssystem basiert auf der Getrenntheit von Individuen, welche Massenproduktion, Demokratie und Revolten erst möglich macht. Wir leben in dem Zeitalter einer Illusion, wir wären entwurzelte, unbeschriebene Blätter, die reichlich gefüllt werden müssten an Gütern, Geld, Erfahrung, Fortbildungen, Auszeichnungen, Qualifikationen, Abschlüssen, Besitz, Zufriedenheit.
Gemeinschaftsgefühl dagegen könnte all diese Gegenmittel obsolet machen, würde sie nicht als Jugendphänomen, bestenfalls Ausländermerkmal erkannt oder auch von großen Konzernen monetarisiert werden. Da die intime, alltägliche Atmosphäre im Betrieb nicht aus eigener Kraft und Verantwortung in der Lage ist, den Zusammenhalt zu stärken und zu kultivieren, ist die Firmenhymne der Deal der Stunde.
„Der Firmenhymnenhandel“ der kabarettistischen Gruppe mit Thomas Ebermann führte uns in eine ganz persönliche Welt des Vaters und Geschäftsführers (Reiner Schmitt), seiner Tochter (Pheline Roggan) und zweier Freunde, der Hymnenhändler (Robert Stadtlober, Tillbert Strahl-Schäfer) ein, die überraschend ehrlich und erfrischend nüchtern den Generationenwechsel anstimmten. Musiker wie Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, aus deren Mündern gemeinhin Dinge wie „Wir sind raus, und wir sind stolz darauf!“ kommen, wurden eingeladen, uns persönlich über Videoeinspielungen die Umkehrung ihre Sprache glaubhaft zu machen.
„Wir sind drin, und wir sind stolz darauf“ jedoch klingt nach alten und neuen Hits, wie sie im Radio kommen und nicht mehr gehen. Die Schlager auf dem Weg zur Arbeit und wieder nach Hause nämlich sind alle GEZahlt und längst kein Underground mehr. Am besten gefielen mir die 1000 Roboter mit dem Kaiser's-Tengelmann-Mitarbeitersong („Unser Herz braucht Blut wie wir unsere Kunden“) und Sandy Beachs' Werbehymne für Air Berlin („Lehnen Sie sich zurück, wir sind für Sie da“).
Trotz der Heimatverbundenheit und des Konservativismus des Firmeninhabers landeten die Dealer mit den Beatles das Tor. Die Tochter durfte mit entscheiden. „Love, love, love - it's easy!“ - Es sind auch unsere eigenen Stimmen, die McDonalds' „Einfach gut!“ und andere Werbesongs mit singen und sangen. Avro Pärt hörte ich im Gespräch mit Björk sagen: „If you can kill with sound, you can also do the opposite“.
Der Abend war so ungekünstelt, wie mein damaliger philosophischer Deutschunterricht mit Herrn Faltenbacher am Hallertau Gmynasium. Adorno und Chor Wahlpflichtfach im Abi. Es kam uns gar nicht so vor, wie das postdramatische Theater, wie wir es in München gewohnt sind. Angenehme Immersion und ein Intellektualismus, der nicht intellektuell daher kam, sondern von Herzen. Einfache theatrale Stilmittel erreichten das, was sie wollten und lenkten nicht von dem Anliegen ab.
Haben Regisseure noch Anliegen? Ja, Thomas Ebermann auf jeden Fall. „Es laufen sehr viele aufgeblasene Typen in der Theaterwelt rum, die denken, ihre Ansagen seien göttlich. Das brauchten wir nicht“, erklärte er der TAZ. Selbst seine Schauspieler verkaufen sich nicht mit ihren großen Künsten. Der Teamgeist war offensichtlich.
Sie konfrontierten uns mit Zitaten aus Selbstverbesserungsliteratur, geliehener Weisheit, die wir erst in Führungskräftekursen mit Lamas wiederentdecken könnten. Begriffe wie „Emotional Competence Inventory“ wurden auf deren trügerische Natur erkundet und als Zeichen eines gesellschaftlichen Mangelbewusstseins erkannt, welches möglichst im Verborgenen bleiben möchte. Als würde die Industrie dagegen brüllen: „Nein, unsere Wirtschaft funktioniert, lasst uns so weiter machen!“
Auch das Theaterstück konnte ewig weiter gehen, wenn nicht Deus Ex Machina, Herr Ebermann selbst die Bühne betreten hätte und das „Einswerden mit dem Publikum“ suggerierte. Vier Moralapostel predigten vier mögliche Auflösungen unserer Geschichte. Wie sehr kann die eigene Sichtweise das Ende der kapitalistischen Gesellschaft voraussagen?
Frauen übernehmen das Ruder eines Schiffes, welches ihrer eigenen Natur zuwider läuft; Medienberater und Künstler finden sich als Konkurrenten zwischen Konformismus, Isolation und Profilierung wieder. Dies ist aber nur meine eigene Sicht. Bernd Hellinger könnte einwenden: „Du musst auch zustimmen, wenn du in einem schiefen Licht erscheinst, und dann weiter gehen.“ Doch mitsingen wollte das Publikum schlussendlich nicht.
Danke für den inspirierenden Besuch aus Hamburg!
Dominik Tresowski
Firmenhymnenhandel
von Thomas Ebermann
Pheline Roggan, Rainer Schmitt, Robert Stadlober, Tillbert Strahl-Schäfer Komposition/Gesang: Gilla Cremer, Dieter Glawischnig, Bernadette La Hengst, Honigbomber, Jales und Knopf, Ja Panik, Schorsch Kamerun, Dirk von Lowtzow, Melissa Logan, Nina Petri, Thomas Pigor, Lisa Politt, Jens Rachut, 1000 Robota, Harry Rowohlt, Sandy Beach, Rocko Schamoni, Kristof Schreuf, Horst Tomayer, UiJuiJui, Reiner Winterschladen, Gustav Peter Wöhler Musikalische Leitung: Ted Gaier, Thomsa Wenzel Video: Katharina Duve, Timo Schlierhorn Bühne und Kostüm: Astrid Noventa
Text und Regie: Thomas Ebermann
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Pathos Ateliers Die schlimmen Buben in der Schule von Ursula Reiter
Der Schulweg
Am 2. Mai fand in den Pathos-Ateliers die Premiere des Stücks „Die schlimmen Buben in der Schule“ unter der Regie von Ursula Reiter statt. Das Stück, eine Burleske aus der Feder Johann Nestroys, wurde 1847 in Wien uraufgeführt. Es reflektiert, für Nestroy typisch, auf sehr kritische Art und Weise den Umgang der Institution Schule. Dabei wird die Frage aufgeworfen, was für einen Zweck die Schule überhaupt noch erfüllen kann, wenn die Schüler schon voller Witz von sich selbst behaupten, das Leben sei für sie die größere, wahre Schule.
Der Theaterabend im Pathos jedoch fing ohne große Wahrheiten sehr pragmatisch damit an, dass ich (und wie es scheint, noch ein paar andere) das Theater selbst erst mal nicht auffinden konnte(n). Als ich dann in letzter Minute, und in Begleitung zweier junger, genauso hilfloser Damen, endlich mein Ziel erreicht hatte, begab ich mich zur Abendkasse. Dort wurde mir, als Antwort auf meine Beschwerden über die Unmöglichkeit des Auffindens der Örtlichkeiten, ganz charmant entgegnet: „Ja, das gehört zur Pathos-Erfahrung dazu, dass man’s nicht findet!”
So etwas finde ich dann einfach nur noch unmöglich sympathisch.
Zur Inszenierung. Auffallend ist erst einmal, dass die Figuren „Nettchen“ und „Franz Rottman“ gestrichen sind. Das verwundert auf den ersten Blick, ist man doch der festen Meinung dass der Plot diese beiden Figuren braucht, um überhaupt ins Laufen zu kommen: Im „Original“ von Nestroy ist Franz in Nettchen, die Tochter des Lehrers Wampl verliebt und hilft Letzterem dabei, seine Schüler durch die Endjahresprüfung zu bringen. Im Gegenzug erhält er von Wampl die Erlaubnis, weiterhin mit seiner Tochter zu verkehren. Der Plan läuft jedoch schief, da die Schüler Franz’ Versuch, sie unbescholten durch die Prüfung zu bringen, durchschauen und boykottieren. Trotzdem endet die Prüfung für alle Beteiligten gut, da der Prüfer (der Baron selbst!) sich als taubstumm erweist und die falschen Antworten der Schüler gar nicht als solche erkennt.
Hier jedoch hat man es anders gelöst. Interessant ist hierbei vor allem, dass nicht die Schüler selbst die Spickzettel in ihren Hüten vertauschen, sondern die Figur des Willibald Schnabel sie dazu anstiftet. Das schreit natürlich nach Unselbstständigkeit unserer heutigen Jugend usw. ... Die Jugend nämlich in dieser Inszenierung einen sehr wichtigen Platz eingenommen, und meine nicht nur auf der Metametametaebene, sondern ganz konkret. Da gab es nämlich eine sehr zu begrüßende Zusammenarbeit mit den Schülerinnen der BvB (Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme, NICHT der Fußballverein) aus Kolping.
Mehr zu diesen Schülern. Von denen gibt es nur drei „echte“ in 3D und live auf der Bühne (Willibald Schnabel, Stanislaus von Wichtig, Christoph Ries). Der Rest der Schulklasse wird wenn nötig auf eine große Leinwand projiziert. Hierbei wird zwischen zwei Modi alteriert. Da gibt es einerseits die Interview-Einstellung, in der zwei Schülerinnen des BvB über ihren Schulalltag berichten, und überhaupt über alles reden, was sie so gerade bildungsmäßig beschäftigt. Das ist mit Momenten mit einer unbeschwerten Komik verbunden, die im Publikum auch sehr gut ankommt. Andererseits wird die Video-Projektion auch raumerweiternd genutzt. Die Schulbank auf der linken Seite der Bühne, die übrigens sehr schlicht und minimalistisch gehalten ist, wird vom einsamen Gegenstand zum Teil eines Klassenzimmers; das wird nämlich, mitsamt Schülern und Lehrer an die Wand geworfen.
Also nochmal. Im Hintergrund die große Projektion des Klassenzimmers, die einen zwitterartigen 3D-Charakter durch die Bank im Vordergrund erhält. Und was ist mit den Schauspielern auf der Bühne? Ja, die reden mit der Wand. Also der Projektion. UND mit sich selbst! Ja, denn die beiden HauptdarstellerInnen, Adelheid Bräu, und Marc-Philipp Kochendörfer übernehmen gleich mehrere Rollen. So kommt es schon mal vor, dass Herr Kochendörfer als Vater, in Echt, mit sich selbst als Direktor, auf der Leinwand, ein Gespräch über seinen Sohn führt. Alles schön multimedial und interaktiv! Unfassbar, oder?
Es stellt sich allerdings die Frage, wozu die Projektion, außer zur künstlerischen Aufbesserung, noch dient. Auf jeden Fall schafft sie nicht nur Klarheit und Stringenz, sondern auch Verwirrung und Vermischung. Für mich war zu Anfang nicht klar, dass die Schülerinnen, die im Video interviewt werden, sozusagen die Klassenkameradinnen von Willibald Schnabel und Co. Darstellen sollen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Mädels im Video in einem anderen vestimentären Code unterwegs sind als die beiden Hauptdarsteller. Die sind nämlich kleidungstechnisch an die Entstehungsepoche des Stückes (zur Erinnerung: 19. Jahrhundert!) angepasst. Aber dann gibt es noch Stanislaus und Christoph Ries, beide übrigens von jungen Frauen dargestellt. Es kann also hier auf keinen Fall von Schwarzweißmalerei die Rede sein. Es wurde ja schön vermischt: auch die Klassensaalprojektion wird mit ins Spiel mit den Kostümen einbezogen, Willibald sitzt im Video in Dreiviertelhose, Strickpulli und Schuhen, die an vorsintflutliche Chuck’s erinnern, rum. Und die Jungs werden von Mädels gespielt.
Die Interpretation wird einem schön serviert. Die Thematik des Stückes kann ohne Problem von gestern auf heute übertragen werden und ist wohl auch noch geschlechterunabhängig. Applaus. Aber was ist denn nun eigentlich die Thematik?!
Ja, die Jugend von heute ist sehr intelligent und geistreich, auch ohne Abi! Das erkennt man alleine schon in den dokumentarisch-angehauchten Teilen der Projektion. Und trotzdem finden die armen Kinder keine Ausbildungsstelle. Und jetzt?
Dass im Stück keine klare „Message“ zu erkennen ist, ist gar nicht mal so schlimm, was aber dem Abend hauptsächlich fehlt sind die Extreme. Weder die Projektionen, noch die Peter Fox Einlage, mit denen die Schüler ihren Lehren dazu auffordern, seinen „Speck“ zu „schütteln“ und ihn sozusagen an der Jugendlichkeit teilnehmen zu lassen, können darüber hinwegtäuschen, dass sich hier eine gewisse Eintönigkeit einstellt.
Das liegt allerdings nicht an den Darstellern. Auf schauspielerischer Ebene wird sauber bis ins Detail durchgearbeitetes Texttheater geboten. Im Endeffekt sind es Adelheid Bräu und Marc-Philip Kochendörfer, die diesen Abend tragen. Durch Klasse, Witz, Feinfühligkeit, geschickten Körpereinsatz und abwechslungsreiches Rollenspiel sorgen sie stets für einen gesunden Rhythmus und den ein oder anderen Lacher.
Wo mir inszenatorische Strenge und klare politische Stellungnahme (die aber im Voraus angekündigt wurde und dann irgendwie in eine Art Programmheftchen, das den Zuschauern während der Vorstellung ausgeteilt wird, verfrachtet wurde!) fehlen, gleichen die Schauspieler durch ihre Lust aufs Theaterspielen wieder mehr als aus!
Jean-Marc Turmes
Die schlimmen Buben in der Schule
von Ursula Reiter nach Johann Nestroy
Willibald Schnabel, Stanislaus von Wichtig, Christoph Ries
Regie: Ursula Reiter
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