Pathos Ateliers  Tasso nach Goethe


 

 

Mann, Tasso, Mann …


„Sei uns gegrüßt …“, nun ganz so geneigt empfing der Ordnungshüter Peter Trabner die Zuschauer vor dem Pathos nicht. Es waren die Regeln, die er (nach einem freundlichen „Guten Abend“) in den Vordergrund rückte. „1., 2., 3., und 4., 5. …“, stellte er vorsätzlich prägnant in die schwarze Abendluft. Nicht nur über die Sitzordnung aufgeklärt, durfte man folglich das Atelier betreten. Immerhin ist auch die Kunst, nach Schiller und Goethe, „Vermittler einer höheren Ordnung“ und repräsentiert ein Vorstellungssystem.

Es waren wohl die Spannungen zwischen dem Mäzen Herzog Carl August und dem Künstler Johann Wolfgang Goethe die 1785 zur Flucht vor seinem Mäzen und zur Reise nach Italien führten. Im Land der Renaissance und dem humanistischen Ideal, welches wiederum im klassischen deutschen Feudalismus zwar gepriesen, doch schon allein durch die gesellschaftliche Ordnung verraten wird, suchte Goethe die Freiheit zu künstlerischem Schaffen. „Torquato Tasso (auch ein Name ist Programm) … Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“, schrieb er zu seinem wohl persönlichsten Werk, welches er in dieser Zeit fertigstellte. Mit der Einordnung in das Feudalsystem nach seiner Rückkehr stutzte der Künstler sich selbst die Flügel und die Spätwerke lassen dies deutlich erkennen. Der Mäzen als Machthaber und Gesetzesschreiber, der Autokrat („Er schätzt die Kunst sofern sie ihn ziert …“) hatte über den Freigeist gesiegt. Wenn das kein zeitaktuelles Thema ist …

Es waren wohl die Spannungen zwischen den drei unterschiedlichen Weltbildern,  in denen die drei unterschiedlichen Charaktere der Schauspieler sich entwickelten, welche das Projekt beförderten. Der Ostberliner Jörg Witte wählte die Figur Tasso als Kern der Performance. Bildung und Sachwissen waren wichtiger Bestandteil der ostdeutschen Gesellschaft vor der neuen Einheit. Sein Part, die Aufklärung. Der Förder Peter Trabner wurde in die Wirtschaftswunderwelt der Westsphäre  geboren und das Schaffen, Bauen, Ordnen liegen ihm im Blut. Sein Part, das Ordnen und Beleuchten der goldenen Kulisse. Letztgenannt (das Los des jungen weltoffenen Mannes) Martin Clausen, der zu Recht bemängelte, dass er den Worten der Älteren folgen muss, bis diese erkennen, dass auch seine Ideen des Umsetzens wert sind. Ein harter Kampf um einen Rang in der Gruppe. Sein Part, das Warten auf seinen Einsatz. Um die Figur Tasso und das Projekt der Performance reihten sich die beflügelnden Ideen und der persönliche Alltag der Männer. Von der Auseinandersetzung mit dem Titelhelden, den persönlichen Anteilen, den Kontakten und Gesprächen, der Umsetzung und dem Zusammenspiel auf die Bühne handelte dieser. Mit wunderbarem körperlichen Einsatz, verspielter Manier und künstlerischem Können gestalteten sie den Weg ans Ziel. Tasso im Pathos (mit Verve). (Durch das Fenster erkannte ich zeitgleich  im gegenüberliegenden Gebäude einen Mann, ebenfalls mit bloßem Oberkörper in Aktion. Tasso? Zufall?) Da kriegt Mann Tasso doch glatt einen Schlaganfall …

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© Bieringer

 

Goethe ist kaum totzukriegen. Er wird noch lange im Elysium ausharren müssen. Eine gerechte Strafe für ihn und sein Schaffen? Allem und allen gerecht werden zu wollen, darauf basiert das Ideal der Spießbürgerlichkeit; aber immerhin ein Jahrhunderte praktiziertes Gesellschaftskonzept mit Stabilitätscharakter. Unter dem Deckmantel reinster und edelster Menschlichkeit überdauert es bereits Ewigkeiten. Ein Symbol für die Pseudofreiheit des Schaffenden, denn die Freiheit im Geiste, den Gedanken, basiert immer auf der Ordnung eines Realkörpers und ist damit immer in Strukturen eingebunden. Doch wie vielen zusätzlichen Weltvorstellungen will Mensch sich unterwerfen? Wie viele Gebote, Verbote und Ideale werden täglich neu erfunden? So unzählbar viele, dass es viele Menschen wieder in die alten Urstrukturen an den Anfängen ihrer Zeitrechnung zurückzieht.

In diesen Strukturen vollzieht sich das Altern, und also auch in einem permanenten Anpassungsprozess in die Ordnung der Natur. „Und ist es nicht der Mann; er fällt zuletzt, / Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.“ In einer humanistisch liberaleren Gesellschaft sähe dies vielleicht etwas anders aus.

Als säßen ein Bürokrat, ein penibler Lehrer, ein aufmerksamer Schüler, ein junger Mann der auf seine Stunde wartet und gleichzeitig zwei Idealisten vor dem Publikum. So brachten Martin Clausen und Jörg Witte das Spannungsfeld des Werkes vor das Publikum. Die menschliche Vielfalt zu der Tasso fähig ist, die im Vorspiel verkörpert worden war, übersteigt bei weitem die Möglichkeiten, welche einem Normbürger entspräche. Die Begegnung ist zum Scheitern verdammt, solange man über die Gesellschaftsanordnung alle in eine Form zu pressen sucht. Die Tragik der Un- und Missverständnisse kann auch damit nicht überwunden werden.

Die Performance ist als Tasso Gedicht zu verstehen, dessen künstlerisch bewegendes Ende durch die Umstände außer Kraft gesetzt wurde. Das Gedicht-Projekt muss scheitern, um in sich wahrhaft zu sein. (Erfolgreich anerkannt im Sinne der damit verbundenen Vorstellungen wäre banal, damit Versagen im künstlerischen Anspruch.) Durch das gleichmäßige Vorlesen der Blankverse wurde es zum Scheitern gebracht. Damit blieb das Projekt, das Gedicht, spannender als der Vortrag des bürgerlichen Dramas. Eine ausgezeichnete Performanceidee und eine anspruchsvolle Umsetzung fanden den Weg auf die Bühne. „Euch zu gefallen, war mein letzter Wunsch …“ Erfüllt!

 

C.M.Meier

 

 


Tasso

nach Goethe

von und mit: Martin Clausen, Peter Trabner, Jörg Witte und Barbara Balsei

Pathos  Das blaue, blaue Meer von Nis-Momme Stockmann


 

Was ist Leben?

Vier Betonsäulen begrenzten die Spielfläche. Zwischen diesen hingen Schaukeln von der Decke. Stahldraht und Betonblöcke verstärkten die Atmosphäre, wie sie zwischen ergrauten Wohnbauten herrscht. Ein Spielplatz für die Kinder und diesen Lebensraum zu nennen, veranschaulichte das Missverständnis der bedingungslosen Industriegesellschaft. Der Bewegungsraum ließ jegliche Natur vermissen, trennte die Körper von dieser und damit auch von ihrer eigenen natürlichen Art. Ein Hase, Haustier, suchte neugierig vergeblich nach einem Zuhause.

Auf dieser Bühne sind es szenische Momente, die zwischen Erklärung und Befindlichkeit kreisen und damit das Dilemma, die Spaltung der Spezies in Funktion und Ausgeliefertsein, in den Mittelpunkt stellen. Nis-Momme Stockmann, dessen Werke im deutschen Raum vielfach Auszeichnung und breite Beachtung finden, führt in dem Stück Aussichtslosigkeit vor Augen, wenn er die Schauspieler von „ ... der hat doch gar keine andere Wahl als komplett verrückt zu  werden ...“ sprechen lässt. Der Autor formuliert eine gebrochene Sprache, die sich in Wiederholungsschleifen aufhängt. So, wie in Passagen im Text immer wieder von den Menschen gesprochen wird, welche dem Vegetieren ein Ende setzten. „Meine Eltern sind schon lange tot, ihre Körper leben noch in dem Haus ...“ Hoffnung, das ist ein Wort aus einer anderen Welt, dessen Bedeutung sich zwischen den grauen Mauern verflüchtigt hat. Nackt, ohne Rückzugsraum sind die Figuren dem Sozialfeld und dem über sie gestülpten Klischee ausgeliefert. „... Konformitätsgravitation ...“  Und doch schillern auch dazwischen Träume.

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Jaqueline Jansen

© 

 

Darko sucht vergeblich nach Leben in diesem Raum. Felix Phönix Lehmann verkörperte glaubhaft die Angst eines Ausgeschlossenen vor der Welt. Unbeholfen, unerfahren, doch auch gleichzeitig neugierig erkundend, erspielte er facettenreich den jungen Mann in einem unwirtlich kleinen Umfeld.  In den Passagen, in denen seine innere Stimme (lebendig gesprochen von Jasper Vitus Schagerl) sich Gehör verschaffte, straffte sich seine Haltung und ein unmerkliches Lächeln trat in sein Gesicht, die für Momente eine innere Gegebenheit begreifen ließen. Doch die überwiegende Resignation erstickte ihn schon vor einem Leben.
Die Unruhe der Leere wurde mit lauter Musik übertönt, dem Versuch die Seelen in Schwingung zu halten. Regisseurin Constanze Hörlin, die gemeinsam mit Uli Pförtsch die Bühne gestaltete, hatte auf Tempo gesetzt, um dem szenischen Text zu Spannung zu verhelfen. Immer wieder wechselten die Bilder, Szenen, und doch, ein wenig weniger Aktion wäre mehr gewesen. Wogegen die Idee, der inneren Stimme des Protagonisten ein anderes Timbre zu verleihen, voll aufging und den Graben zwischen Möglichkeit und Tatsächlichkeit auftat. Die pure Tristesse wäre Realität gewesen und somit wurde ebenso deutlich, wie nahe die Figuren doch miteinander verbunden waren. Industiell erzeugte „ ... Konformitätsgravitation ...“  - Alle sind eins, eins steht für alle.
Christiane Dollmann, das typische Mädchen von nebenan. Sie machte unkompliziert mit oder zog sich zurück in die Poesie, den Bereich des artikulierten Gefühls. Aus dem Hintergrund trug sie stimmungsvoll Verse vor. Doch auch sie ein Opfer der äußeren Umstände.
Abhängen und schaukeln, an Fäden von oben baumeln. Das, und die Flasche Alkohol waren es, die das Bild eines Ausgegrenzten ausmachten. Jasper Vitus Schagerl gab den stumpfen Alkoholiker, der ausgeliefert perspektivlos lediglich von einer schwarzen Mütze gewärmt, auf dem Boden aus Beton hockte und dies als nackte Tatsachen vorstellte. Facetten der Selbstwahrnehmung und „Korn, Rum, Wodka, Bier“ wechselten einander ab. Souverän spielte er einen Weggetretenen.
Martina Schölzhorn nahm immer wieder die Hände vor Augen, formte ein Fernglas aus ihnen um in andere Welten, in eine farbige Zukunft zu blicken. Ein aufgeschlossenes Mädchen stellte sie mit feiner Präsenz dar, das sich einen eigenen Lebensraum schuf und Bezug suchte. „... lass uns doch in den Zoo gehen ...“, ein Ausflug den Darko jedoch vereitelte. Die träumende Motte flüchtete „... nach Norwegen. Da ist das Meer noch blau.“

Das Feuer mit dem die Macher dieser Aufführung für Theater brennen, leuchtete aus allen Poren. Und den Wänden blieb nur, dieses widerzuspiegeln. Ins rechte Licht gesetzt hatte dies Evi Gerteis mit entwickeltem Gespür für kunstvolle Bilder in ungewöhnlich feinem Farbspektrum und blanker Schwarz/Weiß Manier. Es ist also möglich auch Beton zu bespielen, wenn man aus der freien Welt kommt - Leben zu verbreiten. Lassen Sie sich anstecken ...

 

C.M.Meier

 


Das blaue, blaue Meer

von Nis-Momme Stockmann

Christiane Dollmann, Felix Phönix Lehmann, Jasper Vitus Schagerl, Martina Schölzhorn

 

Regie: Constanze Hörlin

 

Schwere Reiter  UA Land von Cornelie Müller


 

 

Und nun?

Es ist das Land, das die Menschen formt. Es sind die Nahrungsmittel, die menschliche Substanz bilden. Es sind die Menschen, die die Menschen bewegen. Es ist die Natur, welche die Welt durchdringt und deren Grundlage ausmacht. Und eben die Vielfältigkeit der Natur schöpft Differenzierung, schafft übereinstimmende Annäherung, bewahrt vor einheitlicher Egalität. Existenz und also - ein Wechselspiel von Bewegung und Starre, von Luft und Boden, von Blut und Knochen, von Zugehörigkeit und Fremde – „ein Wirrwarr mit Widersprüchen“. Dieses Durcheinander wird in der Welt von Politik nachvollzogen, oder vielmehr in der Reaktion auf die Reaktion der Reaktion einer missverstandenen Aktion verbreitet. Migration, Emigration und Remigration bildeten den Kern dieser kunstvollen Suche, die es auf den Punkt brachte: „Weil man immer am falschen Ort ist.“

Cornelie Müller und Robert Spitz recherchierten in Bayern und Israel die Schicksale deutschstämmiger Juden. Oder waren es jüdische Deutsche? Schon hier tut sich die Diskrepanz durch Artikulation auf und die Vorbehalte schaffenden Akzente nähmen ihren Anfang. Jedenfalls, die spannende Geschichte der Familie Spitz zog sich wie ein rotes Band durch die Aufführung. Im Programmheft finden sich die Beweggründe ebenso ausführlich festgehalten, wie die Erinnerungen der verschiedenen Familienmitglieder. Die Suche nach Heimat – und also Verbindlichkeit – zeichnet eine abenteuerliche Wechselhaftigkeit im 20. Jahrhundert. Cornelie Müller, welche auch den Text schuf, legte bei diesem ebenso wie bei der detailliert abgestimmten Inszenierung den Schwerpunkt auf die verbindenden Momente. Denn eben diese Momente sind es, die Heimat (urspr. Ort wo man sich niederläßt, Lager) entstehen lassen. Sarah Camp, Robert Spitz und Sophie Wendt verkörperten Heimatsuchende, erspielten freudig bewegt berührende wie irritierende Augenblicke.

Die Betonung des Geschehens lag auf universeller Aktion, weniger auf dem Wort, welches doch ortsgebunden einer Sprache Ausdruck verleiht und in der alltäglichen Reduzierung deutliche Einschränkung verlautete. „Ja da halt ... wo ... da ... wie ... ja da ...“ Bisweilen prallten Worte aneinander ab, wie Steine an einer Wand. „Die Sprache allein genügt nicht mehr.“ Es wurden Erinnerungen gepflegt, ein Baum gepflanzt, eifrig eine schillernde Folie zerzupft, glatte Fassaden geputzt, auf dem Scherbenhaufen des Gestern die Fragilität des Heute zertreten, zwischen Konserve und persönlicher Musikalität hin- und hergezappt – das waren die Aktivitäten, die die Zeit füllten. In der Mitte stand die Frage: Kann ein Briefkasten mit Namensschild Heimat bedeuten, Identität bestätigen? Das Labyrinth aus Häuserwänden, Straßenschluchten, Gittern der Ausgrenzung, verschlungenen Wegen und Sackgassen war gegenwärtig, Ort. Im Bühnenbild (Bauten: Wolfgang Metzger) wirkten die egalisierenden Merkmale der Städte, die sich dennoch in der Art der Fassaden, den Namen der Straßen und naturgemäßem Bewuchs unterscheiden, wie die Videoprojektionen an den Außenwänden deutlich machten. Während der Klang (Paolo Mariangeli), vom gesprochenen Wort über Straßenlärm bis zum aufgezeichneten Zwitschern der Vögel, gegen die Stahlwände prallte und so Resonanz in den anwesenden Menschen auslöste. Alles allerorts im selben Modus? Auf der Bühne in München verstand es Michael Bischoff mit Hilfe von gesetztem Lichtdesign die einen oder anderen Momente deutlicher hervorzuheben, bzw. diese im Dunkel verschwinden zu lassen, Tag und Nacht in „Land“ zu erwecken.

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Robert Spitz, Sophie Wendt, Sarah Camp

©Volker Derlath

 

Eine Performance von „Blut und Boden“ war es keinesfalls. Es war in der Tat „Eine Annäherung“, eine Sensibilisierung für die Welt in der Mensch sich bewegt. Die Durchmischung von Schauspiel und Publikum, das dem Zuschauer sein eingebunden sein in Theater veranschaulicht, kann nachdenklich stimmen. Die Heranführung fand auf spielerische unaufdringliche Weise statt. Die Freiheit sich im Bühnenraum zu bewegen, durch die Kulissen zu schlendern oder auf einem kleinen beweglichen Hocker beobachtend am Rande des Geschehens zu sitzen, zeigte was der Mensch wirklich benötigt - Bewegungsraum, Rückzugszone, Interaktion und Beobachtungsphase. Dies gilt für alle, ob in Deutschland oder Israel, ob in der Ukraine oder auf  Hawaii. Es scheint in der sogenannten Gesellschaft vergessen zu sein, verschüttet unter Lawinen von Gewalt oder marketinggemachten Scheinbedürfnissen, was das Leben eigentlich ausmacht. Wer Interesse hegt an dem „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wird Bereicherung und Bestätigung erfahren in der künstlerisch erlebenswerten „Annäherung“.

 

C.M.Meier

 

Nachsatz:
Die brisante Aktualität von „Land – Eine Annäherung“ ist mit Blick auf das Heute in der Welt zweifelsohne gegeben. Es gibt keine, es kann keine allgemein gültige Antwort, keine Lehrmeinung welche Lösungen und Antworten bietet, geben. Allein in der Bewusstwerdung des Einzelnen und seinem Handeln liegen Möglichkeiten dazu.

 

 


UA Land

von Cornelie Müller
Eine Annäherung

Sarah Camp, Robert Spitz, Sophie Wendt

Raum, Text, Inszenierung: Cornelie Müller
Bild, Video: Robert Spitz
Klangbearbeitung: Paolo Mariangeli
Lichtdesign: Michael Bischoff

Schwere Reiter  UA Germania III - Die Heimkehr von Stefan Kastner


 

 

Multikulti

... oder wenn Werder Bremen Meister ist. Lächerlich? Nein, die Welt steht längst Kopf und alle finden das normal. Grenzen werden aufgehoben, nationale Identitäten fließen ineinander und Völkerwanderung ist Dauerzustand. Gedacht und agiert wird universell global, jedoch die Dimensionen haben kosmische Ausmaße angenommen. Auch im Bereich Kommunikation verschwimmen bitterer Ernst und entlarvende Ironie zu einem Spaßkompott ... ääh ... –komplott. Wer um was, jeder gegen andere, alle für nichts. Überblick und Durchblick blicken auf ein heilloses Chaos, welches zwar eigenen Gesetzen folgt, gewollte Ordnungen jedoch zu ignorieren versteht. Ein Spektakel war das Dasein immer schon, wird es fraglos bleiben.

Und einen Teil dieses Spektakels einzufangen, auf die Bühne zu bringen, braucht eine Portion besonders gesunden Humors. Stefan Kastner hatte, in gekonnter Manier ebenso wie in Anlehnung an den amerikanischen Serienwahn mit weltweit verbreiteten Folgen, nun „Germania III“ verfasst. Und, gefasst musste der Zuschauer sich machen auf Abbildungen grotesken Alltags, ebenso wie subtile Anspielungen und die pure Naivität im Menschlichen.

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Marcus Weishaar, Sarah-Lavinia Schmidbauer, Josef Schmid, Uli Zentner, Dominik Wilgenbus, Stefan Kastner

© Franz Kimmel

 

Ein orangefarbenes Plastikplanschbecken stand für den längsten Fluß Europas. „Donau“ lautete der Schriftzug auf dem Schild. In der Mitte der Spielfläche saß eine Dame an einem Tisch, blätterte in einem Buch, nippte an einer goldumrandeten Tasse. Bildung bildet doch immerhin den Mittelpunkt der aktuellen Gesellschaft. Während die Gruppe „Makromannen“ sich dem Sinnbild des Flusses näherten und der „Chef“ seinen Plan äußerte. Er wolle das Römische Reich einnehmen, gegen und vielmehr nach Rom ziehen. Als seine Gefährten dies hörten, begannen sie die wunderschönen Badestrände der Adria aufzuzählen, von Strandurlaub zu schwärmen. Doch danach stand dem Chef nicht der Sinn, er verbot mit der Begründung: „... weil ich das will, ganz einfach ...“ Schon war das Schauspiel mitten im Leben gelandet, oder der Zuschauer im Alltag.  Wie man es auch dreht und wendet, es stimmte immer. Vom hofierten Filialdirektor der DAK, über die allgegenwärtige Security und die Verteilung von Werbegeschenken wie ultraweiches  Toilettenpapier mit Kaschmiranteil spannte sich der Bogen in die schillernden Bilder. Die Spielfläche wirkte, im Gegensatz zu den vielen notgedrungen sparsamen Performances im Land, überbevölkert. Neben bekannten DarstellerInnen wie Michaela May, Inge Rassaerts, Dominik Wilgenbus, Uli Zentner spielten auch die Mitglieder des Müttergesangsvereins München mit. Sechsundreißig Personen und der Autor und Regisseur Stefan Kastner, dem abwechslungsreiche Szenen wie in einem Krimi gelangen, wimmelten über die Bühne. Eine beachtenswerte Ensembleleistung, die ein wenig mehr spannungsgeladene Aufregung vertragen hätte. Oder, es drang hier eine nach konservativer Konstanz lechzende Realität aus dem Landeshintergrund durch - das 2. Jahrhundert im 2. Jahrtausend nach Christus. Beabsichtigter Weise unabsichtlich. Denn auch so macht sich Kunst bisweilen bemerkbar. Die Antwort liegt in der Betrachtung durch den Einzelnen.

In Zeiten in denen es „nix zu lachen“ gibt, boten Stück und Inszenierung eine höchst willkommene Abwechslung, die eine Reihe von Lachern frei setzten. Aufklärend bajuwarisch geprägte Unterhaltung pur!

 

C.M.Meier




UA Germania III - Die Heimkehr

von Stefan Kastner

Dominik Wilgenbus, Sarah-Lavinia Schmidbauer, Uli Zentner, Marcus Weishaar, Sepp Schmid, Stefan Kastner, Winfried Hübner, Inge Rassaerts, Isabel Kott, Susanne Schroeder, Judith Huber, Gabriele Graf, Thorin Kuhn, Markus G. Herzog, Torsten Frisch, ... und Michaela May

 

Müttergesangsverein München: Tina Armbruster, Susanne Barth-Ilg, Dagi Baumgartner, Svetlana Dietz, Eva Düchs, Katerin Eisenblätter, Sabine Fink, Renate Grote-Giersch, Angelika Hornsteiner, Cornelia von Kapff, Dominique Marchand Fässler, Margarita Matrin Huéscar, Christina Neudecker, Margarete Paul, Karen Quan, Tanja Römer, Vera Schleifer, Bettina von Staden, Evelyn Voigt-Mueller, Moni Willenbrink, Uli Wimmer

 

Regie: Stefan Kastner

Schwere Reiter  Zurück im Paradies


 

 

Die Kraft des Humors

beseligt ... und zum Schmunzeln und Lachen gab es reichlich Anlaß bei der transhumanen Posse „Zurück im Paradies“. Gott, Adam und Eva, sowie eine Musikkapelle erzählten viele und doch nur die eine Geschichte. Die Geschichte von der zweiten Chance für die drei Symbolfiguren und das klägliche Scheitern in der Gegenwart. Was bleibt, als das Geschehen kunstvoll umzusetzen, zu betrachten und ...

Arbeit, Konsum und Unterhaltung gliederten den Ort in drei Erfahrungsbereiche. Und, die, mit Stofftieren, Bleistift, Globus und allerhand Tand geschmückte Türe in den Himmel führte direkt an den beladenen Schreibtisch. Hier saß die graue Eminenz, regierte über Alles, mit starrem Gesichtsausdruck und sichtlich sinnierend beschäftigt. Immerhin Ausgangspunkt der Macht. „... bin enttäuscht vom Leben ...“ erklang im Chor, virtuos von der Band unterstützt und Adam fügte ein „... vom Kindergarten und ständig der Tomatensauce ...“. Gott war allein, ganz allein, denn sein Psychiater hatte sich aufgehängt und er suchte nach einem neuen. Dem Paar bot er einen Apfel an, diesmal ohne Schlange. Die Souveränität der grauen Eminenz bröckelte deutlich, was von Jochen Striebeck souverän dargestellt war. Ein Widerspruch? Verstanden wurde das Paradies als ein Gegenentwurf zur Realität. Umgesetzt wurde die Realität in ein Spiel – „Gott hat noch nie über Gründe nachgedacht.“ Dieser Satz benennt wohl „den Wurm“ in einem allgemeinen Verständnis.

Die Männer der Band waren in orange Overalls gekleidet. Immerhin hat auch der Bereich Unterhaltung bereits sichtbar industrielle Züge angenommen. Durchweg, auf unterschiedliche Art „cool“, spielten und waren sie Künstler. „Wir haben die Pest überstanden, die Cholera und Kohl ...“ was kann da noch erschrecken „... alles wird immer Besser ... nicht für jeden (ein zurückgenommener Zwischenkommentar) ...“  Selbst das Vergnügen hat sich längst von dannen bewegt. Nicht so in dieser Inszenierung, die wunderbar humorvoll kleine und große Spitzen austeilte.

„Fragen ist besser als Antworten.“, erklang von den Lippen Adams, der als Moderator vor den Zuschauern stand, und er führte auch gleich Aktualität und Person an. Die Kapelle lieferte jeweils Tusch auf Bestellung – als Beispiel für gekauften Applaus oder PR – um eine eigene Aussage zu verstärken und damit mögliche Buuh-Rufe aus dem Publikum von vorne herein zu unterbinden. Dieses hat einverstanden zu sein mit dem Satz – der Propaganda. Es gab bereits eine Zeit in der die Industrie die Medien und die Politik kauften und diese Zeit endete in weltumspannender Zerstörung und Millionen Toten. Nun ist es Zeit aufzuwachen aus einer Wiederholungsschleife der anderen Art.

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Stephan Zinner, Annett Krause, Jochen Striebeck

© Edward Beierle

 

Adam und Eva waren aus dem Paradies in einem Kramladen gelandet. Die Regale voller Nostalgie. Sie gingen auf in Geschäft und Kinderbetreuung, ganz wie man es ihnen vorsagte. Was nützten all die Blumen in dem Laden, wenn Eva von Adam nur die eine weiße Nelke annahm, die roten verweigerte sie. Der g’standene Adam, Stephan Zinner, verstand es zwar brillant das Publikum zu begeistern, doch seine Eva verfolgte andere Interessen. Annett Krause war eine lebendige vielseitig talentierte Frau, neugierig suchte sie Bestätigung, überzeugte darstellend in der, von Zeitgeist formulierten Rolle. Ein gemeinsamer Besuch bei Gott war dem Anstand geschuldet und dem Versuch von familiärer Rückschau. An den natürlich kultivierten Zustand konnten, bzw. wollten sie sich nicht mehr erinnern. Es kam nach und nach wie es kommen musste. Adam, das Männerbild, war „auf den Hund gekommen“ und er trug die Telefonnummer seiner Besitzerin auf den Bauch tätowiert. Bei der modernen Eva „hatte Udo das Sagen“, nachdem dieser sie geschwängert und bereits alles Weitere akribisch geplant hatte. Und Gott hatte Mühe, denn der Himmel, der war voll, voller Meerschweinchen. Die kleinen putzigen Tiere nahmen die Plätze der Menschen ein.

Im Laufe der Aufführung prangte, wo früher das Herz war, auf der Kleidung der Darsteller und Musiker ein Plastikaufkleber – sichtbares Gesinnungszeichen und doch eben nur Zeichen und keinesfalls lebendig. Lebendigkeit gilt es offensichtlich zu verhüten, denn schlüge das Herz der Menschen „am rechten Fleck“, so würden sie den heute programmatisch erstellten und öffentlich propagierten Humbug wohl kaum als Leben bezeichnen und mitmachen. Wer erkennt den Garten der leibhaftigen Seligkeit?

Das Paradies ist weniger als Ort zu verstehen, denn als ein menschlicher Zustand der Hoffnung und des achtsamen Miteinander einer Gemeinschaft. Die Auslöschung der sich Gottgleich wahnenden Egotripper und die Erkenntnis von deren Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit im Sinne des Ganzen steht an. „Gott ist tot, ermordet im Supermarkt.“, verkündete die graue Eminenz auf der Spielfläche, „geblieben ist sein Bruder, Onkel Karl.“ Es war zutiefst erfreulich auf dieser Bühne eine Antwort zu sehen, die sich gegenüber der allgegenwärtigen Selbstgefälligkeit absetzte, einen Weg für eine dritte Chance zeigte. Und das auf eine feine höchst amüsante Weise. Wohlverdienten begeisterten Applaus für Idee, die Umsetzung in unzählbar viele metaphorische Bilder und die Darstellung

 
C.M.Meier

 

 


Zurück im Paradies

Eine transhumane Posse mit Gesang
Nach Geschichten und Liedern von Funny van Dannen

Stephan Zinner, Annett Krause, Jochen Striebeck
Musik: Margarita Holzbauer, Peter Pichler, Jan Kahlert, Tschinge Krenn, Martin Lickleder
Konzept/Regie/Musikalische Leitung: Peter Pichler
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