Pathos Ateliers Lamento - Auf den Spuren von Dylan Thomas


 

 

 
 
Zauberei oder Von Liebe und Verschwendung der Liebe

„A candle in the thighs
Warms youth and seed and burns the seeds of age;“
„Eine Kerze zwischen den Schenkeln
erwärmt Jugend und Samen und verbrennt die Saat der Reife“

Die Dämmerung zog herauf, die Lichter der Stadt erhellten von Ferne den Himmel über der Kulisse, Pathos Gelände, und leiser Verkehrslärm brandete wie Ozean an die Ohren. Swansea, eine von Industrie geprägte Stadt an der Küste von Südwales, erstand. Der Geburtsort von Dylan Thomas. „Under Milkwood“ erklang aus den Kopfhörern, als ich über das Gelände flanierte. Ziegelbauten, Fabrikhallen mit leeren schwarzen Augenfenstern, Laderampen mit vergessenen Kisten, Graffiti reihte sich farbschattig Motiv an Motiv und  dazwischen gelegentlich ein Haus, ein Fenster erleuchtet. „Es ist Sommer, mondlose Nacht in der kleinen Stadt ...“ Der potente Text mit seinen raumgreifenden Bildern entfaltete sich zwischen der Kulisse und mir. Es war, als würde die Atmosphäre die Melodie der Sprache in alle Dimensionen aufnehmen und wiedergeben. Die Ewigkeit im Augenblick zwischen Schlaf und Verfall. Ich war nicht allein auf dem Gelände, viele Schatten glitten durch die Nacht, schwebten auf die versteckte Halle zu, die Kneipe füllte sich.

Irene Rovan, Martin Clausen, Hannes Liebmann und Thomas Meadowcraft bewegten sich zwischen den Tischen. Abwechselnd trugen sie Textpassagen aus Briefen oder Essays vor, rezitierten Gedichtzeilen. Hektisch, leise, rauchig mild, mit Worten und Gefühlen ringend oder die Weite der Freiheit auslotend, spielten sie. In Bewegung sein, in Bewegung bleiben, so verkörperten sie Dylan und Caitlin. Sie verharrten in Ecken, nahmen Nischen ein, zückten Spiegel und sammelten die über den Stuhllehnen hängenden Pullover, die Abenteuertrophäen, ein. David Heiligers führte feinsinnig Regie und ließ die Lebensgeschichte in Bildern erstehen – die Kindheit, die erste Begegnung, die Zeit in London und letztlich die Vortragsreisen Dylans in den Vereinigten Staaten. Thomas Meadowcraft begleitete den letzten Abschnitt mit ausgeprägten musikalischen Pop-Rhythmen, zwischen Komposition und Improvisation. Auch fehlte es nicht an performten Metaphern: Die berauschende Vorfreude des Durstigen gipfelt in der Melodie des Getränkes, wenn dieses ein Glas füllt. Potente Poesie der Prozente und des Geschmacks. Eine Schlinge baumelte von einem Querbalken ...

 
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Martin Clausen, Hannes Liebmann, Irene Rovan

© Conny Mirbach

Dylan Tomas und Caitlin Macnamara bildeten ein Künstlerpaar an dem alle Gegensätze, alle Facetten des menschlichen Lebens erkennbar werden (siehe Lebensbeschreibungen). Ihre Saat trieb aus, im Augenblick und in der Ewigkeit, ihre Werke gleichen Früchten in Büchern und sind leuchtende Sterne am literarischen Himmel. Es war wohl eine Beziehung besonderer Intensität und Vielfalt, Liebe, die Freude und Lust wie Verletzung und Leid gleichermaßen beinhaltete. Nur aus solchen Momenten der Ewigkeit lässt sich in den Augenblick schöpfen. Allein sie in Ansätzen aus den Texten der beiden Dichter zu erfahren, vor dem Auge erstehen zu sehen, bereichert. Als ich zu Beginn des Abends in der Menschenschlange um die Eintrittskarte anstand, wurde ich unfreiwillig Ohrenzeuge eines Lamento (der anderen Art) über den Verlauf einer Begegnung. Wie arm ist jede modern funktionale, in Klischees und pseudopschologische Verhaltensmuster gefasste, vernunftharmonische Partnerschaft, der jede Spontanität und damit Lebendigkeit fremd ist. Der Augenblick beinhaltet Alles und die Verblendeten und ideologisch Verkrüppelten erkennen Nichts. Ihre Saat verfault in ihren Vorstellungen, bildet noch nicht einmal Sterne, Träume.


„Wo keine Saat treibt,
Entfaltet sich des Menschen Frucht in den Sternen,“
„Where no seed stirs,
The fruit of man unwrinkles in the stars,“

Die Poetry-Performance führte an die Grenze zu intensivem Lebensgefühl und lud nicht nur mich, sondern alle Zuschauer ein, anschließend einen Schluck guten Whiskey zu nehmen, an dem Ort zu verweilen. „Darum! Aber vergiss nicht, dass irgendwann das Herz den Platz der Leber einnahm.“ Ein außergewöhnlicher Kunstabend voller Kraft und Poesie.


 
C.M.Meier

 

 


Lamento

Auf den Spuren von Dylan Thomas

Irene Rovan, Martin Clausen, Hannes Liebmann, Thomas Meadowcraft

Regie: David Heiligers
Konzept: David Heiligers, Pascale Martin, Jil Bertermann
Musik: Thomas Meadowcraft

Schwere Reiter Heraklits letzte Tage von Stefan Kastner


 

 

 
Wozu Philosophie

... wenn sich doch alles Fleisch einfach in der Pfanne verbraten lässt. Stefan Kastners Heraklit lieferte das Schnitzel zum Kartoffelsalat, veranschaulichte dies als letzte Weisheit des Heute. In einer Welt, die fast ausschließlich an der Materie klebt, auch dem abstrakten Materiellen huldigt in vielen Formen, könnte die Aussage als Bestätigung verstanden werden, wären da nicht Humor und Zweideutigkeit, die zum Nachdenken anregten.

Die Welt ist ewig und durch den logos, die geistige Einheit mit den gegensätzlich wirkenden Prinzipien zu einem Spannungsfeld verbunden. Dies definierte der Philosoph Heraklit aus Ephesos vor zweitausendfünfhundert Jahren. Da stehen sich also Krieg und Frieden, Freude und Leid, Glück und Pech, Verzicht und Genuss, Leben und Tod wie beim Tauziehen gegenüber. Durch seinen Ausspruch „... der Krieg ist der Vater aller Dinge ...“ ging Heraklit nachhaltig in die Geschichte ein, wurde er auch nachhaltig missverstanden und oft fehlinterpretiert, meinte er doch den raumgreifenden Drang eines Prinzips zur Alleinherrschaft und keinesfalls die körperliche Auseinandersetzung mit Waffen. Allein die Erkenntnisbereitschaft und – fähigkeit vieler Nachdenker ist begrenzt, befördert Missverständnisse. Das unterscheidet die umfassenden Geister, Menschen, von den anderen, zeichnet Führer aus und bestimmt Nachfolgende. Der wo  das vielfältige Spannungsfeld leugnet, oder gar, meist religiös geleitet, unterdrückt, hat das Leben nicht erfasst. Der wo es in seiner Mannigfaltigkeit nicht erkennt, dessen Verbindung zum logos ist einseitig, wohl in purem Materialismus oder in Harmonie oder Spaß gefangen. Der wo das Geistige nicht pflegt wie das Fleischliche, oder dieses Lebensfeuer nicht wie das Geistige, der ist auch schon längst einem Gevatter Tod anheim gefallen.

„Ach ... oh weh ... ach ... ach ... oh weh ... herrje ...“, sangen die drei Parzen und entpuppten Heraklit auf der Bühne. Der Wehgesang bildete seinen Empfang in der Welt. Ein Stein stand für ihn bereit, der Stein, der schon zuvor von seinem Vater besetzt war und nun Heraklits harrte. So erstand die Lebensgeschichte des Philosophen in ihren Schwerpunkten. Im Bühnenhintergrund erhob sich eine braune Rampe, die Küste von Ephesos, an deren Gestade er lebte. Die Zeit verging – mit dem sinnfälligen Spiel des Lichtes in Tag und Nacht verdeutlicht – und Besucher kamen vorbei. Heraklit harrte aus auf dem Stein, denn das Ausharren, Aussitzen verbindet nach wie vor zwischen Völkern und manche sind besonders geübt darin. Man könnte sie auch besonders heimatverbunden nennen. „Das Gehen und das Stehen sind zwei Stiefel ...“, wussten die beiden Krieger und Wanderer aus dem Kaukasus festzustellen, die auf der Suche nach Abenteuer waren.  Und Heraklit (traurig, still, zurückgenommen dargestellt von Philipp Brammer) ganz als wäre er Wanderarbeiter, erhob sich, rutschte über die Rampe, verließ Kleinasien, landete in der Hansastraße in Minga. Drei Nutten standen am Straßenrand, warteten auf Freier, tranken Tee. Hier rollte er seinen Teppich aus, eröffnete einen Laden, handelte mit Gemüse, oder genauer mit einem Kürbis. Der Kürbis steht nicht nur für die Heraklit’sche Erde, rund und doch nicht ganz, denn ein Auswuchs verbindet ihn mit dem grünen Stengel- und Blattwerk, den anderen. Heraklit unterhielt sich mit dem Käufer (bayerisch, ernsthaft, realistisch verkörpert von Stefan Kastner), der seinen Kürbis erwerben wollte. „Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe eine Frau kennengelernt.“ „Ich habe auch einen Fehler gemacht, aber die Frau nicht kennengelernt.“, erwiderte dieser ganz im Stile Heraklits, nachdem er zuvor gegen die Überlassung eines Fernsehers mit einer Nutte verschwunden war. Und so konnte es nicht anders sein, als dass auch schon zwei Zuhälter  (machohaft Gabriel Raab, mitmachend Uli Zentner) in einem schnittigen Gefährt nach Geschäften Ausschau hielten. Sandy (mädchenhaft Sarah-Lavinia Schmidbauer) zog mit ihrer älteren Freundin Fini (welterfahren vorsorgend sicherheitsbewusst gespielt von Michaela May) bei Heraklit dem Gemüsehändler ein. Das Glück währte nur kurz. „Das Leben zeigt sich hier ...“ Die Riege gstandener Schauspieler, alle von Theater und Film bekannt, kehrte die Eigenheiten der einzelnen Figuren hervor und boten so bestes charakteristisches, den Text unterstützendes Spiel.

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Philipp Brammer, Stefan Kastner

© Franz Kimmel

Einfach hingschaut: Die sogenannten Männer stehen an den Kochtöpfen, handeln mit Gemüse und die Frauen feiern und treiben es mit den Auswärtigen bis zum ... das kommt uns doch bekannt vor, da wechselten die Geschlechter nur die Rollen ... und alles ist wie gehabt! Nein, eine Dimension der Gegensätze, ein Spannungsfeld der Vollkommenheit wurde damit verzerrt, es herrscht gnadenlose Oberflächlichkeit, platter Spaß in der Partygesellschaft. Und ja, da die Frauen doch nun nur fremden Fleischhändlern in die Arme fallen ... nur keine Traurigkeit aufkommen lassen, nur keine Lebensdimensionen ... Heraklit, der „weinende“ Philosoph gerät in Vergessenheit und mit ihm all sein Wissen. Im Theaterstück überließ er die Welt, den Kürbis dem Käufer. Er selbst löste sich auf im logos, entschwand  von der Bühne mit einem Donnerschlag. Aufwachen ...

Stefan Kastner schuf mit seinem Stück eine feinsinnig bayerisch humorvolle Betrachtung der herrschenden Zustände, er baute dazu eine Brücke aus der Hochzeit der Erkenntnisse über das Leben und die Natur in die Gegenwart. Sein Werk ist, neben zeitlos gültigen Aussagen, voll der kleinen und großen alltäglichen Tatsachen, die längst zu einem fragwürdigen Selbstverständnis mutierten. Bei allem inszenierte er dennoch eine wundervolle heitere Betrachtung, betonte das Augenzwinkern, denn Humor zeigt sich durch Geist und Wissen.


 
C.M.Meier

 

 


Heraklits letze Tage

von Stefan Kastner

Philipp Brammer, Sarah-Lavinia Schmidbauer, Michaela May, Gabriele Graf, Judith Huber, Gabriel Raab, Uli Zentner, Inge Rassaerts, Stefan Kastner

Regie: Stefan Kastner
schwerereiter Pathos München - Schwere Reiter

Spielplan


 

 

Schwere Reiter Wer ist dein Wolf? Ein Projekt von Hunger & Seide


 

 

 

Für einen Wolf ist es ein Leichtes ein Schaf zu reißen

Zu Vollmond heulen sie besonders laut, die Wölfe. Es ist ihr Zeichen von Stärke, dass sie in die Nacht verlauten. Im Rudel oder als Einzelgänger ziehen sie durch die Wälder, reißen Wild und wenn der Hunger zu groß ist, auch schon mal ein Haustier. Doch vorzugsweise töten sie Wild, wohl ob der Herausforderung und des Fleischgeschmackes. In den letzten Jahren nimmt ihre Anzahl in der Natur Europas wieder zu, nachdem sie jahrzehnte-, jahrhundertelang verfolgt, erlegt oder vertrieben worden waren.  Die Kirche „verteufelte“ sie und die Bauern fürchten um ihr Vieh. So entstand die Mär vom „bösen Wolf“.
„Dabei ist der Wolf auch nur ein Hund, der mit - Sitz, Platz, Lauf – erzogen werden will.“ , so Phil in der Performance. Und Joe sah den Wolf auf der dunklen Seite im Menschen.  Die helle Seite wird wohl vom Schaf eingenommen. Womit auch schon der Kern des Konfliktes in sich offensichtlich ist und der Überlebende naturgemäß schon vor dem Ende feststeht. Es sei denn, man schließt einen Pakt mit dem Wolf und füttert ihn, wie der Heilige Franz von Assisi im 13. Jahrhundert es vorschlug und praktizieren ließ.

Die Akteure betraten die Bühne, einer nach dem anderen, den Stuhl in der Hand, sie nahmen Platz an der Rampe. Die Interviews und Statements wie zu einem Film liefen ab. Es waren grandiose, klare Statements, und jedes davon hörenswert. Die Künstler stellten sich vor, ihr Anliegen, ihre Sichtweise, ihre Konsequenz.  Sie taten dies mit Ernsthaftigkeit und mit Augenzwinkern, immer überzeugend. Neugier machte sich in den Betrachtern breit. Und wie ein Film begann die Geschichte, eine gothic novel und damit Horror garantiert, vor den Zuschauern abzulaufen. Judy (Judith Al Bakri) und Joe (Jochen Strodthoff) leben in einem amerikanischen Einfamilienhaus am Waldrand. Der Wind des Lebens pfeift durch die Ritzen des Holzhauses, er spielt mit den Blättern auf der einsamen Landstraße, treibt sie vor sich her. Judy ist schwanger, Joe ist Gelegenheitsarbeiter. Der Bankvertreter Ray (Rainer Haustein) verkauft die Illusion von Sicherheit, plant, „baut eine Brücke von A nach B“. Er lebt in seinem Auto, immer on the road, hält er für Stunden auf den Parkplätzen der Highways zur Nacht. Phil (Philip Bergmann) bewegt an der Börse die Werte, er steht über allem Geschehen. Seine „Botschaften“ flattern über den Bühnenraum, um von Joe von der Straße gefegt zu werden.   
 
weristdeinwolf

Philip Bergmann, Judith Al Bakri, Rainer Haustein

© Franz Kimmel

Es entstand ein dichtes Zusammenspiel von Musik, Bildprojektionen, Text und Aktion. Philip Bergmanns Wolf, sein Wolfsgesicht, seine Körpersprache überzeugten - Gänsehaut garantiert. Lag doch seine Rolle auch dem Grauen, dem abstrakten Grauen am nächsten, erzeugt dieses. Thomas Meadwocrofts „Post-Country“-Musik und Kompositionen unterstützten den Horror, der erst noch als Musik den Raum erfüllte, dann nur noch als Tonfolgen und schrille Klänge wahrnehmbar war. Er zerfranste, verschob, zupfte und übertönte in dem Maß, in dem auch seine äußere Verwandlung stattfand. Sofie Reindl schuf die erschreckende Zombie-Maske. Rainer Haustein porträtierte, persiflierte den von sich selbst überzeugten, auf sich selbst gestellten Geldmann und gab den Blick in dessen Inneres frei. Im Zusammenwirken von Michael Bischoff (Raum- und Lichtdesign), Claudia Karpfinger (Raum und Kostüme) und Karnik Gregorian (Video) entstand eine lebendige und beängstigende Bühnenrealität. Judith Al Bakri und Jochen Strodthoff, die für Konzept und Regie verantwortlich zeichneten, und auch performend die Hauptrollen verkörperten, schufen und gestalteten ein kompakt komplexes Kunsterlebnis. Idylle, Angst und Horror und die vergeblichen menschlichen Versuche von Bewältigung wurden thematisiert. Die Performance mündete, man könnte meinen einseitig, ins Wölfische. Doch sie machte lediglich sichtbar, erfahrbar ... was in der Luft liegt.

Die Literatur und die Filmwelt sind voll von Wolfsgeschichten. Vom bloßen Werwolf-Horror bis zum Angleich ans Menschliche reicht die Palette der Werke. Es ist also ein großes Anliegen, welches Hunger & Seide bewegte und das diese bewältigten. Schon die Ausführungen im Programm machen den umfassenden Ansatz deutlich. Den Künstlern von „Wer ist dein Wolf?“ gelang eine weitere zeitgemäße, vielseitige, erhellende und ansprechend unterhaltende Version um den Konflikt zwischen Natur und Zivilisation und deren Berührungspunkte. Diese ist unbedingt erlebenswert.

 
C.M.Meier

 

 

 


Wer ist dein Wolf?

Ein Projekt von Hunger & Seide

Judith Al Bakri, Jochen Strodthoff, Thomas Meadowcroft, Philip Bergmann, Rainer Haustein

Regie: Judith Al Bakri, Jochen Strodthoff
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