Volkstheater Lilly Link oder Schwere Zeiten für Rev... von Philipp Löhle




Die Revolution ist tot, es lebe die Revoluzzion

Es waren schöne Ideen, mit denen Lilly, ihr Bruder, Amoz und Anne gegen die Verkrustungen der Gesellschaft aufbegehrten. Sie reicherten die Lüftung der Stuttgarter U-Bahn mit Parfüm an, um an den Geruchssinn zu erinnern. Zwischen dem Münchner Friedensengel und dem Maximilianeum erzeugten sie minutenlang grelle Blitze, um die Menschen zum Schauen zu bringen. Die Staatsmacht erblickte darin terroristische Akte, andere Mitbürger lobten die Vorgänge als Kunst und für ein paar Tage waren die vier in den Medien. Doch dann wurde Lillys Bruder ertappt und da man nicht recht wusste, ob er ein Terrorist oder ein Spinner ist, sperrte man ihn sicherheitshalber in eine psychiatrische Einrichtung. Zurück blieb ein Versprechen. Es sollte weiter gemacht werden, denn es waren noch einige Sinne übrig, die es zu beleben galt.

Die Geschichte beginnt, als Amos nach New York geht, um dort ein Produkt zur Reife zu bringen, das eigentlich niemand braucht und das auch nicht wirklich funktioniert. Aber der Markt hat seine eigenen Gesetze, Absurditäten inbegriffen. Lilly muss zusehen, wie die Kampfgefährten abfallen. Anne heiratet den städtischen Angestellten Hannes, eröffnet eine Boutique und hilft donnerstags den Kröten beim Wandern. Sie tut das Vergangene als jugendliche Ausbruchversuche ab, von denen man sich verabschieden sollte. So ist die Realität und das Individuum hat die Pflicht, sich dieser anzupassen, um nicht unterzugehen.


Tobias van Dieken, Andreas Tobias, Jean-Luc Bubert

© Gabriela Neeb


Lilly erinnert an das Versprechen, das man sich gab. Man ist es dem Bruder schuldig, der für sie alle das Kreuz des Verfolgten trägt. Aber es ist schwer geworden, die Revolution fortzuführen, in jedem Fall unbequem. Was dem jungen Phillip Löhle als Revolution vorschwebt, kann kaum als solche begriffen werden. Revolution ist etwas anderes, größeres. Erich Mühsam nannte sie dereinst "Revoluzzer". Dennoch ist der Frust des Autors nachvollziehbar. Was er zur Sprache bringt, ist die Verlorenheit einer (wohl seiner) Generation im Dschungel des Überlebenskampfes, des Konsumterrors, des politischen Autismus. Visionen und Utopien haben sich mit dem Pulverdampf der 68er verflüchtigt und Ideen werden verworfen, wenn sie nicht markttauglich sind. Daraus resultiert eine Sinnleere, die für Lilly und einige andere Menschen, im Stück ist es ein Selbstmörder, nicht erträglich ist.

Phillip Löhle schuf einen dramatischen Entwurf, der sehr schauspielerfreundlich ist und der viele Unerträglichkeiten mit Witz und Fantasie aufhebt. Da wird bereits erwähntem Selbstmörder, der sich auf die Schienen gelegt hat, erklärt, dass der Regionalzug wegen der fehlenden Fäkalientanks ihm lediglich Hände und Füße abtrennen wird und wenn er Pech hat, wird er auch noch angepisst. Gerade erhielt er eine Einladung zum Essen. Wie aber sollte das gehen, ohne Hände? Der Reigen der Figuren, alle Schauspieler bis auf Barbara Romaner waren mehrfach besetzt, war illuster und gleichsam folienhaft.
Anne hatte den Kick des jugendlichen Überschwangs genossen. Aber einmal hätte gereicht. Beim zweiten Mal hatte sie schon Unbehagen beschlichen. Sophie Wendt gab der bürgerlichen Mittelmäßigkeit ein glaubhaftes Gesicht. Als Lillys kreuzworträtsellösende Mutter war sie urkomisch. Tobias van Diecken und Jean-Luc Bubert, zwei städtische Angestellte, beschwörten als vorauseilend gehorsame Sheriffs mit Terrorismusvorahnungen sämtliche Feinde der besten aller Welten und trieben sie zumindest gedanklich durchs Dorf. Andreas Tobias verkörperte den hyperpotenten Jungdynamiker, der sich nur auf den Tummelplätzen des Kapitals und der Wirtschaft wohlfühlt. Die Surrealität seines Wesens offenbarte sich bei seinem ersten Besuch wieder daheim, als er den Juden in sich entdeckte. Barbara Romaners Rolle, als Lilly hatte sie nur die eine, war nur einem Spielduktus verpflichtet. Sie war die desillusionierte, zunehmend vereinsamte und aus der Gesellschaft ausgeschlossene Kämpferin wider den schleichenden Tod aller Sinnlichkeit. Anfangs noch um Enthusiasmus bemüht, machte sich Resignation und auch Zynismus breit. Am Ende fuhr sie gemeinsam mit Selbstmörder Tom (Jean-luc Bubert) verklärt und entrückt in einem Auto ohne Bremsen ins Ungewisse. Fazit, das System hat auch Lilly getilgt. Die Revolution ist tot. Aber da gibt es ja noch das Theater, auf dem man die Revoluzzion im Geiste weiter proben kann.

Philipp Jescheck gelang mit seiner Inszenierung ein gutes Stück Theater, dass zwar keine Hoffnung machte, aber unterhaltsam daherkam. Hannah Albrecht schuf dafür einen funktionalen Rahmen, weiß, steril und mit einigen letzten plakativen Spuren einstigen Aufbegehrens. Die Darsteller spielten leidenschaftlich und dem daraus resultierenden Schwung konnte sich das Publikum nicht versagen. Jescheck war mit seinem Part, wie auch Autor Löhle, der Spagat zwischen gesellschaftlicher Botschaft, Unterhaltung und einer zeitgemäßen Ästhetik gelungen. Spiellust und einige witzige Einfälle sind die Markenzeichen dieses "Produktes" aus dem Hause Volkstheater.


Wolf Banitzki

 

 

 


Lilly Link oder Schwere Zeiten für Rev...

von Philipp Löhle

Jean-Luc Bubert, Tobias van Dieken, Barbara Romaner, Andreas Tobias, Sophie Wendt

Regie: Philipp Jescheck

Volkstheater Faust nach J.W. v. Goethe




Faust - Vom Winde verweht

Genau 200 Jahre sind seit der Drucklegung des "Faust" 1. Teil vergangen, 200 Jahre intensivster Rezeption und Interpretation. Grund genug, sich neuerlich mit diesem Werk auseinanderzusetzen. Neuerlich auseinandersetzen bedeutet, wenn man es ernsthaft betreibt, die vorangegangenen Versuche nicht außer Acht zu lassen. Dies geschah weniger im Theaterstück als vielmehr im Programmheft zum Stück. Dort steht geschrieben: "Sein (Fausts - Anm. W. Banitzki) pausenloses ‚Streben' galt als Tugend und seine Lebensgeschichte stellte sich in dieser Perspektive als eine gelungene Persönlichkeitsentwicklung, (,,,) als Fortschritt und Glück dar, mögen auch bedauerlicherweise einige Opfer seinen (Lebens-) Weg säumen und beträchtliche Kosten zu Buche schlagen. Diese Verluste indessen konnten den vorherrschenden Deutungsoptimismus nicht erschüttern (…). In neuerer Zeit und immer offensichtlicher gewinnt allerdings ein ganz anderes Faustverständnis an Überzeugungskraft: Man nimmt nun den Untertitel des Goetheschen Textes beim Wort und liest Fausts Drama als ‚eine Tragödie', als Katastrophe der Natur sowie der Zivilisation (…). Als Vorbild- und Identifikationsfigur ist Faust also schon ziemlich blass geworden." (Michael Jäger: Global Player Faust. In: Programmheft zur Inszenierung.)

Man muss schon zweimal lesen, was da geschrieben steht, um es zu glauben. Da wird allen Ernstes Faust - oder das Faustische an sich - verantwortlich gemacht für den Zustand der Welt! Wenn der Umkehrschluss erlaubt ist, würde es bedeuten, dass die Lemuren des Kapitals und die Politbürokraten, die sich heute als Staatenlenker ausgeben, faustische Charaktere seien? Das ist mehr als lächerlich. Sie sind vielmehr das genaue Gegenteil. Hier zeigt sich einmal mehr, wohin es führt, wenn Idealismus suspekt gilt und belächelt wird. Wahrheiten in ihr Gegenteil zu verkehren ist vielleicht provokant, nicht aber abendfüllend, wie sich an der Inszenierung im Volkstheater zeigte.


Jan Viethen

© Gabriele Neeb


Simon Solberg, der gleichermaßen für die Textfassung und die Regie verantwortlich zeichnete, ist keine dreißig Jahre alt. Hochgelobt, immerhin wurde Solberg dreimal zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt, hat sich beim Autor wohl eine Hybris eingeschlichen, der man vielleicht oder gerade wegen der Jugend nicht widerspricht. Wenn man von Text spricht, so handelt es sich um ein Konglomerat aus Goetheschem Versatz, Wissenschaftssprache (ohne tieferen Sinn oder doppelten Boden) und sozialer Determination (welcher auch immer). Es klingt peppig, solange man beim Klang bleibt, aber vornehmlich wegen der kunstvollen Goetheschen Auslassungen. Solberg siedelte seinen Faust im Labor von Cern an. Der Ansatz ist schon einmal streitbar, weil der Name zum Synonym letzter menschheitsgeschichtlicher Fragen geworden ist. So wird der Mensch erst einmal von Ängsten geschüttelt, denn was geschieht, wenn die letzte Frage beantwortet ist? Dieser Absolutismus ist nicht zu ertragen und so melden sich die Apokalyptiker zu Wort und verheißen das Verschinden im Schwarzen Loch. Nun, dem Universum würde es nicht wehtun.

Sebastian Hannaks Bühnenbild war die klischeehafte Vorspiegelung eines Wissenschaftslabors. Der öde Realismus dieses Kunstraums wurde letztlich nur durch die Zerstörung desselben aufgehoben. Getrieben von den eigenen Einfällen beförderte Regisseur Solberg wohl eher sich selbst als die Geschichte, von der viel mehr als das dramaturgisch Notwendige kaum übrig blieb.

Jan Viethen, ein Schauspieler mit augenscheinlich starker Präsenz, musste sich als Faust gebetsmühlenartig bis zum Schluss vorhalten: "Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn." Das Weitere kennt man. Es beschreibt die Verzweifelung, in der Vervollkommnung seiner selbst trotz alledem nicht weiter gekommen sein. Dass dieser Satz dann auch am Schluss der Inszenierung stand und Faust sich mit selbigen Worten suizidierte, verblüffte dann doch. Das war nicht mutig sondern ignorant dem Autor gegenüber. Das Faustische Prinzip stirbt mit dem letzten denkenden Menschen. Was im Volkstheater starb war die verquere Vorstellung des Regisseurs davon. Auch Jean-Luc Bubert hätte einen Mephisto auf die Bühne bringen können, wenn man ihn nicht daran gehindert hätte. Unübersehbar war, dass die Figuren für kurze Augenblicke zu wirklichen Ideenträgern wurden, nämlich dann, wenn sie Goethes Text sprachen.

Nicht anders erging es Barbara Romaner, Andreas Tobias, Justin Mühlenhardt und Stephanie Schadeweg, durchweg Schauspieler, die in früheren Inszenierungen überzeugt hatten. Getrieben von den atemlos aneinandergeklitterten Einfällen der Regie verkamen die Sprache und der Gestus. Vieles wurde platter Realismus, aufgepeppt mit Filmzitaten von Tarantino bis Coppola. Es scheint, als hätte der Bühnenfaust sein Schicksal erlitten, um den Einfällen des Regisseurs gerecht zu werden. So wurde aus dem Träger eines philosophischen Prinzips ein hedonistisches Arschloch, das sich seiner selbst überdrüssig und erschöpft "das Hirn aus der Birne pustet".

Viele junge Menschen waren in das Theater gekommen, um einen modernen Goethe zu erleben. Die Inszenierung war weder modern noch Goethe. Es war nicht einmal kurzweilig, was die erste Tugend am Theater ist. Auch beförderte es nicht das Rezeptionsverhalten der Kids in bezug auf klassische Literatur. Und wozu auch? "Als Vorbild- und Identifikationsfigur ist Faust", wie gesagt, "ziemlich blass geworden."

Ein "Faust II" wird uns von Simon Solberg in München wohl erspart bleiben, denn Faust ist tot. Doch halt, das war Bobby Ewing auch …



Wolf Banitzki




Faust

nach J.W. v. Goethe

Textfassung Simon Solberg

Jan Viethen, Jean-Luc Bubert, Barbara Romaner, Andreas Tobias, Justin Mühlenhardt, Stephanie Schadeweg

Regie: Simon Solberg

Volkstheater Eros nach Helmut Krausser



In den Spiegel geschaut

Der Autor Helmut Krausser, Jahrgang 1964, also ein Kind der fetten Nachwirtschaftswunderjahre, wollte viel in seinem Werk und holte zu diesem Zweck herbei, was so in einen Jahrhundertroman einzufügen wäre. Ein Bild der Nation und der Zeit konstruierte er. Das ist ihm meiner Ansicht nach auch gelungen, so treffend, dass es bereits schmerzen müsste, wäre man noch Mensch, der sich darin erkennen soll. Denn es ist viel Geschichte, allgemeine Geschichte, doch wenig Inhalt, und wenn, meist allgemeiner Inhalt in der Geschichte um eine unerfüllbare Liebe. Erfahren wir wirklich etwas Neues, oder eine neue Perspektive. Die Frage muss klar mit Nein beantwortet werden. Reden, ja, reden lässt es sich gut über die Geschichte und Daten und Fakten zusammentragen kann auch Zusammenhalt vorgaukeln.

Deutschland ein Kraftprotz der körpermaschinellen funktionalen Potenz – so suggeriert es das Bild am Programmheft. Und das Bild passt, um es mit dem Volksmund zu sagen, wie die Faust aufs Auge. Die Verlagerung des Eros (ursprünglich der Gott der Liebe, das Weltprinzip der Zeugung) auf Industrie und Macht durch Geld kann kaum deutlicher vorgebracht werden. Demonstration von Potenz? Oder Offenlegung menschlichen Versagens? Diese Frage zu beantworten bleibt dem Einzelnen überlassen.

Das Bühnenbild, eine ausladende Sitzgruppe aus ockerfarbenem Leder, ein kleiner Glastisch mit Gläsern, Weinflasche, Zigaretten und Aschenbecher bildeten den Mittelpunkt um den geredet und agiert wurde. Der Zuschauer kennt diese Kulisse aus den zahlreichen Gesprächsgruppen im Fernsehen und dennoch stimmten die Auswahl und Anordnung.




Wolfram Kunkel, Mareile Blendl, Friedrich Mücke, Xenia Tiling

© Arno Declair


Wie schon der Roman kaum inhaltliche Tiefe aufkommen lässt, oder Personen ausformuliert und der Autor die Protagonistin schildert mit den Worten „Ich werde Ihnen Sofie nicht genau beschreiben. Beschreiben Sie sie, aber so, dass jeder sich angesprochen fühlt. Sie war ja nichts Besonderes, damals bestimmt nicht ...“, so setzt sich dieser Umstand auf der Bühne fort. Der Zuschauer erfährt nichts über Alexander von Brücken. Die Hauptfigur blieb ein eigenschaftsloser Mechanismus, funktional im Sinne eines Systems, doch außer eine Spur Romantik um einen Kuss fehlte ihr menschliche und männliche Art. In den wenigen folgenden Begegnungen mit Sofie versuchte dieser linkisch über die Beschützerfunktion das Vertrauen seiner Sternengeliebten, bezeichnend gewollt die Ferne ausgedrückt, zu gewinnen. Macht und Geld auf der einen Seite und Ideologie auf der anderen, trennten ihre Welten.

„Ich wollte Sofie nichts Böses, wollte mich nicht in ihr Leben drängen, nur hier und da ein wenig helfen, sie schützen, umsorgen. Das ist doch nicht verwerflich? Nicht? Sie schweigen? Sie geben mir keine Antwort? Gibt es eine Ethik der Liebe?“ Die Inszenierung gab, wie der Roman, darauf keine Antwort, noch ging sie entfernt darauf ein. Vielmehr stellte sich der Schluss her: Die Liebe gilt dem Unerreichbaren, das spart den eigentlichen Konflikt aus, gibt ein Ideal, das es zu verfolgen gilt, ohne wirklich an sich arbeiten zu müssen. Einfach komfortabel.

Die Bühnenfassung ist über weite Strecken an allgemeinen Beschreibungen festgemacht. Das Haus der von Brückens vor dem Krieg, die Familie unter dem Zeichen des Nationalsozialismus und der altdeutschen Tradition, der Krieg, der erst durch sein Näherrücken Schrecken auszulösen vermag, die zerbombten Häuser und Kirchen, die Daten der Geschichte, in Jahreszahlen und Aufzählung allgemein bekannter Ereignisse von Kriegsende bis zu Machtübernahme Castros in Kuba.

Die konventionell gekleideten Darsteller verinnerlichten eine Menge Prosa, die sie vortrugen. Diese Textform hat es an sich, dass der Gestaltung auf der Bühne sehr enge Grenzen gesetzt sind. Dialoge waren im Verhältnis dazu äußerst sparsam eingestreut. Dennoch, die Schauspieler taten ihr Bestes und ordentlicher lebendiger Vortrag, bisweilen mit viel Körpereinsatz, abgesehen vom Alexander von Brücken in den späten Jahren (Wolfram Kunkel), der konsequent auf seinem Platz verharrte, brachte den Stoff an den Zuhörer. Die Szenen in denen unter Aktionismus Prosa vorgetragen wurde, bildeten die Stützen der gleichmäßigen Inszenierung.

Textfassung und Regie erarbeiteten weder eine besondere Perspektive, noch setzten sie auf einen Schwerpunkt. Christine Eder und Katja Friedrich versuchten alle Aspekte des Romans zu bedienen und schafften so über eine Stunde und fünfzig Minuten keine Höhepunkte. Was entstand war das realistische Bild: Wenn es ums Feiern geht, bewegt sich die Nation, ansonsten sitzt, talkt und schildert sie. „Wie wir alles mit Anstand hinter uns bringen.“ , um es mit den Worten des Autors zu sagen.


C.M.Meier

 

 


Eros

nach Helmut Krausser

Wolfram Kunkel, Friedrich Mücke, Stefan Murr, Jean-Luc Bubert, Xenia Tiling, Mareile Blendl

Regie: Christine Eder


Volkstheater Der Streit von Pierre de Marivaux




Das musste einmal gesagt werden

Beiderlei Geschlechter sind gleichermaßen Schuld am Versagen in der Liebe! Das war die Botschaft des Abends. Peter Stein brachte "Der Streit" von Pierre de Marivaux in eine flüssige, witzige und eingängige Fassung, die Philipp Jescheck, der Vorlage absolut gerecht werdend, auf die Bühne des Münchner Volkstheaters gezaubert hatte.

Um was sonst könnte es bei Pierre de Marivaux gehen, als um die Liebe. Er selbst hatte seine Probleme damit. Doch er verstand es äußerst geschickt, mit diesen für ihn unabänderlichen Schwächen der Menschen seine Brötchen zu verdienen. Er hatte nach einem Börsencrash, der ihn seines kleinen Vermögens beraubte, sein eigenes Hilfspaket geschnürt. Er schrieb fleißig Stücke und katapultierte sich damit in die Position eines leitenden Mitglieds der Académie Française, was ihm eine Dienstwohnung und adelsähnliche Privilegien verschaffte. Das sollte vielleicht zu denken geben, was die wirklichen Werte sind und was flüchtigen. Die Kunst hat sich jedenfalls als wertbeständiger erwiesen als das Geld.

Im Gegensatz zu Moliére, dessen Figuren sich im Wesentlichen auf der Bühne nicht entwickeln, schuf Marivaux Protagonisten, die am Ende völlig verwandelt zu Einsichten gelangen, die sie sich anfangs kaum vorstellen konnten. Und um die handelnden Personen dorthin zu bringen, schuf Marivaux Laboratorien. In "Der Streit" wird dies überdeutlich. Der Prinz und Hermiane geraten über die Beständigkeit der Liebe in einen Streit. Sie beschließen, Eglé und Azor in eine völlig isolierte natürliche Welt zu pflanzen, um Beweise zu erbringen. Und, um mit den Probanten auf Augenhöhe verhandeln zu können, ohne das Versuchsergebnis zu beeinträchtigen, verwandeln sie sich in Mesrou und Carise, Personen mit schwarzer Hautfarbe. Wie nicht anders zu erwarten, bricht die hemmungslose Liebe über beide herein. Sie können von einander nicht mehr lassen. Doch nun wird es prickelnd. Mesrou und Carise bringen ein zweites Paar, Adine und Mesrin, ins Spiel und erlegen den Liebenden Trennungen auf. Auch jetzt, wie nicht anders zu erwarten, entsteht das große Gefühlstohuwabohu. Es scheint klar, Liebe unterliegt keinem Imperativ. Und wer jetzt meint, er kenne die Geschichte, dem sei gesagt, dass es sehr fraglich ist, ob Marivaux Shakespeare und dessen "Mitsommernachtstraum" kannte. Die Geschichte um den Streit hat damit den Höhepunkt noch nicht erreicht und es geschieht etwas erstaunliches. Ein drittes Paar Liebender, Dina und Meslis, müsste jetzt eigentlich das Chaos vollkommen machen. Weit gefehlt, denn beide reagieren nicht auf andere Personen. Sie genügen sich in ihrer Liebe. Das kann getrost als Optimismus in Liebesdingen verstanden werden.


Robin Sondermann, Justin Mühlenhardt

© Gabriela Neeb


David Hohmanns gelungenes Bühnenbild hielt sich durchaus an die Bilder des Rokoko. (Antoine Watteau war in der Malerei das Pendant zu Marivaux.) Im Hintergrund ein Prospekt mit einer unberührten Waldlandschaft. Mittendrin war ein Bach zu sehen, der sich auf der Bühne fortsetzte. Einige Büsche mit prallen Früchten versinnbildlichten ein intaktes Paradies. Die zeitlosen in pastellfarben gehaltenen Kostüme von Anna Rehm komplettierten den Eindruck von unverstellter Urschönheit in der Wildnis. Rousseau hätte es wohl abgenickt.

Regisseur Philipp Jescheck hatte die Schönheiten der Ironie im Text entdeckt und sie mit viel Augenzwinkern inszeniert. Das naive, sehr körperbetonte Spiel entsprach ganz dem Habitus des Unbefleckten. Erkennen und Entdecken ging mit sehr viel Komik einher. Dabei preschten die Darsteller in die Vollen und es gelang. Einmal mehr konnten sie zeigen, über welche Qualitäten sie verfügen, wenn sie denn gefordert und geführt werden. Es war ein hervorragendes Ensemblespiel ohne Eitelkeiten und überflüssigen theatralischen Ausfallschritten. Das tolldreiste Treiben hatte Maß und ging weder auf Kosten der Verständlichkeit der Geschichte, noch auf die des gesprochenen Wortes. Regisseur Jescheck vermied jegliche modernistische Zusätze in Spiel und Sprache. Wozu auch, sind doch Eitelkeit, sexuelle Lust und Lüge Grundpfeiler des menschlichen Lebens. Sich daran zu halten heißt, sich an Wahrheiten zu halten. Noch schöner wird es, wenn diese Wahrheiten permanent geleugnet werden. Es ist in jedem Fall eine sicheres Terrain für gutes Theater.

Das Ergebnis war eine ästhetisch in sich geschlossene, leichtfüßige und witzige Inszenierung, die ahnen ließ, dass das Rokoko, das Zeitalter des Genusses, durchaus Tiefen hatte. Was über Liebe an sich gesagt werden musste, wurde gesagt.


Wolf Banitzki

 

 

 


Der Streit

von Pierre de Marivaux

Deutsch von Peter Stein

Jean-Luc Bubert, Sophie Wendt, Xenia Tiling, Robin Sondermann, Kristina Pauls, Justin Mühlenhardt, Lenja Schultze, Tobias Schormann

Regie: Philipp Jescheck

Volkstheater Rum und Wodka von Conor McPherson



Der Krug geht so lange zum Munde, bis man bricht

Ein junger Mann, er bleibt namenlos und wird somit gleichermaßen Repräsentant einer Generation, fällt aus einem bürgerlichen Leben heraus, das er nie wollte. Jung verheiratet mit zwei Kindern, Eigenheim und Hypotheken, brennen ihm an einem ganz normalen Freitag die Sicherungen durch. Er schleudert seinen Computer durch das Fenster und verkündet seinen Mitkollegen, dass dieser Befreiungsakt längst überfällig war. Er hatte sein Leben ohnehin nur noch mit einem Übermaß von Alkohol ertragen können. Doch was folgt ist kein Neuanfang, sondern ein Absturz. Drei Tage säuft er exzessiv, gerät, wie in einem surrealen Roadmovie, in die fremde Welt des Reichtums und endet schließlich am Bett seiner Töchter, die er, voll des Katzenjammers, betrachtet.

Mit Conor McPhersons "Rum und Wodka" kam ein Text auf die kleine Bühne des Volkstheaters, der den Ungeist der Zeit reflektierte, ohne über diesen hinaus zu gelangen. Wieder einmal handelte es sich bei McPhersons literarischem Entwurf um einen Monolog, ein eher episches Werk. Darin wurde versucht, die Psychologie der Haltlosigkeit eines Alkoholikers sicht- und fühlbar zu machen. Eine gewisse Koketterie mit dem Habitus des Underdogs war unübersehbar. Leider wurde nicht unterschieden zwischen Trinker und Trinker in Dublin, wo das Trinken einen durchaus anderen Stellenwert besitzt als in Berlin oder Paris. Doch diesen Unterschied kann ohnehin nur nachvollziehen, wer Wilde, Joyce, Behan oder Beckett verinnerlicht hat.


Markus Brandl

© Andrea Huber


Es steigert die Potenz des Textes allerdings auch nicht, wenn, wie auf dem Flyer zur Inszenierung geschehen, auf Charles Bukowski (Ein Deutscher aus Andernach!) verwiesen wird, der von einer unbestimmten aber fundamentalen Sehnsucht sprach, auf deren Erfüllung man nur warten kann. McPherson erreichte in seinem Text kaum die inhaltlich-qualitative Ebene Bukowskis, dessen Alkoholismus sein Credo war. Der Poet der Underdogs ließ sein lebenslang kultiviertes Alterego Henry Chinaski im Film "Barfly" zum Thema Alkoholismus verkünden: ‚Alkoholiker sind starke Menschen, denn sie müssen Ausdauer haben.' Henry Chinaski seinerseits konnte warten, trinkend warten. Dabei schuf er ein Monument des genialen Säufers im Sediment der Gesellschaft. Der in "Rum und Wodka" gezeigte junge Mann zeichnete sich nicht durch Genialität, vielmehr durch seine Schwäche, seine Handlungsunfähigkeit, seinen permanenten Fluchtreflex aus.

Alkoholismus als Weltanschauung hat Bedeutung, Alkoholismus in seinen banalen Auswirkungen ist lediglich Realismus. Dieser schmuddelige, "abgefahrene", "verfickte" Realismus überkam das Publikum im Volkstheater dennoch wie ein Hurrikan.

Dass die Inszenierung von Florian Helmbold trotz mangelnder Aussagekraft des Textes das Publikum für sich gewinnen konnte, hatte zwei Gründe. Helmbolds Inszenierungsansatz, den horriblen Dreitagetrip als Blues zu inszenieren, verlieh dem Ganzen eine tragfähige Ästhetik. Luke Cyrus Goetze begleitete das Spiel sensibel und dialogisierend. Die musikalischen Ein- und Auslassungen kamen teilweise aus der Konserve. Musiker Goetze fragmentierte, mischte und kolportierte die Stücke, und verlieh ihnen somit eine neue eigenständige Qualität. Oder aber er ergriff mit seiner Gitarre das Wort. Dabei wirkte er zwar distanziert, war aber ständig beredter Partner von Markus Brandl.

Die schauspielerische Darstellung von Markus Brandl war der zweite Grund für das Gelingen. Brandls beinahe zweistündiges Spiel beeindruckte erst einmal durch die enorme physische Leistung. Es trieb ihn ständig zwischen Exzess und Innehalten hin und her. Dabei kommunizierte er unentwegt mit dem Publikum, was der Inszenierung bis zu einem gewissen Grad das ausschließlich Narrative nahm. Markus Brandl zeigte sowohl seine artistisch-tänzerischen Qualitäten, überzeugte aber auch mit sprachlich-suggestiver Eindringlichkeit. Er zeigte allerdings auch den "Rest", was vom Text keineswegs gefordert war. Ohne Zweifel wird sich der Zuschauer noch lange an dieses entfesselte Spiel von Markus Brandl erinnern.

Ob dem Zuschauer aber auch die Geschichte im Bewusstsein bleiben wird, ist fraglich. Im Grunde ist der Plot billig, wenn es den Ausreißer tränengefüllten Auges ans Bett seiner Kinder zurück treibt. Zudem erfuhr man wenig Aussagekräftiges beispielsweise über die Ursachen für Komasaufen, eigentlich ein brisantes Thema. Bedrückend war letztendlich die resignative Haltung des Autors und auch der Inszenierung. In einer Gesellschaft, in der die unteren Schichten von Ängsten beherrscht werden, in der gerade die Menschen aus diesen Schichten durch permanente Suchterzeugung zu Konsumenten und Abhängigen gemacht werden, ist Sucht kein Phänomen, sondern unausweichlich. Die Koketterie mit diesem Thema und seiner schönschaurigen Ästhetik geht, wenn der Autor und der Regisseur keinen Ausweg anbieten kann, leider auf Kosten der Betroffenen. An diesem Punkt stellt sich wieder einmal die Frage nach der Verantwortung.
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Wolf Banitzki

 

 


Rum und Wodka

von Conor McPherson

Markus Brandl

Regie und Ausstattung : Florian Helmbold
Musik: Luke Cyrus Goetze

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