Volkstheater Faust nach J.W. v. Goethe
Faust - Vom Winde verweht
Genau 200 Jahre sind seit der Drucklegung des "Faust" 1. Teil vergangen, 200 Jahre intensivster Rezeption und Interpretation. Grund genug, sich neuerlich mit diesem Werk auseinanderzusetzen. Neuerlich auseinandersetzen bedeutet, wenn man es ernsthaft betreibt, die vorangegangenen Versuche nicht außer Acht zu lassen. Dies geschah weniger im Theaterstück als vielmehr im Programmheft zum Stück. Dort steht geschrieben: "Sein (Fausts - Anm. W. Banitzki) pausenloses ‚Streben' galt als Tugend und seine Lebensgeschichte stellte sich in dieser Perspektive als eine gelungene Persönlichkeitsentwicklung, (,,,) als Fortschritt und Glück dar, mögen auch bedauerlicherweise einige Opfer seinen (Lebens-) Weg säumen und beträchtliche Kosten zu Buche schlagen. Diese Verluste indessen konnten den vorherrschenden Deutungsoptimismus nicht erschüttern (…). In neuerer Zeit und immer offensichtlicher gewinnt allerdings ein ganz anderes Faustverständnis an Überzeugungskraft: Man nimmt nun den Untertitel des Goetheschen Textes beim Wort und liest Fausts Drama als ‚eine Tragödie', als Katastrophe der Natur sowie der Zivilisation (…). Als Vorbild- und Identifikationsfigur ist Faust also schon ziemlich blass geworden." (Michael Jäger: Global Player Faust. In: Programmheft zur Inszenierung.)
Man muss schon zweimal lesen, was da geschrieben steht, um es zu glauben. Da wird allen Ernstes Faust - oder das Faustische an sich - verantwortlich gemacht für den Zustand der Welt! Wenn der Umkehrschluss erlaubt ist, würde es bedeuten, dass die Lemuren des Kapitals und die Politbürokraten, die sich heute als Staatenlenker ausgeben, faustische Charaktere seien? Das ist mehr als lächerlich. Sie sind vielmehr das genaue Gegenteil. Hier zeigt sich einmal mehr, wohin es führt, wenn Idealismus suspekt gilt und belächelt wird. Wahrheiten in ihr Gegenteil zu verkehren ist vielleicht provokant, nicht aber abendfüllend, wie sich an der Inszenierung im Volkstheater zeigte.
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Jan Viethen
© Gabriele Neeb
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Simon Solberg, der gleichermaßen für die Textfassung und die Regie verantwortlich zeichnete, ist keine dreißig Jahre alt. Hochgelobt, immerhin wurde Solberg dreimal zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt, hat sich beim Autor wohl eine Hybris eingeschlichen, der man vielleicht oder gerade wegen der Jugend nicht widerspricht. Wenn man von Text spricht, so handelt es sich um ein Konglomerat aus Goetheschem Versatz, Wissenschaftssprache (ohne tieferen Sinn oder doppelten Boden) und sozialer Determination (welcher auch immer). Es klingt peppig, solange man beim Klang bleibt, aber vornehmlich wegen der kunstvollen Goetheschen Auslassungen. Solberg siedelte seinen Faust im Labor von Cern an. Der Ansatz ist schon einmal streitbar, weil der Name zum Synonym letzter menschheitsgeschichtlicher Fragen geworden ist. So wird der Mensch erst einmal von Ängsten geschüttelt, denn was geschieht, wenn die letzte Frage beantwortet ist? Dieser Absolutismus ist nicht zu ertragen und so melden sich die Apokalyptiker zu Wort und verheißen das Verschinden im Schwarzen Loch. Nun, dem Universum würde es nicht wehtun.
Sebastian Hannaks Bühnenbild war die klischeehafte Vorspiegelung eines Wissenschaftslabors. Der öde Realismus dieses Kunstraums wurde letztlich nur durch die Zerstörung desselben aufgehoben. Getrieben von den eigenen Einfällen beförderte Regisseur Solberg wohl eher sich selbst als die Geschichte, von der viel mehr als das dramaturgisch Notwendige kaum übrig blieb.
Jan Viethen, ein Schauspieler mit augenscheinlich starker Präsenz, musste sich als Faust gebetsmühlenartig bis zum Schluss vorhalten: "Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn." Das Weitere kennt man. Es beschreibt die Verzweifelung, in der Vervollkommnung seiner selbst trotz alledem nicht weiter gekommen sein. Dass dieser Satz dann auch am Schluss der Inszenierung stand und Faust sich mit selbigen Worten suizidierte, verblüffte dann doch. Das war nicht mutig sondern ignorant dem Autor gegenüber. Das Faustische Prinzip stirbt mit dem letzten denkenden Menschen. Was im Volkstheater starb war die verquere Vorstellung des Regisseurs davon. Auch Jean-Luc Bubert hätte einen Mephisto auf die Bühne bringen können, wenn man ihn nicht daran gehindert hätte. Unübersehbar war, dass die Figuren für kurze Augenblicke zu wirklichen Ideenträgern wurden, nämlich dann, wenn sie Goethes Text sprachen.
Nicht anders erging es Barbara Romaner, Andreas Tobias, Justin Mühlenhardt und Stephanie Schadeweg, durchweg Schauspieler, die in früheren Inszenierungen überzeugt hatten. Getrieben von den atemlos aneinandergeklitterten Einfällen der Regie verkamen die Sprache und der Gestus. Vieles wurde platter Realismus, aufgepeppt mit Filmzitaten von Tarantino bis Coppola. Es scheint, als hätte der Bühnenfaust sein Schicksal erlitten, um den Einfällen des Regisseurs gerecht zu werden. So wurde aus dem Träger eines philosophischen Prinzips ein hedonistisches Arschloch, das sich seiner selbst überdrüssig und erschöpft "das Hirn aus der Birne pustet".
Viele junge Menschen waren in das Theater gekommen, um einen modernen Goethe zu erleben. Die Inszenierung war weder modern noch Goethe. Es war nicht einmal kurzweilig, was die erste Tugend am Theater ist. Auch beförderte es nicht das Rezeptionsverhalten der Kids in bezug auf klassische Literatur. Und wozu auch? "Als Vorbild- und Identifikationsfigur ist Faust", wie gesagt, "ziemlich blass geworden."
Ein "Faust II" wird uns von Simon Solberg in München wohl erspart bleiben, denn Faust ist tot. Doch halt, das war Bobby Ewing auch …
Wolf Banitzki
Faust
nach J.W. v. Goethe
Textfassung Simon Solberg
Jan Viethen, Jean-Luc Bubert, Barbara Romaner, Andreas Tobias, Justin Mühlenhardt, Stephanie Schadeweg
Regie: Simon Solberg |
Volkstheater Eros nach Helmut Krausser
In den Spiegel geschaut
Der Autor Helmut Krausser, Jahrgang 1964, also ein Kind der fetten Nachwirtschaftswunderjahre, wollte viel in seinem Werk und holte zu diesem Zweck herbei, was so in einen Jahrhundertroman einzufügen wäre. Ein Bild der Nation und der Zeit konstruierte er. Das ist ihm meiner Ansicht nach auch gelungen, so treffend, dass es bereits schmerzen müsste, wäre man noch Mensch, der sich darin erkennen soll. Denn es ist viel Geschichte, allgemeine Geschichte, doch wenig Inhalt, und wenn, meist allgemeiner Inhalt in der Geschichte um eine unerfüllbare Liebe. Erfahren wir wirklich etwas Neues, oder eine neue Perspektive. Die Frage muss klar mit Nein beantwortet werden. Reden, ja, reden lässt es sich gut über die Geschichte und Daten und Fakten zusammentragen kann auch Zusammenhalt vorgaukeln.
Deutschland ein Kraftprotz der körpermaschinellen funktionalen Potenz – so suggeriert es das Bild am Programmheft. Und das Bild passt, um es mit dem Volksmund zu sagen, wie die Faust aufs Auge. Die Verlagerung des Eros (ursprünglich der Gott der Liebe, das Weltprinzip der Zeugung) auf Industrie und Macht durch Geld kann kaum deutlicher vorgebracht werden. Demonstration von Potenz? Oder Offenlegung menschlichen Versagens? Diese Frage zu beantworten bleibt dem Einzelnen überlassen.
Das Bühnenbild, eine ausladende Sitzgruppe aus ockerfarbenem Leder, ein kleiner Glastisch mit Gläsern, Weinflasche, Zigaretten und Aschenbecher bildeten den Mittelpunkt um den geredet und agiert wurde. Der Zuschauer kennt diese Kulisse aus den zahlreichen Gesprächsgruppen im Fernsehen und dennoch stimmten die Auswahl und Anordnung.
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Wolfram Kunkel, Mareile Blendl, Friedrich Mücke, Xenia Tiling
© Arno Declair
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Wie schon der Roman kaum inhaltliche Tiefe aufkommen lässt, oder Personen ausformuliert und der Autor die Protagonistin schildert mit den Worten „Ich werde Ihnen Sofie nicht genau beschreiben. Beschreiben Sie sie, aber so, dass jeder sich angesprochen fühlt. Sie war ja nichts Besonderes, damals bestimmt nicht ...“, so setzt sich dieser Umstand auf der Bühne fort. Der Zuschauer erfährt nichts über Alexander von Brücken. Die Hauptfigur blieb ein eigenschaftsloser Mechanismus, funktional im Sinne eines Systems, doch außer eine Spur Romantik um einen Kuss fehlte ihr menschliche und männliche Art. In den wenigen folgenden Begegnungen mit Sofie versuchte dieser linkisch über die Beschützerfunktion das Vertrauen seiner Sternengeliebten, bezeichnend gewollt die Ferne ausgedrückt, zu gewinnen. Macht und Geld auf der einen Seite und Ideologie auf der anderen, trennten ihre Welten.
„Ich wollte Sofie nichts Böses, wollte mich nicht in ihr Leben drängen, nur hier und da ein wenig helfen, sie schützen, umsorgen. Das ist doch nicht verwerflich? Nicht? Sie schweigen? Sie geben mir keine Antwort? Gibt es eine Ethik der Liebe?“ Die Inszenierung gab, wie der Roman, darauf keine Antwort, noch ging sie entfernt darauf ein. Vielmehr stellte sich der Schluss her: Die Liebe gilt dem Unerreichbaren, das spart den eigentlichen Konflikt aus, gibt ein Ideal, das es zu verfolgen gilt, ohne wirklich an sich arbeiten zu müssen. Einfach komfortabel.
Die Bühnenfassung ist über weite Strecken an allgemeinen Beschreibungen festgemacht. Das Haus der von Brückens vor dem Krieg, die Familie unter dem Zeichen des Nationalsozialismus und der altdeutschen Tradition, der Krieg, der erst durch sein Näherrücken Schrecken auszulösen vermag, die zerbombten Häuser und Kirchen, die Daten der Geschichte, in Jahreszahlen und Aufzählung allgemein bekannter Ereignisse von Kriegsende bis zu Machtübernahme Castros in Kuba.
Die konventionell gekleideten Darsteller verinnerlichten eine Menge Prosa, die sie vortrugen. Diese Textform hat es an sich, dass der Gestaltung auf der Bühne sehr enge Grenzen gesetzt sind. Dialoge waren im Verhältnis dazu äußerst sparsam eingestreut. Dennoch, die Schauspieler taten ihr Bestes und ordentlicher lebendiger Vortrag, bisweilen mit viel Körpereinsatz, abgesehen vom Alexander von Brücken in den späten Jahren (Wolfram Kunkel), der konsequent auf seinem Platz verharrte, brachte den Stoff an den Zuhörer. Die Szenen in denen unter Aktionismus Prosa vorgetragen wurde, bildeten die Stützen der gleichmäßigen Inszenierung.
Textfassung und Regie erarbeiteten weder eine besondere Perspektive, noch setzten sie auf einen Schwerpunkt. Christine Eder und Katja Friedrich versuchten alle Aspekte des Romans zu bedienen und schafften so über eine Stunde und fünfzig Minuten keine Höhepunkte. Was entstand war das realistische Bild: Wenn es ums Feiern geht, bewegt sich die Nation, ansonsten sitzt, talkt und schildert sie. „Wie wir alles mit Anstand hinter uns bringen.“ , um es mit den Worten des Autors zu sagen.
C.M.Meier
Eros
nach Helmut Krausser
Wolfram Kunkel, Friedrich Mücke, Stefan Murr, Jean-Luc Bubert, Xenia Tiling, Mareile Blendl
Regie: Christine Eder
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