Volkstheater Das Fest von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov
Es wird Geburtstag gefeiert im Hause Klingenfeldt. Vater Helge hat zum gesamtfamiliären Freudenfest geladen, um seinen 60. zu zelebrieren. Dass bei derartigen Veranstaltungen im besten Fall häufig die Langeweile regiert und schlimmstenfalls (alkoholbedingte) Entgleisungen einiger Anwesender für Missstimmung sorgen, ist wohl den meisten aus eigener Erfahrung bekannt. Wer Thomas Vinterbergs Dogma-Film "Das Fest" kennt ahnt zudem, dass auch Jorinde Dröses Inszenierung (basierend auf dem von Bo Hansen für die Bühne bearbeiteten Originaldrehbuch) in der häuslichen Katastrophe enden wird.
Das Fest im Volkstheater beginnt, von einigen Theaterbesuchern zunächst unbemerkt, im Foyer mit der Ankunft des ältesten Sohnes Christian (Leopold Hornung als Anzug-gewandeter Businessmann, natürlich mit obligatorischem Handy am Ohr). Dessen überschwängliche Begrüßung durch Nesthäkchen Michael (Andreas Tobias), der seiner Frau Mette (Stephanie Schadeweg) gerne das Koffertragen überlässt, beschließt das "Vorspiel" im Foyer. Die übrigen anwesenden Gäste werden nun in den Fest- bzw. Theatersaal gebeten. Julia Scholz gestaltet mit ihrem holzgetäfelten, in unheilschwangerem Ochsenblut gehaltenen Halbrund einen wohltuend minimalistisch ausgestatteten Bühnenraum. Diese Arena, im Hintergrund mit dem angesichts der filmischen Vorlage zu erwarteten Videoscreen versehen, bietet genug Platz für kommende Schlachten.
Werner Haindl, Leopold Hornung © Arno Declair |
Zu den bereits aus dem Foyer bekannten Gesichtern gesellt sich Helene, dritter und letzter (noch lebender) Spross der Familie Klingenfeldt. Elisabeth Müller gibt sie als naiv-großäugige Kindfrau, die die Augen nur zu gerne vor der harten Realität verschließt. Beim Beziehen der Zimmer werden erste Risse in der großbürgerlich-saturierten Fassade sichtbar. Michael bettelt winselnd um Anerkennung und väterliche Liebe, ist jedoch ganz großkotziger Macho, wenn es um die eigene Frau geht. Christian wird nach dem Selbstmord seiner Zwillingsschwester (beide wurden als Kinder vom Vater missbraucht), von Hass und Schuldgefühlen zerfressen. Helene, singende Anthropologiestudentin mit nicht standesgemäßem Boyfriend (Michael Gunn), weigert sich fast bis zuletzt, die schrecklichen Taten des Vaters als wahr zu akzeptieren. Hier ist niemand das, was er auf den ersten Blick erscheint. Vinterbergs Figuren haben meist mehr als ein Gesicht und machen es dem Zuschauer nicht leicht, Partei für oder gegen sie zu ergreifen. Es sind gebrochene Charaktere auf der Suche nach Erfolg, Macht und (gesellschaftlicher) Anerkennung, die schon im Vorfeld and ihren utopischen Zielen scheitern, dies jedoch nicht wahrhaben wollen. Begriffe wie Liebe oder Glück scheinen nur marginal relevant, Beziehungen (fast) unmöglich.
Jorinde Dröse spielt mit dieser emotionalen wie räumlichen Distanz. Ihre Figuren wirken oft isoliert, erstarren in tableauartigen Standbildern, Momentaufnahmen alltäglicher menschlicher Abgründe, die den stärksten Eindruck bei diesem Theaterabend hinterlassen. Ein Plot, in dem sich Pädophilie, häusliche Gewalt, und faschistische Auswüchse die Klinke in die Hand geben, braucht keine lauten Töne.
Folgerichtig auch die frontale Platzierung der Schauspieler an der langgezogenen Festtafel, die Assoziationen zu Da Vincis "Abendmahl" zulässt. Es wird viel geredet, Kommunikation findet jedoch nicht statt. Blick- und Körperkontakt sind auf das Nötigste reduziert. Kollektive Gefühlsausbrüche verpackt Dröse mehrfach in Gesangs- und Bewegungschöre, an denen die Schauspieler offensichtlich ihre Freude haben.
Die Tafel, Dreh- und Angelpunkt eines großen Teils der Inszenierung, ist das Reich Benjamin Mährleins, der als schmieriger, sich anbiedernder Conferencier bzw. "Toastmaster" Helmut von Sachs überzeugt. Ganz wie es sich für eine Familienfeier gehört hält er sie per Videokamera für die Ewigkeit fest. Das Medium Video wird, bei einem auf einem Dogma-Film basierenden Stück nicht verwunderlich, wiederholt als zusätzliches kommentierendes Stilmittel eingesetzt. Abgesehen von einem Einspieler am Vorstellungsende liefert die Handkamera Livebilder vom Geschehen hinter der Bühne und Close-ups der Gesichter der Darsteller. Dankenswerter Weise wird die Technikspielerei nicht überstrapaziert. Mit der Gegenüberstellung von Videobildern und Bühnengeschehen gelingen Jorinde Dröse mehrfach eindrucksvolle Bilder. Das Problem der zahlreichen parallel verlaufenden Handlungsstränge wird auf diese Weise und durch das gleichzeitige Spielen mehrerer Szenen auf der Bühne gelöst.
Am Ende siegt die übermächtige Realität über das in gemeinsamer Anstrengung so lange aufrechterhaltene Traumbild der glücklichen Familie. Die aufwühlenden Ereignisse der Nacht weichen am nächsten Morgen dennoch erstaunlich schnell Kaffeeduft, Brötchen und entspanntem Smalltalk der jungen Generation. Der Auftritt des gestürzten Patriarchen ist da letztendlich nur kurze, unangenehme Zäsur. Helge geht alleine, auch seine bis dato verstörend zu ihm stehende Gattin Else (gut, Sophie Wendt) will nicht mehr an seiner Seite bleiben. Frühstück und Smalltalk werden wieder aufgenommen, die Spannung löst sich in Wohlgefallen auf. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Begeisterter Beifall.
Tina Meß
Das Fest
von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov
Dirk Bender, Anne Bommer, Michael Gunn, Werner Haindl, Katharina Haindl, Leopold Hornung, Timur Isik, Benjamin Mährlein, Stefan Murr, Elisabeth Müller, Stephanie Schadeweg, Andreas Tobias, Sophie Wendt Regie: Jorinde Dröse |