Werkraum Die Panik Teil V aus der Heptalogie des Hieronymus Bosch von Rafael Sprengelburd
Und wenn die Nacht am schwärzesten ist ...
Die Trägheit, eine der 7 Todsünden des christlichen Moralkodex, galt über Jahrhunderte als verwerflich, da das tätige Leben das Ideal darstellte. Heute, nach Aufhebung der alten Moralvorstellungen ist Trägheit keineswegs mehr Sünde, sondern gilt als legitimer sinnlicher Genuss und wird unter dem Begriff Untätigkeit von den Anhängern des Buddhismus sogar als erstrebenswertes Ziel gepriesen. Die moderne Wohlfühlgesellschaft huldigt der Entspannung, der Wegbereiterin für die Trägheit, gleich einer heiligen Kuh. So wurde die Trägheit gesellschaftsfähig.
Dennoch gibt es auch heute Sünden (Übertretungen eines göttlichen oder gesellschaftlichen Gebotes) und zu ihnen gehört die Angst vor der Freiheit, sie ist verpönt. Diese Grundangst, die Angst der Masse - Panik - gehört zu den modernen Todsünden wie Appetitlosigkeit, Dummheit und Paranoia, die der Autor in seinem von Hieronymus Bosch inspirierten Dramenzyklus vorführt. Panik entsteht, wenn Menschen in eine Freiheit geworfen werden, mit der sie letztlich nichts anzufangen wissen. Sie versetzt sie in Angst die in Agonie oder Aktivismus mündet. Sie werden zu Blättern im Wind, die mit Aberglauben, Götzendienst und Dummheit mit treiben und werden zu Ratten die ihr persönliches Laufrad beschleunigen. Die Freiheit, die Freiheit ist nur für wenige Menschen erreichbar und sinnträchtig. Allein diese Erkenntnis, die andere Seite einer Medaille in der Sammlung der Paradoxien des Lebens, würde Ruhe einkehren lassen. Doch daran, diese Ruhe aufkommen zu lassen, sind die Protagonisten des herrschenden Gesellschaftssystems, genau wie anno dazumal, keinesfalls interessiert. Nur eine getriebene Ratte, ist eine gute Ratte.
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Anne Retzlaff, Anna Böger, Cristin König, Tabea Bettin, Lasse Myhr, Jochen Noch
© Andrea Huber
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Rafael Sprengelburd, Jahrgang 1970, richtet nach eigener Aussage seinen Blick direkt und ohne Umwege auf das Leben. Das macht sein Werk spannend, zumal sein Blick klar und erfrischend unverstellt ist. In seiner Geschichte wird nach dem Schlüssel zu einem Banksafe gesucht, wobei dieser Schlüssel auch symbolisch für den Zugang zum Reich der Toten steht. Emilio, in der Wohnung seiner Geliebten zu Tode gekommen, wollte einen Film über einen altägyptischen Mythos drehen. Doch der Tod ereilte ihn zuvor und noch hat er nicht begriffen, dass er nicht mehr zu den so genannten Lebenden gehört. Er ist in ihrem Leben ohne teilnehmen zu können. Seine Ehefrau und Adoptivmutter Lourdes sucht nun gemeinsam mit den Kindern Jessica und Guido nach dem Schlüssel zum Schließfach. Sie möchte nach Miami, und der Schlüssel steht für ein Fahrkarte in ein besseres Leben. Eine Choreografin, eine männliche Tänzerin, eine Maklerin, eine Bankchefin, deren Sekretärin und ein hellsehendes Medium, sowie ein Therapeut vervollständigen das Kaleidoskop in dem persönliche Befindlichkeiten das Rad in der Manege des kleinen menschlichen Emotionalzirkus in Bewegung halten.
Zeitgenössischer Stil mit hartem Szenenwechsel, Rück- und Einblendungen, also Mittel des Films am Theater, jedoch sinnfällig eingesetzt, hielt Spannung und das Publikum im Bann. Ein grüner Vorhang schuf Räume, trennte und verband - Bühne von Mascha Mazur. Die einzelnen Szenen sind weniger spektakulär, denn entlarvend. Witzig, skurril, persiflierend und das, obwohl die Geschichte in Soap-Opera-Form scheinbar simpel und durchschaubar daher kommt, entfaltet sie bei genauerer Betrachtung doch ein vielschichtiges Bild, einem Gemälde von Bosch gleich. Der Text, bisweilen eine Sammlung abgenutzter Phrasen die sich Bedeutung anmaßen, da sie in Medien und damit den Köpfen allzu häufig vertreten sind, wirkt erheiternd. Die Verweise sind subtil. Der tote Emilio trägt menschliche Züge, die anderen Figuren sind moderne Prototypen, Nachfolger des Homo Sapiens, die Ratten in den Laufrädern. Da spielt es auch mal keine Rolle, wenn ein Darsteller mehrfach besetzt ist.
Ein Theatererlebnis der besonderen Art, das Regisseur Patrick Wengenroth überspitzt inszenierte und in dem die Darsteller durchweg brillierten. Anna Böger als Maklerin wirkte wie ein haltloses Blatt im Wind, wenn sie am Telefon Rechenschaft ablegte oder tanzend über die Bühne schwebte. Tabea Bettin und Lasse Myhr als die Kinder Jessica und Guido gaben überzeugend einen wahren Fundus an Neurosen zum Besten. Ihre Mutter Lourdes, gespielt von Cornelia Kempers, wirkte im Gegensatz zu allen anderen Figuren bodenständig, wenn auch nicht weniger zwanghaft. So sorgte sie aber für eine Reihe von Lachern. Renè Dumont dagegen agierte mit Zurückhaltung und Understatement, jedoch nicht minder ausdrucksstark. Jochen Noch, der tote Emilio, geisterte aufmerksam und höflich zwischen den Figuren, bis er von der hellsichtigen Cristin König über seinen Zustand aufgeklärt wurde. Nichts geht mehr ohne Medium oder Therapeuten, so lautet eine der Botschaften. Gott und die Götter wurden abgelöst. Es leben die "Götter".
Und wenn die Nacht, die herrschende Nacht an den Theatern, am schwärzesten ist, dann leuchtet ein Stern umso heller.
C.M.Meier
Die Panik
Teil V aus der Heptalogie des Hieronymus Bosch von Rafael Sprengelburd
Cornelia Kempers, Tabea Bettin, Lasse Myhr, Jochen Noch, Cristin König, Anna Böger, Renè Dumont, Sarah Sanders, Anne Retzlaff
Übersetzung / Regie: Patrick Wengenroth |
Werkraum Ausgegrenzt von Xavier Durringer
Nichts Neues auf hohem künstlerischen Niveau
Xavier Durringer, 1963 in Paris geboren, ist eine feste Größe in der dramatischen Literatur Frankreichs. Er verfasste "Ausgegrenzt" als ein lyrisches Manifest und schuf zugleich einen handfesten dramatischen Entwurf. Es geht um "beurs", nordafrikanische Emigranten, die zum Teil in der x-ten Generation in Europa leben. Ohne Zweifel hat diese Problematik in Frankreich einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland, wo diese Mitbürger wegen der französischen Kolonialpolitik ein Anrecht auf Staatsbürgerschaft hatten. Aber was in Frankreich tauglich ist, Betroffenheit auszulösen, ist allemal gut für deutsche Bühnen. Und da die Kammerspiele seit Frank Baumbauer im Ruf stehen, sich in gesellschaftlich brisante (oder vermeintlich brisante) Vorgänge einzumischen, hier nun ein weiteres Werk zum nützlichen Thema ohne Ende.
Der Vater (André Jung), er kam vor vielen Jahren ins Land, hatte die Ärmel hochgekrempelt und seinen Kindern Haus und Schule errichtet, damit sie eine bessere Zukunft haben sollten. Doch es lief anders als gedacht, wo immer er was auch immer aufbaute, seine Existenz blieb ein Randexistenz. Schlimmer, sein Lebensraum schrumpft unentwegt und droht ihn auszulöschen. Er ist stolz auf das Errungene, zugleich aber zu müde und zu erschöpft, um das Errungene zu verteidigen, auch gegen seine Kinder, die sich längst damit abgefunden haben, nie wirklich Eingang in die Gesellschaft, die "weiße Gesellschaft" zu finden.
"Ich werde heiraten", teilt der Sohn dem Vater mit. "Ich auch," schließt sich die Schwester an. "Wen?" "Was fragst du, sie lebt seit langem in unserem Haus." Der Vater hat die Realitäten längst ausgeblendet. Immer wieder beschwört er die Vergangenheit, zu der er noch einen Bezug hat, da er sie lange genug erlebte, um eine Erinnerung zu besitzen. Den Kindern fehlt diese Vergangenheit. Nichts von dem, was sie als Heranwachsende in der Heimat sahen, existierte fort. Sie sind entwurzelt. Der Vater ist es faktisch auch, nur will er es nicht wahrhaben. So steht der Betrachter einem Scherbenhaufen gegenüber, der tiefe Betroffenheit auslöst.
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André Jung, Ismail Deniz, Tabea Bettin
© Arno Declair
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Regisseur Neco Çelik, Jahrgang 1972, setzte diese Geschichte denn auch trefflich in Szene. Die Familie "Ausländer", da sie keinen Namen hatten, muss vom Ausländer an sich ausgegangen werden, trugen schneeweiße Anzüge (Kostüme: Gunna Meyer). Çelik arbeitete mit Symbolik, immerhin. So stand das Weiß für die "Weiße Gesellschaft". (Siehe auch "Weißes Ghetto" im Programm, eine deutsche Selbstdenunziation. - Anmerkung des Kritikers) Der Vater hielt nicht hinterm Berg mit seiner Sicht auf die Dinge: Der Fremde muss sich bemühen, so zu sein wie die Eingeborenen! Doch die Gesichter der Kinder, der Schnitt ihrer Augen, ihrer Lippen, waren verräterisch. Und so stolperten sie ungelenk durch die Realitäten, die sie unentwegt als feindlich empfanden und beschrieben. Wer genau hineinlauschte in das poetische Bemühen, das Unsagbare zu formulieren, der konnte Anspielungen wahrnehmen auf die Gründe für Gewalt, Sozialverweigerung, Diskriminierung, Frauenfeindlichkeit.
Die Argumente sind so bekannt wie verschroben, Worthülsen zumeist, Politikermündern, entsprungen, die genau wissen, dass sie mit diesem Thema punkten können, und zwar auf beiden Seiten des Grabens. Es sollte doch eigentlich nachdenklich machen, wenn "Freund" und "Feind" gleichermaßen dieselben Argumente benutzen. Wie ist das möglich? Es ist nur möglich, weil die "Migration" eine Chimäre ist, eine Wunschvorstellung ideologisierter Philanthropen oder Schreckgespenst für menschenverachtende Demagogen. Ein Blick in die Geschichte sei empfohlen, um die Vorgänge nüchtern und realistisch betrachten zu können. Was geschieht eigentlich? Ein Teil einer Ethnie wandert in den Lebensraum einer anderen Ethnie ein, der ihnen wirtschaftlich verlockend scheint. Am Ende steht nicht die Zerstörung einer Kultur, sondern ihre Entwicklung. Das ist bei den Ägyptern der Pharaonenzeit nicht anders gewesen als zu Zeiten der Kolonisierung der Ägäis oder der Entfaltung des Hellenismus. Es gab, daran sei erinnert, eine Völkerwanderung (ab 375 n.Ch.). Man stelle sich einmal vor, alle daraus resultierenden Probleme wären thematisiert worden …
Man möchte meinen, das deutsche Volk sei ein Volk von Masochisten. Bei näherer Betrachtung und im Kontext der Weltpolitik, betreibt Deutschland eine geradezu "vorbildliche" Ausländerpolitik. (Soweit das unter diesen gesellschaftlichen Bedingen überhaupt möglich ist.) Aber die Selbstverleugnung (Übung macht den Meister!) ist inzwischen so weit gediehen, dass der Deutsche selbst im Ausland den Einheimischen sogleich als Ausländer ausmacht und sich dementsprechend benimmt. Nämlich absurd!
Dennoch kann man die Inszenierung im Werkraum nicht tadeln. Der Vorwurf, es würde nichts Neues gesagt, dies aber auf hohem, ja, höchstem künstlerischen Niveau, greift nicht, da heutigentags die gute Form beinahe alles rechtfertigt. André Jungs Vater war geradezu eine Augenweide. Im intimen Quartier des Werkraums hatte der Zuschauer fast physischen Kontakt mit dem Darsteller und keine seiner mimischen Regungen, seines Stammelns, seines Flüsterns oder Donnerns ging verloren. Jung dominierte die Szene so übermächtig mit seiner Schauspielkunst, dass die beiden Kinder, dargestellt von Ismail Deniz und Tabea Bettin, kaum mehr als Stichwortgeber sein konnten. Das Bühnenbild von Mascha Mazur, zwei Wände einer Behausung, beweglich wie die Backen einer Zange, war so einfach wie treffend. Darin ein Bett und Ballons, weiße Ballons. Es waren Erinnerungsblasen des Vaters, die verhinderten, dass er zwischen den Wänden des immer kleiner werdenden Lebensraums vorzeitig zerquetscht wurde. Er erstarb langsam unter den rituellen Widerholungen der Erinnerung und der abklingenden Kommunikation mit der Familie, die Außen vor blieb. Am Ende geschah, was geschehen musste. Der Vater verschwand zwischen den aufeinander prallenden Wänden. Zurück blieb das "Weiße" - untaugliche Schminke der Anpassung.
Die Inszenierung unterstrich Birgit Rommelspachers These: "Nicht Fremdheit macht aggressiv, sondern Aggression macht die anderen fremd." Dabei war von Perspektivwechsel die Rede. Welcher Perspektivwechsel sollte das gewesen sein, wenn man die allgemeine Prämisse einfach nur spiegelte? Wie wäre es mit der Draufsicht. Also Heraustreten aus der Problematik. Dann käme man ganz schnell dahinter, dass diese "Gesellschaft" den Konflikt braucht, ihn hegt und pflegt und ständig im Munde führt. Warum begreift der in Deutschland lebende Bürger, ob deutscher Herkunft oder nicht, die Gesellschaft als etwas, was eigenständig neben ihm existiert? Warum begreift er nicht, dass er selbst ebenso die Gesellschaft ist wie sein Nachbar und dass all diese hysterischen Konflikte geschürt werden, um den Bürger durch Ängste beherrschbar zu machen. Die Inszenierung leistet da wenig Aufklärung und was nicht aufklärt, hilft denen, die verschleiern.
Wolf Banitzki
Ausgegrenzt
von Xavier Durringer
André Jung, Ismail Deniz, Tabea Bettin
Regie: Neco Çelik |