DantonDenkRaum
Das Geschaffene hat seinen Grund in sich
Das interdisziplinäre ART MEETS SIENCE Projekt des Atelier Kremer Krötsch & Kollektiv Freies Feld veranschaulichte in umfassender Weise die Vorstellung des special guest des Abends, des Physikers Dr. Hans-Peter Dürr. In seinem Verständnis ist die Welt ein Spiegel lebendigen Zusammenspiels von kreativen Menschen. Genauer, um nicht in wissenschaftlichem Duktus zu sagen, exakter, kann ein Anliegen, die Erkenntnis für eine gesellschaftliche Notwendigkeit, kaum vorgebracht werden.
„... wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann, wie in einem Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen uralten, zahlosen, unverwürstlichen Schafskopf, nichts mehr, nichts weniger. Die Unterschiede sind so groß nicht, wir sind alle Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper ... Schlafen, Verdauen, Kinder machen – das treiben sie alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen ...“ , so Georg Büchner. Und gerade diese Variationen und die Masken sind es, die das Leben mit einer Welt versehen, es interessant und vielseitig, spannend und abwechslungsreich machen, kurzum der naturgemäß tierischen Langeweile den Garaus machen. Die Masken in der mitteleuropäischen Kultur heißen Kunst und Wissenschaft. Vermittels dieser findet Gestaltung in der Gesellschaft statt, sie bieten Entfaltungs- bzw. Darstellungsmöglichkeit. Die Kunst greift Fragen auf, entwickelt spektakuläre Lösungen, regt zu eigenen Assoziationen an. Die Wissenschaft erklärt die Welt in ihrer Gesetzmäßigkeit, definiert Strukturen. Also gilt es der Frage nachzugehen: Was waren wir, was sind wir gewillt und fähig einzubringen um eine Welt zu bilden?
Schauplatz des interdisziplinären kulturellen Projektes war der Große Hörsaal der Anatomischen Anstalt der LMU München. Schon durch die Wahl des Ortes der Zusammenkunft wurde das Anliegen räumlich. Am Anfang war das Ei. Oder war es doch das Huhn? Nun, der Beginn dieses Projektes lag im Ei, in welches sich die Interessierten begaben. Der Große Hörsaal, in dem unter Prinzregent Luitpold zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbauten Jugendstilgebäudes ist fast eiförmig angelegt, strahlt in frischem Weiß. Seine Decke ziert ein großes Fenster gen Himmel. Es garantiert optimalen Lichteinfall, gilt es doch in diesem Projekt die Formen und Strukturen in ihrem Wandel zu erkennen. Denn: „Jeder Augenblick eine revolutionäre Evolution.“ Die Uhr lief. An der großen Projektionswand leuchtete das Sternbild Georg Büchners, seine Lebenszeit lief in digitalen Zahlen und in astrologischen Konstellationen unübersehbar voran. Wieviel Erfahrung und Ausdruck ist in einem Leben, ist in 23 Jahren möglich?
Die „Instant-Installation“, so die Ankündigung, basierte auf ausgewählten Texten. Die Worte, welche Büchner seine Figuren äußern ließ, sind von existentiellem Gehalt und ausgewogen klassischer Sprache. Das Zusammenspiel dieser beiden Elemente befördert zeitlose Kunst. Sie sind von ungebrochener Aktualität, Kraft und deren Klang – vorgetragen von exzellenten SchauspielerInnen, SprechkünstlerInnen – schwebte nachhaltig im Raum. Die Musik der Sprache berührte ebenso eindrucksvoll, wie die den Musikinstrumenten entlockten Töne. Wenngleich die Inhalte der Sprache sich an den Verstand richten, während die Musik vorwiegend auf der emotionalen Ebene Widerhall erzeugt, die Seele reich beschenkt. So war es kaum möglich sich der lebendigen Schwingung zu entziehen, ist doch, wie die Erfahrung begreift und die Wissenschaft erklärt, alles materiell verbunden und damit eins. Masako Otha am Cembalo und Esther Schöpf, Violine, untermalten musikalisch nicht nur die Bilder und Details erfassenden Projektionen der von Prof. Andreas Köpnick geführten Videokamera.
Die Perspektive der Aufnahmen trug zu Abwechslung und neuen Ansichten bei. Ob der Fülle der Eindrücke wurde es notwendig immer deutlicher zu unterscheiden, ein Vorgang wie er aus der modernen Gesellschaft nur allzu bekannt ist. Mit Schattenbildern fing Gisela Oberbeck die Aufmerksamkeit. Der Schatten eines Astes, eines Skeletts, eines Käfigs beschäftigt Kunst und Wissenschaft gleichermaßen. Bernd Wiedemann übertrug seine Impressionen zum Thema mit Kreide auf die grüne Tafel, mit Stift auf das Papier der Präsentationstafel. Es waren realistische Skizzen, surreale Zeichnungen, visuelle Kompositionen zwischen Bildschirm, Kopf und weißer Taube – Intentionen folgend. Um zu so komplexer Improvisation zu finden, bedarf es eines großen inneren Erlebnisraumes jedes Einzelnen. Alle Beteiligten trugen bis zu höchster Profession entwickelte Masken zur Schau.
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© Isabelle Krötsch
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Die Vielfalt der Masken und Variationen ist es, die eine menschliche Welt ausmachen, die sie eigentlich bereichern. Während rein ergebnisorientiertes Tun zu Verarmung im Dasein beiträgt, so bereichert der spielerisch improvisierend Tätige die Gemeinschaft. Darin lag über Jahrhunderte der künstlerische und wissenschaftliche Zugewinn begründet, der über Studium per se gewonnen wurde. Nicht zu vergleichen mit der Übertragung und Aneignung von Schulwissen, die das derzeit gültige Universitätskonzept ausmachen. Special guest Dr. Dürr brachte als erweiterndes Beispiel seine Vorgehensweise im Bezug auf die Benotung seiner Studenten. Diese sollten ihr eigenes persönliches Anliegen im Bezug auf das vermittelte Wissen in einem Semester umsetzen und mit ihm über das erreichte Ergebnis, u.a. die persönliche Einschätzung und Zufriedenheit, diskutieren. Daraus ergab sich ein wesentlich vielfältigeres Ergebnis als es 50, 70, 90 Punkte jemals darstellen können.
Das Bestreben sämtliche Sinne des Menschen anzusprechen, zu aktivieren und in Einklang schwingen zu lassen, wurde anspruchsvoll umgesetzt und der Abend konnte durchaus als Gesamterlebnis erfahren werden. Sinnliche Genüsse vervollständigten. Es oblag dem einzelnen Zuschauer seine persönlichen Schwerpunkte zu setzen, zu fokussieren. Schnittstellen zwischen subjektiver Ahnung, Erfahrung und objektiv formuliertem Wissen konnten aufgetan und ebenso geschlossen werden.
Eine revolutionäre Keimzelle wurde geschaffen. Eine Keimzelle durch welche eine neue Form der Entwicklung den Weg in die Wahrnehmung findet. Der bislang gültige Satz von Pierre Vergniaud „Die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder.“ - der durch das Drama „Dantons Tod“ von Georg Büchner und die kriegerischen Vorgänge der aktuellen arabischen Revolutionen Bestätigung findet - könnte seine gewalttätig vergeltende Gültigkeit verlieren. Das in Realität mündende bewusste Zusammenwirken von verschiedensten Menschen mit unterschiedlichsten Eigenschaften, Kräften und kunstvoll entwickelten Fertigkeiten zu einem sich wandelnden Schöpfungsbild, einer friedvollen, doch keineswegs antriebslosen menschlichen Gemeinschaft wurde offenbar.
Das Leben als Werkstatt begreifen und mitwirken! Lassen auch Sie sich inspirieren ...
C.M.Meier
Weitere Veranstaltungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten 13., 14.9. + 20.-22.9 um 19.30
(Großer Hörsaal der Anatomischen Anstalt der LMU München – Pettenkoferstraße 11) ... Mehr
DantonDenkRaum
Interdisziplinäres Projekt und szenische Untersuchung
Schauspiel, Musik, Bildende Kunst & Beiträge von „special guests“ aus Kunst, Geistes- und Naturwissenschaften
12.9.2013 – Danton und die Natur der Dinge
Dietrich Adam, Beatrix Doderer, Jens Harzer, Hans Kremer, Jochen Striebeck, Katalin Zsiemondy – Schauspiel. Masako Outa – Cembalo, Harmonium. Esther Schöpf – Violine. August Zirner – Querflöte. Prof. Andreas Köpnick – Video. Isabelle Krötsch – Lautmalerei. Tobias Krug – Akustik Clock. Gisela Oberbeck – Schattentheater. Manu Theobald – Fotografie. Bernd Wiedemann – Zeichnung.
Assistenz: Nina Kunzendorf Licht: Peter Junghans DokFilm: Peter Badel
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Reizwerk Absacker von Petra Wintersteller
Die Liebe ist eine Himmelsmacht
und wer ihr noch nie begegnet ist, der sollte ganz schnell mal auf einen Absacker gehen. Dieser letzte Drink - der mit dem Vergangenen versöhnt, der den Heimweg erleichtert, der den Körper mit der nötigen Bettschwere versieht, der Einsame vor sich selbst bewahrt - ist die beste Medizin. Seine Hochprozentigkeit führt mit hohem Prozentsatz vor allem zu einem, zu Ehrlichkeit gegenüber den anderen und sich selbst. Wie immer das eigene Lebenskonzept auch aussehen mag, es findet seinen Weg in den Äther. Gleich dem Zigarettenrauch, der früher die Bars zu gemütlich nebelschwangeren Orten erhob, gleich dem Rauch erfüllen die ausgesprochenen und die unausgesprochenen Gedanken der Trostsuchenden den Raum. Die Theorie vom Leben und das Leben per se, das sind zwei verschiedene Welten, und es scheint, als würden sie nur hier wirklich zusammenfinden.
Gisela sitzt an der Bar, blättert in einem Magazin, nippt am Cocktail. Es ist schon nach zwei Uhr als Michael das Lokal betritt, mit Koffer, Regenschirm und Rucksack. Und entgegen dem anfänglich geäußerten Wunsch nach einem Cola bestellt er, gleich Gisela, einen Caipirinha. Erste Sätze der Annäherung fallen. Doch sie bleiben nicht die einzigen Gäste. Eine bildhübsche Braut in weißem Kleid sucht verzweifelt Trost. Roland, ein potenter Kerl verbreitet den Erfolgsbericht seiner letzten Stunden im Casino, „Spiel, Gewinn und Stich“ waren so ganz nach seinem Schema. Im Zuge der Annäherung und des Genusses von Erleichterung verschaffender Medizin offenbaren sich die Tragödien der Verzweifelten. Das „Hauptübel“ im Leben ist wohl die Beziehung, wie auch immer, denn: „Die Liebe hat ihren eigenen Kopf.“ ... „.. Kopf gibt es nicht, wohl eher ihre Launen ...“ und über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis, Praxis und Theorie ist bisher noch jedeR gestolpert und ... gestürzt, bisweilen mit blutender Nase davongekommen.
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Petra Wintersteller, Jörg Hartmann, Christian Ammermüller, Ulrike Dostal
© Reizwerk
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Petra Wintersteller, die Autorin, beherrscht die Kunst Dialoge zu schreiben. Die von ihr aufgegriffenen Probleme entstammen dem Zeitgeist im „wirklichen Leben“ und der witzige und spritzige Text ließ sich durchaus wie ein Glas Prosecco genießen, sprudelnd, eben mit leicht trocken saurem Beigeschmack. Die Schauspielerin, Petra Wintersteller, verkörperte Gisela. Ausdauernd saß sie, ganz moderne Frau, an der Bar und fast schien es, als vertrieb sie sich nur die Langeweile mit Lesen, als wartete sie. Auf das Leben? Ihre Mimik spiegelte ausdrucksstark jeden Moment, jede Regung des Inneren. Petra Wintersteller, die Regisseurin, setzte auf das Verbindende, wohl auch die Liebe zu und zum Theater, und flocht daraus ein starkes Band zwischen den Schauspielern – Reizwerk - und zu den Zuschauern.
Den netten und ein wenig unbeholfen wirkenden Michael gab Christian Ammermüller. Er war Neuling in der Szene, die harten Drinks verursachten ihm mehr Probleme – super Schweißausbruch eines ungeübten Trinkers! - als Erleichterung. Allein sein Idealismus blieb ungebrochen, hielt ihn aufrecht bei der Suche nach einem neuen Leben. „Wie man’s macht, macht man’s falsch.“ Susanne hatte so ziemlich alles falsch gemacht, was eine verliebte Frau nur falsch machen kann und erreichte den Tresen im Brautkleid, Tränen hatten das Make-up um die Augen verteilt. Ulrike Dostal schwankte ungemein naiv zwischen Traurigkeit, Enttäuschung und anfangs unspezifischer Wut. Erst im Aufdecken ihrer Geschichte, den unbestechlichen Augen Giselas ausgesetzt, entwickelte sich ihre verwickelte Handlungsweise. Dabei war Susanne „Top-Ware“ wie sich Roland ausdrückte, der noch nie eine Frau bezahlt hatte. Jörg Hartmann spielte mit jeder Geste: „Männer wie ich, sagen was Sache ist.“ Einen wahren Klischee-Macho mit all seinen Schwächen und natürlich auch Stärken stellte er vor den Tresen, bis ... ja bis ...
Und wie es nicht anders sein kann in einem solchen Etablissement, erschien eine Rosenverkäuferin. Mit einer glorreichen neuen Geschäftsidee, einem Werbegeschenk versuchte Sonja Ganzenmüller spitzfindig den ach so banalen Verkaufsvorgang aufzupeppen. Ob es glückte?
Das Stück „Absacker“ wurde an der Theke des Cord Club uraufgeführt. Die realistische Atmosphäre, der Rauch und der Dunst der vielen hier geführten Gespräche, der Gefühlsausbrüche bildete den erfahrbaren Hintergrund, gleich einer unsichtbaren Kulisse fing diese das Publikum ins Geschehen ein. Die Grenzen zwischen Inszenierung und Realität waren fein, sie bestanden, und doch kam für Momente immer wieder die Ungezwungenheit einer verschworenen Gemeinschaft auf. Der Abend - ein wundervolles unterhaltsames Theatererlebnis einer anderen, einer lebendigen Art.
Die Gruppe Reizwerk, das waren die, die Lachmuskel reizten, aber auch jene, die die gesamte Bandbreite der Gefühlskala ausspielten. Und, wer über die Tücken und Fallen, die Unvereinbarkeiten zwischen den Menschen, den Geschlechtern im Weinen lachen kann, hat schon den ersten Schritt in Richtung Glück getan. Das Happy End: Man weiß, dass es so ist!
C.M.Meier
Absacker
von Petra Wintersteller
Jörg Hartmann, Ulrike Dostal, Christian Ammermüller, Petra Wintersteller, Sonja Ganzenmüller, Barfrau: Monika Guggemos
Regie: Petra Wintersteller
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