Metropol Theater Frohes Fest von Anthony Neilson


 

 
Frohes Fest - eine eher beschauliche Geschichte

Eine Komödie lebt gemeinhin von Verwechselungen und Missverständnissen, eine (raben-) schwarze Komödie zudem von Tabubrüchen. Diese Qualität weist "Frohes Fest" von Anthony Neilson ohne Zweifel auf. Die Polizisten Blunt (Werner Haindl) und Gobbel (Gerd Lohmeyer) sind am Heiligen Abend in heikler Mission unterwegs. Am Abend der Geburt des Heilands sind sie Todesboten. Sie müssen Balthasar (Adolf Adam) und seiner Ehefrau (Christiane Blumhoff) die Nachricht vom Unfalltod der Tochter überbringen. Noch ehe die vor Ängsten schlotternden Gesetzeshüter ihrer Pflicht Genüge tun können, geraten sie unter den Verdacht, in kinderschänderische Vorgänge verwickelt zu sein. Gronya (Judith Toth), Mitglied einer selbsternannten Bürgerwehr gegen Pädophile, bringt beide Polizisten handfest und sehr maskulin in arge Bedrängnis. Als beide endlich in der Wohnung der beklagenswerten Eltern angelangt sind, geschieht das fatale Missverständnis. Man meint, noch ehe Blunt und Gobbel dies verhindern können, der Hund, ihr "Baby" sei Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Unfähig, da man um das Leben der alten Leute fürchtet, gelingt es den beiden Uniformierten nicht, die Angelegenheit richtig zu stellen. Von nun an geht's bergab. Der Strudel der Ereignisse reißt alles mit sich, ein Hund muss scheinbar sterben, ein Pfarrer endet bewusstlos im Schrank, ebenso ein missbrauchtes Kind und immer wieder entstehen zwei - oder mehrdeutige Situationen, die ohne Zweifel jedermanns Zwergfell einer Zerreißprobe unterwerfen würden, wenn …, ja, wenn sie denn entsprechend von der Bühne rüber kämen.

Thomas Flachs Bühne war nach den Regeln der Boulevardkomödien eingerichtet. Er zeigte auf sehr präzise und sehr realistische Weise die kleine Welt Balthasars und seiner Ehefrau. Das Tannebäumchen heimelte umgeben von Geschenkpaketen in der Ecke vor sich hin, die Hausbar war wohl bestückt und die Sessel der Sitzecke ließen sich leicht verschieben. Der Läufer zum Transport ohnmächtiger Personen befand sich stets in Reichweite und, wie es sich in einem anständigen Komödienbühnenbild gehört, es boten sich mindestens drei Türen für Auf- und Abgänge an. Komödien leben immer auch davon, dass stets unerwartet eine Person im denkbar schlechtesten Augenblick auftaucht.
 
   
 

Werner Haindl, Gerd Lohmeyer

© Hilda Lobinger

 

 

Jochen Schölch hatte mit Werner Haindl (Blunt) und Gerd Lohmeyer (Gobbel) ein kongeniales Paar verpflichtet. Sie erinnerten nicht selten an Laurel und Hardy. Haindls Blunt zeichnete sich durch das ständige Bemühen aus, die Dinge im Griff zu behalten, die da so übermächtig aus dem Ruder liefen. Lohmeyers Gobbel hingegen verhielt sich geradezu autistisch zu den Vorgängen, lieferte völlig surreale Kommentare und steigerte die Verwirrung, in dem er auf die Absurditäten einging. Adolf Adam (Balthasar) gelang es nicht immer, adäquat und komödiantisch zu reagieren und gerade in einer Komödie, in der es Schlag auf Schlag geht, sind die Darsteller hochgradig voneinander abhängig. Christiane Blumhoffs Darstellung der Ehefrau war ohnehin so angelegt, dass sie an den wirklichen Vorgängen stets mit nachtwandlerischer Sicherheit vorbei schlitterte. Judith Toth punktete mit der Darstellung einer wahrlich Furcht einflößenden und martialisch auftretenden Kinderrächerin, völlig unweiblich und eine echte Testosteronbremse. Überraschend, wenn man sie aus anderen Rollen kennt.

Eigentlich hätte dieser Abend ein Heidenspaß werden können, vorausgesetzt, der Zuschauer konnte mit Tod, der nicht stattfand, und Kindesmissbrauch, der stattfand, heiter umgehen. Anthony Neilsons Text hielt, was er als Farce versprach, Jochen Schölchs Inszenierung leider nicht. Die beinahe zweistündige Inszenierung wies durchaus Längen auf und nicht selten musste der Zuschauer den Gags hinterher hecheln, um sie wahr zu nehmen. Lohmeiers Physiognomie und sein mimisches Understatement sind zwar etwas außergewöhnliches, ersetzen aber letztlich den Wortwitz nicht, der nach Pointierung verlangt. Die Antwort auf die Frage, warum ein so exzellent gebauter Text nicht griff, ist einfach. Tempo und Timing stimmten nicht. Die Geschichte wurde recht behäbig erzählt, selbst Situationen, in denen es wüst und hysterisch zuging, blieben überschaubar und regten nicht wirklich auf. Derartige Komödien leben davon, dass die Geschwindigkeit den Zuschauer davon abhält, den nächsten Gag zu erahnen. Erst dann schlägt derselbe ein wie eine Bombe und zerreißt den Betrachter schier. In der Inszenierung von Jochen Schölch wurde dem Betrachter alle Zeit gegeben, sich den folgenden Witz selbst auszudenken und nicht selten gelang es, denn auch Anthony Neilson kocht in seinem Text nur mit Wasser. Hätte man dieses Stück auf die Dauer von eineinhalb Stunden hin inszeniert, wäre zwangsläufig ein Tempo aufgekommen, das den Vorgängen angemessen gewesen wäre. Chaos und hochgradige Verwirrung sind dessen Inhalt und nicht das intellektuelle Nachspüren des Wortwitzes. Der Wortwitz ist das Mittel, nicht das Anliegen.

Aber wer weiß, vielleicht schüttelt es sich ja noch zurecht.

 
Wolf Banitzki



 

 


Frohes Fest

von Anthony Neilson

Adolf Adam, Christiane Blumhoff, Martin Dudeck, Werner Haindl, Gerd Lohmeyer, Henriette Schmidt, Judith Toth

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Die Grönholm Methode von Jordi Galceran


 

 
Die Gesetze der Macht und was vom Menschen übrig bleibt

Ein gewisser Grönholm, Chefpsychologe eines Konzerns, hat sie entwickelt, die nach ihm benannte Methode. Ihr Ziel besteht darin, geeignete Mitarbeiter für den multinationalen Konzern zu finden. Das Profil des idealen Manager: stark, dominant, kreativ und entscheidungsfähig auch unter extremen Druck. Vier Kandidaten haben sich in der Filiale eingefunden, um in der vierten und wahrscheinlich letzten Auswahlrunde den zu ermitteln, der den Anforderungen des Jobs und der Konzernleitung entspricht. Der Job ist nicht irgendeiner, es handelt sich um eine Stellung im Topmanagement, verbunden mit viel Macht und Geld. Folglich sind auch die Auswahlmethoden besonders. Der Laie wundert sich. Die Vorgänge sind zum Teil surreal und muten nicht selten pathologisch an. Dennoch weiß Autor Jordi Galceran wovon er spricht.

Der Vorgang spielte in einem so genannten Assessment Center. Hier wurden die Kandidaten mit Aufgaben konfrontiert, über deren Sinn sie bestenfalls spekulieren konnten. Sie befanden sich in einem existenziellen Dschungel, wussten nicht, wer Freund noch Feind war. Die Orientierungslosigkeit war Programm. Archaische Instinkte waren gefragt, soziales Verhalten war fadenscheinig und letztlich nicht mehr als Feigenblatt, denn es ging ums Überleben. Wer freiwillig passen würde, weil er die Aufgabenstellung als entwürdigend und unmenschlich empfand, der war endgültig raus. Am Ende musste sich denn auch der Zuschauer eingestehen, dass er allen möglichen Fährten gefolgt war, ohne wirklich hinter die Geschichte zu steigen. Alles kam ganz anders und der Betrachter war wieder einmal Opfer seiner eigenen Klischeevorstellung.
 
 

 
 

David Baalcke, Markus Eberhardt, Judith Toth, Matthias Grundig

© Hilda Lobinger

 
 
Dabei wäre es ganz einfach gewesen. Wir sollten, wenn wir über die Führungseliten nachdenken, immer vom Schlimmsten ausgehen. Allein, wir haben kaum ein Vorstellung davon, dass das vermeintlich Schlimmste längst nicht das Schlimmste ist, denn in uns schlummert immer noch ein Rest Anständigkeit. Anstand aber ist kontraproduktiv, ab einer bestimmten Sprosse der Karriereleiter. (Siehe Anhang) Jordi Galceran verfasste einen kunstvollen Krimi, witzig, ironisch, perfekt gebaut und gleichsam bedrückend, da Realität. Für Regisseurin Cordula Jung, die sich mit dieser Inszenierung um ihr Regiediplom bewarb, eine schwerstmögliche Herausforderung. Das Ergebnis überzeugte nicht nur, es begeisterte.

In einem kühlen, perfekt durchgestylten Raum ohne menschliche Haltepunkte von Tanja Pfeiffer/ Barbara Schwarz blieben die Schauspieler auf intimste Mittel angewiesen. Mimik, Gestik und das gesprochene Wort waren die einzigen verlässlichen Instrumente. Aktion fand kaum statt. Fernando Porta war der erste Kandidat. Matthias Grundig empfing das Publikum in dieser Rolle bei offener Bühne, die Financial Times lesend. In Nadelstreifen gewandet, schien er schon auf den ersten Blick der geeignete Mann zu sein, hart, asozial und mit ungebrochenem Willen zur Macht. Hinzu stieß Enrique Fond. Markus H. Ebert gestaltete die Rolle vielschichtig. Er zeigte Unsicherheit, Kompromissbereitschaft und wurde mehr als einmal von Fernando Porta in die emotionale Enge getrieben. Das Quartett vervollkommneten Mercedes Degás (Judith Toth) und Carlos Bueno (David Baalcke). Judith Toth erspielte sich in ihrer Rolle schnell die Sympathie des Publikums, das unentwegt mutmaßte, wer das Rennen wohl machen würde. Ihr Stil war weiblich, jedoch nicht ohne Nachdruck und verriet deutliche menschliche Züge. Sie versuchte unentwegt, die Vorgänge auf humane Weise zu objektivieren. David Baalcke hingegen verlieh seiner Rolle einen Pragmatismus, der an das verhalten einer Laborratte erinnerte. Als jedoch die Firmenleitung sein intimes Geheimnis lüftete, er befinde sich im Prozess einer Geschlechtsumwandlung, sich alle einhellig gegen ihn verschworen, brach eine tiefe Verzweifelung aus ihm heraus und er verließ die modere Gladiatorenarena vorzeitig.

Sämtliche schauspielerischen Leistungen waren außergewöhnlich, nuanciert, präzise und höchst einfallsreich. Für diese aus einem Guss bestehende Inszenierung erntete Regisseurin Cordula Jung mit Sicherheit und zu Recht beste Noten - zumindest beim Publikum. Sie leistete ein gutes Stück Aufklärung über eine gesellschaftliche Kaste, die hochangesehen und -bezahlt ist, deren Verfehlungen im Rahmen der Eventkultur nicht ohne Bewunderung bleiben und die in ihrer menschlichen Verkümmerung zutiefst erbärmlich ist. Mit gesundem Verstand und Abstand betrachtet, kann der Zuschauer an einem Degenerationsprozess teilhaben, der Menschlichkeit längst ausgespart hat. Das System gebiert Homunculi, deren Unfreiheit nicht mehr zu toppen ist, obgleich sie sich frei wie kein anderer dünken. Hier wird die Absurdität des Neoliberalismus und ihre Folgen sichtbar. Armes Land, wenn das deine Helden sind.

 
Wolf Banitzki



Anhang

Zehn Gebote für Manager

I. Ich bin der Herr und dulde keine anderen Götter neben mir!
II. Du sollst meinen Namen nie vergessen!
III. Du sollst den Mammon heiligen!
IV. Du sollst mich ehren!
V. Du sollst nicht töten den Rivalen, sondern nur seinen Ruf!
VI. Du sollst nicht Verträge brechen, denn es gibt Ausstiegsklauseln!
VII. Du sollst nicht stehlen, solange dir etwas besseres einfällt!
VIII. Du sollst falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten, denn er tut es auch!
IX. Du sollst begehren Deines Nächsten Job!
X. Du sollst begehren Deines Nächsten Weib und alles, was der Mistkerl noch besitzt!

(Zitat Programmheft: Günter Ogger in "Macher im Machtrausch", München 1999)

 


Die Grönholm Methode

von Jordi Galceran

Judith Toth, David Baalcke, Markus Eberhardt, Matthias Grundig

Regie: Cordula Jung

Metropol Theater Selber fremd von Beckett / Valentin


 

 

Gentest: Negativ

Das Metropol Theater wartete wieder einmal mit einem ungewöhnlichen Projekt auf. Valentin in München auf die Bühne zu bringen, kann als solches kaum gelten, ihn aber mit Beckett paaren zu wollen, verdient Anerkennung.

"Beide (Valentin und Beckett - Anm. W.B.) waren geistige Geburtshelfer des 20. Jahrhunderts, ohne sie sähe es heute in der Kunst ärmer aus. In clownesker Verzweifelung über das Sagbare und Unsagbare spähten sie Situationen am Rande des Gesellschaft aus, schifften illusionslos in den Fahrwassern der Tiefenpsychologie und Sprachkritik an den Rändern des Nichts." (Programmheft zur Inszenierung) An dieser Stelle sei nebenher angemerkt, dass Becketts literarische Öffentlichkeit und Wirkung eindeutig in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts angesiedelt war, was ihn kaum zu einem Geburtshelfer des Jahrhunderts machte, vielmehr zu einem Sargträger. Genauigkeit im Umgang mit Tatsachen ist heute scheinbar keine Tugend mehr.

Regisseur Gerd Lohmeyer war aufgebrochen, um die Verwandtschaft der beiden herausragenden Künstler des 20. Jahrhunderts zu beweisen - und scheiterte. Nicht jeder, der sich mit den Absurditäten des Lebens befasste, war Autor des Theaters des Absurden. Beckett geht es um die Absurdität des Lebens, nicht um deren Absurditäten. Spätestens wenn im Programmheft die Ziele beider Dichter definiert wurden, offenbarte sich eine tiefe Kluft: "Der eine (Valentin - Anm. W.B.) lebte davon, mit seiner nackten Weltsicht die Leute zum Lachen zu bringen, der andere (Beckett - Anm. W.B.) schuf lupenreine Gebilde aus Sprache und Theater." War letzteres ein Ziel oder doch eher das Ergebnis seiner Bemühungen im geistigen Überlebenskampf? Beckett wollte nichts, denn er war zutiefst von der Untauglichkeit seiner Bemühungen überzeugt. Beckett: "Wo du nichts giltst, da sollst du nichts wollen."

 

   
 

Adolf Adam, Wolfgang Bauschmid, Julia Breun, Marisa Burger, Johannes Herrschmann, Thomas Kollhoff, Monika Manz

© Hilda Lobinger

 

 

Nein, die Komik beider Dichter ist keineswegs zu vergleichen, da helfen auch keine Ratespiele im Programmheft. Valentin stilisierte sich selbst zum Objekt der humoristischen Betrachtung, wobei er die Realität zur Hilfe nahm. Zum Beispiel: "Wenn ein Delinquent, der am Montag zum Galgen geführt wird, die Äußerung tut: "Na, die Woche fängt gut an", so entwickelt er selber den Humor, der humoristische Vorgang vollendet sich an seiner Person und trägt ihm offenbar eine gewisse Genugtuung ein." (Sigmund Freud: Der Humor) Das war das Valentinsche Prinzip, über welches er Absurditäten offen legte. Becketts Vorstellung vom Dasein war eine tiefe Überzeugung von der Absurdität an sich. Er meinte, man müsse die Dinge nur mit aller Konsequenz zu Ende bringen, dann stelle sich Lachen ein. Dieses Lachen mit Humor in Zusammenhang zu bringen, bleibt ein Wagnis. Nein, Valentin und Beckett sind nicht verwandt, auch wenn letzterer eine tiefe Sympathie für den Münchner hegte.

Dennoch ist die Arbeit von Gerd Lohmeyer eine sehenswerte. In dem er beide Dichter einander näher rückte, veränderte sich auch die Sichtweise auf die jeweiligen Texte. Die Beckettsche "Katastrophe" als einen Valentinschen Vorgang zu betrachten, hatte seinen Reiz. Der Text erwies sich für komödiantisches Spiel als tauglich, auch wenn sich Beckett selbst jeglichen mimischen und gestischen Kommentar verbeten hätte. Er hätte es mit Sicherheit als Sinnentstellung empfunden. Bei "Ohio Impromptu" hingegen folgte man den Anweisungen des Autors und prompt wurde die Kluft zu allen anderen Texten sichtbar. Ein Lachen kam im Publikum nicht auf. Wie auch, wartete man doch auf Valentinschen Witz und nicht auf Beckettsche Einsichten, die erst in der letzten Konsequenz Lachen hervorbringen.

Die Valentinschen Texte, hier weitestgehend von physisch gestalteter Komik befreit, bestachen durch den Witz, der den Texten innewohnte. Lohmeyer erzielte Momente der höchsten Konzentration und aller Klamauk, der allzu gern bei Valentin entwickelt wird, fiel ab. Hilfreich für diese Vorgänge war das Bühnenbild von Bernhard Gross. Aus erzfarbenen Würfeln hatte er einen Berg gestaltet, der immer wieder erklommen werden wollte. Das Leben ist halt eine einzige "Bergsteigerei". Die schauspielerische Leistung bewerten zu wollen, wäre unangebracht. In schmutziggrauen Unterkleidern gehüllt, waren alle gleichermaßen in die existenzielle Anonymität gedrängt und erfüllten ihren Part vorbildlich. Es war ein perfektes Ensemblespiel. Die Kostümbildnerin Martina Bieräugel leistete dabei ganze Arbeit.

So mag diese Inszenierung als Diskussionsangebot gewertet werden, das einen unterhaltsamen Charakter hatte. Der genetische Test allerdings fiel negativ aus, was Scheitern bedeutet. Doch Scheitern auf hohem Niveau ist allemal zu begrüßen.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Selber fremd

von Beckett / Valentin

Adolf Adam, Wolfgang Bauschmid, Julia Breun, Marisa Burger, Johannes Herrschmann, Thomas Kollhoff, Monika Manz, Gerhard Wittmann

Regie: Gerd Lohmeyer

Metropol Theater Dogville von Lars v. Trier


 

 

Wiederauferstehung des Epischen Theaters

Auf einer atmosphärischen Drehbühne aus groben Dielenbrettern befanden sich nicht mehr als vier hölzerne Bänke und ein paar Hocker. Im Bühnenhintergrund ein kreisrundes Fenster mit einem Blick auf einen Miniaturfelsvorsprung, worauf der Ort Dogville gebettet war. Eine Erzählerin trat auf und führte das Publikum in die Geschichte um die Stadt am Fuße der Rocky Mountains ein. Zwölf Bewohner wurden vorgestellt. Sie trugen holzschnittartige Masken. Es wurde die Geschichte von Tom, dem Weltverbesserer und Nichtstuer, und Grace, dem Mädchen aus scheinbar gutem Hause, die es auf der Flucht vor Gangstern nach Dogville verschlug, erzählt. Tom, ein fadenscheiniger Moralist, überredete die Gemeinde, ihre Moralität unter Beweis zu stellen und Grace aufzunehmen, sie vor den Verfolgern und auch vor dem korrupten System zu beschützen. Grace war beglückt und brachte sich voller Dankbarkeit vorurteilsfrei in die Gemeinschaft ein. Doch bald schon wurden die seelischen Schattenseiten der Bewohner sichtbar. Das Ende ist eine schlimmstmögliche Katastrophe. Damit genug der Geschichte. Mehr erzählen, hieße den Plot zu verderben und wer möchte eingangs eines Krimis schon wissen, wer der Mörder ist.

Was ist der Mensch? Dieser Frage ging schon Lars von Trier in seinem aus dem Jahre 2003 stammenden Film nach. Ist der in der Gesellschaft verankerte Mensch ein moralisches Wesen oder doch nur ein Wesen, das seiner Triebhaftigkeit folgt, ein Tier? Die Frage wird sehr eindeutig zu Ungunsten des Menschen entschieden. Wer den Film kennt, wird sich sicherlich daran erinnern, wie dieses hochgradig suggestive und wohl auch manipulative Werk alle scheinbar sicheren Grundfesten des Betrachters erschütterte. Insofern ist das Werk mit äußerster Vorsicht zu genießen. Es ist zweifellos ein Geniestreich filmischer Kunst und dennoch nicht kritiklos hinzunehmen.
 
   
 

© Hilda Lobinger

 

 

Das Metropol Theater kündigte den Film und auch die eigene Adaption als Werke an, in denen der Brechtsche Geist atmete. Das Epische Theater wurde beschworen. In Bezug auf den Film ist diese These höchst fragwürdig, denn Episches Theater zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass eine Geschichte "erzählt" wird. Vielmehr ging es Brecht darum, durch die Verfremdung dem Zuschauer zu verdeutlichen, dass die Akteure immer und ausschließlich Schauspieler sind, die eine Geschichte erzählen. Brecht wollte damit verhindern, dass der Zuschauer aufgrund der starken Suggestion in eine geistige Ohnmacht fällt und kritiklos wird. Dem Zuschauer bleibt das letzte Wort. Damit rechtfertigte Brecht auch seine These von der didaktischen Einflussnahme auf den Zuschauer, etwas, was in Zeiten des Individualismus und uneingeschränkter Selbstbestimmung (auch gegen die Interessen der menschlichen Sozietät), rundweg abgelehnt wird, obgleich sie doch Sinn macht. Bei genauerer Betrachtung wird der Zuschauer dabei nämlich nicht entmündigt.

Der eine oder andere Leser wird nun denken: ‚Aha, wir haben es beim Kritiker mit einem Brechtianer zu tun.' Das ist bis zu einem gewissen Grad richtig. Aber es ist nicht die Wahrheit, denn Jochen Schölch lässt Brecht mit "Die Seeräuber Jenny oder Träume eines Küchenmädchens" aus der "Dreigroschenoper" selbst zu Wort kommen. Dieser wunderbar-anarchische Text fungiert im Stück als Parabel und wer ihn kennt, könnte das Ende bereits erahnen. Wer nicht, lasse sich vom Gesang der Damen ergreifen. Zudem war das Gedicht der Auslöser für Lars von Trier, "Dogville" zu schreiben und zu inszenieren.

Man kann vorwegnehmen, dass Jochen Schölch mit dieser ästhetisch und inhaltlich brillanten Leistung dem Anspruch Brechts in einem Maße gerecht wurde, wie man es selbst in der ehemaligen DDR selten zu sehen bekam. Und dort war das Epische Theater Staatstheater.
Nach nur wenigen Minuten geriet der Betrachter in den Sog der Geschichte und die Kargheit der Bühne von Christl Wein verwandelte sich in ein Universum menschlichen, allzumenschlichen Treibens. Immer wieder wurde die Handlung unterbrochen, in dem die jungen Akteure unter ihren Masken hervortraten und den Fortgang beschrieben. Der Zuschauer stattete diese in seiner eigenen Fantasie mit allen Eigenschaften aus, die sie zu wirklichen Menschen machten. In keinem Moment jedoch konnte das Gefühl aufkommen, es handele sich um die Menschen Dogvilles und dennoch wurden die Figuren bedrückend plastisch.

Die Darsteller, allesamt Studenten der Bayerischen Theaterakademie August Everding, einzeln zu benennen, ist schier unmöglich. Jochen Schölch ließ sie mehr oder weniger unsichtbar in alle möglichen Rollen schlüpfen. So wurde die Grace allein von mindestens drei (vermutlich sogar von vier) jungen Damen gespielt. Ebenso war die Rolle des Tom besetzt. Es war ein weiterer sinnvoller Einfall im Umgang mit Brechts Verfremdungseffekt und in dieser Inszenierung beinahe ein nachhaltiger Beweis für die Richtigkeit dieser Methode. Während im Film von Lars von Trier Nicole Kidman noch Elemente des Starkultes bediente, gab es in der Metropol Theater Inszenierung einen wahren Sternenhimmel darstellerischer Höchstleistungen, auf die alle Beteiligten mit guten Grund stolz sein können.

Im Gegensatz zum Film betrügt die Inszenierung niemanden. Dass Lars von Trier dies tat, beweist die Tatsache, dass er Frau Kidman, eine doch recht überbewertete Schauspielerin, schlicht weg "verbraten" hat. Sie muss es gespürt haben, denn sie weigerte sich nach den Dreharbeiten lautstark, jemals wieder mit dem "Kultregisseur" zusammen zu arbeiten. (Gleiches gibt es von Björk zu berichten , die die Hauptrolle im Trierfilm "Dancers in the dark" spielte.)

Jochen Schölch hat sich mit dieser Arbeit erneut als ein exzellenter Theatermacher empfohlen. Darüber hinaus hat er sich mit der überzeugenden Beherrschung dieser Theatermethode einmal mehr als Lehramtsinhaber qualifiziert, denn gerade in diesem Bereich stößt man nicht selten (wohl auch ideologisch bedingt - "Es lebe das bürgerliche Amüsiertheater!") auf himmelschreiende Inkompetenz.

 
Wolf Banitzki

 

 


Dogville

von Lars v. Trier

Dejan Bucin, Larissa Fuchs, Franziska Herrmann, Sonja Isemer, Frederic Linkemann, Christoph Müller, Dimitrij Schaad, Julia Sontag, Isa Weiß

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Caligula von Albert Camus


 
 
Keine Tyrannen ohne uns!

Caligula, vier Jahre lang römischer Imperator, verliert die von ihm inzestuös geliebte Schwester Drusilla. Psychisch labil, reagiert er scheinbar paradox auf dieses Ereignis. Für drei Tage ist der Kaiser unauffindbar. Dann kehrt er zurück und entfesselt eine irrationale Schreckensherrschaft. Die Geschichte nennt es Wahnsinn und verhindert damit einen wirklichen Zugang zum psychischen Hintergrund. Camus erteilt Caligula das Wort, der diesen Vorgang "Pädagogik" nennt. Ein Herrschender, durch ein starkes Trauma aus der Bahn geworfen, jeglichen Sinns verlustig gegangen, lebt sich in dieser Sinnlosigkeit konsequent aus und führt damit den Beweis, dass dem Sein an sich kein tieferer Sinn innewohnt. Camus zeigt allerdings noch einen weiteren Aspekt auf, der für jede "Demokratie" von Bedeutung ist. Die Tyrannei, ausgehend von einem wie auch immer gearteten Willen, wird nur durch uneingeschränkten Opportunismus möglich.

"Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit." Dieses Zitat aus Friedrich Nietzsches "Götzendämmerung" findet sich im Tagebuch Albert Camus im Jahr 1939. Ein Jahr zuvor tauchen im Tagebuch auch der Name Caligula und die gereifte Idee zum gleichnamigen Stück auf. Europa stand am Rande des Abgrundes und der hellsichtige Camus sah in Hitler einen neuen Caligula.
 
   
 

Lilly Forgách, Philipp Moschitz, Wilhelm Beck

 

 

Die Werke Albert Camus´, Vollender und konsequentester Vertreter des philosophischen Existenzialismus, sind schwer- bis unverdaulich. Es sind nicht die Geschichten, die uns schaudern lassen, sondern deren letzte Wahrheiten, die da lauten, das Sein hat keinen tieferen Sinn und die Grundfrage ist die nach dem Selbstmord! Diese Frage kennt bei Camus nur zwei Antworten: Gelingt es uns, unser Sein mit einem Sinn zu erfüllen, so haben wir ein Recht auf Leben, wenn nicht ... Nur selten finden sich Kunstwerke, die uns derart bedrängen. Es ist allemal eine gewaltige Herausforderung, dieses Werk auf die Bühne zu bringen. Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, allein der Versuch in einer Zeit der Geistesarmut ist Verdienst.

Jochen Schölch nahm die Herausforderung dieses Stückes an und, das vorweg, bestand, obgleich seine Eingriffe in das Werk grenzwertig waren. Für seinen Exkurs über perverse Machtentfaltung schuf Quint Buchholz ein Bühnenbild, das Mussolini vermutlich geliebt, Albert Speer vermutlich in Begeisterung versetzt und G.W. Bush vermutlich wohl zu der schlichten Bemerkung verleitet hätte: "Ist ja wie am Weißen Haus." Weiße Säulen suggerierten imperialen Anspruch; es war kein Ort zum Leben, aber wohl ein guter zum Sterben oder um über Tod zu sprechen. Die existenzielle Kühle, durch die gelungene Lichtregie von Tobias Zohner, unmerklich aber effektvoll gesteigert, verschlug einen schnell an die Seite des "Fremden", Camus wohl berühmtester Romanfigur.

Jochen Schölch inszenierte seine Vorstellung von einem sehr zeitgemäßen Tyrannen. Schrill ausstaffiert von Christl Wein gab Phillip Moschitz einen überdrehten jungen Mann, der einem VIVA-Clip hätte entsprungen sein können. Moschitz´ Caligula sah in fast jedermann seinen Feind und in allen Frauen seine Drusilla. In den Momenten der Erinnerung an die geliebte Schwester erlebte der Zuschauer den altbekannten Magier Schölch, der scheinbar aus dem Nichts Drusilla auferstehen und wieder verschwinden ließ. In dieser Arbeit allerdings verzichtete der Regisseur weitestgehend auf theatralische Effekte und schälte die Charaktere aus den Rollen heraus. Phillip Moschitz gelang mit seiner Darstellung des Caligula ohne Frage eine große Leistung, allein, das letzte Quäntchen fehlte. So blieben einige im Text befindliche Momente, die den Atem hätten stocken lassen, auf der Strecke. Immerhin bewies der junge Darsteller sein unbestrittenes Talent. Die grandioseste Leistung vollbrachte vielleicht die Darstellerin einer Nebenrolle. Judith Toth spielte die Frau des Mucius. Sie war vom Kaiser auserkoren, die perversesten seiner Gelüste zu befriedigen. In Judith Toths stummem Antlitz spiegelte sich der wahre Horror.

Jochen Schölch hatte den Text auf nur neun Rollen zusammengestrichen. Die Figuren Cherea (Bernhard Letizky), Lepidus (Wilhelm Beck), Livia (Susanne von Medvey) und Mucius (Martin Dudeck) verkörperten mehr oder weniger unisono und peinlich hingebungsvoll den Staatsapparat. Caligula war ihnen nur recht: "Dieser Kaiser war großartig." (…) "Ja, genau wie ein Kaiser sein soll: gewissenhaft und ohne Erfahrung."
Einer immerhin der versteht das Monster. Scipio (Felix Kuhn) ist Künstler, Dichter und empfindet mit ihm, wenn er von seinem Streben nach dem Unmöglichen faselt. Auch hier schimmert Nietzsche durch, den Camus in seinem Tagebuch wieder und wieder zitiert: "Der tragische Künstler ist kein Pessimist - er sagt gerade Ja zu allem Fragwürdigen und Furchtbaren selbst…" (Götzendämmerung)
Am Ende starb der Tyrann von der Hand des ihm einzig Ergebenen, Helicon (Thomas Meinhardt). Hier wich Jochen Schölch gravierend vom Text ab und zerstörte damit auch noch die letzte Illusion von Loyalität. Dieser Schritt war gewagt, aber nicht unlogisch. In der letzten Konsequenz ist sich jeder selbst der Nächste. Das Tier in uns lässt grüßen.

In der Werbung betont das Metropoltheater, dass zufällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen durchaus beabsichtigt sind. Das Thema ist zu vielfältig und facettenreich, um jetzt durch eingrenzende Maßnahmen dem Publikum die Lust am wieder erkennen zu nehmen. Die Zahl ist heute wie damals groß: "Die Politik und das Schicksal der Menschen werden von Männern (und Frauen - Anm. W.B.) ohne Ideale noch Größe gemacht." Albert Camus: Tagebücher 1935-1951.

Eines sollten wir allerdings unterlassen, nämlich mit den Fingern auf die vermeintlichen Tyrannen und politischen Autisten zu zeigen. Wir sind die Tyrannen und die, die als solche in Erscheinung treten, sind nur die Summe aus unseren tyrannischen Elementen. "Wollte ich mich ungehindert gehen lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst und meine Umgebung zu Grunde zu richten …", gestand kein geringerer als Goethe seinem Sekretär Eckermann. Ohne uns gibt es keine Tyrannis!

Wieder einmal ist dem Metropol Theater eine streitbare Arbeit gelungen, die zurecht Zuschauer anziehen wird.



Wolf Banitzki

 

 


Caligula

von Albert Camus

Philipp Moschitz, Lilly Forgách, Thomas Meinhardt, Felix Kuhn, Bernhard Letizky, Wilhelm Beck, Susanne von Medvey, Martin Dudeck, Judith Toth

Regie: Jochen Schölch