i-camp Eines lässt sich jetzt schon sagen von Holger Dreissig


 

 

Im Wechselspiel

Vierundzwanzig Uhr ist gleichzeitig Null Uhr. Man könnte diesen Punkt auch als einen Zeitsprung interpretieren, an welchem der erneuter Versuch zu einem gelungenen Tag beginnt. Macht und Ohnmacht stehen einander ausgeglichen gegenüber und im Folgenden steten Wandel, der Gewichtsverlagerung, hält sich der Einzelne ebenso wie die Welt in ihrem Kreislauf in Bewegung. Bestenfalls kann es gelingen ein persönliches Gleichgewicht zu kultivieren und in die gemeinsame Welt zu tragen. Jegliche Bemühung diese Kräfte über andere zum eigenen Nutzen zu verwalten, scheitert. Aufstand, Krieg, Revolution heißen bekanntermaßen die Aktionen der Gegenwehr.

Im kahlen schwarzen Bühnenraum bewegten sich vier schwarz gekleidete Männer. Zu elementaren Klängen zelebrierten sie Tanz, Selbsterfahrung, Kampf und Synchronisation. Ein scheinbar Ewigkeiten andauernder Prozess wurde sichtbar gemacht. Die Entwicklung der  Idee Menschheit oder einfach die zur Schau gestellte Selbstgefälligkeit mit der heute in den schwarz uniformierten Kreisen der Macht agiert wird? Rituale und der Duft von Weihrauch vermittelten scheinheile abgehobene Stimmung. Und doch waren es Marionetten, die den Raum austasteten, einander auf die Stirn zeigten. In Zeitlupentempo wurde vom weißen Teller gegessen, aus einer weißen Tasse getrunken, eine weiße Serviette betrachtet, entfaltet, ein Gesicht dahinter versteckt. Schwarz/Weiße Welt. Ein Kinderwagen rollte auf die Bühne, dem ein Ei nach dem anderen entnommen wurde, dazu steigerten Töne die Spannung und doch glichen die Eier einander unübersehbar. Holger Dreissig und  Deman Benifer, Muriel Aichberger, Simon Reimold vermögen es durch lyrische Bilder und Gesten Assoziationen hervorzurufen, Botschaften zu vermitteln. Klar und doch lebendig, überzeichnend und doch angemessen.

Die Szenen der 24. Verwaltungsperformance befassten sich mit Dystopie. Sichtbar gemacht war das Scheiterns von Ideen, von Wunschbildern, sowie die Akzeptanz und Ausgrenzung von Unzulänglichkeit im Sinne eines geforderten Perfektionismus geboten. Die Schauspieler in bunter Ausstattung agierten machtvoll auf der kunstvoll beleuchteten Fläche, vor den im Dunkel ohnmächtig erscheinenden Zuschauern. Zwei weiße Stühle, welche sich um sich selbst drehten, standen neben dem Tisch. Im ersten Gespräch die Worte. „Was soll ich denn denken? Was darf ich denn dürfen?“, so der Anfragende. Die amtliche Antwort unmissverständlich: „... mein Tisch und meine Regeln ...“

Und wenn der Tisch auch aus Holz war, so erzählte Julia Steves, gleich einem weißen Blatt auf diesem liegend, doch von Granit, als welches sie angesprochen und angesehen wurde. Felsenfester Granit und keinesfalls formbarer Lehm, aus dem das Lebendige naturgemäß besteht. Es braucht Sprengstoff um Granit aufzubrechen, schweres Werkzeug um ihn zu bearbeiten. Wie leicht dagegen lässt Ton sich formen, wie friedlich ist es darin eine Spur zu hinterlassen. Text und Bewegung bildeten eine harmonische Übereinkunft in ein schöpferisches Happening.

 

Dreissig24

 


Muriel Aichberger, Deman Benifer,  H. 30, Simon Reimold

© Katrin Petroschkat


What happens: Der Teufel spielt immer mit. Die Medien und das Geschäft mit der Ohnmacht des Lesers. Ihr Streben und ihr Geschäft widmen sich vor allem der Dystopie, mit welcher Millionenumsätze bewegt werden. Die Sensationsgier folgt der regulären „Ohnmachtshandlung“ wie dem „Verbotenen“, wird von ihnen geradezu magisch angezogen und genährt. An den „Druckknöpfen“ sitzen die geldmateriell Vermögenden. Im Theater erspielten die künstlerisch Vermögenden eine real sinnliche Wahrnehmung. Sie führten, und war es über einen Witz, an den Punkt heran „wo der Hund begraben liegt“. 

In der letzten Szene saß ein Gesichtsloser am Rande der Bühne und trommelte machtvoll Takte in einen Raum, in dem längst alle Bewegung erstarrt war, die Lebendigkeit entwichen. Skelette, Requisiten des Wissens und eine in Weiß gekleidete schwangere Frau harrten aus. Auf die vierundzwanzigste Stunde folgt die Stunde Null. Die Zukunft für ein Kind, für Leben per se war unsichtbar. Diese liegt im Bewusstsein, in der Erkenntnisfähigkeit und im Schlussbild. Die Darsteller reichten einander die Hände, traten gemeinsam vor das zu Recht begeistert applaudierende Publikum. In angemessener Interaktion liegt die Macht für ein morgen.

 

C.M.Meier

 

Eines lässt sich jetzt schon sagen: Es ist sicherlich nicht die letzte Inszenierung die Holger Dreissig gestaltete. Ich bin zuversichtlich. Und, die stets selbstgefällig waltende Bürokratie hat die Idee des Kommunismus  über seine Grenzen kommandiert, sie führt eben auch den Kapitalismus ad absurdum und also in sein Ende. Offensichtlich. Nur noch eine Frage von Tagen bis ... alle dies erkannt haben. Und einen dieser letzten Abende kann man durchaus sinnfällig im i-camp bei der empfehlenswert humorvollen Performance verbringen.



 

Eines lässt sich jetzt schon sagen

24. Verwaltungsperformance von Holger Dreissig

Muriel Aichberger, Deman Benifer, Holger Dreissig, Simon Reimold, Julia Steves

Regie: Holger Dreissig

i-camp La cattedrale nel vento von Yvonne Pouget


 

 
Es war einmal …

Eine dunkle Gestalt kauerte im schwarzen Raum auf dem Boden. Durch den Schleier des Hutes schimmerte weiße Haut.  Langsam und kaum merklich bewegte sie die Hände, weiß im Dunkel. Nur mühsam regte sich der versteinerte Körper. Die Zeit schien still zu stehen und gleichsam den Betrachter einzufangen. Nach und nach löste sie die Starre, zeigte ihr Gesicht, erhob sich, öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei. Die Schöpfung begann ihren Tanz, begleitet von Obertongesang.
 
Gestalten lagen auf der Erde. Unmerkliche Regungen und feine Zuckungen zeugten von Wirklichkeit. Gleichermaßen choreographiert schienen sie zu einer Gemeinschaft verbunden, folgten einem Gedanken - Isolation. Gleich Würmern krochen sie über die Bühne. In Zeitlupe schritt das Geschehen voran.
 
Yvonne Pouget griff für ihr Musiktanztheater „Kathedrale im Wind“ das Thema Intimität und Scham auf, führte über feinsinnige Bilder an dieses menschliche Grundbedürfnis heran. In einer Zeit, in der Voyeurismus und Exhibitionismus das Tagesgeschehen lautstark öffentlich beherrschen, ist dies ein gewagtes Ansinnen. Wer es wagt die Aufführung zu besuchen, wird bezaubert, auf wundervolle Weise in einen Tempel für die Seele geführt und erfährt die tiefe Dimension von in Überlieferung gewachsener Kunst.
Der Wind trägt die Gedanken durch die Zeit und der Gesang brachte die Seelen zum Schwingen. Gianni Lamagna erhob seine Stimme und  sich aus dem Bühnenhintergrund. Der begnadete Sänger erfüllte mit den sinnlich poetischen Klängen neapolitanischen Temperaments. „… maje na parola  …“, der ungeliebte Mann „ Dimme na vota sola: Te voglio bene“ sang sehnsuchtsvoll. Ein Zustand vergleichbar einem Plasmaraum machte sich breit. Dann erhoben sich Giacomo De Benedetto und Elien Rodarel und gemeinsam öffneten sie die Pforten, wie ein Schmetterling die Flügel zum Flug.

 

Annett Goehre  Elien Rodare

 


 Annett Göhre, Elien Rodarel

© Anja Wechsler


Und wie zarte helle Schmetterlinge tanzten Annett Göhre und Elien Rodarel Ballett. Leichte helle Körper, Symbole der Sinnlichkeit, suchten in Selbsterkenntnis, in Begegnung Erfüllung. Illusion des reinen Seins. Im Schwarzen Loch fällt alle Materie zusammen, an dessen Ereignisrand tanzen die Illusionen. Diese Verdichtung von Materie findet im menschlichen Körper ihre Entsprechung. Realität. Durch Gesang lässt sich Sein und Materie verbinden.
Yvonne Pouget und Giacomo Di Benedetto spielten ein dunkles Paar, das sich mit den hellen Schatten des Seins vereinte im Spiel des gemeinsamen Fliegens. Gianni Lamagna erzählte von den Wechselspielen von Freude und Leid, von Sehnsucht und Schmerz, begleitet von Anna-Maria Hefele und Pasquale Ziccardi. Ins Licht gesetzt wurde die Szenerie von Rainer Ludwig, der es versteht Betonung zu setzen, ein Spektrum zu brechen,  fühlbar die Wahrnehmung des Zuschauers zu lenken.

Eine Kultur steht für sich. Es bedarf keiner Worte der Begeisterung, keiner Worte der Erklärung. Es bedarf gelebter Liebe im Tun um sie in die Welt zu tragen, es bedarf Abenteuerlust und Verständnis, um sich auf ihre Fertigkeit einzulassen, sie zu teilen. Beides erfüllte den Raum des i-camp.

Die Macht der Tradition und der in den Jahrhunderten gesammelten Erfahrung floss in die Rituale ein. Werden diese gepflegt, so leben die Menschen ihrer Bestimmung gemäß. Dies führt immerhin zu ausgeglichenem Selbstverständnis, eine Lebensqualität.
Erst durch die Liebe zwischen Frau und Mann beide zu Menschen werden. Die Haltung in die Welt und die Zukunft zu tragen obliegt naturgemäß dem Mann. Dieses patriarchale Weltbild wird gepflegt in einer Kultur in der ebenso enthusiastisch nach der Mutter ausgerufen wird. Welch wundervolle Lebendigkeit! Aufrechte unvergessliche Kraft strahlte im Licht, Lächeln auf den Gesichtern der Tänzer kündete Freude. Die Worte „Dormi, tesoro mio, qui sul la mia seno“ erklangen in der Kathedrale des Windes.

… Es ist gegenwärtig


   Yvonne Pouget  Gianni Lamag  


 Yvonne Pouget, Gianni Lamagna

© Anja Wechsler


C.M.Meier



 

La cattedrale nel vento

Musiktanztheater von Yvonne Pouget

Gianni Lamagna, Giacomo De Benedetto, Anna-Maria Hefele
Tanz: Annett Göhre, Elien Rodarel
Gitarre: Pasquale Ziccardi
Idee/Choreographie/Regie/Tanz: Yvonne Pouget

i-camp Propaganda – Oder der geheimnisvolle Fremde von Rohtheater


 

 

Was ist die Welt?

Das Wort „Welt“ entstammt dem Altgermanisch und stand für „Mann, Mensch, Menschenalter, Menschenzeit“. Es ist der gemeinsame Traum bzw. die verbreiteten Vorstellungen denen sich eine Vielzahl von Menschen anschließen und sie als Lebensleitfaden umsetzen. Nannte I. Kant die Welt „ein nach Zwecken zusammenhängendes Ganzes“. So sah L. Wittgenstein darin bereits „alles, was der Fall ist“. Folgte die alte Welt analog noch Geschichten, Bildern und der Natur, so folgt die neue Welt den Algorithmen des Digitalen in denen auch die Natur verzeichnet ist.

der mensch als sensor im virtuellen raum – die auslöser der impulse an den maschinen – die auflösung der seele in die ebene der universellen emotionalschwingung, die weltseele – das ende von polarisierter welthaltung und persönlichkeit des gespaltenen individuums – das aufgehen im wissen um den kleinsten derzeit erfassbaren  punkt, dem quant – die mikroskopische betrachtung der erscheinungsform leben – konsequenz nullwert

„Die Welt ist ein Traum, ein leerer Traum im All.“

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© Claus Langheinrich


Und Theater ist das gemeinschaftliche Erlebnis von Weltbildern – Schauspiel. Eine Schau der sich mehr und mehr ausbreitenden Form der digitalen Welt boten Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski. Sie gingen mit Bildern und Texten der Frage nach: Was war die Welt? Das Werk von Mark Twain „Der geheimnisvolle Fremde“ bildete die Grundlage für die, in der Vergangenheit beginnende, kunstfertige Reise. Die Geschichte eines Jungen, der in die von Gottesmännern gelenkte Welt hinein wächst und erste Eindrücke gewinnt. Erziehung und Arbeit wurde als Gott gefällig vorgesetzt und stellte damit Oberstes Gesetz dar. Daraus folgten die Anschauungen von Weltwunder und Weltschmerz, die aus der unmittelbaren Erfahrung resultierten und die Welt polarisierten. Laute Propaganda hält diesen Traum, der längst zum Alptraum mutierte, aufrecht. Die ungewöhnliche künstlerische Form der Film- und Bildprojektionen gemischt mit plastischen Weltmodellen veranschaulichte, ausgehend von den Beweggründen, wie Geld- und Wissensdurst, dem Spieltrieb, bis zum Laborprojekt einer Neugestaltung, die laufenden Prozesse im Jetzt. Sichtbar bildeten die Steuerungselemente – Computer, Verstärker und Lautsprecher – aktive Kulissen zwischen denen sich die drei Akteure bewegten. Ihre Beherrschung der Materie wirkte wie gespielte Profession und für die aufgeschlossen Zuschauer taten sie so ungewohnte Wahrnehmungsfelder auf. Am Ende der alten Welt verabschiedete sich Mark Twains Philipp Traum, auch Satan genannt, und hob bewusst die Spaltung in Gut und Böse auf. So befriedete er die Seelen - eine Weisheit jenseits derer Gottes, der Götter und der Bigotten. Der Anfang einer neuen Welt. Das aufklärende posthumane Schauspiel führte mit den letzten Bildern an eben diesen Beginn und mögen nun achtsame Künstler und Menschen in freie Träume weitergehen ...

 

C.M.Meier

 

Erlebnisraum. Mehr ...

 

Propaganda – Oder der geheimnisvolle Fremde

Theaterinstallation von Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski - Rohtheater

Bülent Kullukcu, Anton Kaun und Dominik Obalski und Videosamples von Marie Bendl, Christian Burchhard (Embryo), Robert Hofmann, Martin Krejci und Asmir Sabic.

Konzept und Idee: Bülent Kullukcu
Nach Texten von Edward Bernay, Mark Twain, Sigmund Freud u.a.

i-camp Exit Neon von Gert Neuner


 

 

Zusammenprall mit der Kunst

8.6.2017 Eröffnung der documenta – Der Schriftzug leuchtete weiß von der schwarzen Wand aus dem Bühnenhintergrund.

Die Geschichte des Waisenkindes Sebastian zog sich als roter Faden durch die Szenenbilder. Von einem Industriellenehepaar adoptiert und geliebt, für die Übernahme der in der Autoindustrie etablierten Firma vorgesehen, wird Sebastian durch die Jahre gelenkt. Doch dann, kommt eine eigene Tochter, Maria, in die Welt und Sebastian wird von seinem Platz gedrängt. Zwistigkeiten um Rangfolge in Familie und Firma sind die Folge und die Distanz kann nicht mehr groß genug sein. Sebastian soll in Singapur Geschäfte übernehmen, doch ein Geisterfahrer provoziert eine neue Situation herauf.  

Von der Leinwand im Bühnenhintergrund leuchteten die Bilder eines Ehepaares im Auto, ihre letzten Minuten begleitet von einer Verkehrsdurchsage aus dem Radio ... Das auf dem Asphalt liegende Motorrad, dann wurde eine Gipsfigur auf dem Operationstisch auf der Bühne sichtbar, Sebastian ... Der Arzt erklärte seine Absicht aus dem Körper ein Kunstwerk zu machen ... Zwei Blinde streiften durch den Skulpturenpark der documenta, eigneten sich im Vorübergehen einen Arm, Teil des größten Gesamtkunstwerks der Ausstellung, an. Film ... Bildprojektion ... Spielszene ... Gert Neuner führte die Darsteller zu einer geschlossenen und doch ausnehmend differenzierten Ensembleleistung. Von Blinden bis zum Klischeekünstler, von der leidenden Mutter bis zum bestimmenden Arzt reichten die Figuren, die Tagesgeschehen in surrealen Bildern, in dramatischen Aussagen, in drastischen Gesten auf die Bühne brachten. Kunst oder doch Realität? Gilt es doch in der Kunst die Momente der Einmaligkeit des Lebendigen aufzunehmen und umzusetzen, beeindruckende Szenenbilder zu schaffen und mit unterschiedlichen Mitteln die Wahrnehmung wiederzubeleben. Ein schwieriges Unterfangen, welches G. Neuner vieldeutig glückte, in einer Zeit in der zunehmende Überforderung „der unfassbaren Datenmengen“ und Abstumpfung das Tagesgeschehen prägen.

Sechs überdimensionale Lichtstrahler umrahmten den Operationstisch und den weißen Körper. Operateure traten an die Ventile und ... Für die Mensch-Figur Sebastian blieb kein Platz mehr zwischen den überdimensionalen Airbags. Das Ende einer „Performance des Sterbens“. Pause

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 Valentin Walch

© Volker Derlath


8.6.2017 Eröffnung der documenta – Der Schriftzug leuchtete weiß von der schwarzen Wand aus dem Bühnenhintergrund.

„Kunstsplitter ins Gesicht geschissen ...“  und Hauptsache „zertifiziert“. Auf der fast leeren schwarzen Bühne leitete der Onkel mittlerweile die Firma ... Eine bunte Randfigur mit Strickmütze saß abseits zwischen Blumen und Plastikflaschen ...  Ein Chip zur Übertragung von Botschaften steckte in einer roten Schachtel ... „verrückt muss man sein, eine Witzfigur macht noch lange keinen Hype“ ... Der Rest-Mensch Sebastian verharrte eingegipst imaginär im Kunststadium auf der documenta, während auch dort Marketing und Technik das Tagesgeschehen übernommen hatten ... Dazwischen agierende Figuren, die abstrakt analytische Texte von sich gaben. Noch trugen sie Namen ... „Wir initiieren Vergessen.“ ... Die Splitter dienten als industrieller Faktor in Werbung und Selbstdarstellung in der Imagepflege.

Alt- und Neo-Kunstwerk. Der Unterschied liegt in einem zwischen natürlichen Spannungsfeldern, dem Austausch von verschiedenen Erscheinungsformen entstandenen Werk und/oder einem unter Wechselstromimpuls stehenden, auf der Stelle verharrenden Element, welches Impulse(Bilder) sammelt, diese funktionsoptimiert und weitergibt und dessen einzige Differenzierung in der Auswahl eben dieser Bilder liegt. Kunst oder Design.

Es ist die Massebewegung, der die Steuerung unterworfen ist. In den Verlust von Identität und Hinausgeworfen sein, hinausgeworfen in eine Verwertungsgesellschaft, die alles und jeden gewinnbringend ver-arbeitet, aus-beutet. „Das Volk verdaut sich selbst.“ Eine höchst rückständige Lebenshaltung, der tierische Fressaffekt entglitt in Wahn, selbstzerstörend ergriff dieser als glorifizierte Heilsbotschaft die Weltherrschaft. Dazwischen glänzt das Angebot eines Neurochips zur Aktivierung von scheintoter unbeweglicher Materie. Ein Weg der Kunst? Die Stellung der Technik liegt mittlerweile über dem Leben, erfährt höhere Bewertung, fast schon Anbetung und besinnungslose Gefolgschaft. Der Platz des Monotheis wurde neu besetzt. Die Figur Mensch entgrenzte in eine Erscheinungsform, ist Wissenschaftler Künstler Handwerker gleichzeitig. Er, sein Kunstwerk steigen in den schwarzen Himmel auf, oder, um mit der Materie zu argumentieren, beides verflüchtigt sich als sogenannte Edelgaswolke im Universum.

Exit Neon ... ETA Theater von Gert Neuner. Eine äußerst interessante, in jedem Fall durchdringend anregende Auseinandersetzung zu einem vollkommen unvollkommenen Thema. Kunst

 

C.M.Meier



 

UA Exit Neon

Eine Performance von Gert Neuner ETA Theater

Robert Erby, Katharina Friedl, Gabriele Graf, Shirin Lotze, Waki Meier, Ari Mog, Peter Papakostidis, Valentin Walch, Alison Welles

Text und Regie: Gert Neuner

i-camp I-Paradise von Manfred Killer


 

 

Gegen und die Welt

Gegen jeden Moment in der Welt steht immer der Traum von einem noch angenehmeren, noch beglückenderen. Die Vorstellungen vom „Paradies“ sind unterschiedlich, mannigfaltig. Und doch sind es vielfach die von den Religionen gepriesenen Bilder der „Gärten Eden“ in denen Milch und Honig fließen, Frauen und schnelle Autos bereitstehen, das Wohlgefühl keine Grenzen kennt, welche in den Köpfen kursieren. Europa, in dessen westlichen Ländern, die ehemals demokratisch und sozial regiert und so für den Großteil ihrer Bevölkerungen Wohlstand gerierten, gilt, obwohl sich die Zustände längst geändert haben, als eines der erstrebenswerten Ziele für Menschen aus der Dritten Welt. Mit Illusionen lässt sich profitabel Geschäft machen, in einer Welt in der Geschäft zum Überlebensmittelpunkt stilisiert wurde und die darüber wohl alle ethische Menschlichkeit verloren hat.

Vor einem Straßencafe erhielt man den Tipp, wie die Reise ins „i-paradise“ beginnt. Die erste Herausforderung war sich den Erkennungscode zu merken. Bereits an diesem einen Wort wurde deutlich wie unterschiedlich die Sprachen und damit die Denkweisen ihrer Nutzer sind. Ein geheimes Gespräch in einem Winkel, flüstern. Scheine wurden über den Tisch geschoben, der Wegbegleiter aktiviert. Während des Abenteuers durch den Isardschungel erfuhr man zwei berührende Lebens- und Fluchtgeschichten – Samia Yusuf Omar und Aboud Ibrahim – welche sich auch in den Bildern der einzelnen Reisestationen widerspiegelten. Das Ensemble vollführte, auf unauffällig verdeckte Weise, einen Balanceakt zwischen Realität und Spiel. Heimliches Flüstern, Angst erzeugende Bedrohung, verdeckte Winke, unauffälliges Öffnen einer Taxitüre. Durch die Einbeziehnung in das Geschehen wurde deutlich wie leicht Grenzen aufzuheben sind, auch die zwischen Bühne und Publikum. Die Komposition der Reiseperformance bot facettenreiche Eindrücke, wohlgesetzt waren die Stationen und der Humor bildete die Brücken. Dazwischen immer das Spiel mit der Technik, welche erstaunliche Möglichkeiten von Darstellung auftat und auf erstaunlichem Level erfolgte. Vom App bis zum Video, alles längst Normalität.

   i-Paradise  


Überfahrt

© Michael Wüst


Eine ausgewogene Performance, die zwischen Natur und Technik einen verschlungenen Weg am Fluss des Lebens entlang führte. Die Stationen, Erfahrungsbilder waren verbunden durch einen virtuellen Wegbegleiter im Tablet. An welche Sichtweise ist der Erfahrungssuchende gewöhnt? Wie weit ist er noch in der Lage beides zu verbinden, noch nicht weitgehend der Natur entfremdet? Es sind viele Fragen, die aus der Bewegung auftauchen, soweit man bereit ist sich in Geschehen einzulassen.

Tausche Hölle gegen Hölle, heiße gegen kalte Realität. Der Aufklärer in dem Bus zur Aufnahmestelle für Asylanten beschieb die Hürden in den europäischen „Paradiesen“. Er möchte wieder weggehen und bleibt dennoch. Deman Benifer trug eine Wollmütze auf dem Kopf. Hat er sich an die Kälte gewöhnt? Angekommen in der Realität - Schönes München: gepflegte Denkmäler, intakte Häuser, abweisend spiegelnde Glasfassaden, unterschiedliche Fahrräder vor dem Abgang zu U-Bahn und dazwischen eine neue mattschwarze Harley Davidson. Einem an die Brüstung geketteten neuwertigen Fahrrad fehlten Sattel und Vorderrad. Im 5 Minuten Takt kommt eine Straßenbahn vorbei, alle 10 Minuten ein Bus ... sind technische und organisatorische Perfektion ein Synonym für Paradies, oder in dieser Zeit nicht ein anderer menschenfressender Zustand? Auf einer Bank am Isarweg saß ein deutscher Obdachloser, mit feingeschnittenem intelligentem Gesicht, neben seinem beladenen Kofferwagen, spielte Gitarre in der Abendsonne. Es ist Spätherbst, die Blätter fallen und der Wind wird nach Sonnenuntergang eisig.

Die installierte Reiseperformance enthielt keine Sensationen, keine spannungsgeladene Aktion. Vielmehr vermittelte sie durch Beispiele, Einflüsterung und Einbindung einen Blick neben den glorifizierten Alltag. Nachdenklichkeit kam auf nach der Anregung sich doch intensiver mit der herrschenden „Normalität“ auseinanderzusetzen. Mag jeder dies auf seine Weise tun. Empfehlenswert ist es gewiß.

C.M.Meier



Weitere Vorstellungen bis 11.10.14

 

I-Paradise

Eine installierte Reiseperformance von Manfred Killer

Beate Kellmann, Christoph Hiltl, Klaus Wächter, Michael Hartdegen, Tobias Schäffler, Violetta Abate, Gerd Axenkopf, Shenwan Fadel Ali, Deman Benifer

Idee/Regie: Manfred Killer
Dramaturgie: Stefanie Hiltl
Foto: Heidi Mühlschlegel
App: Markus Hosch, Kostüm: Astrid Hahn, App-Animation: Paulina Rauwolf, Video-Animation: Lutz Wehrmann, Ausstattung: Manuela Müller, Sprecher: Fadumo Kom, Ditte Schupp, Klaus B. Wolf

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