Kammerspiele Hiob nach Joseph Roth


 

 

Hiob - umstritten nach wie vor

Osterfest. Die kleine jüdische Gemeinde in New York erwartet den Messias. Herein tritt Menuchim. Der Kretin aus dem russischen Schtetl Zuchnow, jetzt aufrecht, charismatisch, ein berühmter Komponist und Dirigent sucht Deborah, die Frau von Mendel Singer. Sie ist inzwischen vor Gram gestorben. Also schließt der junge Mann, dem die Welt zu gehören scheint, den Vater in die Arme. Der erwacht aus seinem alttestamentarischen Kummer und sieht sich dem Glück erbarmungslos ausgeliefert, ebenso wie der Leser des Romans oder der Zuschauer in den Münchner Kammerspielen. Ein Kloß blähte sich im Hals und als der Vorhang fiel, konnte man sich, wie es schien, nur mit frenetischem Applaus von ihm erlösen.

Der Plot erinnert an schlechte Hollywoodfilme der 50er Jahre. Man möchte ihn dreist nennen, wenn, ja, wenn er nicht so wunderbar funktionieren würde. Dass er funktioniert, macht ihn literarisch nicht besser. Es ist die Vorgeschichte, die ihn (scheinbar) legitimiert.
 
   
 

Hildegard Schmahl, André Jung

© Andreas Pohlmann

 

Mendel Singer ist ein Jude, der in Treue zu seinem Glauben und zu seinem Gott leben möchte. Im Roman wird er wie folgt charakterisiert: "Sein Schlaf war traumlos. Sein Gewissen war rein. Seine Seele war keusch." Er ist gerecht und seine Heimat ist die Religion, die er Kindern vermittelt. Wie Hiob wird auch Mendel Singer geprüft. Doch während im alten Testament die Prüfungen direkt von Gott kommen, wird Mendel den irdischen unterzogen. Die erste Prüfung heißt Menuchim; der Knabe ist sein jüngstes Kind und ein Krüppel. Schemarjah und Jonas sollen in die zaristische Armee gepresst werden. Jonas sieht sich als Soldat am Ziel seiner Wünsche. Schemarjah hingegen desertiert und flieht nach Amerika, wo er "erfolgreich" ist.

Mendel und seine Frau Deborah wandern nach langen inneren Kämpfen nach Amerika aus. Es sind nicht die Verheißungen der "Neuen Welt", die Mendel locken, sondern der Versuch, die Tochter Mirjam moralisch zu retten. Menuchim wird bei Nachbarn in Russland zurückgelassen. Die amerikanischen Gesetze erlauben Versehrten keine Einwanderung. In Amerika versucht Mendel Singer sich seine geistige Heimat wieder aufzubauen. Die Ausübung der Gebräuche seines Glaubens funktioniert nicht mehr. Sein Sohn Schemarjah zieht als amerikanischer Soldat in den 1. Weltkrieg und kehrt nicht mehr zurück. Jonas wird ebenfalls vermisst. Die Frau stirbt voller Gram und die Tochter wird wegen "sexueller Besessenheit" in eine Anstalt gesteckt. Jetzt, am Tiefpunkt der Hoffnungslosigkeit angelangt, revoltiert Mendel Singer gegen seinen Gott. Er schmettert seinen Glaubensbrüdern entgegen: "Gott will ich verbrennen". Dann geschieht das, was eingangs erwähnt ist und was seine Umgebung als ein Wunder deutet. Mendel Singer gewinnt seinen inneren Frieden und seine seelische Heimat zurück. Er lebt versöhnt mit Gott bis zu seinem Tode.
Auch dem ersten Hiob widerfuhr dieses Märchen: "Der Herr wendete das Geschick Ijobs, (…); und der Herr mehrte den Besitz Ijobs auf das Doppelte." Wenn das kein versöhnlicher Anfang ist! Er, Ijob, besaß 14.000 Schafe, 6.000 Kamele und 1000 Joch Rinder und 1000 Esel. … Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter, wegen des Erbes, wie sich denken lässt, und lebte danach noch 140 Jahre - vermutlich, um den Besitz genießen zu können. Und wenn das kein Happy End ist! Also, Ihr lieben Menschen, seid nur fest im Glauben und ihr werdet die Wunder erleben. Wenn nicht, habt ihr halt was falsch gemacht.

Worum ging es nun wirklich in der von Johan Simons besorgten Bühneninszenierung? Wenn nach dem Genuss eines Theaterabends zu viele Fragen offen bleiben, insbesondere die eine: Warum?, folgt reflexartig der Griff zum Programmheft. Darin ist viel von Joseph Roth die Rede und wenig über das: Warum? Bleibt nur, zu spekulieren. Joseph Roth, der sich nach dem 1. Weltkrieg und dem damit verbundenen Niedergang Österreichs an der Schwelle einer Zeitenwende wähnte, stellte in "Hiob" die Frage nach Tradition und Moderne. Dass die "Neue Welt" unaufhaltsam kam, war Roth bewusst. Seine Frage zielte auf die geistigen Grundlagen, auf denen diese Welt existieren konnte. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre glaubte Roth die Antwort gefunden zu haben. In der multikulturell empfundenen Welt Südfrankreichs, aus der er für die Leser der "Frankfurter Zeitung" berichtete, entdeckte er Züge seiner galizisch-jüdischen Kindheit wieder. Daraus folgerte er: (…) "Ich (repräsentiere) keinen Typus, keine Gattung, kein Geschlecht, keine Nation, keinen Stamm, keine Rasse (sondern nur) mich selbst". Das einstmals kollektive Bewusstsein, gebündelt in sozialem und religiösem Dasein, wurde jetzt zum individuellen. Im Roman vermochte ausschließlich Menuchim, der durch tiefstes, unmenschliches Leid zum genialen Musiker gewandelte Krüppel, auf die beschriebene Weise zu sich selbst zu finden. Koen Tachelet, Dramaturg dieser Inszenierung, sieht in der Figur Menuchim Roths Utopie. Er ist das Modell für den "neuen europäischen Menschen: jemand der die moderne Welt bejaht, ohne sich seiner geistigen Wurzeln zu entledigen."

Bühnenbildner Bert Neumann hatte den Singerschen Kosmos in einem Kinderkarussell eingefangen. Hier befand sich die elende Küche in Zuchnow und die Suite des Astor-Hotels in New York. Wenn es sich bewegte, verging die Zeit. Zwischen Geburt und Tod war die Liebe plakatiert, ein frommer Wunsch für diesen Weltenentwurf. André Jung erspielte einen Mendel, der nicht selten eine Karikatur seiner selbst zu sein schien. Immer wieder taumelte er zwischen Unentschlossenheit, die auch schon mal in Feigheit ausartete, und verbohrtem Festhalten an Traditionen hin und her. Jung schuf eine fast clowneske Figur, deren Komik im Selbstverweis auf seine eigene Unzulänglichkeit bestand. Mit dieser eigenen Unzulänglichkeit rechtfertigte er das Elend, das ihm widerfuhr. Und da es ein großes Elend war, hatte er nicht selten fatalistische Züge.

Leider fehlte dieser Inszenierung die Präzision, wie man sie in "Elementarteilchen" oder "Prinz Friedrich von Homburg", beides Inszenierungen von der Hand Johan Simons, erleben konnte. So wurde viel gestammelt, geschrieen, genörgelt und vieles von dem ging in Unkenntlichkeit unter. Es wurde häufig an den Vorhängen des Karussells genestelt, ohne das deutlich wurde warum. Die Darsteller betraten die Szene und verließen sie, ohne in die Handlung eingegriffen zu haben. Die Rollenwechsel erschienen gelegentlich so lässig, dass Übergänge schwer nachvollziehbar wurden. Es herrschte wenig Klarheit, außer, wenn Hildegard Schmahl auftrat. Als Ehefrau Deborah war sie der Gegenentwurf zu Jungs Mendel. Sie hielt sich nicht mit religiösen Glaubenssätzen auf und schritt zur Tat, wenn es notwendig war. Die Klarheit ihres pragmatischen Handelns steigerte die Komik Mendels zusätzlich, führte seine Haltung nicht selten ad absurdum. Edmund Telgenkämper und Steven Scharf als Schemarjah und Jonas überzeugten durch wuchtige Präsenz. In der Bühnenfassung war ihnen ohnehin kaum mehr zugestanden als Katalysatorenfunktion. Ebenso begrenzt waren die Möglichkeiten von Wiebke Puls als die "alle Männer liebende" Schwester Mirjam. Sie spielte direkt und ging bis an die Grenzen natürlicher Scham. Bemerkenswert war die physische Leistung von Sylvana Krappatsch. In der Figur des Menuchim verlieh sie geistigem und körperlichem Kretinismus glaubhaft Gestalt, ohne in billigen Realismus abzugleiten. In ihrem letzten Auftritt als berühmter Musiker erspielte sie eine Haltung, die den neuen Menschen, wenn er denn Gegenstand der Darstellung sein sollte, in keinem sehr menschlichen Licht erscheinen ließ. Unterkühlt und emotional beherrscht führte Sylvana Krappatsch den Vater Mendel ab in die luxuriöse Welt eines genialen Künstlerdaseins.

Es blieb ein billiges und wenig glaubhaftes Happy End, das dennoch einen Sturm der Begeisterung entfachte. Wie viel Hoffnungslosigkeit muss in der Welt sein, wenn ein so simpel gestrickter, lange voraussehbarer Plot so eine Wirkung entfalten kann. Da klingt es beinahe wie eine Entschuldigung, wenn Dramaturg Koen Tachelet darauf verweist, dass "mit dem Happy End im Roman Hiob für uns die Tragödie unserer eigenen neueren Geschichte erst beginnt". Es ist, als beschwöre man nachträglich den Reflex, der bei uns Deutschen ausgelöst wird, wenn das Wort Jude fällt. Er funktioniert schon beinahe so verlässlich wie der Pawlowsche und führt nicht selten zur Paralyse. Aber dieser Aspekt steht im 1930 erschienenen Roman nicht drin und wurde auch von der Bühne der Kammerspiele herab nicht explizit erzählt.

Joseph Roth, der an den Folgen seiner durchaus verständlichen Alkoholsucht starb, verschied in dem tiefen Bewusstsein, dass das Ende der Welt gekommen sei. Schon 1936 bemerkte er: "Der neuzeitliche Mensch hat gewissermaßen vergessen, dass er das sittliche Gesetz von Gott am Sinai bekommen hat."
 
 
Wolf Banitzki

 

 


Hiob

nach Joseph Roth

André Jung, Hildegard Schmahl, Sylvana Krappatsch, Wiebke Puls, Edmund Telgenkämper, Steven Scharf, Walter Hess

Regie: Johan Simons

Kammerspiele Troilus und Cressida von W. Shakespeare


 

 
"Troilus und Cressida" - gewiss kein Shakespearestück

Es war der Krieg der Kriege, der Trojanische genannt, der nach zehn Jahren mit dem Untergang der stolzen Stadt endete. Es war ein verheerender Krieg, in dem die "Edelsten" und "Tapfersten" ihr Blut und Leben ließen. Niedergelegt, als Mutter der europäischen Literatur, wurde die Geschichte von Homer etwa 800 v.Chr. und vierhundert Jahre nach dem vermeintlichen Ereignis. Noch heute wird sie in der selben Tonart erzählt. Krieger, die zahllose Köpfe gespaltet, unschuldige Menschen in die Sklaverei gezwungen und Frauen hoher und niederer Abkunft geschändet hatten, werden auch heutigentags "groß" genannt. Der menschliche Geist ist scheinbar zwanghaft Traditionen verhaftet und vornehmlich lernunwillig. Shakespeare schrieb mit "Troilus und Cressida" seinen Kommentar zur Geschichte. Das Drama stieß seinerzeit auf wenig Interesse und so wurde der Text vermutlich erst 1679, siebenundsiebzig Jahre nach seiner Entstehung und mehr als sechzig Jahre nach dem Tod des Dichters uraufgeführt.

Diese Tatsache spricht für sich und ein Kommentar Heinrich Heines weiß zu ergänzen: "Und in der Tat, es herrscht darin eine jauchzende Bitterkeit, eine weltverhöhnende Ironie, wie sie uns nie in den Spielen der komischen Muse begegnete. Es ist weit eher die tragische Göttin, welche überall in diesem Stück sichtbar wird, nur dass sie hier einmal lustig tun und Spaß machen möchte." Spaß macht das Zuschauen für eine gewisse Zeit schon, wenngleich nichts an dieser Geschichte spaßig ist. Und mit Shakespeare hat auch nicht viel zu tun, was Luc Perceval in den Münchner Kammerspielen auf die Bühne brachte. Vielleicht sollte der Besucher dieser Inszenierung seine Erwartungen gänzlich aus seinem Bewusstsein tilgen. Wenn Perceval einen Shakespeare auf die Bühne bringt, schreibt er ihn erst einmal um. Im Falle "Troilus und Cressida" tat er dies gemeinsam mit Paul Brodowsky. Das Programmheft zur Inszenierung und das Informationsheft 15 der Münchner Kammerspiele geben Auskunft darüber, was Shakespeares Werke für Autor und Regisseur sind: Steinbrüche.

Was immer der Zuschauer über das Shakespearesche Stück weiß, er sollte es ausblenden und sich wie ein unbeschriebenes Blatt ins Theater begeben. Was man dort erleben kann, ist ein antiker Mythos, der nicht mehr ist als ein Vehikel für Zeitgedanken, die in ihrem philosophischen Gehalt durchaus zeitlos sind (ein wichtiges Spurenelement Shakespearschen Denkens), zum sehr aktuellen Thema Krieg. Die Liebesgeschichte, die dem Text den Titel lieh, ist marginal, gerade tauglich, um ein paar menschliche Weisheiten auch zum Thema Liebe einzustreuen. Perceval konzentriert sich vielmehr auf den Rahmen, den trojanischen Krieg, den Krieg an sich.
 
   
 

Barbara Nüsse, Bernd Grawert, Wolfgang Pregler, Stefan Merki, Hans Kremer, Oliver Mallison

© Andreas Pohlmann

 

Als der Vorhang aufging, erlebte der Zuschauer einen Haufen müder, abgeschlaffter Warlords. Apathisch dämmerten sie vor sich hin, selbstgefällig, eitel und großsprecherisch. Allen voran bemühte sich Ulysses (Wolfgang Pregler), der Manager dieses Krieges, Worte zu finden, die der fortgeschrittenen Sinnentleerung etwas entgegensetzen könnten. Im Hintergrund schnitt Agamemnon (Hans Kremer) seine Fratzen, denn er weiß um die Sinnlosigkeit aller Erklärungsversuche. Einzig Menelaus (Bernd Grawert) hielt an seinen Gründen fest. Ihm wurde das Weib gestohlen. Aber wer will, wer kann den vermeintlichen Grund des Krieges nach sieben Jahren Kampfhandlungen noch ernst nehmen? Ulysses verkündete desillusionierend, dass jeder Krieg immer nur ein Anliegen hat, den Erwerb von materiellem Besitz. Die Auslöser für Kriege freilich sind vielfältig.


Zwei gab es, die wussten um den Ausgang. Kalchas (Annette Paulmann), trojanischer Priester mit seherischer Gabe, schlug sich vorsorglich auf die Seite der zukünftigen Sieger - die Griechen. Und Cassandra (ebenfalls Annette Paulmann) kannte als Seherin das Schicksal Trojas und warnte lautstark. Sie steckte beizeiten in der Zwangsjacke. Spätestens hier war der Zuschauer in der Realität angekommen. Moralisch verkommene, zynische, aufgeblasene, z.T. psychisch gestörte Politiker stürzen die Welt in immer neue Kriege, die vom Fußvolk ausgefochten werden müssen. Im Falle Troja war der Krieg zur Lebensform geronnen, die ganze zehn Jahre anhielt und aus der der abgefeimteste Demagoge, Ulysses, die fetten, trägen, geilen Griechen mittels eines barbarischen Aktes herausführte.

Die Barbarei war zentrales Thema in Percevals Inszenierung und die verkommene und verlogene Rhetorik, mittels der sie sich breit machte. Die Vernunft schien völlig auf der Strecke geblieben sein oder sie steckte bereits in der Zwangsjacke. Wenn es um wirtschaftliche Belange, um Profit geht, ist jedes Mittel, jede Lüge recht. Karl Marx schrieb bereits vor einem und einem halben Jahrhundert, dass das Kapital bei 300% Profit bereit ist, zu töten. Wer vermag bei Kenntnis der Geschichte zu widersprechen?

Luc Perceval hatte ein Bühnenbild entworfen, das wenig Konkretheit aber viel Atmosphäre suggerierte. Unentwegt tropfte es in den nebligen dunklen Raum, dessen Boden mit Auffangbehältern übersät war. Das Verrinnen von Zeit wurde hörbar. Darin apathische Männer, die sich mit jeder verbalen oder mimischen Äußerung selbst entlarvten. Die Regieeinfälle waren so einfach wie gut. Mit Schüsseln auf dem Kopf waren die Darsteller Tojaner, ohne Schüsseln Griechen. Einige Darsteller spielten einen Griechen und gleichzeitig dessen trojanischen Gegenspieler. Große Komödiantik war angesagt. Hans Kremer gab einen zynischen Agamemnon und gleichzeitig einen verbissenen Hektor mit Unteroffiziersmentalität. Bernd Grawert gestaltete den betrogenen, recht stumpf wirkenden Menelaus und gleichsam den Betrüger Paris, im Mythos zwar Königssohn, aber ohne Bildung als Ziegenhirt aufgewachsen. Grawerts gesangliche Einlagen und sein Saitenspiel verliehen dem Ganzen den Charakter eines großen Vorstadtblues. Barbara Nüsse verkörperte den 300jährigen Nestor und zugleich einen ebenso senilen Priamus. Peter Brombachers Ajax war hünenhaft und tumb. Wolfgang Pregler brillierte als Ulysses ebenso wie Stefan Merki als Diomedes. Es war über weite Strecken eine Augenweide.

Doch leider verloren sich die Darsteller immer wieder in Slapsticknummern und komödiantischen Banalitäten, was den hervorragenden Ansätzen häufig die Spitze nahm. Es schien, als hätte Regisseur Luk Perceval panische Angst vor Verbindlichkeiten, als fürchte er, ein Bild könnte zu einer handhabbaren Botschaft kristallisieren. Immer wieder schimmerte das Bemühen durch, Pathos zu verhindern, tradierte künstlerische Ergebnisse, zu denen die hervorragenden Darsteller allemal in der Lage waren, ungebrochen stehen zu lassen. Dabei waren die Einfalle nicht selten bedrückend belanglos, beispielsweise ein Reimlied von Grawert und Kremer auf die Endung u. Immer wieder glitten die Darsteller infolge der Schauspielerführung in scheinbar private Haltungen ab. So wurde die große Botschaft, die sich deutlich abzuzeichnen begann und mit der sich Regie und Darsteller verdient gemacht hätten, zerblödelt.

Das Publikum reagierte gespalten, was bei Perceval-Inszenierungen eigentlich vorprogrammiert ist. In "Troilus und Cressida" hat der Regisseur weniger ästhetische Grenzen überschritten, als vielmehr mit einem etwas zwanghaft scheinenden Wunsch nach Unkonventionalität in jeder Situation das rechte Maß verpasst und die Botschaft des eigenen Werkes verwässert. Schade! Aber ungeachtet dieses Mankos ist die Inszenierung durchaus sehenswert.



Wolf Banitzki

 

 

 


Troilus und Cressida

von W. Shakespeare

Übersetzung und Bearbeitung: Paul Brodowsky. Fassung: Luk Perceval

Peter Brombacher, Bernd Grawert, Joel Harmsen, Julia Jentsch, Hans Kremer, Christoph Luser, Oliver Mallison, Stefan Merki, Barbara Nüsse, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Frederik Tidén.

Regie und Raum: Luk Perceval

Kammerspiele Rechnitz (Der Würgeengel) von Elfriede Jelinek


 

 

Grabung im Ungewissen

Fünf Berichterstatter halten Einzug in einen kleinen Ort an der österreichischen Grenze zu Ungarn, um über eine Begebenheit zu berichten, die sich aller menschlichen Vorstellungskraft entzieht. Auf Schloss Rechnitz feierten im März 1945 SS-Offiziere, Gestapo-Führer und einheimische Nazigrößen unter der Schirmherrschaft des Grafen und der Gräfin Batthyány, geborene Thyssen-Bornemisza und Enkelin des Stahlmagnaten August Thyssen, ein ausgelassenes "Gefolgschaftsfest". Als das Fest überzuschäumen begann, schaffte man Abhilfe für frivole und perverse Lüste, ließ 180 jüdische Zwangsarbeiter, ausgemustert wegen Schwäche, herankarren und tötete sie … zum Vergnügen. Als das "Bewusstsein, wie´s gebührt" (Euripides: Bakchen), wiedererlangt war, wurden die Leichname für alle Ewigkeit verscharrt. Die Mauern des Schweigens blieben wider allen Ansturm ungestürzt.

Die fünf Berichterstatter, ausstaffiert mit Jelinekscher Sprachwut, wälzen und wringen Wort um Wort, um in letzte Tiefen, die der Wahrheit, vorzudringen. Doch Wahrheit bleibt aus, soll ausbleiben. Elfriede Jelinek ging es nicht darum, den für die Rechnitzer Bürger seit über sechzig Jahren peinlichen Wahrheiten aus historischer, politischer und juristischer Spurensuche weitere hinzuzufügen. Ihr Motto für den verbalen Kraftakt lautet: "Totschweigen oder die Kunst des Berichtens". Wie schon in "Ulrike Maria Stuart" ging es Frau Jelinek nicht um Geschichtsbewältigung (Der bürgerlichen Historiografie fehlt es ohnehin an guten Gründen für dieselbe!), sondern um die Feststellung, dass die meisten Bemühungen in der Verschleierung gipfeln. Sie kritisiert die (gesellschaftlich bedingte) Kritikunfähigkeit. Das ist angesichts der weltanschaulichen und Werteverwirrung schon viel. Dennoch bleibt ein sehr ungutes Gefühl zurück, denn immerhin werden hier 180 ermordete Juden bemüht, die letztlich zum bloßen Anlass der theatralischen Aufbereitung degradiert werden. Ist das nicht auch eine Form von Ignoranz, und zwar ein recht perfide? Kein Kunstwerk vermag den Hintergrund der Tode von sechs Millionen Juden sinnlich erfahrbar zu machen, die Geschichte "Rechnitz" könnte dies sehr wohl leisten.
 
   
 

Hildegard Schmahl, Steven Scharf, Katja Bürkle, André Jung

© Arno Declair

 

Was geschieht nun auf der Bühne Schauspielhauses der Münchner Kammerspiele? "Ein blitzheller Blick zurück auf die Topographie des Nazi-Terrors, zugleich eine Reise durch Jelineks Kopf, ein wilder Assoziationsfluss, rechts und links althergebrachte Gewissheiten einreißend." Das verspricht die Werbung der Kammerspiele. Zumindest in einem Punkt kann getrost zugestimmt werden: " …eine Reise durch Jelineks Kopf". Alle Werke von Elfriede Jelinek sind "Reisen durch Jelineks Kopf". Die Realität, so erschütternd deutlich sie dem interessierten Betrachter entgegentritt, ist lediglich Anlass zu dieser Reise und wird Fiktion. Oder anders herum: was objektiviert und tradiert ist wird subjektiviert. Gute Kunstwerke leben davon, dass durch subjektive Sichtweisen des Künstlers schwer fassbare, weil sich der Vorstellungskraft des Betrachters widersetzende Realitäten fassbar werden. Leistet "Rechnitz" das? Wohl kaum.


"In sprachlich furiosen Suchbewegungen, Schicht um Schicht abtragend, nimmt sie unermüdlich Grabungen vor, um sich dem Krater der Ungeheuerlichkeit dieser Tat und ihrer Verschleierung zu nähern." (Werbung Kammerspiele) Grabungsstätte ist hier nicht Rechnitz, sondern die Psyche Frau Jelineks, denn wirkliche (gesellschaftlich immanente) Gründe für das Versagen werden nicht benannt. Der Mensch als Barbar, und hier unterscheiden sich die Boten von den Tätern kaum, wird nicht ergründet, lediglich vorgeführt.

Regisseur Jossi Wieler hatte es dennoch leicht mit dem Text, der eine Vielzahl von Anleihen nimmt bei Celan, Euripides, Goethe oder Bunuel. Da dieser Text keine innere Struktur hat - und wenn, dann ist sie so kompliziert, dass sie sich dem Betrachter entzieht - verlieh Wieler ihm eine. Die Inszenierung ist eingeteilt in vor Frühstück - nach Frühstück - nach Mittag - und Epilog. Sichtbar werden die Zäsuren durch die Mahlzeiten, die genüsslich eingenommen wurden. Das funktionierte. Jossi Wielers beeindruckende Ästhetik lebt von der Verlangsamung der Vorgänge, wodurch Räume entstehen, in denen sich Psychologie entfalten kann. Alle Darsteller, sie unterschieden sich in ihrer Spielhaltung nur in Nuancen, gelangten so zu einer ungeheuerlichen Eindringlichkeit. Lächelnd, stets um politische Korrektheit bemüht (Der moderne Journalist berichtet distanziert, wertet nicht!) rissen sie Klüfte auf zwischen (gewesenen) Realitäten und der gepflegten Annäherung an diese. "Den Boten erreichen nicht die Erkenntnisse." Dabei offenbarte sich eine herausragende Qualität des Textes. Die Sprache, selbst Gegenstand der Betrachtung wie die Taten dahinter, wurde willentlich und scheinbar unwillentlich ausgelotet. Die daraus resultierenden Assoziationsketten endeten nicht selten in Absurdität und Surrealismus, riefen manchmal sogar Heiterkeit hervor. Die gelegentliche Schwachsinnigkeit, die den Denkvorgängen innewohnte, wurde von allen Darstellern genüsslich zelebriert. Anzumerken ist allerdings auch, dass im gesamten Text kein Dialog ist. Frau Jelinek beschränkte sich darauf, dem Zuschauer in jeder Figur monologisierend gegenüberzutreten.

Wielers Inszenierung war nicht zuletzt durch ein gelungenes Bühnenbild von Anja Rabes, die ein elegantes hölzernes Foyer mit vielen Türen zu "verborgenen" Räumen schuf, ein in sich geschlossenes Werk.

Die Ästhetik war beeindruckend, die Botschaft hingegen blieb unbefriedigend. Fast peinlich wirkte allerdings der Epilog von Katja Bürkle mit angedeuteter Elfriede Jelinek Frisur. Diesen nutze die Autorin, um das Land Österreich einmal mehr ihre Verachtung spüren zu lassen. Der private Fehdehandschuh ließ allerdings auch deutlich erkennen, in welchem Verhältnis die Nobelpreisträgerin zu ihrem eigenen Werk steht. Sie steht stets davor, nie dahinter. Was ihr Ersuchen um Billigung ihrer Person durch ihr Land Österreich und gewiss auch Deutschland betrifft, kann sie getrost in die Zukunft schauen. Das sollte sie aus ihrem eigenen Werk gelernt haben. Auch Thomas Bernhard ist inzwischen ein großer anerkannt-österreichischer Dichter. Der hatte zwar keinen Nobelpreis bekommen, dafür aber ein großes literarisches Werk geschaffen.
 
 
Wolf Banitzki
 

 

 


Rechnitz (Der Würgeengel)

von Elfriede Jelinek

André Jung, Katja Bürkle, Hans Kremer, Steven Scharf, Hildegard Schmahl

Regie: Jossi Wieler

Kammerspiele Fünf Goldringe von Joanna Laurens


 

 

Das gefickte Hirn oder wie mache ich ein Theaterstück

Es ist eine höchst erstaunliche Poetikauffassung, die sich im Programmheft zu "Fünf Goldringe" nachlesen lässt. Joanna Laurens hat herausgefunden, dass sich mit Lyrik kein oder nur wenig Geld verdienen lässt und so beschließt sie ganz pragmatisch, dem Theatergänger ihre lyrische Arbeit aufzunötigen. "Ich packe es (die Lyrik - A.d.V.) in ein Stück und zwinge damit alle, es anzuhören." Das fiel ihr wahrlich nicht leicht, denn Dramatik lebt überwiegend vom Dialog und so gesteht sie freimütig: "Ich bevorzuge, Zeile für Zeile zu schreiben und diese aus Worten, aus dem Klang von Worten, der Musik von Worten zu entwickeln, mehr als dieses ‚Kann diese Person dieses tun, bevor sie jenes tut.' Das fickt mein Hirn und macht mich komplett wahnsinnig." Es ist fatal, wenn die Gesetze der Dramatik dem Drang, ein Stück zu schreiben, im Wege stehen. Umso verwunderlicher ist, dass Joanna Laurens nicht versucht hat, eine neue Dramenstruktur zu entwickeln, in der ihre Lyrik zum Tragen kommt. Vielmehr ist die vorliegende eine sehr konventionelle, einem klassischen Dreiakter nicht unähnlich.
In der Vergangenheit war sie mit "Drei Vögel" erfolgreich, einer Adaption aus Ovids Metamorphosen. Es ist gewiss keine Schande, zu adaptieren. Heiner Müller stand zu seiner Einfallslosigkeit und tat lebenslang nichts anderes.
Mit "Fünf Goldringe" versuchte Joanna Laurens ein eigenes Sujet zu bauen. Dieses ist jedoch so fadenscheinig, dass jeder geübte Vorabendseriengucker den Fortgang der Geschichte soufflieren könnte. Sie zu erzählen wäre müßig.
 
   
 

Katharina Schubert

© Andreas Pohlmann

 

Nur soviel: Der Vater Henry (Walter Hess) wird wie jedes Jahr von seinen Söhnen Simon (Wolfgang Pregler) und Daniel (Matthias Bundschuh) zum Weihnachtsfest besucht. In Begleitung der beiden Ehefrauen Miranda (Karin Pfammatter) und Freyja (Katharina Schubert) fallen Sie in das Reich des Vaters, eine ehemals lebenswerte grüne Oase, jetzt eine Wüste, ein. Die Bühne von Maria-Alice Bahra ist ein dick auswattierter, wüstensandfarbener Guckkasten ohne Türen und gleichsam eine Metapher für sich. Nach und nach werden die Konflikte sichtbar, Indizien für eine schon lange nicht mehr funktionierende Welt. Da stellt sich die Frage, wer mit wem? Am Ende weiß man, beinahe jeder mit jedem, selbst Bruder mit Bruder. Wer gegen wen? Auch hier schält sich heraus, beinahe jeder gegen jeden. Und einer muss auf der Strecke bleiben. Der hängt dann am Ende auch mehr dekorativ als die Zuschauerseele erschütternd an der Rückwand.

Überraschend ist keine der Antworten und eine Horizonterweiterung bleibt dem Zuschauer versagt. Die Geschichte ist allzu eklektizistisch und entseelt, was jedoch ohne größere Bedeutung zu sein scheint, geht es der Autorin doch einzig um den Transport ihrer Lyrismen. So ergießt sich eine Flut von beeindruckenden Metaphern und kunstvollen Bildern über den Zuschauer und auch eine dreifache Alliteration fehlt nicht. Allein, eine Wirkung kann die Sprache nur sehr begrenzt entfalten, denn der Rhythmus eines Dramas ist und bleibt ein anderer als der eines Gedichts. Wollte man diese Sprache zur Blüte bringen, wäre wohl die dreifache Zeit vonnöten gewesen.
Lyrik und Dramatik ließen sich nie voneinander trennen. Schon in den antiken Tragödien des Sophokles lässt sich der jambische Trimeter nachweisen. Lessing übernahm von Shakespeare den Blankvers und Schiller von Racine und Corneille den Alexandriner. Doch nie war bei einem dieser Dichter der Inhalt des Stücks Vehikel für die Sprache.
Regisseurin Christiane Pohle machte ihrerseits gar nicht erst den Versuch, sich auf diese Besonderheit einzustellen. Sie lässt das Werk sprechen, als wäre es ein eingängiger, von innerer Logik getriebener Dramentext. Zwar hat Sie das Mittel der Verlangsamung für sich entdeckt, jedoch nicht, um den Potenzen der Sprache Raum zu geben, sondern eher im Sinne des Häuptlings des postmodernen Theaters Robert Wilson, nämlich um eigenständige Bilder zu schaffen. Letztlich gelang es der Regisseurin nicht, dem blutarmen Konstrukt der Geschichte menschliches Leben einzuhauchen. Vieles blieb künstlich. Am überzeugendsten war die Musik Peter Bichlers, die nicht selten über Text und Regie hinausging und innere Schwingungen erzeugte.
Dass dieser Abend nicht in völliger Ratlosigkeit endete, war dem exzellent agierenden Ensemble zu verdanken. Einzelne zu nennen, hieße andere zurücksetzen. Den Darstellern gelang es, weitestgehend unabhängig vom Text Figuren aus Fleisch und Blut zu zaubern, die Mitgefühl beim Betrachter erzeugten.
Nebenbei bemerkt, vermutlich wurde noch nie ein Stück geschrieben, in dem das Wort Geld so häufig vorkam. Aber vielleicht ist dies ja der wichtigste Realitätsbezug und, wie wir sicher wissen, eine starke Triebkraft für die Autorin.
Fazit: Der Zuschauer teilte das gelegentliche Los der Dichterin und wurde ins Gehirn gefickt. Doch hat ihn das nicht schwanger gemacht und ein wenig schwanger möchte der Zuschauer nach einem Theaterstück sein, um für sich seine tieferen Einsichten über das Leben zu gebären.

 
Wolf Banitzki

 

 


Fünf Goldringe

von Joanna Laurens

Walter Hess, Wolfgang Pregler, Karin Pfammatter, Matthias Bundschuh, Katharina Schubert

Regie: Christiane Pohle

Kammerspiele PING PONG D'AMOUR von René Pollesch


 

 

Lasst uns die Welt retten

"... oder rettet wenigstens mich!" Aber wie? René Pollesch schlägt vor: Perspektivenwechsel. Gesagt, getan. Man denke sich die Welt als Leiche. Sterben ist Werden! "Es gibt nur Werden! Sterben! Das Leben ist kein Werden, das ist Sein. Sein von der übelsten Sorte. Nur das Sterben ist Werden." Antwort: "Ja, gut, aber das bringt uns jetzt auch nicht weiter." Grob betrachtet, ist damit eigentlich alles gesagt. René Pollesch, bekannt durch seine zerstörerische Kritik an der Gesellschaft und insbesondere an ihrem kapitalistischen Organisationsprinzip, erweitert hier seinen Focus auf die letzten philosophischen Fragen und ... gibt letztlich keine ernst zu nehmenden Antworten.

Das Infragestellen (aller scheinbar gültigen Werte) hatte große Theatralik. Das Bühnenbild von Janina Audrik erinnert an Ufa-Villen, in denen die bessere Gesellschaft mit dem Offenbarungsfunkeln in den Augen die Revuetreppe hinabstieg. Und so begann das Spektakel denn auch. Es wurde die Geschichte von einem Schauspieler erzählt, der für sämtliche Schauspieler einspringen kann, auch für alle gleichzeitig, damit diese mal einen freien Abend haben. Und da die Geschichte länger als die Revuetreppe war, stieg man geschwind wieder hinauf, um hinabsteigend weiter erzählen zu können. Der Verdacht lag nahe, dass man sich in Polleschs Gedankenakrobatik Dank einer Geschichte orientieren könnte. Aber da hatte sich der Zuschauer zu früh gefreut. Schnell zerbröselte das ganze in hektische Fragen und Repliken.

Nebenher wurde eine andere (im Kern hinlänglich bekannte) Geschichte erzählt. Eine Tochter war aus dem Fenster gefallen und nach Mexiko entführt worden. Ein Pechvogel musste her, dem das Gleiche widerfahren sollte, um den Weg der Entführung per Zufall zu entdecken. Letztlich geschah von alledem nichts. Es war auch nicht die einzige Anleihe, die hier dramaturgisch verköchelt wurde.
 
   
 

Katja Bürkle, Bernd Moss, Martin Wuttke

© Arno Declair

 

Eigentlich war es jedoch eine Geschichte um die Liebe, die eines Schauspielers zu drei Stewardessen (ebenfalls hinlänglich bekannt). Polleschs Anleihen aus dem Boulevard verhalfen dem Publikum doch immerhin zu einigen sinnlichen Assoziationen während des intellektuellen Hürdenlaufs.


Um auf die Theatralik zurück zu kommen, die 75 Minuten war aktionsreich, zappelig-bunt und nicht ohne witzige gedankliche Wendungen, die das Publikum prächtig unterhielten. Pollesch, der sprachlich gern in die Kiste der politischen Ökonomie und Philosophie greift, "akkumulierte" immerhin so viele Bonmots, dass der Zuschauer am Ende, ohne recht zu wissen warum, ein Gefühl der Befriedigung verspürte.

Dabei bediente sich Autor und Regisseur René Pollesch dreier exzellenter Schauspieler, denen das Publikums sein gutes Gefühl vornehmlich zu verdanken hatte. Pollesch hatte mit Martin Wuttke ein komödiantisches Vollblut aus Berlin mitgebracht. Wer Wuttke kennt, weiß, dass dieser kaum einer Situation auf der Bühne nicht gewachsen ist. In "Ping Pong d' Amour" geriet er allerdings, wie auch seine Mitspieler Katja Bürkle und Bernd Moss, an die Grenzen. Denn erklärtes Prinzip der Polleschen Ästhetik ist es, das Publikum mit Text zu beschießen. Wenn dieser Text dann noch brüchig und inhaltlich sprunghaft ist, geht es ohne Souffleur nicht. Doch auch das ist bei Pollesch künstlerisches Kalkül und so darf es nicht verwundern, wenn am Ende der Souffleur zur Verbeugung mit auf der Bühne erscheint. Er hat es sich redlich verdient. Während Martin Wuttke die Atem- und scheinbare Kopflosigkeit zu Spielgestus erhob, gönnte sich Bernd Moss gelegentlich verhaltenere Töne, was wohltuend für das Verständnis war. Katja Bürkle hingegen trieb das Tempo mehr als einmal in das Schrille. Und wenn alles zu zerbersten drohte, dann gab es eine Rauchpause. Es war immerhin erstaunlich, welche darstellerischen Möglichkeiten eine Rauchpause bot.

Polleschs Inszenierung war chaotisch, destruktiv und unterhaltsam. Vom Anspruch, die Welt zu retten, blieb letztlich nur die Besinnung des Zuschauers auf sich selbst übrig. Oder, wer sich dem Spaß und der Turbulenz nicht verschließen konnte, dem blieb nicht einmal das.

Ans "wahre" Leben wurde der Besucher auch nicht herangeführt, denn René Pollesch folgte seinem eigenen Text, in dem es heißt: "Die einzigen Leben, die sich berühren, sind die, die einem Manuskript folgen, das nicht das eigene ist. Nur was sterblich ist, bekommt einen Körper. Und wenn wir nicht darauf warten wollen, dass uns der Tod ereilt und limitiert, nehmen wir uns eben ein Skript zur Hand, das nicht unseres ist, mit dem schönen Wort "Ende" am Ende."

Wolf Banitzki

 

 

 


PING PONG D'AMOUR

von Renè Pollesch

Katja Bürkle, Bernd Moss, Martin Wuttke

Regie: René Pollesch