Theater im Marstall Stoning Mary von Debbie Tucker Green


 

 

Afrika ist nebenan

Debbie Tucker Green, britische Autorin jamaikanischer Abstammung, erzählt in ihrem Stück drei Geschichten. Ein Ehepaar führt den letzten Kampf gegeneinander, denn beide sind HIV positiv. Die Medikamente reichen nur für eine Person. Einem anderen Ehepaar wurde das Kind genommen und in eine Armee von Kindersoldaten gesteckt. Und zuletzt erlebt der Zuschauer eine junge Frau, die auf ihre Steinigung wartet und deren letzter Wunsch es war, die ältere Schwester noch einmal zu sehen.

Das alles war auf den ersten Blick irritierend, denn obwohl alles in Afrika zu spielen schien, gab es dafür keinen konkreten Hinweis. Das war von der Autorin auch so geplant. In ihrer Besetzungsanweisung forderte sie ausschließlich weiße Darsteller. Darüber hinaus soll dass Stück jeweils dort spielen, wo es gerade aufgeführt wird. Der Effekt ist verstörend, da plötzlich alle emotionalen Mauern nieder gerissen werden, die uns Dank unseres gut funktionierenden Verdrängungsmechanismus vor diesen Problemen schützen.

Allein die Tatsache, dass es diese Konflikte irgendwo weit hinter den Sendemasten unsere Medien gibt, macht dieses Stück nicht zu einem besonderen. Es sind vielmehr die grundlegenden Fragestellungen, denen sich der Betrachter stellen muss. Gibt es noch Liebe oder Solidarität, wenn die Situation ausweglos und das Leben bedroht ist? Debbie Tucker Green beantwortet diese Frage nicht positiv. Sie legt sich auch nicht fest, will nicht provozieren oder gar didaktisch wirken. Sie erzählt lediglich mit schlüssigen Argumenten. Eines der kunstvollen Argumente ist die Sprache, die äußerst reduziert und fragmentarisch ist. Wo es kaum noch soziale Bindungen gibt, gibt es auch keine Kommunikation und schon gar keine emotionale Bindung mehr.
 
 

 
 

Katharina Gebauer, Lisa Wagner

© Thomas Dashuber

 

 

Ulrike Arnold und Ulrich Beseler spielten Mann und Frau des HIV infizierten Ehepaares. Beiden stand ein Ego zur Seite, gespielt von Peter Albers und Beatrix Doderer. Das jeweilige Ego formuliert das Unausgesprochene, das Gedachte, das nicht selten im krassen Gegensatz stand zur gerade artikulierten Haltung von Mann und Frau. Dabei wurde sichtbar, dass in derartigen Ausnahmesituation ein erbarmungsloser Kampf um das Überleben tobte. Die Frage war, wer die Medikamente und damit ein paar Jahre Lebenszeit bekam, um den anderen bis in den Tod zu pflegen. Doch diese Frage wurde im Stück, wie sich später zeigte, anders gelöst. Beide wurden von einem Kindersoldaten getötet.

Dieser Kindersoldat war das Kind von Vater und Mutter, gespielt von Stefan Wilkening und Beatrix Doderer. Der Knabe war ihnen entrissen worden. Damit schien jede Verbindung zwischen der Elternteilen aufgehoben zu sein. Der Verlust führte zu gegenseitigen Anklagen ihres Versagens. Engstirnig wurden banalste Gründe zitiert. Beide bereiteten sich ihre ureigene Hölle. Doch dieser Kindersoldat (Lukas Eichhammer/Dennis Schendel ) wurde ebenfalls getötet. Und zwar von Mary, der Tochter des getöteten Ehepaares. Und der Kreis schloss sich endlich, als Mary wegen Mordes zum Tod durch Steinigung verurteil wurde. Die Barbarei ist ganzheitlich und jeder Lebende ist daran beteiligt.

Regisseur Hans-Ulrich Becker inszenierte diesen martialischen Reigen, der ohne vordergründige Gewalt auskommt, in einem arenaartigen Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau. Dabei flogen immer wieder Pflastersteine krachend gegen die blecherne Hintergrundwand, die gleichsam Projektionsfläche für Videoeinspielungen war. Auch wenn uns der Vorgang der Steinigung völlig fremd ist, so kam die metaphorische Botschaft trotzdem an. Das Spiel war ausgefeilt und gezwungenermaßen, da der Text so karg war, hochgradig psychologisch. In jedem Fall war es verstörend für den Zuschauer, der sich plötzlich in Konflikte gestoßen sah, die eigentlich nicht die seinen sind, obwohl sie es doch sind oder zu werden drohen, denn wir existieren nur in ein und derselben Welt, die zudem immer kleiner wird.

Das packende Drama lebte von verstörenden, weil von katastrophaler Zerrissenheit kündenden Texten, einer feinsinnigen Regie und sehr guten schauspielerischen Leistungen. Eine soll dabei besonders hervorgehoben werden. Lisa Wagner klagte im Gespräch mit ihrer älteren Schwester (Katharina Gebauer) die Welt wegen ihre Gleichgültigkeit an. Dabei erzeugte sie bei jedem halbwegs sensiblen Menschen Betroffenheit und gelegentlich sogar Schmerz. Manche Einsichten sind nun einmal schmerzhaft. Aber Schmerz ist eine natürlich Einrichtung, um zu signalisieren, dass hier eine Krankheit wuchert. Noch gibt es eine Medizin.

 
Wolf Banitzki

 

 


Stoning Mary

von Debbie Tucker Green

Ulrike Arnold, Beatrix Doderer, Katharina Gebauer, Lisa Wagner, Peter Albers, Ulrich Beseler, Stefan Wilkening und Lukas Eichhammer/Dennis Schendel

Regie Hans-Ulrich Becker

Theater im Marstall pool (no water) von Mark Ravenhill


 

 

Die Kunst ist tot, es lebe die Kunst

Es jauchzt und kreischt hinter der Bühne des Marstalls. Man wähnt sich zunächst eher auf einem Kindergeburtstag als auf der enthemmten Poolparty einer Kunst schaffenden In-crowd, was angesichts der Textvorlage zu erwarten wäre. Gegeben wird das neueste Stück des englischen Enfant-terribles Mark Ravenhill. Titel: "pool (no water), Untertitel: "Ein Text für Performer". Regisseur Florian Boesch nimmt sich letzteres zu Herzen und lässt seine Schauspieler performen bis die Bühne aussieht wie zu besten Action painting-Tagen. Eine kluge Entscheidung, soviel vorweg.

Zunächst einmal wird die bis auf ein überdimensionales Paket mit Riesenschleife leere Bühne von einer hervorragend gelaunten, brüllfreudigen Truppe energiegeladener Nachwuchsschauspieler im Kleinformat gestürmt. In ihrem Schlepptau finden mehrere Plastikgartenstühle und ein stromlinienförmiger Buggy ihren Weg aufs Spiel- bzw. Schlachtfeld. Dann entfaltet der eigentliche Protagonist des Abends mit Hilfe ferngesteuerter Druckluft seine blutrote Pracht: Der Pooooool. Bei Stefan Hageneier (Bühne, Kostüme) wird er zum handelsüblichen Kinderplanschbecken in Knallfarbe und drin ist, wie sich das gehört, "no water", dafür aber umso mehr rote Farbe. Sie wird sich später aus der luftentleerten Gummihülle auf den schwarze Bühnenboden ergießen - viel Platz für kunsttherapeutische Selbstfindungs-Sauereien, an denen bereits Yves Klein seine helle Freude hatte (er hätte wohl allerdings eine andere Farbe gewählt).

Nach dieser Eingangsszene stürmen die zumindest äußerlich erwachsenen (Lebens)Künstler, angetan mit an "Frühstück bei Tiffany's" erinnernde Tiermasken, die Szene. Man möchte Stefan Hageneier danken für ihre Aufmachung: Sophie von Kessel besticht durch lila Kurzfummel und Glitzerleggins, Michael von Au mit schwarzem Rüschenhemd und Mörderpony, Ulrike Willenbacher wirkt wie ein Kakadu auf dem Punktrip und Michael Tregor ist mit Hut, offenen Chucks und Ringelschal einfach nur cool. Express yourself.
 
 

 
 

Michael Tregor, Sophie von Kessel

© Thomas Dashuber

 

 

(Nach)Erzählt wird reihum und im wahrsten Sinne des Wortes die Geschichte einer verschworenen Gruppe von Freunden, die sich noch aus den guten alten Tagen auf der Kunstakademie kennen und nun der Freundin einen Besuch abstatten, die als einzige Erfolg mit ihren Werken hat. Anlass genug für brodelnden Hass und Eifersucht, die zunächst unter einem Deckmantel aus Dauergrinsen und schönen Worten verborgen werden. Jedoch nur so lange, bis die Gastgeberin bei einem Sprung in ihren unglücklicherweise wasserlosen Pool zur entstellten, im Koma liegenden Krankenhausinsassin wird. Die namenlosen, sich nach Erfolg und künstlerischer Anerkennung verzehrenden "Freunde" sehen im Unglück der Konkurrentin ausgleichende Gerechtigkeit und die Möglichkeit, den Traum vom gemeinsamen Durchbruch auf dem Kunstmarkt wahr werden zu lassen. So wird die komatöse Künstlerin unfreiwillig zum Material für ihr kommendes Werk. Orlan lässt grüßen. Eine Bildserie der Verunglückten, sorgfältigst inszeniert und arrangiert, entsteht. Dumm nur, dass das Opfer nach seiner unerhofften "Auferstehung" diese für sich reklamiert und somit jegliche Ambitionen der Gruppe zunichte macht. Ihres Lebensinhalts und der einzigen Hoffnung auf künstlerische Unsterblichkeit beraubt bleibt der Kommune nur noch die Auslöschung von Bild und "Original", um der Schmach ihres erneuten Erfolgs zu entgehen.

In altbekannter Ravenhill-Manier (die kongeniale Übersetzung lieferte John Birke) sind die Sätze kurz, oft fragmentarisch. Eine eindeutige Zuordnung von Text und Figuren macht Florian Boesch zudem durch andauernde Überlagerungen und Verschiebungen unmöglich, was ihm und den Schauspielern hervorragend gelingt und Langeweile vermeidet.

Fazit: Eine in ihrer Optik bestechende Inszenierung mit hervorragenden Schauspielern, die anregt, einmal über die nicht nur in Kunstkreisen zunehmende Inszenierung und Ästhetisierung aller Lebensbereiche nachzudenken. Man braucht nicht viel, um gutes Theater zu machen.

 
Tina Meß

 

 


pool (no water)

von Mark Ravenhill

Sophie von Kessel, Ulrike Willenbacher, Michael von Au, Michael Tregor

Regie Florian Boesch

Theater im Marstall Endspiel von Samuel Beckett


 

 

Die tolldreisten Streiche der Sarah Schley

Im Jahr 1953 schrieb der irische Dichter Samuel Beckett: "Ich kann weder vor noch zurück." Gut zwei Jahre dauert dieser literarische Findungsprozess und am Ende standen zwei Werke, die Beckett seine liebsten nannte: "Der Namenlose" und "Endspiel". Der Dichter hatte eine Metamorphose durchlaufen. Er war vom intuitiver Schreiber, seinem Werk und der Entstehung ausgelieferten, zum kalkulierenden Dichter avancierte. Der Entstehungsprozess von "Endspiel" durchlief drei Fassungen, in denen das Werk außerordentliche Wandlungen erlebte. Am Ende war es ein dramatischer Text, der wie kein anderer zuvor so exakt durchgearbeitet war. Nichts, aber auch gar nichts in diesem Text ist zufällig, alles ist gewollt. Und kaum ein dramatischer Text Becketts kann so intensiv wirken wie dieser, wenn er denn auch gespielt wird, wie Beckett wollte, dass er gespielt wird.

Schauen wir nach München: "Nicht unschuldig auch der Regisseur Beckett, dessen gut dokumentierte Berliner Inszenierungen der eigenen Werke in ihrem Bemühen um größtmögliche Präzision wohl eher zu Monumenten (und leider zu Modellen) erstarrt sind. Es ist Zeit, den heiligen Beckett von dem Sockel zu nehmen, auf dem er nie gut stand." Kein geringer Anspruch, den Dramaturg Georg Holzer im Faltblatt zur Inszenierung artikuliert. Zudem, wenn man seine Meinung nicht teilt, dass Beckett ein Säulenheiliger sei. Es haben Heerscharen von Regisseuren in ihrem Bemühen, Beckett einer letzten Erklärung zu unterziehen, hinlänglich versagt. Die Inszenierungsgeschichte Beckettscher Stücke ist eine Geschichte von Theaterdesastern. Beckett ein heiliges Vorzeichen zu verliehen geschieht vornehmlich durch die Zeitgenossen, die nie eine Zeile von ihm gelesen haben, es aber schick finden, seinen Namen im Munde zu führen.
 
   
 

Claus Eberth, Matthias Eberth

© Thomas Dashuber

 

 

Was beabsichtigte nun die Münchner Inszenierung im Marstall? Holzer formulierte es so: "Also gilt es, Becketts Clowns wieder zu entdecken, die Figuren, die nicht Nihilismus und Pessimismus vorführen, sondern gerade das Gegenteil: dass der Mensch zum Nihilismus unfähig ist und sich noch in der aussichtslosesten Situation eine Hoffnung, ein Ziel und ein Spiel überlegt." Das versetzt in Erstaunen! Ist Beckett letztlich durch sich selbst noch missverstanden worden? Allein, wenn man sich Inszenierungen von Beckettscher Hand anschaut, beispielsweise "He Joe", findet man nicht ansatzweise einen vom Schauspieler propagierten Nihilismus und das war auch nie Becketts Anliegen, einen solchen zu befördern. Vielleicht vermag ein Satz aus "Der Namenlose" zu verdeutlichen, was augenscheinlich nicht verstanden wird: "(…) ich bedaure nur, geboren zu sein, Sterben ist eine so lange, mühselige Sache, fand ich immer." Es ging Beckett nie darum, Nihilismus oder Pessimismus zu verbreiten, sondern Realismus. Wie das Publikum seinen Realismus aufnimmt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Folglich kann das folgende Zitat von Raymond Federman eigentlich nur ein therapeutischer Ansatz sein, Beckett mit Beckett auszutreiben und den Zuschauer von vornherein vor Verwirrung zu schützen. "Becketts Lachen räumt auf mit dem letztgültigen Glauben ans Tragische als philosophische Wahrheit, die das letzte Wort zu allem behält. Wer über das letzte Wort lacht, sagt damit, dass es kein letztes Wort gibt. Das Wesentliche bei Beckett ist es, uns anzustiften, die tragische Sackgasse und die graue Erzählung von menschlichen Unglück einfach auszulachen." Warum Herr Holzer diesen Unsinn auch noch unter die Leute bringt, rührt vermutlich daher, dass er den Text von Federman ins Deutsche übersetzt hat.

Das war aber längst nicht der tolldreisteste Streich, den man Beckett und Publikum hier spielte. Allerdings ist es schwer, den Verantwortlichen dafür auszumachen. Ist es die 1973 geborene Regisseurin Sarah Schley, die sich ganz augenscheinlich durch Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit diesem Text gegenüber auszeichnet? Oder doch Dramaturg Georg Holzer, der sich hier anschickte, Beckett völlig neu zu erfinden. Immerhin versagte man gemeinschaftlich, wenn man meinte: "Ihr (gemeint sind die Akteure des Stückes. - Anm. W.B.) ständiges Scheitern hält sie frisch. Sie sind zum Spielen aufgelegt, spielsüchtig. Vier Menschen auf einem Bild, das ein Verrückter (Samuel Beckett?- Anm. W.B.) gemalt hat."

Um einmal richtig zu stellen, dass es sich bei Endspiel (Fin De Partie) nicht um ein Spiel handelt, folgende Antwort Becketts auf die Frage, es solle doch vermutlich "Ende des Spiels" heißen? Beckett: " Nein! Es heißt Endgame - Endspiel, wie beim Schach." Was für ein Spiel hatte Sarah Schley vor Augen, als sie sich von Stefan Hageneier ein Bühnenbild gestalten ließ, dass ein Tennisplatz oder eine überdimensionale Ping-Pong-Platte vorstellen könnte? Immerhin, schön anzuschauen war es, wenngleich der Sinn verborgen blieb. Nein, hier geht es nicht um ein Spiel, sondern um eine dramaturgische (und auch philosophische) Konstellation, die Beckett einem Buch von (Co-) Autor Marcel Duchamp entnommen hatte. Duchamp, dessen Leben und Werk sich unter der Metapher Schach zusammenfassen ließe, schrieb dazu: "Schach ist ein Sport. Ein mörderischer Sport (…) der in den gegebenen geometrischen Mustern und Variationen des jeweiligen Figurenaufbaus künstlerische Konnotationen ebenso impliziert wie im Gespür für taktisch-strategische und stellungsbedingte Querverbindungen. Aber es hat etwas Trauriges - ungefähr so wie religiöse Kunst - das Schachspiel ist nicht sonderlich lustig. Wenn es etwas ist, dann Kampf."

Um es noch einmal mit Nachdruck zu formulieren, "Endspiel" hat eine innere Struktur, in die man nicht eingreifen kann, ohne zu zerstören. Daher ist es notwendig, die Struktur zu ergründen, um sie interpretieren zu können. Beckett sah darin nichts kompliziertes: "Hamm ist ein König dieser von vornherein verlorenen Schachpartie. Er weiß von Anfang an, daß er durchsichtige, unsinnige Züge macht. Daß er mit solchen Patzern keinerlei Fortschritte macht. Jetzt am Schluß macht er ein paar unsinnige Züge, wie sie nur ein schlechter Spieler machen würde. Ein guter hätte längst aufgegeben. Er versucht nur, das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Jede seiner Gesten ist einer der letzten unnützen Züge, die das Ende hinausschieben. Er ist ein schlechter Spieler." Hier schließt sich denn auch der Kreis zum Namenlosen: "Sterben ist eine so lange, mühselige Sache …" Und genau darum geht es, wenn es im Stück heißt, etwas geht seinen Gang.

Sarah Schley lässt Claus Eberth und Matthias Eberth spielen, als hätte das Drama eine Geschichte, als steuere es auf irgendeinen Punkt hin. Am Ende ist kein Ziel, sondern das Nichts, das, was den Menschen von jeher am meisten schreckt. Unübersehbar das krampfhafte Bemühen, Leichtigkeit zu erzeugen, um die "Geschichte" erträglicher zu machen. Unter dem Strich wurde so ziemlich alles unterdrückt, was Wirkung erzeugt hätte, wenn es um den Fortgang der Geschichte, nämlich um das Sterben im Leben geht. Dabei ist das Stück komisch. Es ist aber nicht die Komik, die wir aus den Comedy-Shows kennen, wo immer auf Kosten einer anderen Person gelacht wird. Hier wird das Versagen am Sterben lächerlich, das Äußerste, auf das Beckett verwies, wenn es ums Lachen geht. Und das Äußerste beschreibt das, was am weitesten entfernt scheint und dabei in uns ist, nämlich der Tod. Es ist schon komisch, wenn ein Blinder seine Blindenbrille putzt. Das wären die Momente gewesen, in denen man das Anliegen Becketts deutlich hätte machen können. So wurde nur das Bemühen der Regisseurin, einen "hippen" Beckett zu machen deutlich, der oberflächlich, glatt, schick und designed daher kam. Neu war das nicht und lustig schon gar nicht. Vielleicht sollte die ja noch junge Regisseurin (Sie hat ja noch viel Zeit bis zum Nichts.) noch etwas reifen und sich gründlicher mit den Vorlagen und deren Vergangenheit auseinandersetzen. Dann würden uns derartige tolldreiste Streiche erspart bleiben.
 
 
Wolf Banitzki

 

 


Endspiel

von Samuel Beckett

Claus Eberth, Matthias Eberth

Regie: Sarah Schley

Theater im Marstall Genannt Gospodin von Philipp Löhle


 

 

Nett. Wirklich nett.

1 Küberl Anti. 1 Küberl Konsum mit Einkaufsliste. 1 Küberl Psyche einer Mutter. 1 Küberl Beziehungsstress. 1 Küberl Krimi. 1 Küberl voll Lacher. Gemischt, gerührt und fertig ist der Sandkuchen. Gospodin hat als Junge in der Schultasche Sand in sein Zimmer geschmuggelt, um wie alle anderen Kinder der Umgebung seinen eigenen Sandkasten zu haben. Jetzt möchte er nur noch "außerhalb jeder Arbeitsmühle, angenehm antikapitalistisch überleben." Doch man lässt ihn nicht.

Phillip Löhle ist Jahrgang 1978. Der Autor hat sein Handwerk gelernt. Fraglos. Er wählte einen epischen Ansatz, bringt die Geschichte voran, indem er Dialoge und Prosapassagen einander abwechseln lässt, ohne jedoch das Ende offen zu lassen. Das ist eine Seite. Doch wer keine eigenen Inhalte, keine persönliche Erlebniswelt oder gar Haltung hat, der gibt Versatzstücke wieder. Das ist ebenso chic, wie mit ideologischen Bruchstücken zu arbeiten: Den "Kapitalismus an den Eiern packen" oder vielmehr ein wenig "kraulen", was in diesem Fall treffender wäre, und den Kommunismus auf den Namen "Gospodin" und eine religiös angehauchte Vorstellungen von Selbstverwirklichung zu reduzieren, schafft vermutlich Spaß. Und heute ist komisch oder wird komödiantisch genannt, was ein bisserl Slapstickanstrich hat. Schöne seichte Welt.

Inszenierung und Bühnenbild (Franziska Bornkamm) bedienten dazu gängige Vorstellungen mit tradierten Mitteln. Der Brecht'sche Ansatz, "auf der Bühne befindet sich nur, was auch im Text vorkommt und bespielt wird", wurde durch gezogen und am Ende stand Gospodin im leeren Raum. Ein künstlerisch durchaus sinnfälliger Ansatz, wären da nicht die an die Wand projizierten Kinderbildchen und das Fangen spielen und das schrille Getue und der von der Decke hängende dekorative Trödel, die alles ins Läppische kippen ließen. Vielleicht ist die einzig bleibende Botschaft eine "naiv trotzige Weltverachtung". Wer weiß?
 
   
 

Shenja Lacher, Franziska Rieck

© Thomas Dashuber

 

 

Gospodin sieht zu, wie sein Leben (Stereoanlage um Fernseher um Kühlschrank) leerer wird und fühlt sich wirklich befreit, als denn "alles" von ihm genommen. Auf dem Weg dahin wird Gospodin, dargestellt von Shenja Lacher, von seinen Freunden begleitet. Die Darsteller Franziska Rieck und Marcus Calvin sprangen dazu in die verschiedenen Rollen. Der Einzige, der diese Rollen und Figuren wirklich gestaltete, war Marcus Calvin. Bei ihm war noch Differenzierung zu erkennen, wenn er von Andi zu Norbert oder Hajo sprang, und auch die Mutter kam durchaus glaubhaft. Franziska Rieck und Shenja Lacher verfügen offenbar nicht über genügend Einsichten und Erfahrung um Charakterfacetten, noch wurden in der Inszenierung solche deutlich heraus gearbeitet. Gospodin blieb der Junge, der sich Dogmen an die Wand malt und an den Worten festhielt. Auch Annette, Sylvia und die Kommissarin unterschieden sich nur geringfügig voneinander. Unterstellen wir dem Regisseur Jan Philipp Gloger dabei eine Absicht, so macht es im Gesamtkontext durchaus Sinn. Sichtbar wurde an Gospodin, der Einzelne ist nicht entwicklungsfähig und er verbraucht sich, bevor er seine Botschaft in die Welt bringen kann. Der Autor lässt die scheinbare persönliche Freiheit Gospodins dazu noch in größtmöglicher äußerer Unfreiheit enden. "Anti" wird damit schon im Ansatz erstickt.

Zöge man nun die sehr simple Schlussfolgerung, nach der "leicht im Gefängnis landet, wer das Mitmachen im Konsumzirkus verweigert", dann wird klar, warum das Stück den Förderpreis des Bundesverbandes der Deutschen Industrie erhielt. Also dieses "Gütesiegel" für Sich. Die Wirtschaftswunder-Generation hat sich ihre Enkel als Kinder erhalten ... Kleine und Großmütter werden ihre Freude an der Inszenierung haben.

 

C.M.Meier

 

 
 

Genannt Gospodin

von Philipp Löhle

Franziska Rieck, Marcus Calvin, Shenja Lacher

Regie: Jan Philipp Gloger

Theater im Marstall Heimarbeit von Franz-Xaver Kroetz


 

 

Was sich gehört …

Nach fast dreißig Jahren erlebte das erste Erfolgsstück von Franz Xaver Kroetz wieder eine Aufführung im für Kroetz "heimatlichen" Marstall. "'Heimarbeit' ist ein Zeitstück, das seine Zeit überdauert hat." So titelt Georg Holzer seine dramaturgischen Anmerkungen im Programmblatt, eine These vorerst, die die Inszenierung beweisen musste. Uraufgeführt wurde das Drama über eine kleine Familie aus dem Volk 1971 in den Münchner Kammerspielen. In dieser politisch wie auch ethisch-weltanschaulich brisanten Zeit hat das Stück seine Wirkung nicht verfehlt. Doch die Zeiten haben sich geändert. Da fragt es sich, ob diese Geschichte noch dieselbe Betroffenheit auslöst wie anno dazumal?

Martha und Willy sind ein exemplarisches Ehepaar. Sie leben in der Eigenheimidylle einhellig nebeneinander her, bis die Abläufe gestört werden. Willy verliert nach einer Saufeskapade und einem Mopedunfall seinen Arbeitsplatz. Fortan tütet er daheim Blumensamen ein. Während seines Krankenhausaufenthaltes nach dem Unfall lässt sich Ehefrau Martha von einem "Unbekannten" schwängern. Willy geht das "nix" an, "ist ja nicht sein Kind". Immerhin erinnert er sich, dass seine Mutter mittels einer Stricknadel mehrere Kinder abtrieb. Dies war nur ein Ratschlag, entschuldigt er sich später. Die Abtreibung misslingt und das Kind kommt geschädigt zur Welt. Als Martha Willy verlässt, weil der sie permanent demütigt, geschieht, was der Zuschauer leicht errät. Willy tötet das Kind. Die Tat bleibt folgenlos und Martha, denn das, "was sich nicht gehört", ist aus dem Haus, kehrt heim und nimmt ihre Putzarbeit wieder auf. Der Rest ist grüner Rasen und Sonnenschein.
 
   
 

Peter Albers, Beatrix Doderer, Grit Paulussen

© Thomas Dashuber

 
 
Ann Poppel schuf ein Bühnenbild aus einem biederen, vom rechten Winkel dominierten Garten und einen Stahlprofilkubus, gut einsehbar, der das Hausinnere absteckte. Überflüssiger Weise findet sich auch noch ein Gartenzwerg, mit dem die Ausstatterin ihren eigenen metaphorischen Entwurf leider etwas entwertet. Zentrum dieser Wohnstatt war die Badewanne, Ort des Kindsmordes und Synonym für die penible äußerliche Reinlichkeit. Im Hintergrund der Arbeitsplatz des Heimarbeiters Willy. Eigentlich "gehört es sich", dass der Mann zur Arbeit das Haus verlässt. An diesem vermeintlichen Missstand macht die Dramaturgie des Stückes fest. Es ist nicht, wie es sein sollte, "was sich gehört"…

Peter Albers Willy strotzte vor Stupidität. Scheinbar gefühllos nahm er die Abläufe hin, immer wieder unterbrochen von der Rückkehr zu seiner "Heimarbeit". Das Abfüllen der Tüten glich dem Ticken einer unaufhaltsamen Uhr. Es war der Rhythmus der Unentrinnbarkeit. Nebenher das ebenso monotone, von unendlichen Widerholungen geprägte Treiben Marthas. Das restliche Leben war zwischen Abwaschen und Essen angesiedelt. Beatrix Doderer verlieh der Figur einen tiefen Fatalismus, gelegentlich aufgebrochen von schlaglichthaftem Lächeln, das verriet, dass sie irgendwann mal mehr vom Leben erwartet hatte. Beide Akteure agierten mit höchster Sensibilität und Konzentration. Den Raum dafür schuf die Regie Veit Güssows, der langsam spielen ließ, quälend langsam. So war die scheinbar unerschütterliche Mimik beider immer wieder durchsetzt von Regungen, die die Unmenschlichkeit, die Hoffnungs- und Ausweglosigkeit der Situation zu Tage treten ließen. Abgerundet wurde das Ensemblespiel durch Grit Paulussen, die die Rolle der Tochter Monika überzeugend mädchenhaft naiv spielte. Ihr Ausdruck spiegelte ein Kind, das ganz das Produkt dieser Ödnis war.

Dramaturgisches Anliegen der Inszenierung war es, durch die Kargheit der Sprache, durch das Nichtaussprechen der Gefühle, Vorgänge, die geschehen waren, ungeschehen zu machen. Worüber man nicht redet, das ist auch nicht geschehen. Die Zeitlosigkeit, auf die Dramaturg Holzer verwies, bestand im Gegenentwurf zur heutigen Mediengesellschaft, die derartige Vorgänge medial-analytisch tot quatscht, ohne sich dem Kern der Sache zu nähern. Kindermord als mediales Ereignis ist spartentauglich geworden, weil alltäglich. Der Schauer des Unbegreiflichen ist zum Tagesgeschäft geworden. (Laut Statistik werden ca. 300 Kinder jährlich in Deutschland getötet. Angaben ohne Dunkelziffer.)

Es macht per se Kroetz nicht tugendhafter, wenn Holzer ihn in die Nähe von Brecht zu rücken versucht, in dem er sinngemäß formuliert, auch Kroetz weiß es nicht besser und so erzählt er die Geschichte nur, wie sie geschehen ist. Der Zuschauer möge für sich entscheiden, ob es einen Ausweg daraus gibt. Fragt sich, wie der Zuschauer das können soll? Nicht einmal ansatzweise kann das gelingen, denn, und hier unterscheiden sich Kroetz, Dramaturg Holzer und Regisseur Veit Güssow deutlich von Brecht, dessen Stücke vorsätzlich gesellschaftskritisch sind. Diese Dimension erlangt die Inszenierung im Marstall nicht.

Der Kick, den ein Kindsmord in den Medien heutzutage auslöst, dieses erschütterte Innehalten: Wie kann das nur sein!, muss angesichts des Abstumpfungsgrades ausbleiben. Unser Voyerismus und der der Medien jongliert längst mit schwerer Kost. Also bleibt er aus, was auch gut ist. So bleibt der Zuschauer wenigstens bei Bewusstsein. Allerdings hat er sich mit einigen Längen herumzuplagen, die aus der "Slow-Motion" des Fortgangs der Geschichte resultieren. Die Zeiten haben sich geändert und die Sehgewohnheiten auch. Veit Güssow inszenierte das Stück, wie bereits angedeutet, wie einen Ragtime. E.L. Doctorow begann seinen gleichnamigen Roman mit dem Satz: "Einen Ragtime musst du langsam spielen, ganz langsam spielen." Dem Regisseur gebührt Dank dafür. Vielleicht trat er damit ja für einen neuen alten Trend ein und entdeckte die Langsamkeit für das Theater wieder, eine Langsamkeit, die uns unsere Sensibilität wieder gibt und die nur allzu menschlich ist.
 
 
Wolf Banitzki

 

 


Heimarbeit

von Franz-Xaver Kroetz

Beatrix Doderer, Peter Albers und Grit Paulussen


Regie: Veit Güssow