Metropol Theater Das Opfer nach einem Film von Andrej Tarkowskij


 

 

Als wäre es nur ein schlechter Traum

Der russische Filmemacher Andrej Tarkowskij vermochte, so deutlich wie kaum ein anderer, herauszustellen wie weitgehend der Mensch Schöpfer seiner eigenen Welt ist. Im Angesicht seines bevorstehenden Todes, er litt an Krebs, setzte er sich in seinem letzten Film mit dem Motiv "dem Leben entsagen", dem Tod auseinander. Dazu schuf er, in der Tradition der russischen Literaten, einen von der Außenwelt weitgehend isolierten Familienkosmos

Der Schauspieler Alexander feiert seinen 60. Geburtstag. Die Familie und Gäste sind gekommen, um zu gratulieren, miteinander zu feiern. Er resümiert über das Leben, und doch spricht er eigentlich nur für sich selbst. Die anderen gehen, kommen zurück, je nach eigenen Intentionen. Julia, die Tochter, das Kindermädchen, Adelaide, seine im Spiel ihrer Psyche verfangene Frau, und Viktor, der junge Arzt, der sein Glück in Geld und Macht sucht und die Leitung einer Klinik in Australien übernehmen wird. Nur Otto, der Postbeamte und Überbringer eines Glückwunschtelegramms bleibt und hört zu. Otto hat sich, wie Alexander, aus der Gesellschaft zurückgezogen und sammelt nun Geschichten, weitgreifende Geschichten, die auch Zeit und Raum überwinden. Im Angesicht einer atomaren Katastrophe bietet Alexander Gott an, alles zu opfern was ihm bislang lieb war. Gott nimmt das Ritual an. Am Ende sonnte man sich auf der Terrasse, bis auf Alexander, der entsagt hatte.
 
   
 

Dascha Poisel, Wolfgang Rommerskirchen, Wolfgang M. Jörg, Ina Mehling, Felix Kuhn, Katharina Haindl, Lilly Forgách

© Hilda Lobinger

 

 

Tarkowskijs Geschichte und vor allem seine Darstellung lassen eine solche Vielzahl von Interpretationen zu, dass noch Generationen von Philosophen und Psychologen sich daran versuchen werden. Die Inszenierung stützt sich auf die Ausführungen von Marius Schmatlock in "Andrej Tarkowskijs Filme in philosophischer Betrachtung", in der die Wirklichkeit eine selbstgenerierte illusionären Traumwelt und folglich die menschliche Existenz einem beunruhigenden Traum gleichgesetzt wird. Regisseurin Lea-Marie Hauptvogel befördert diese Aussage durch eine schemenhafte Inszenierung, die nicht Position bezog, sondern fiktive Realität und Traum gleichermaßen bediente und dies am Ende klar auf die Leinwand projizierte. Als letzter Eindruck blieb der Blick auf ein bis auf wenige Pixel vergrößertes Bild der Natur - ein Detail. Die in ihren Ritualen verhafteten Figuren traten deutlich dahinter zurück.

Im Ritual jedoch, dem schematisierten feierlichen Vorgehen, fanden sich die Figuren, entwickelten sie ihre gleichbleibenden Berührungspunkte - Alexander, im Vortrag und der Reflexion, Maria im Falten der Wäsche, Viktor beim Ansetzen der Injektion. Otto knüpft Verbindungsfäden und so "erlöst" eine Handlung Alexander aus seinem bisherigen Kreislauf. Die Begegnung mit der uneitlen Maria erlaubt ihm den endgültigen Rückzug auf sich selbst, was rein realistisch betrachtet nicht verwundert, da jedes Gegenüber den anderen beeinflusst, prägt. Nur Gott wirft keinen Schatten, deshalb eignet er sich ja auch so hervorragend zur Projektion, besonders der von Angst. Den Hintergrund der Bühne ( Judith Hepting/Lea-Marie Hauptvogel) bildete eine große Wand, Projektionsfläche, die den Blick auf unberührte weite Natur frei gab, die sinnbildlich für Gott in der Welt steht. Die jedoch im entscheidenden Augenblick völlig leer, weiß, formlos wurde, das Synonym für unschuldig einfach, das unbeschriebene Blatt eben. Die Darsteller blieben in ihrem Spiel auch weitgehend sich selbst überlassen, was es schwer macht einzelne hervorzuheben, sie bildeten jedoch ein homogenes Ensemble.

Es war eine unscharfe Inszenierung in der die Figuren wie laue Wortmarionetten anmuteten. Doch sie spiegelten die Menschen der modernen ritualisierten Gesellschaft deutlich wieder, da ihnen Kern und das wirklich Verbindende fehlte. Es ist die einigende Kraft, sich als gemeinsame Schöpfer ihrer Welt und der selbstgemachten Katastrophen zu begreifen. Diese Kraft wird schon aus reiner Gewohnheit Gott zugeschrieben und damit delegiert. Beten und opfern hilft immer ... "Man könnte auch jeden Morgen pünktlich um 7 Uhr aufstehen, ins Bad gehen, ein Glas mit Wasser füllen und dieses dann in die Toilette gießen."

 
C.M.Meier

 

 

 


Das Opfer

nach einem Film von Andrej Tarkowskij

Wolfgang Rommerskirchen, Wolfgang M. Jörg, Ina Mehling, Felix Kuhn, Katharina Haindl, Lilly Forgách, Dascha Poisel

Regie: Lea-Marie Hauptvogel

Metropol Theater Bash von Neil LaBute


 

 

Die Mörder sind unter uns

"Drei Geschichten über den alltäglichen Wahnsinn; drei Geschichten, über das Töten." Mit diesem Satz bewirbt das Metropol Theater in München die aktuelle Produktion "Bash". Der Zuschauer erlebte auf der Bühne des atmosphärischen Lichtspieltheaters im 60er Jahre Interieur die Beichten zweier Einzelpersonen und einem Paar. Im ersten der drei Einakter erfährt der Theatergänger, wie ein Angestellter (Martin Dudeck) Opfer eines Kollegenwitzes und zum Mörder am eigenen Kind wird. Im zweiten Teil erzählt ein junges Paar (Philipp Moschitz und Lea Kohns) von einer Party, veranstaltet von der heimischen Kirche, die gleichsam ihr sechsjähriges Beisammensein zäsiert. Nach der Party tötet der junge Mann gemeinsam mit gleichaltrigen Freunden einen Homosexuellen in einer Toilette im New Yorker Central Park. Die dritte Geschichte handelt von einem Mädchen (Judith Toth), dass 13-jährig von ihrem Lehrer verführt und geschwängert wird und die vierzehn Jahre später den gemeinsamen Sohn in der Badewanne tötet.

Drei Geschichten über den alltäglichen Wahnsinn? Nein, denn wäre es so, hätte sich der Erfolgsautor Neil LaBute kaum die Mühe gemacht, diese Geschichten niederzuschreiben. Neil LaBute erntete viel Lob von Kritikern für seine beunruhigenden Darstellungen menschlicher Beziehungen. "Neil LaBute ist der Gegenwartsdramatiker überhaupt", lobhudelte Detlev Baur in der Deutschen Bühne (3/03). Bei derartigen Superlativen ist Vorsicht geboten. Unbestritten ist allerdings, dass der 1963 in Spokane geborene Autor ein großer Verunsicherungsfaktor in der amerikanischen Kultur ist. Und Amerika, wie auch jedes andere hochzivilisierte Land der westlichen Welt braucht einen solchen Quertreiber. LaBute ist ein handwerklicher Meister, geschult an vielen Film- und Theaterprojekten. Er weiß, wie er einen wirkungsvollen Dialog und auch Monolog gestalten muss. Doch der Meister gibt es viele, hervorgegangen aus den Kreativschmieden des Subkulturbetriebs. Bei LaBute sind es vielmehr die Themen und Inhalte, die ihn als guten Autor qualifizieren. Er hat nie versucht, sich beim Kunstestablishment anzubiedern. Viele seiner Inszenierungen wurden nach kürzester Zeit wieder abgesetzt, - wegen seiner Inhalte.
 
 

 
 

Judith Toth

© Hilda Lobinger

 

 

Der Autor nennt seine Dramen "Stücke der letzten Tage", was impliziert, dass er die Hochzivilisation in einem apokalyptischen Zustand sieht. Seine Beweisführung zu dieser These ist bestechend. Insbesondere im ersten der drei Dramen wird deutlich, dass die "beste aller Welten" einen eklatanten Werteverlust erlittenen hat. Eine Kindstötung hilft (möglicherweise), den Arbeitsplatz und die errungenen Güter zu erhalten. "Ich komme damit schon klar", meint der Kindsmörder und er behält Recht, denn diese Tat bleibt ungesühnt. Martin Dudeck saß während des gesamten Stückes fast reglos auf einem Stuhl und erzählte seine Geschichte, als berichtete er von einem misslungenen Urlaub. Es ist Theater der anderen Art. Es fand kaum körperliche Expression statt. Der Tonfall war der eines Gespräches in einer belebten Bar nach einigen Drinks. Der Redner war mehr oder weniger bemüht, dass niemand außer dem gegenüber, hier das Publikum, daran teilhaben sollte. Er erleichterte sich, doch war es kaum mehr als der Gang auf die Toilette. Am Ende, er ist ein Geschäftsmann auf Reisen, verschwand er wieder in die Anonymität der Massengesellschaft. "Ich komme damit schon klar …" Und warum auch nicht, hat er doch in der Nacht nach der Tat seinen Sohn gezeugt, einen fabelhaften Jungen.

In der zweiten Geschichte gestaltete Philipp Moschitz einen dynamischen und eloquenten jungen Mann mit Collegeabschluss, der seine Freundin, die er zu ehelichen gedachte, auf eine Party nach New York ausführte. Während Sie, sehr schön anzuschauen Lea Kohns, über die Abendkleider und den Taumel des Besonderen resümierte, erzählte Er vom gemeinschaftlichen Mord an einem Schwulen. LaBute entlarvt hier die bigotte Denkungsart moderner Religiosität. Der junge Mann kennt die Schriften der christlichen Religion und weiß daher, dass Homosexualität etwas "Abartiges", besser, Verbotenes ist. Der Plot der Geschichte wird allerdings in den Nebensätzen deutlich: Mord schafft Gemeinschaft. Nach der begangenen Tat wird er vom Freund zum Abschied umarmt. Das hatte der bisher noch nie getan …

Judith Toth brillierte im letzten Akt der Untergangstrilogie als eine verratene und gedemütigte Frau, deren Glaube an Liebe und Versprechung derart erschüttert war, dass Sie den eigenen Sohn tötete. Diese moderne Medeaversion verfehlt ihre Wirkung nicht. Mit höchster Intensität zeigte die Darstellerin eine Entwicklung zur Kindsmörderin auf, der schwer zu widersprechen ist. Judith Toth schuf Gänsehaut, ein Schaudern des Entsetzens vor der Unentrinnbarkeit aus der Biografie dieses betrogenen Mädchens.

Für alle drei Einakter zeichneten drei Regisseure verantwortlich: Mario Andersen, Ulrike Arnold und Thomas Flach. Letzterer gestaltete zudem das Bühnenbild, bestehend aus zwei großen Wänden, die die Spielfläche auf ein Dreieck reduzierten. Dem Zuschauer wurde die Tatsache, dass hier drei Spielleiter agiert hatten, kaum bewusst, denn konzeptionell liefen alle Stücke absolut gleich ab. Ein oder zwei Menschen saßen auf einem bzw. zwei Stühlen und erzählten. Es wurde nicht gespielt, wie man es im herkömmlichen Sinne kennt; es wurde nur gesprochen. Dennoch war es ein überaus spannender Abend, denn hier zeigte sich einmal mehr, was gute Schauspieler, und dieses Lob gebührt allen Beteiligten gleichermaßen, ohne großes körperliches Zutun suggerieren können.

"Drei Geschichten über den alltäglichen Wahnsinn?" Nein. LaBute zeigt mit seinem Text das menschenverachtende Element der bürgerlichen Gesellschaft auf, ein Element, das immanent ist und nicht eine krankhafte Entartung. Die Regisseure und ihre Darsteller liehen dieser entlarvenden Beweisführung ihre eindrucksvollen Stimmen.

 
Wolf Banitzki

 

 


Bash

von Neil LaBute

Martin Dudeck, Philipp Moschitz, Lea Kohns, Judith Toth

Regie: Mario Andersen, Ulrike Arnold, Thomas Flach

Metropol Theater Manderlay von Lars v. Trier


 

 

Vom Scheitern der Philantrophie

Freiheit ist ein großes Wort. Freiheit ist aber auch eine große Sache. Und eigentlich gibt es sie gar nicht. Tatsächlich schenkte uns die Philosophie über Jahrtausende eine Vielzahl von Erklärungsversuchen, was Freiheit denn eigentlich sei. Einig sind sich die Denker dabei nur in einem Punkt: Es gibt die von der Realität abstrahierte Vorstellung von Freiheit und die reale Freiheit. Wobei es letztere, wie bereits gesagt, nicht gibt, was erstere so bedeutsam macht, denn dieser Vorstellung hechelt der Mensch hinterher, seit er angefangen hat zu denken. Dabei gelingt es ihm immer wieder recht erfolgreich, die Wahrwerdung des Ideals zu verhindern.

Grace hat gerade so etwas wie Freiheit wiedererlangt, denn in Dogville, einem kleinen Ort am Fuße der Rocky Mountains, war sie zuletzt an ein Wagenrad geschmiedet, Sklavin jedes Bewohners und Lustobjekt beinahe jedes männlichen Wesens im Ort. Dogville hat teuer bezahlt für diesen Frevel. Einer nahm sich die Freiheit, den Ort und seine Bewohner auszulöschen: Der Vater von Grace, ein Gangsterboss. ‚Du bist arrogant, weil deine Ideen vom Menschen nichts mit dem Menschen gemein haben’, hatte der Vater sinngemäß erwidert, als Grace ihm, dem kriminellen Diktator, Arroganz vorgeworfen hatte. Auf dem Weg zu neuen Claims für die kriminellen Machenschaften kommt der Gangesterboss mit seinem Tross nach Alabama. Auf Manderlay soll ein Sklave ausgepeitscht werden. Man schreibt das Jahr 1933 und die Sklaverei ist laut Gesetz seit siebzig Jahren abgeschafft. Grace entschließt sich, auf Manderlay zu bleiben und der Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen. Sie schafft Verträge, Gesetze ab, und versucht sie durch Motivationen zu ersetzen. Am Ende ist sie es, die den Sklaven Timothy, dem sie sich zuvor hingegeben hat, auspeitscht.
 
   
 

Josephine Kohler

© Hilda Lobinger

 

 

Lars von Trier hat auch mit diesem zweiten Teil seiner Amerika-Trilogie mehr als nur die Nation USA in Frage gestellt; er attackierte die Moralvorstellungen der „modernen“ Welt, zu der auch wir uns zählen. Seine Logik ist verstörend und nicht zuletzt destruktiv, denn Antworten im Sinne von: Wie können wir es besser machen?, blieb er bisher schuldig. Immerhin, Begriffe wie Freiheit und Demokratie auf ihren tatsächlichen Wert zurück zu führen, ist eine unbestreitbare Leistung.

Bedrückend ist allerdings die Grundtendenz aller Filme von Lars von Trier, die dem Menschen letztendlich wohl die Fähigkeit zu einer menschlichen Gesellschaft im Sinne der großen Ideale abspricht. Darin unterscheidet er sich deutlich von Bertolt Brecht, dessen „Die Seeräuber Jenny oder Träume eines Küchenmädchens“ inspirative Quelle für „Dogville“ war. Bedrückend ist aber auch, mit welcher suggestiven Meisterschaft Lars von Trier sein Publikum in diesen Fatalismus führt. Aber sei es drum, denn dieser Fatalismus ist allemal weniger verlogen, als das Geschwätz der Politik, die den Bürgern die reale „freiheitlich-rechtliche“ Ordnung wider alle gefühlte Unfreiheit, als die beste aller möglichen verkaufen will.

Jochen Schölchs Inszenierung am Metropol Theater war, genau wie die filmische Vorlage, die unmittelbare Fortsetzung seiner Inszenierung von Dogville in der Spielzeit 2006/2007. Dem Besucher von „Manderlay“ begegnete das selbe Bühnenbild (Ausstattung: Christl Wein) und die gleiche Theaterästhetik, nämlich die des Epischen Theaters von Brecht. Verfremdet und damit deutlich sichtbarer wurden die Vorgänge durch das Spiel mit Masken (Maskenbau: Ninian Kinnier-Wilson). Brechts Anliegen war es, den Zuschauer durch die Entfremdung nicht suggestiv ins Spiel und damit auf die eine oder andere Seite zu zerren, sondern ihn bei sich selbst zu belassen, ihn nicht durch Emotionalität seiner Kritikfähigkeit zu berauben. In diesem Punkt ging Jochen Schölch über Lars von Trier hinaus, wofür ihm unbedingt Dank gezollt werden muss, denn er befähigte den Zuschauer damit, den emotionalen Vorgaben von Triers zu widersprechen.

Die Inszenierung war trickreich und kurzweilig. (Die filmische Vorlage „Manderlay“ weist gegenüber „Dogville“ einige Längen auf.) Das Spiel der Studenten der Bayerischen Theaterakademie geriet trotz Masken facettenreich und keineswegs formalistisch. „Manderlay“ war die gelungene und ebenso qualitativ hochwertige Fortsetzung von „Dogville“. Die Wiederaufnahme der ersten Inszenierung macht Sinn, denn der Zuschauer wird durch beide Stücke weltanschaulich und theaterästhetisch herausgefordert. Das ist, was Theater leisten kann und eigentlich auch sollte.

 
Wolf Banitzki

 

 


Manderlay

von Lars v. Trier

Peri Baumeister, Marius Borghoff, Claudia Carus, Nahuel Hafliger, Rudi Hindenburg, Josephine Kohler, Philipp Lind, Matthias Renger, Sophie Rogall, Lea Woitack
Harmonium: Friedrich Rauchbauer

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Terrorismus von Oleg und Wladimir Presnjakow


 
 
Der ganz normale ...

Der ganz normale Alltag ist es, den das Werk vor Augen führt. Eine rabenschwarze Komödie, heißt es über sie, die das Leben als einzigen Terror reflektiert. Das Aufzwingen von Willen oder Vorstellungen mittels Gewalt gilt längst als legitim, sei es in visueller, verbaler oder körperlicher Form. Die Anwendung von Gewalt bietet den letzten Lustgewinn in einer scheinbar völlig abgestumpften Gesellschaft.

Ein zunächst harmloser Seitensprung entwickelt Perversion bis zum letzten Kick. In einem Großraumbüro wird mit Spitzen und verbalen Bomben geworfen und in der Ruheoase des an potentiellen Abgründen interessierten Psychologen baumelt eine Frau am Stick. Auf dem Rollfeld des Flughafens stehen herrenlose Koffer und im Duschraum der Feuerwache wird einer der Männer Rührei genannt ... es geht sogar soweit, die inneren Widersprüche im Menschen als Terror in sich zu verbalisieren.

Die Autoren Oleg und Wladimir Presnjakow aus Jekaterinburg im Ural werden hoch gehandelt. Preise beim Moskauer Festival für junge Dramatik und auf dem Heidelberger Stückemarkt, sowie Inszenierungen europaweit pflastern ihren Werdegang. Ihre Stücke gelten als subtile Gesellschaftskritik und spiegeln soziale und mentale Verfassungen in der globalen Gesellschaft wieder. Der Blick der Autoren auf die Gesellschaft ist ein wissenschaftlich scharf kalt klarer. Die Figuren sind nicht mehr ortsbezogen determiniert, sondern universale Schemen, wie sie mittlerweile allerorts zu finden sind, bar jeder Originalität. Ihr Werk "Terrorismus" ist ein Konstrukt aus Alltagsszenen, die durch einen dünnen Geschichtsfaden verbunden sind und in dem der Text sich weitestgehend auf die Entblößung kleiner menschlicher Unzulänglichkeiten beschränkt, um an ihnen Absurdität fest zu machen.
 
   
 

Christiane Blumhoff, Lilly Forgách, Dascha Poisel, Felix Kuhn, Christian Baumann

© Hilda Lobinger

 

Die Inszenierung von "Terrorismus" am Metropol Theater von Jochen Schölch ging leider nicht so weit, dem Bühnengeschehen doch noch einen Rest umfassende Menschlichkeit einzuhauchen. Die Figuren blieben Figuren, als sie vor den von Thomas Flach (Bühne) sinnfällig installierten Jalousiewänden agierten. Die darstellerische Leistung des Ensembles war gleichmäßig und durchweg gut, womit eine Hervorhebung einer Zurücksetzung entspräche. Regisseur Schölch griff wieder einmal mehr in seine Trickkiste und die Umgestaltung der Bühne war von Szene zu Szene immer wieder ein formal wohl durch choreografierter Akt. Aus den Koffern der Reisenden wurden Doppelbett, Schreibtische, Gartenbank und der Innenraum eines Flugzeuges gezaubert, am Ende waren diese wieder einfache Gepäckstücke.


Das Stück stellt zudem die Frage nach der Definition von Terror und Gewalt. Inwieweit werden Begriffe noch in ihrem ursprünglichen Sinn verwendet und inwieweit sind sie zur Phrase für alle möglichen Vorstellungen verkommen? Doch diese Frage ist müßig, denn seit längerem dienen diese Vorgänge, wie die meisten, der Vermarktung und Belustigung. Wenn alles Unterhaltung ist, ist nichts Unterhaltung. Wenn alles Terror ist, ist nichts Terror. Es ist Alltag, nichts ist Wahnsinn. Es ist Normalität, über die zu lachen die einzige noch mögliche befreiende Reaktion wäre. Eine schwarze Komödie? Ja, denn es stellte sich am Ende alles als ein Alptraum dar. Das Lachen blieb trotzdem sehr verhalten.


C.M.Meier

 

 


Terrorismus

von Oleg und Wladimir Presnjakow

Christian Baumann, Christiane Blumhoff, Martin Dudeck, Lilly Forgách, Felix Kuhn, Bernhard Letizky, Dascha Poisel, Thomas Meinhardt

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Die Ehrmanns


 

 
Im Herzen des deutschen Glücks

Es ist kaum zu glauben, dass es einen historischen Augenblick gab, in dem sich die Deutschen einig waren, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen, dass Bundeskanzler Ludwig Erhard, Vater des Wirtschaftswunders, von den Risiken einer neoliberalen Wirtschaft warnte, dass ein Lederball das deutsche Selbstbewusstsein (scheinbar) auf eine neue qualitative Stufe katapultierte, dass das Ignorieren der eigenen Vergangenheit so reibungslos funktionierte, …

Es ist kaum zu glauben, welche Lieder in dieser Zeit gesungen wurden, wie rasant deutsche Körperfülle expandierte und wie man bei all dem Schwachsinn den Augenschein von Glück erwecken konnte. Und doch, es ist wahr, es hat diese 50er gegeben. Friedrich Rauchbauer (Idee und Konzept) und Jochen Schölch (Szenische Einrichtung) ließen sie auferstehen, die Jahre des Aufbruchs in die deutsche Saturiertheit, die nie wieder überwunden wurde. Allein, die Wurzel sind vergessen. - Hoppla, mitnichten, wie man im Metropoltheater erleben konnte, denn neben der Fraktion derer, die mit ungläubigen Gesichtern auf die Szene starrten, gab es eine Fraktion derer, die erinnerungsselig mitschunkelten und auch -sangen. Diese Wirkung war doch höchst irritierend. Lag es nun in den Intentionen der Macher, eine Zeit auferstehen zu lassen oder mit dieser Zeit abzurechnen? Zugunsten des Theater sei unterstellt, sie taten ersteres, um das Zweite zu erreichen. Auf das fatale Ergebnis soll später noch einmal zurückgegriffen werden.
 
   
 

Lilly Forgách, Susanne von Medvey, Markus H. Eberhard, Philipp Moschitz, Henriette Schmidt

© Hilda Lobinger

 

 

Die Macher nannten es einen Liederabend. Friedrich Rauchbauer begleitete "stimmungsvoll" am Klavier. Gespielt wurde im beinahe gleichen Bühnenbild von "Frohes Fest" (Thomas Flach). Jochens Schölch arrangierte die wenigen Handlungsabläufe so, dass der Eindruck entstand, es handele sich um einen beliebigen Tag im Leben der Familie Ehrmann. So kam doch immerhin durchgängig vom Gesang begleitet eine Handlung zustande, wenn auch etwas brüchig. Nach einem gemeinsamen Frühstück träumt die Mutter Caterina Ehrmann (Susanne von Medvey) Staubsauger rollernd ihre schicklichen Sehnsüchte aus. Caterina Valente lieh ihr Text und Melodie. Tochter Cornelia (Henriette Schmidt) war verliebt, tat dies über eine Rundfunksendung kund und erhielt prompt von ihrem Peter eine Einladung zum Schulabschlussball. Mittags, Heinz Ehrmann (Markus H. Eberhard) kam zum Essen nach Hause, plante man den Urlaub. Kanada, Mexiko, Italien wurden vorgeschlagen, doch der Schwarzwald, Wohnsitz der Tante, war vom Vater bereits auserkoren. (Vielleicht Heideggers Schafe besuchen?) Man musste schließlich sparen. Dann fiel Tante Linda (Lilly Forgách), die Schwester Caterinas, ein und schuf einige Verwirrung. Da war ein Geschenk für den Hein-Simon (Philipp Moschitz), eine Platte von Jerry Lee Lewis. Für einen kurzen Moment riss der Mief unter den hämmernden Takten des Rock and Roll Pianisten auf. Vater Heinz reagierte, als wäre ihm der Teufel erschienen. Tante Linda, die den Duft der großen weiten Welt verbreitete, war angeödet und kompensierte dieses Gefühl trinkend. Dann landeten Kippen im Topf des Gummibaums. Die Reaktion war heftig und als Linda sich in den Topf des heiligen Grüns übergab, herrschte Ratlosigkeit. Man verabschiedete sie dezent und mit Nachdruck. Dann Tagesschau: Ströme von Flüchtlingen ergossen sich in die freie Welt. Adenauer beschwor eine wehrhafte Nation und Ludwig Erhard verstand es nicht, warum die Menschen so egoistisch sind. Am Ende gewann die Familie Ehrmann im Radio noch eine Weltreise. Der Jubel war unbeschreiblich und das Leben ist so schön … Die Tagesschau war letztlich der Beweis, dass es den Theatermachern nicht um eine Retro-Revue populärer Lieder ging.

"Wo gesungen wird, da lass dich nieder, böse Menschen kennen keine Lieder." Ob der Dichter eine Vorstellung hatte, was es für Lieder geben kann? Wohl kaum. Dabei leben die Künstler noch immer im Gedächtnis der Nation: Heinz Erhardt, Caterina Valente, Cornelia Froboess, Melina Mercouri. Sie waren die Helden der 50er, seicht, belanglos, einlullend … An dieser Stelle soll noch einmal auf die Tatsache zurück gegriffen werden, dass das Publikum gespalten war. Der eine Teil nahmen es pur, der andere konnten es kaum fassen. Könnte das nicht bedeuten, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Mitbürger offen ist für derartige "Künste"? Gemeint sind natürlich die Lieder, die Ästhetik der Zeit, die kaum zu beschreibende Spießigkeit im Sein und Denken. Der Verdacht liegt nahe.

So unauffällig die Sache daherkommt, es steckt viel Provokation dahinter. Die Darsteller brillierten, insbesondere Philipp Moschitz, der als Ex-Kinderstar erstaunliche Musikalität bewies. Markus H. Eberhard stach von der ersten Sekunde an als Heinz Erhardt ins Auge. Er kopierte den häufig am Rande der Albernheit agierenden Komödianten, ohne ihn zu denunzieren. Das besorgte die eigene Erinnerung. Susanne von Medvey und Henriette Schmidt gestalteten Mutter und Tochter schauspielerisch wie gesanglich souverän. Einzig Lilly Forgách als trinkende Tante konnte mit ihrer stimmlichen Gestaltung nicht immer überzeugen.

Die Meinungen über diese Inszenierung und deren Sinn werden vermutlich auseinander driften. Wenn gleich diese Produktion das Publikum nicht spalten wird, so wird die Geschichte doch polarisieren. Und damit dies auch geschieht, hier eine These: Diese Inszenierung leistet mehr Aufklärung zum Thema RAF (und warum sie entstand) als das an den Kammerspielen gegebene Stück "Ulrike Maria Stuart" von Elfriede Jelinek. Mein letzter Gedanke war identisch mit dem von Kurtz in "Herz der Finsternis" von Joseph Conrad: "Das Grauen! Das Grauen!" Wer ahnt, wovon hier die Rede ist, der sollte es sich anschauen. Es ist ein wahrlich gruseliges Kabinettstück.



Wolf Banitzki

 

 


Die Ehrmanns

Ein Liederabend über die goldenen Fünfziger Jahre

Idee und Konzept: Friedrich Rauchbauer

Markus H. Eberhard, Lilly Forgách, Susanne von Medvey, Philipp Moschitz, Henriette Schmidt
Klavier: Friedrich Rauchbauer

Szenische Einrichtung: Jochen Schölch