Residenz Theater Baumeister Solness von Henrik Ibsen
Letzter Flug eines ausgebrannten Künstlers
Baumeister Solness steht am Scheideweg. Ängste schütteln und lähmen ihn. Es ist die Jugend, die er fürchtet. Sein junger Mitarbeiter Ragnar strebt nach Emanzipation, will bauen, und Solness muss erkennen, dass der junge begabte Mann ihn ohne Zweifel bald überflügeln wird. Erinnerungen steigen auf. Solness selbst übertrumpfte in seiner Jugend Ragnars Vater Knut Brovik und stieg zum einzigen Baumeister in der Region auf. Doch seine Karriere gründet sich auf dem Unglück der Ehefrau Aline. Als deren Elternhaus in Flammen aufging, ein sehnlicher Wunsch Solness ging damit in Erfüllung, erhielt er den Raum, den er für seine Entfaltung brauchte. Er parzellierte, baute und erntete Meriten. Der Tod der beiden Kinder in Folge des Brandes, legte sich jedoch wie in undurchdringlicher Schatten auf seine und die Seele seiner Frau. Alines Gemüt verdunkelte sich endgültig. Der Architekt hingegen übte sich in Sühne und baute fortan Häuser für Menschen. Ein eigenes Zuhause gelang ihm jedoch nie wirklich. Plötzlich taucht Hilde Wangel auf. Sie liebt und verehrt Solness seit zehn Jahren, seit er die Richtkrone auf die Kirche ihrer Heimatstadt setzte. Dem jungen Mädchen erschien Solness damals wie ein Messias. Er nahm sie und versprach ihr ein Königreich. Zehn Jahre später fordert sie es ein. Ein wirkliches Schloss kann er ihr nicht geben und so beschließen sie, Luftschlösser zu bauen, das Schönste, was auf dieser Welt möglich ist. Solness breitet noch einmal seine Schwingen aus. Er entlässt Ragnar mit besten Referenzen in die Unabhängigkeit. Leider zu spät, um bei dem gerade verstorbenen Vater des jungen Baumeisters Abbitte leisten zu können. Bei dem Versuch, die Richtkrone auf den Turm des eigenen Heims zu setzen, stürzt er sich zu Tode. Einzig Hilde Wangel erreicht beglückt ihr Ziel, denn sie bekommt den Solness, den sie sich gewünscht hatte. Es ist ihr Solness, der den Himmel stürmt und ein Luftschloss baut.
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Fred Stillkrauth, Jan-Peter Kampwirth, Lambert Hamel
© Thomas Dashuber
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Magdalena Guts Bühnenbild erzählte diese Geschichte sehr sinnfällig. Das beschauliche Büro des Architekten in unverbindlichem hellen Grau wuchs mit den mentalen Vorgängen, die der Baumeister durchlebte. Als Hilde Wangel erschien, begannen sich die Wände zu verschieben. Ein Garten griff Raum und die Natur hielt Einzug. Als Solness mit allen Realitäten brach und der Wahn des letzten genialen Aufbäumens Besitz von ihm ergriff, fiel auch noch die Rückwand des Raums und damit jede Begrenzung. Der einzige geschlossene Raum blieb Aline vorbehalten, die in ihren Selenqualen gefangen, die Vergangenheit beschwörte. Der letzte Höhenflug endete in der Ernüchterung einer postmodernen Architektur. Das letzte Gefühl suggerierte endlose Langeweile.
Regisseurin Tina Lanik, "Baumeister Solness" war ihre lang gehegte Wunscharbeit, inszenierte nicht mehr und nicht weniger als Ibsens Vorlage und machte einmal mehr deutlich, wie wertvoll und modern derartige dramatische Entwürfe sind, wenn man sich ihrer wirklich bedient. Mit äußerster Präzision verlieh sie den von Ibsen entworfenen Charakteren Fleisch und Blut. Die kluge Entschlüsselung der psychologischen Grundbefindlichkeiten eröffnete den Darstellern die Möglichkeit zu tief gründendem und überaus komödiantischem Spiel. Selten sah man in der letzten Zeit einen so exzellenten Lambert Hamel, der in seiner Darstellung des Baumeisters Genie und Spießer, Mann und Angsthase, theoretisierenden Visionär und ausgebrannten Künstler in einer Figur glaubhaft verschmelzen konnte. Im Augenblick noch der Macher, unangefochtener Potentat in seinem Büro, entlarvte er im nächsten Augenblick seine charakterliche Dürftigkeit, seine professionelle Unzulänglichkeit. Diese Szenen wurden von feiner Komik getragen, die den Menschen Solness fast liebenswert erscheinen ließen. Tina Lanik stellte die Figur des Baumeister in den Mittelpunkt des kleinen Universums, was für das Spiel der anderen Darsteller nicht folgenlos blieb. Cornelia Froboess spielte ganz uneitel mehr die Rolle des Baumeisters, als die der Ehefrau Alina. Ihr feinsinnige und größtenteils verhaltene Reaktionen auf den Ehemann, der ihre Kreise längst nicht mehr berührte, verdeutlichten und erklärten eine Vielzahl der Facetten der psychisch desaströsen Baumeisterfigur. Auch Marina Galic kreiste vornehmlich um ihren einzigartigen Stern. Denn als einen solchen begriff sie Solness. Ihr Kraftfeld hingegen war stark genug, ihn beharrlich aus der Bahn zu zerren und auf den tödlichen Kollisionskurs zu bringen. In ihrer jugendlichen Spritzigkeit, mit ihren realitätsentwöhnten Fantasien beschleunigte sie ihren alt gewordenen "Troll" einzig zu dem Zweck, sich seiner in seinem grandiosen Untergang zu bemächtigen.
Die ausgefeilte Lichtregie von Tobias Löffler und die Klangcollagen von Rainer Jörissen entrückten das Publikum zusätzlich in die Welt des artifiziellen Ereignisses. Die vierte Wand wurde sehr durchlässig und der Sog der Geschichte übermächtig. Bei alledem versuchte Tina Lanik dennoch nicht, das Publikum zu bevormunden. Ihre Magie trübte nicht das Bewusstsein des Zuschauers, was die Inszenierung noch wertvoller machte. Die Botschaften des Stückes blieben klar und so entgingen dem aufmerksamen Betrachter die Fingerzeige der Regisseurin auf die Modernität und Zeitbezogenheit des Stückes nicht. Der wichtigste Hinweis war wohl die Kritik an der Macht der allgegenwärtigen Potentaten, die wider alle Menschlichkeit bewusst Visionäre verhindern, um ihre Macht nicht teilen oder gar abgeben zu müssen. Doch ein weiterer Aspekt wurde deutlich und der scheint die Modernität des Stückes noch prägnanter zu unterstreichen. Während der Potentat Solness noch Skrupel hat, sein eigenes Tun ansatzweise noch in Frage stellt, propagiert Hilde Wangel die absolute Diktatur. "Man muss alles selbst tun." Hier offenbart sich ein Egoismus, der einen Absolutheitsanspruch hat. Dabei ist Hilde kein eigenständiges Wesen, sondern ein Geschöpf von Solness Hand und Hirn. Die Überväter kreieren ihre Totengräber, die zugleich das Werk nachhaltig in Frage stellen. Die Unmenschlichkeit lebt in essenzieller Form fort. Diesen Aspekt aus dem Ibsenschen Werk an die (Bühnen-) Oberfläche befördert zu haben, ist unbestritten das Verdienst der intelligenten und sensiblen Regie.
Der letzte Flug eines ausbrannten Genies wird zur Metapher für eine von "Machern" - die keine Gestalter mehr sind, da sie nur noch Besitzstandswahrung betreiben - beherrschten Welt, die ihren eigenen Abgrund bereits vor Augen haben. Tina Lanik legt mit dieser hochkünstlerischen, in sich geschlossenen und sehr überzeugenden Arbeit in München bereits zum dritten Mal Zeugnis von ihrer Kompetenz als Theatermacherin ab. Nach "Theodor Gothland" von Grabbe und "Gier" von Sarah Kane sollte sich eigentlich jedes Theater um Tina Lanik bemühen.
Wolf Banitzki
Baumeister Solness
von Henrik Ibsen
Beatrix Doderer, Cornelia Froboess, Marina Galic, Gerd Anthoff, Lambert Hamel, Jan-Peter Kampwirth, Fred Stillkrauth
Regie: Tina Lanik |
Residenz Theater Medeia von Euripides
Leidenschaft ist größer als Liebe
Leidenschaft ist größer als Liebe und die Quelle des Unheils! Der Dichter Euripides, der bedeutendste seiner Zeit, war fasziniert von diesem Gedanken und in seinem Text "Medeia" trieb er seine Überlegungen zum Thema auf eine bisher unerreichte Höhe. In seinem 408/407 v. Chr. im Exil verfassten Text "Die Bakchen" stilisierte er die "barbarische" Leidenschaft zum staatsgefährdenden Element hoch und bewies damit seherische Weitblick. Athen ging unmittelbar danach zu Grunde. In "Medeia" behandelte er das Thema als eine zutiefst menschliche Eigenschaft, die eine Familie auslöschen kann. Und gerade diese Behandlung "menschlicher Eigenschaften" machte ihn jedoch von Anbeginn seiner dichterischen Karriere zum Bahnbrecher, der erst Jahrhunderte später als solcher gewürdigt wurde. In seiner Zeit, wie sollte es anders sein, wurde er verlacht und in der zeitgenössischen Dichtung sogar verspottet. Immerhin hatte er die Götter in seiner Dichtung zu Hinterbänklern gemacht. Aber der Prophet galt im eigenen Lande nichts und das gesunde Volksempfinden und die Dummheit der Athener Intelligenz vertrieben ihn.
Mit "Medeia" griff er ein Thema auf, dass zu allen Zeiten als das wohl grausamste Verbrechen geahndet wurde, weil es wie kein anderes Abscheu erregte. Es ging um den zweifachen Mord einer Mutter an ihren Kindern. Euripides gelingt das beinahe unfassbare; er überliefert uns eine Geschichte, die zwar kein Verständnis schafft, aber doch immerhin ein Begreifen.
Die Kolcherin Medeia, in den Augen der Griechen eine Barbarin, erliegt dem Werben Jasons, der in das Schwarzmeerland kommt, um das Goldene Vlies zu stehlen. Ihre vorbehaltlose Liebe treibt sie auf die Seite des jungen Mannes. Sie tötet den eigenen Bruder, um die Flucht der beiden zu garantieren. Sie ist eine leidenschaftliche Frau, deren Entscheidungen nicht in Halbheiten stecken bleiben. Die Flucht führt sie nach Korinth, wo König Kreon dem Paar, das inzwischen zwei Kinder hat, eine Zuflucht bietet. Jason wendet sich hier von Medeia ab und ehelicht Glauka, die Tochter des Königs. Seine Beweggründe sind niederer Natur, sexuelle Triebhaftigkeit, soziale Aufstiegschancen, Reichtum und Macht. Medeia will sich nicht in dieses Schicksal fügen, begehrt lautstark und aggressiv auf. Jason, der gemeinsame Sache mit Kreon macht, initiiert die Vertreibung Medeias. Doch was kann diese Frau noch vom Leben erwarten? Er hat sie um die Heimat, um die Freunde, um die Geborgenheit gebracht. Medeia ist eine starke und stolze Frau und zutiefst verletzt durch den Verrat ihres Mannes. Sie sinnt auf Rache und weiß, dass sie Jason nur zerstören kann, wenn sie das Leben seiner, ihrer gemeinsamen Kinder auslöscht, denn damit erstirbt zugleich die Zukunft des Mannes, dem sie ihr Leben gewidmet hat. Jason wohnt seinem eigenen Untergang bei und begreift.
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Stephanie Leue, Rainer Bock
© Thomas Dashuber
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Die dramatische Handlung beginnt mit der verzweifelten Klage Medeias, die von ihrer Ausweisung erfährt. Ihre Raserei endet erst, als alle Untaten vollbracht sind. Zur Verantwortung kann man sie nicht mehr ziehen, denn sie ist nach Athen geflohen.
Für Regisseurin Tina Lanik begann alles mit der Argo, dem Schiff, mit dem Jason und seine Argonauten nach Kolchis segelten. Bühnenbildnerin Magdalena Gut setzte diese Idee einfach und wirkungsvoll um. Die Argo, zunehmend als goldenes Gerippe sichtbar werdend, bildete das Zentrum. Umrahmt wurde die Szene von einer orangefarbenen, an einen Bauzaun erinnernden Mauer. Sie bildete das Verlies der Kolcherin, aus dem es nur den Weg ins Exil gab. Es blieb viel Raum auf der Bühne, Raum für die Raserei Medeias. Diese Tragödie ist kein Kammerspiel und eine weniger raumgreifende Bühne wäre gar nicht denkbar. Stephanie Leue durchmaß sie immer wieder in sinnloser Hatz, denn in diesem Raum war der Feind nicht zu greifen. Zudem war es ein langer Weg von der liebenden Mutter bis zu einer Kindsmörderin. Der Darstellerin fehlte allerdings das letzte Quäntchen Überzeugungskraft. Vielleicht lag es am Übermaß des körperlichen Einsatzes, bei dem die Intensität des Wortes, des Argumentes gelegentlich in der Atemlosigkeit unterging. Das beste Maß fand unbestritten Barbara Melzl als antiker Chor. Ihre Kommentare der Abläufe waren ernsthaft bis lakonisch, manchmal Understatement und einmal lautstarke bewusstlose Verzweifelung. Ebenso hervorhebenswert war die Leistung Rainer Bocks als Jason. Die Rolle ist eigentlich wenig ergiebig und dennoch gelang Bock die Charakterisierung des Jason in allen Facetten vom schmierigen Spießer bis zum Staatsmann.
Tina Lanik lieferte nach "Gothland" und "Baumeister Solness" einmal mehr den Beweis ihrer künstlerischen Meisterschaft. Maß- und wirkungsvoll erzählte sie eine Geschichte von geradezu unfassbarem Ausmaß. Diese Inszenierung zeugt vom tiefen Verständnis antiken Denkens, dessen ethische und moralische Maßstäbe auch heute nicht überlebt sind. "Medeia" ist wohl das älteste und zugleich modernste Stück der Theatergeschichte, das noch immer nicht zu Ende erzählt wurde. Es war eine Inszenierung, die den Dichter ehrte!
Wolf Banitzki
Medeia
von Euripides
Eva Schuckardt, Fred Stillkrauth, Stephanie Leue, Barbara Melzl, Guido Lambrecht, Rainer Bock, Stefan Hunstein, Lena Dörrie, Kinder: Leo Tannenberg, Rafael Tannenberg, alternierend: Sandro Iannotta, Quentin Strohmeier
Regie Tina Lanik |