TamS  Tür auf, Tür zu von Ingrid Lausund


 

 

„Ausgeschlossen!!!

... dass es tatsächlich so ist.“ So oder so ähnlich könnten die Gedanken des Zuschauers zwei Reihen vor meinem Sitzplatz gelautet haben. Es war ein großer Mann, sein Habitus drückte machtvolle erfolgsgewohnte Präsenz aus, trat deutlich hervor. „Es hat alles seine Ordnung, und Ordnung muss sein!“ „Um jeden Preis?“, würde ich den Mann fragen. „Auch um den Preis des Lebens, der Lebendigkeit ...

Ingrid Lausund, die Autorin des Stückes, richtete ihren Blick auf die Realität bevor sie, sicherlich mit Fantasie und künstlerischem Geschick, einen gesellschaftlichen Vorgang herauskristallisierte und in theatrale Form brachte. Dies ist ihr nun wahrlich gelungen und Ernsthaftigkeit und Humor halten in dem Stück „Tür auf, Tür zu“ einander die Waage. In einer Fülle von kurzen Dialogen, die auf die immer gleichen, doch wesentlichen Worte beschränkt, eine Flut von Bildern vor dem Zuschauer auftun. Die Ouvertüre: Ein Sprachspiel mit dem Titel, vorgetragen vom Chor.

Burchard Dabinnus und Lorenz Seib, die Schauspieler, empfingen mit kleinen großen Gesten und mit Augenzwinkern, Stolpern und Tanzschritten umgarnten sie das Publikum. Burchard Dabinnus verkörperte den unnahbaren Türsteher, der stets unbeeindruckbar das Geschehen kommentierte. „Tür auf, Tür zu. ... Tür auf, Tür zu.“ Bekleidet mit Frack höchst formell, lugten doch ein paar Federn aus seinem Ärmel. Die Federn seiner Natur, die den freien Flug hier wohl vergeblich suchen. Die geschlossene Gesellschaft beschäftigte ihn als Wächter, Warnrufer. Lorenz Seib hingegen kamen die 47 Nebenrollen, welche Man_ heute zu spielen hat, zu. Brillant schlüpfte er bisweilen in Sekundenschnelle von einer in die nächste. Der Partygast, der Kollege, der Bekannte, der Praktikant, der Kellner, der Coach. Flexibilität hatte seine umfassende Profession zu sein, herausgestellt durch die Regie von Judith von Radetzky.

Katja Amberger, die Protagonistin, ist zu Beginn noch ein Star in der Szene. Ihr pinkfarbenes Kleid ein gewollter Blickfang, ihr Selbstverständnis in dem ihrer (unsichtbaren, doch wunderbar angespielten) Umgebung reflektiert. Ihr Entschluss einen Schritt in die freie Natur zu tun, wurde ihr zum Verhängnis. Ausschluss und die Fülle der gesellschaftlich ausweglosen Wege brach über sie herein. Nun, und plötzlich 50 Jahre alt und damit „alt“ und ins Unbenannte abgeschoben, kämpfte sie, glaubhaft dargestellt, mit sich. Die anderen hatten sie längst in die buchhalterische (der Natur  und Gebärfähigkeit nachfolgenden) Kategorie „abgeschrieben“ eingestuft. Noch schnell ein letztes Geschäft: Ein Coach verkaufte ihr ein paar Tipps, Psycho-Tipps um ihre Träume zu unterstützen, am Laufen zu halten. Doch wie lange hält so ein unreflektiertes Spiel? Die Vorstellungen einer Ausgeschlossenen.  Und dann der 5. Akt, oder Showdown wie man heute sagen würde: Die Protagonistin hielt ihre Türe geschlossen. Unbewegt, ausgebrannt blieb Katja Amberger auf der Bühne zurück ... desillusioniert.

 
  Tuer auf 67  
 

Lorenz Seib, Burchard Dabinnus, Katja Amberger

© Hilda Lobinger

 

Es war in der Inszenierung angelegt, der allgemein herrschenden Hysterie veranschaulichend Rechnung zu tragen. Die Hauptdarstellerin gab wieder, wie Frau das Gefühl für sich selbst längst verloren hat und in Mechanismen agiert, zum Reaktionskörper wurde. Die Generationen, welche noch Lebendigkeit erfahren haben und in dieser aufgewachsen sind, werden zunehmend ausgeschlossen. Die umfassend durchgesetzte Funktionalität hat keinen Platz mehr für menschliche Emotionen und vielfältige Vorstellungen vorgesehen. Lästig wirken diese und jeder unabhängig denkende, und sei es auch nur der Natur verbundene, Mensch „ist unbedingt als Störfaktor zu erfassen und zu eliminieren“. Tür zu! Tür auf: Ein Vorgang der in der Gesellschaft mit einer enormen Konsequenz umgesetzt wird. Innerhalb der „Glaspaläste“  dürfen nur noch leere Mitmacher und Selbstausbeuter (ohne adäquate Entlohnung für ihre Leistungen) eingesetzt werden. Die betriebswirtschaftlichen Vorgaben sind „ausnahmslos umzusetzen“. Der Sprachduktus der sogenannten Machthaber läßt weder Widerspruch noch Alternative zu. Es ist Zeit aufzuwachen im „Vierten Reich“, der Wirtschaftsdiktatur.
Hier werden Frauen als willkommene und willfährige Mitmacherinnen aufgenommen, ist ihre Anpassungsfähigkeit naturgemäß größer als die der Männer. Unter der Fahne „Gleichberechtigung“, von der, betrachtet man die Realität und die Gehälter nur maximal viel geredet wird, werden diese rekrutiert. Das dem Militarismus entliehene Wort gehört zur Alltagssprache und ist Selbstverständnis im „Vierten Reich“.

„Es ist legitim, sich an einem Theaterabend über die menschliche Seite von Verlierern hähä VerliererInnen zu amüsieren. Noch dazu wenn die Inszenierung wirklich umfassend artifiziell war, worauf sicherlich heute größten Wert zu legen ist!“  So oder so ähnlich könnten die Gedanken des Zuschauers zwei Reihen vor meinem Sitzplatz gelautet haben. Es war ein großer Mann, sein Habitus drückte machtvolle erfolgsgewohnte Präsenz aus, sein Lachen trat deutlich hervor. Geschmunzelt und gelächelt habe ich auch immer wieder, denn es war ein besonderes Stück, eine ausgezeichnete Inszenierung und das Schauspiel wahre Kunst.

 

C.M.Meier


 

 


Tür auf, Tür zu

 von Ingrid Lausund

Katja Amberger, Burchard Dabinnus, Lorenz Seib

Regie: Judith von Radetzky

TamS  Drei spanische Italiener und die Madame aus Lissabon


 

 

 

Rund um’s Haus
 
Sommer ...

 

die Fenster gehen auf, die Türen gehen auf, die Herzen gehen auf und frohgemut blicken die Menschen in den Tag. Und was geschieht? So manches gut gehütete Geheimnis findet den Weg an die Luft, ans Licht. Ins Rampenlicht natürlich, und manches dieser so gut gehüteten Geheimnisse stellt sich als hinlänglich bekannte Unzulänglichkeit heraus. Denn auch, nur der ein guter Nachbar, der auch über den Gartenzaun, den Balkon ins Benachbarte blickt und Bescheid weiß über ...  

 

Ein grauer Zeppelin schwebte über den Köpfen der Zuschauer, als die Schwabinger Hofmusik, vier gemütvolle Streicher- und Innen, mit fidelen Tönen die Herzen des Publikums auf die Vertraulichkeiten einstimmte. Eine verschworene Gemeinschaft entstand, welche an der Bar über Volkstheater und seine Möglichkeiten aufgeklärt wurde und sich, in den dunklen Zuschauerraum gelockt, mit dem Geheimnis einer wohlbekannten Schwabinger Nachbarin konfrontiert fand. Doch damit nicht genug, denn dies war erst der Anfang ...

 

Erotik, Spannung, Emotionen folgten in einem farbenfrohen Reigen komödiantischer Einlagen und erheiternder Bilder. Burchard Darbinnus ... mal Zahnarzt in seiner Sturm- und Drangzeit, mal singender Italiener, mal in sich und seine Bierflasche versunkener Zweifler. Sophie Wendt ... Zahnarztgattin mit Hang zur Naturheilkunde. Ines Honsel ... Nachbarin mit Vorliebe zu grünen Fingernägeln. Alexandra Riechert ... ausgestattet mit Neugier und dem Drang zu Prozentgetränken. Isabell Kott ... voll jugendlicher Hingabe an bedeutende Männer. Zwei Polizisten bei der Brotzeit und ... was sich noch so zuträgt im Viertel. Charlotte von Bomhard ... referierte über Meer und Isar, welche doch auch die Donau sein könnte und erklärte damit schon mal die Welt. Welche Welt? Ihre ... Ihre ... oder ihre ...

 
  DreispanischeItaliener  
 

Alexandra Riechert, Isabel Kott, Helmut Dauner, Lorenz Claussen, Burchard Dabinnus, Ines Honsel, Sophie Wendt

© Hilda Lobinger

 

 

und um das herauszufinden schlich wohl Helmut Dauner über das Gelände. Suchte er nicht auch lt. Programm einen „bunten Kakadu“?! Nur soviel sei verraten. Den Darstellern war die Freude an dem locker leichten Spiel durchweg anzumerken. Es war ansteckende Freude die aus den Szenen quoll, wenngleich man manchmal gar nicht so genau wusste, ob die Aufzüge wirklich nur zum Lachen verführen wollten. Bezaubernde Bilder und Momente verflochten die Geschicke, die Geschichten zu einem ganz und gar modernen „alten Zopf“ ...

 

So ein Spektakel rund um’s Haus. Die Zuschauer, in ihren ganz persönlichen Lebenskreisen benachbart, fanden Erwartungen und Vorstellungen an diesem Abend erfüllt und, nicht erfüllt. Ganz wie im richtigen Leben. Es ist das Wie, wie die menschlichen Unzulänglichkeiten aufbereitet und dargestellt werden, welches die Gemüter zu erheitern vermag über die nur allzu tragischen Momente im Dasein. „... sich etwas bieten zu lassen ...“

 

Beschwingtes Sommertheater für diesen Sommer ... besonders empfehlenswert.

 

 

C.M.Meier


 

 


Drei spanische Italiener und die Madame aus Lissabon

 

Charlotte von Bomhard, Ines Honsel, Dagmar Koch, Isabell Kott, Theresia Peters, Alexandra Riechert, Anette Spola, Sophie Wendt
Lorenz Claussen, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Javier Kormann, Lorenz Seib, Zoltan Sloboda

 

Schwabinger Hofmusik

Konzept, Regie: Anette Spola, Lorenz Seib

TamS Schwanenflug. Eine Begegnung. von Cornelie Müller


 

 

Ein Abend zwischen Weihrauch und Nonsens

 

Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass dieser Abend ein echter Frauenabend war. Das heißt nicht, dass der Mann nicht auf seine Kosten kam. Allein die Selbstironie, die Frau an den Abend legte, war ein Hochgenuss, insbesondere in Zeiten in denen Sexismusdiskussionen auch schon mal auf emotionale Kastration des männlichen Geschlechts hinauslaufen. Sie waren einfach schön anzuschauen, die drei Damen aus dem Feenreich, das es im TamS offensichtlich zu geben scheint.

 

Die Idee zu diesem Abend kam Projektleiterin Cornelia Müller beim Betrachten kleiner Figurinen von Rudolf Bodmeier im Anschluss an die „Grenzgänger Theatertage“ im TamS im Jahr 2011. Als das Publikum eben diese Figurinen am Premierenaben nun in Lebensgröße zu sehen bekam, wurde für jedermann das Zwingende, das Initialzündende klar und deutlich. Bodmeiers Figuren schienen unmittelbar einer dramatischen Inszenierung entsprungen zu sein und eine oberflächliche Betrachtung verbot sich geradezu. Die Darstellungen zeigten Frauengestalten, die tierische Physiognomien aufweisen wie die einer Kuh, einer Ziege oder einer Füchsin. Gewandet waren die Figuren im Stil der Belle Epoque. Sie boten unbestritten einen faszinierenden Anblick.

 

Die Bandbreite des Schaffens von Cornelie Müller ist so breit, dass man eigentlich kaum Grenzen benennen kann. So wurde denn an diesem Abend musiziert, getanzt, gespielt, gesprochen, geflogen, inne gehalten, mit Licht und Dunkelheit gerungen, installiert und, und, und ... Die Inszenierung ist betitelt mit „Schwanenflug. Eine Begegnung.“ Begegnungen gab es mehr als eine, denn es begegneten sich drei Frauen und sieben Figurinen. Das Gespinst der feinen Vernetzung war nicht selten unentschlüsselbar, absurd und geheimnisvoll. Die Bilder jedoch, die in rascher Abfolge entstanden, rührten an, machten neugierig oder erheiterten. Die zentrale Szene war schließlich der „Schwanenflug“. Das Schnattern der Schwäne war bis zu diesem Zeitpunkt schon  vernehmlich geworden, und dann hielt es Alexandra Riechert nicht mehr am Boden. Fliegerbrille auf und los ging es flügelschlagend. Prompt kamen von Rose Bihler Shah, und Ines Honsel die erstaunten und auch entsetzten Fragen: „Ja, darf die denn das?“ und „Kann die denn das?“ Sie konnte und fragte nicht danach, ob sie durfte.

 

Und darum ging es an diesem Abend auch. Wer ist Frau? Was ist Frau? Ist Frau ein eigenständig handelndes Wesen? Die Antworten waren (manchmal auf Umwegen): Ja! Allzufrauliches wurde nicht ausgespart, wie Eitelkeiten, Missgunst, auch Standesdünkel war, wie mir schien, zu vernehmen. Wenn Frau spann, und zwar nicht alleine, wurde ein Faden wie eine Nabelschnur, über die die Energien flossen, hin- und hergewickelt. Im Hintergrund wurde musiziert, oder besser, geprobt. Als schließlich der Satz fiel, Geduld bringt Rosen, griffen Rose Bihler Shah und Ines Honsel zum Klammerbeutel, spannten eine Leine und hängten Rosen auf, wie man Wäsche zum Trocknen aufhängt. Dieses Element rundete das atmosphärische Bühnenbild von Claudia Karpfinger und Cornelie Müller schließlich ab. Der Bühnenboden war mit Schnittmusterbögen beklebt, links ein Stuhl und ein Tischchen und mit Weihrauchkerze, dahinter ein Cembalo. Einige kleine Hocker waren Sitzgelegenheiten aus einer anderen Zeit und wohl auch aus einer vergangenen Welt. Rechts hingen die sieben lebensgroßen Figurinen und davor ein Plattenspieler zum Erzeugen von Geräuschkulissen, Gespräche in undefinierbarer, aber sehr lebendiger Sprache oder, wie bereits erwähnt, das Schnattern von Schwänen.

 
  Schwanenflug  
 

Alexandra Riechert, Ines Honsel, Figurinen Rudolf Bodmeier

© Hilda Lobinger

 

 

Die gesprochenen Texte waren von Cornelie Müller aus dem Fundus der Weltliteratur zusammengeklaubt, nicht unbedingt mit Zusammenhang, aber in der Singularität durchaus erstaunlich, verblüffend und komisch. Der Versuch, eine schlüssige Handlung zu entdecken, wurde bereits durch die schwebende Spielart vermieden. Hinzu kamen wunderschöne Fantasiekostüme, die zwar stilistische Elemente erkennen ließen, in ihrem Eklektizismus allerdings völlig zeitlos waren und keinem konkreten kulturellen Raum zugewiesen werden konnten. Claudia Karpfingers kostümbildnerische Arbeit hatte großen Anteil am Gelingen des Abends. Am Ende hieß es über die Dichterinnen: „Allein ihre Namen sind reine Poesie:“ Es folgte, während das Licht schwand, eine Aufzählung aus dem Off.

 

Es war ein zauberhafter Abend, angesiedelt zwischen Weihrauch und Nonsens, zwischen Romantik und Kitsch, zwischen Tragik und Komik, der in jeder Minute wundervolle und wundervoll anzuschauende Darstellerinnen vorhielt, und der zudem von einer ausgefeilten Bildästhetik lebte, deren Zentrum die Figurinen von Rudolf Bodmeier bildeten. Dieser Abend war rundum ein Gewinn für jeden, dessen Fantasie noch lebendig ist. Er verlieh Flügel und erschuf einen erstaunlichen Schwan.

 

 


Wolf Banitzki


 

 


Schwanenflug. Eine Begegnung.

von Cornelie Müller

Rose Bihler Shah, Ines Honsel, Alexandra Riechert
Figurinen Rudolf Bodmeier

Regie: Cornelie Müller

TamS  In geheimer Mission von Maria Peschek


 

 

 

Mission inpossible

 

 

Charlie und Beppi, die heiteren Pendants zu Wladimir und Estragon: Beim „Warten auf Godot“ der Letzteren kam nichts heraus, bei Ersteren, sie warteten nicht auf Godot, ein Buch mit dem Titel „Geheime Mission“. Dennoch sind die Ähnlichkeiten kaum zu leugnen. Die bajuwarischen Clowns wissen auch nicht so recht, warum sie da sind, und hier sind, und woher sie kamen und wohin sie gehen werden. Wobei nicht einmal sicher ist, dass sie wohin müssen. Und wenn man nicht wirklich weiß, wer, wie, was und wieso, weshalb, warum, dann muss man sich etwas einfallen lassen. Charlie, alias Maria Peschek, glaubte schließlich zu wissen, dass beide auserkoren sind, eine geheime Mission zu erfüllen. Die aber ist so geheim, das selbst Charlie und Beppi nicht wissen, worum es dabei geht. Charlie hatte dafür eine einleuchtende Erklärung: So können die beiden nichts ausplaudern, wenn sie gefoltert werden. Beppi, alias Anette Spola, gestand prompt, dass sie unter der Folter reden würde wie ein Wasserfall, „wo (sie doch) kein Blut sehen kann“.

 

Die Geschichte elektrisierte die beiden und man beschloss, alles parallel zu den Ereignissen niederzuschreiben, um einen Bestseller zu landen und reich zu werden. Wenn man erst einmal reich wäre, könnte man gut sein und nicht die Bodenhaftung verlieren. An frommen Wünschen mangelte es den beiden nicht. Doch es gab mehr als ein Problem bei der Realisierung des künstlerischen Projektes. Die Kommunikation stimmte nicht mehr zwischen beiden. Man grantelte zunehmend bitter miteinander oder verlor sich in philosophischen und auch ganz alltäglichen Haarspaltereien. Früher war das anders. Und dann ist da noch die Buchmesse, die üblicherweise im Herbst stattfindet. Bis dahin musste das Buch fertig sein, wenn man schnell reich werden wollte.

Mittendrin war man gar nicht mehr so überzeugt von der Mission und verfiel auf die Idee: „Es könnt natürlich auch sein, dass mir auf der Flucht sind.“ Bald schon stellte sich heraus, dass die beiden umzingelt waren von ominösen Gestalten, die einem nicht unbekannt vorkamen.  Ein unbekleideter König (Helmut Dauner) reichte Tee, ein Mädchen (Isabel Kott) mit roter Kappe züngelte unzüchtig mit einem Wolf, ein Finger wurde abgeschnitten und das Blut breitete sich tropfend auf der Bühne aus und ein Geschwisterpaar mit Pfefferkuchen rodelten auf einem Skateboard. Alles war sehr ominös und schließlich landeten beiden im Gefängnis. Mit dem Erscheinen des Buches, Charlie und Beppi lasen die letzten Zeilen auf der letzten Seite, erfuhr der Zuschauer eine Auflösung. Oder auch nicht ...

 

Das war allerdings auch völlig unwichtig, denn der Weg war das Ziel, auch wenn man gar nicht wusste, welche Wege man ging. Ankomme hieße, Godot treffen. Auf ihrer Wanderung durch die Geschichten, die Geschichte, auch durch das Heute, und durch das Selbst, parlieren die beiden in schönstem „absurdisch“. Menschlich, allzu menschlich, vereinten die vier Darsteller sowohl im Text, als auch im Spiel einen ganzen Kosmos von Charakteren auf sich und brachten in Zusammenhang, was widersprüchlicher kaum sein kann. Da ist Komik vorprogrammiert. Im Gegensatz zum Übervater des Theaters des Absurden, Samuel Beckett, erlaubte sich die Autorin Maria Peschek gelegentlich auch kabarettistische Floskeln. So musste das Publikum nicht erst durch das „Äußerste“, wodurch laut Beckett Lachen entsteht. Dem Team um M. von Spolinski & Partnern gelang eine wunderbare Synthese aus leichter Komödie und anspruchsvollem Theater des Absurden. Lehrreich war es allemal, wenngleich man kaum sagen kann, was die Moral aus der Geschichte war. Man möge diese Entscheidung getrost dem Bauch überlassen und nicht dem Hirn, über das die Mähr kursiert, es sei der Sitz der Intelligenz.

 
  IngeheimerMission  
 

Maria Peschek, Anette Spola, Helmut Dauner, Isabel Kott

© Hilda Lobinger

 

 

Claudia Karpfingers Bühne und Kostüme entführten an einen Unort, wo alles möglich wurde, Realität, Schein von Realität und auch Märchen. Eine Wand aus Sperrholz, brüchig und zusammengeflickt, war eine geheimnisvolle Fassade. Man konnte durch Spalten und Ritzen lugen und ahnen, was sie verbarg. Dahinter waren Wohnung, Gefängniszelle, fremdes Land mit unerwarteten Geschöpfen. Türen oder Klappen konnten sich öffnen und nie ließ sich berechnen was zum Vorschein kommen würde.

 

Auch das vierte Stück mit den existenzialistischen Clowns Beppi und Charlie aus der Feder von Maria Peschek war ein Erfolg. Das Publikum feierte die Darsteller und die Inszenierung. Zu Recht. Es war eine intelligente, witzige und befreiende Vorstellung. Lachen trainiert eben nicht nur das Zwerchfell, manchmal bläst es auch das Gehirn durch.

 



Wolf Banitzki


 

 


In geheimer Mission

von Maria Peschek

Maria Peschek, Anette Spola, Helmut Dauner, Isabel Kott


Regie: M. von Spolinski & Partner

TamS Birnbaum so blau Juchhe von Anton Prestele


 

 

Baum des Lebens

Das alte bayerische Volkslied „Drunt in der greaner Au, steht a Birnbaum so blau ...“ veranschaulicht in seinem Text, in seiner Struktur, die Zusammenhänge und das sich gegenseitig Bedingen des Lebens. „Baam, Ast, Zweigerl, Blatterl“ sind Sinnbild für Verbindungen und Vielfalt der Erscheinungen. Nur in der Natur findet Mensch die auch ihm entsprechenden Bilder. Nur in der Natur findet er die Antworten auf seine Frage nach dem Sinn des Lebens. Und so wie jedes  Blatt vom Baum fällt im Herbst, jedes Lebendige seine Zeit hat bevor es vergeht, so setzt jeder Mensch sich früher oder später mit dem Sterben auseinander. Die einen tun es aus gegebenem Anlaß, wenn der Körper seine Schwächen offenbart, die anderen tun es aus Interesse dem Leben gegenüber, Bewusstwerdung. Die Sterblichkeit eines Körpers ist Ingrediens des Lebendigen.

„Du ... Du ... Du ...“ wie ein Aufruf schallte es durch den Theaterraum, nachdem Anton Prestele seinen Platz am „Dirigentenpult“ eingenommen hatte. Von einer kleinen Konsole aus spielte er Teile seiner Kompositionen ein, verfolgte und dirigierte er mit den Augen das Spiel der Darsteller. Die Mitte der Bühne nahm der besungene Baum ein, hier ragten seine Äste. An einem davon trug er eine Birne, in flüssiger konzentrierter Form. Daneben zwei Liegen, das Zimmer eines Krankenhauses in dem zwei Männer sich über die Endlichkeit des Lebens austauschten. Einig sind sie darin, dass ihnen Unendlichkeit des Lebens keine Alternative darstellt. Von Christian Buse waren nur die rote Nasenspitze und die Augen erkennbar, sein Körper war dick verpackt in Mull und Binden. Sein bleiches Gesicht ließ auf einen todkranken Zustand schließen. Lorenz Clausen saß dagegen im blauen gestreiften Pyjama und war scheinbar guter Dinge, weiß er doch um das Sein per se und um sein Sein. Buse, ein uriger grantiger Bayer. Clausen ein offener gscheiter Preiß. Damit kamen auch die Klischeevorstellungen nicht zu kurz, trugen zum vielfältigen Spektrum der Inszenierung ihr Schärflein bei. Das Lied vom Birnbaum zelebrierten Strophe für Strophe Burchard Dabinnus und Ines Honsel, die als verliebtes junges Pärchen den Beginn und die Hochzeit des Lebens verkörperten. Ihre Gesichter spiegelten Gefühle wie Lebensfreude und Neugier. In ihren Gesten drückten sie Aktivität und Gefolgschaft aus, bildeten sie doch den aktiven Teil der Gemeinschaft. Sie sangen und ihr Gesang war Ausdruck ihrer Unbefangenheit. Die Töne akzentuierten unprätentiöse Untermalung ebenso wie tiefsten Ausdruck.
 
  Birnbaumsoblau  
 

Christian Buse, Lorenz Claussen, Burchard Dabinnus, Ines Honsel

© Hilda Lobinger

 
 
Die widerspenstige Kombination von Geige (Katja Duffek) und Elektronik war nicht vergleichbar mit anderer Musik, eher vergleichbar mit der Kraft des Inneren - dem zarten Strich der zitternden Empfindsamkeit und dem zu Durchsetzung neigenden Basta des funktionalen Basses – sie trug zur Veranschaulichung bei, ja bildete ihre Grundlage. Über die Musik, das auf eine Gemeinschaft einstimmende Volkslied, wurden ursprüngliche Emotionen angeregt, lokaler Bezug hergestellt. Variationen und Improvisationen trugen zeitgemäß von einer gesungenen Strophe zur nächsten. Anton Prestele, Komponist, Dirigent, Theatermacher, Interpret, ist als Künstler vielfach ausgezeichnet und stets ist es die eigenwillige Auseinandersetzung mit den Inhalten, die seine Arbeiten glänzen lassen.

Wie absurd die unbeantwortbare Frage nach dem Sinn ist, wird in den Weisheiten aus der Volksseele hörbar, die immer wieder im Frage- und Anwortspiel auftauchten. Was sonst durchaus als Plattheit daherkommen kann, traf in diesem Zusammenhang angeführt den Kern. Der Sklaverei der Angst  und ihren unzähligen Erscheinungsformen zu entkommen, ist ein grundlegendes Anliegen. 

In einer Zeit, in der sich die Medizinindustrie einen Tanz macht aus den Schwächen der menschlichen Körper und der Heils- und Bereicherungswahn zunehmend an eben diesen Schwächen die ehemals einvernehmlich gesetzten ethischen Grenzen aufgelöst hat, ist es sinnvoll selbst Grenzen zu definieren. Das setzt Bewusstwerdung voraus. Anton Prestele gelang eine solche Auseinandersetzung auf feinfühlig künstlerische Weise. Die richtigen Fragen stellen und auch richtige mögliche Antworten geben. Ein Vorgang, wie er kaum noch auf Bühnen stattfindet, Seltenheitswert hat! Schon allein aus diesem Grund war diese Aufführung sehens- und erlebenswert. Sie berührte, ohne betroffen zu machen, sie stimmte ein, ohne endgültig abzuschließen. Lassen auch Sie sich anregen und bereichern von dieser Kammeroper.



C.M.Meier

 

 


Birnbaum so blau Juchhe

von Anton Prestele

Christian Buse, Lorenz Claussen, Burchard Dabinnus, Ines Honsel
Geige: Katja Duffek / Ludwig Hahn

Regie & Musikal. Leitung: Anton Prestele