TamS Valantin in Halifax von Anton Prestele, Barbara Altmann & Ensemble Apropos frei nach Karl Valentin
Valentin: Zu gesund ist auch schon wieder krank
Theater als Therapie ist längst fester Bestandteil in der Gesellschaft. Theater als Raum für die gesellschaftliche Bestätigung im Sinn von „mehr Akzeptanz“ psychisch kranker Menschen durch künstlerisches Schaffen geht einen deutlichen Schritt darüber hinaus – oder zumindest in eine andere Richtung. Die Arbeit des Theaters APROPOS ist ausdrücklich nicht therapeutisch. (Wobei, heutzutage eine gute Arbeit tun ist unbedingt therapeutisch.) Initiiert wurde diese Unternehmung bereits im Jahr 1998 vom gemeinnützigen Verein zur Hilfe für Alterskranke und seelisch Kranke mit Namen „Ariadne e.V.“ Im Zeitraum von 1998 bis 2012 wurden unter der künstlerischen Leitung von Anette Spola und Rudolf Vogel insgesamt sieben Stücke erarbeitet und erfolgreich zur Aufführung gebracht. Seit 2013 steht der Komponist und Theatermacher Anton Prestele dem Projekt vor. 2014 präsentierte das Theater APROPOS mit „Sinds net bös“ die erste Arbeit unter ihrem neuen Impresario, „Valentin in Halifax“ ist die zweite.
Auf der cremefarbenen Bühne von Claudia Karpfinger standen einige Wandsegmente, die das Äußere/Innere einer Passagiermaschine beschrieben. Das Spiel begann und eine illustere Reisegesellschaft (Kostüme Katharina Schmidt) ging an Bord, Nachzügler inklusive. Die Stimmung war prächtig. Der Stewardess, die eifrig und wild gestikulierend die Notausgänge und das Verhalten im Notfall erklärte, schenkte niemand Aufmerksamkeit. Bis hierher war es wie im normalen Leben. Doch schon die Begrüßung durch den Flugkapitän ließ einige Ahnungen aufkommen, dass es sich nicht um eine normale Reise handeln würde.
Und bald schon spielten sich seltsame Szenen ab. Don Quichote traf auf Carmen, die lustvoll trällerte. Eine Diskussion entbrannte, warum es im Gebet nicht heißt: „Herr, unsere täglich Kartoffel gib uns heute!“ Die Vorzüge altbackenen Brotes wurden gepriesen, was eigentlich zur Folge haben sollte, dass das Gebet „Herr, unser täglich Brot gib uns morgen!“ lauten müsste. Man versuchte sich an dem Mysterium, als Mensch Lust auf einen Wurm zu bekommen unter der Voraussetzung, dass man eine Ente sei oder dies zumindest träumte. Eine echte Perle darstellerischer Kunst war der nicht realisierte Mord, der in einer Eisdiele endete, und die Diskussion darüber, dass das Publikum es aushalten muss, dass die Darsteller (Roswitha Teschner und Anton Prestele) das Eis aufessen, da es sonst schmelze. Wäre halt schade drum.
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© Benjamin Schmidt
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Wie nicht anders zu erwarten, stürzte die Maschine naturgemäß ab und die Reise nach Halifax wurde schwimmend fortgesetzt. Selbst im Meer gab es eine Menge zu entdecken, vornehmlich Müll. Dezente Botschaften, denn schließlich sollte jedes Kunstwerk ein wenig zur moralischen Ertüchtigung der Zuschauer beitragen. Man schwamm und schwamm, bis man endlich realisierte, dass gar kein Wasser mehr da war. So setzte man sich ans Lagerfeuer, mutierte zu Indianern und lauschte der alten Weise, die da endete: „Und wenn Aafa und Ufa sich zürnend und tobend in die Augenmuscheln schreien, liegt Afuu auf dem satten Rasen und raucht die Friedenspfeife.“ Doch so versöhnlich kitschig endete der Abend denn doch nicht. In einem letzten Song wurde noch einmal eine heutige Realität beschworen, in denen Menschen in vielen Ländern Fremde seien, die auf ihrer Flucht vor Krieg, Tod, Hunger und Kälte auf freundliche Aufnahme hoffen. Immerhin Kanada, und damit wäre man auch in Halifax angekommen, verhält sich mustergültig. Ehre, wem Ehre gebührt!
Einem Programm mit Texten und Ideen von Karl Valentin eine mangelhafte Dramaturgie vorzuwerfen ist ebenso blödsinnig, wie der Versuch, folgendem Satz einen Sinn zu entnehmen oder einen hinein zu interpretieren: „Die Beiseitelegung des Handelsvertrages mit der sizilianischen Straßenreinigungsaktiengesellschaft, welche mit 120% des Grund- und Hausbesitzervereins im Kegelklub Alt-Heidelberg eine abermalige Verzinsung der Reichskassakontosteuer zu Allach (Bezirksamt Berlin) in Anrechnung brachte, konnte kraft seines 300jährigen Bestehens des afrikanischen Perlacher Knabenchores zur nochmaligen Submission herangezogen werden.“ (Valentin: Eine fidele Münchner Stadtratssitzung anno dazumal. - Keine Bange, der Text ist nicht in der Inszenierung!) Und dennoch glaubt man ehrfürchtig, einer ernsthaften Haushaltsdebatte eines bayerischen Landkreises beizuwohnen.
Egal, eine Reise sollte es sein und eine Reise war es auch, die in die Tiefen der Tiefsee, in die Tiefen der menschlichen oder tierischen Seelen, in die Gefilde der Mystik und ihren transzendentalen Wesen (Huhuuu!) oder in die Geschichte der Literatur und der Musik usw. führten. Singend (Musik Anton Prestele und Zoltan Sloboda) und schauspielernd bewiesen die Darsteller, dass sie Valentin nicht nur verstehen (Soweit das halt möglich ist!) und mögen, sondern ihn auch zu interpretieren vermochten. Es war ein besonderer und ein kurzweiliger Abend, der zu Recht vom Publikum mit viel Applaus bedacht wurde.
Wolf Banitzki
Valentin in Halifax
von Anton Prestele, Barbara Altmann & Ensemble Apropos frei nach Karl Valentin
Barbara Altmann, Maria Bauer, Babette Bühler, Laura Helle, Dagmar Koch, Javier Kormann, Anton Prestele, Kerstin Schultes, Zoltan Sloboda, Roswitha Teschner
Regie: Anton Prestele
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TamS Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit von Horst Hussel
Misstraue deinem Zeigefinger, wenn es um die Zähne geht!
„Formalistische Umtriebe“ – besser kann man die literarischen Abenteuer des 1934 in Greifswald geborenen und in Berlin lebenden Malers und Schriftstellers Horst Hussel kaum beschreiben. Im historischen Kontext betrachtet, war diese Stigmatisierung allerdings wenig schmeichelhaft und durchaus existenzbedrohlich. Verhängt war das Urteil gegen Hussel von den Kunstasthmatikern der DDR-SED, die in Hussels Darstellungen bloßes Formenspiel sahen, das vom „notwendigen Klassenkampf“ ablenkte und folglich eine „dekadente künstlerische Auffassung“ darstellte. Hussel wurde von der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee gefeuert. Dass es ihm nicht um akademische Titel ging, beweist die Tatsache, dass er im August 1961, also zum Zeitpunkt des Berliner Mauerbaus, auch sein drittes Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg hinschmiss.
Die akademischen Ehren wurden ihm dennoch zuteil, als die ehemalige DDR-Malerschmiede in Berlin-Weißensee ihm das Abschlusszeugnis im Jahr 1990 nachträglich zuerkannte. Kaum anzunehmen, dass Hussel dieses Diplom mehr bedeutete, als eine verspätete Genugtuung. Viel wichtiger war ihm vermutlich die Ehrenpräsidentschaft der Schwitters-Gesellschaft. Denn die ist wohl mehr als jede akademische Einrichtung Hussels künstlerische Heimat.
Hussel war mit seinen „Umtrieben“ allemal dichter am Menschen dran als die Klassenkampffantasien der DDR-Stalinisten, denen jede künstlerische Form jenseits des „sozialistischen Realismus“ suspekt war, weil sie sie in ihrer Fantasielosigkeit ohnehin nicht verstanden. Die verbissenen Hüter der sozialistischen Kunstdoktrin sind längst perdu, geblieben sind uns die literarischen Perlen von Horst Hussel, dessen faszinierende Dramolette in der Regie von Burchard Dabinnus im TamS zu sehen sind. Ort aller Handlungen ist eine Bank auf einem Friedhof mit Meerblick und einzelnem Baum, der, wie einige Charaktere bei Samuel Beckett ausgeliehen sein könnte.
Hier treffen sich Damen und, auch wenn der Untertitel „Damengespräche“ ist, einige Herren, um die Welt zu reflektieren. Sie entstammen vornehmlich der Kukident-Society, was die Themen schon mal deutlich eingrenzt. Wahrnehmung ist eines, denn die leidet ja bekanntlich im Alter und so stellt man sich des Öfteren die Frage, ob da wohl was ist, oder war, oder nicht und warum nicht. Antworten bleiben aus. Wozu auch, hat man doch beinahe alles hinter sich. „Es gibt keine Überraschungen.“ Das stimmt nicht ganz, denn gelegentlich gerät man schon in Rage. Beispielsweise über die Nachbarin, die einfach nicht sterben will, oder über den Hund einer anderen Dame, dessen Hässlichkeit radikale Taten fordert. Eine Axt kommt auch vor, wie im Titel versprochen, doch letztlich, und das stimmt versöhnlich, enden alle Wege immer wieder an der Bank auf dem Friedhof, das einzig Sichere im Leben aller Beteiligten. Überhaupt, man sollte sich nicht mehr allzu weit entfernen vom Friedhof… Und wenn es um den Sinn der zahlreichen Szenen geht, mögen jüngere Besucher diesen vielleicht hier und da vermissen, die älteren indes haben deutliche Ahnungen und Gewissheiten.
Burchard Dabinnus inszenierte die Miniaturdramen mit viel Feingefühl für Details und großem Verständnis für das Theater des Absurden. Die durchweg komischen Szenen entfesselten weniger Gelächter, als vielmehr unausweichliches Schmunzeln. Hussels elegant-skurrilen Ideen sind fernab von Plattitüden und Klischees angesiedelt; jede für sich ist eine Entdeckung, die selbst philosophischen Ansprüchen stand hält. Regisseur Dabinnus ist es gelungen, sie in ebenso hochkarätiges Schauspiel umzusetzen. Dabei konnte er auf drei Erzkomödianten zurückgreifen. Allen voran Anne-Isabelle Zils, deren Naturell schon eine Menge Komik parat hält, die aber zudem erstaunlich wandlungsfähig ist. Astrid Polak, die zumeist eine bezaubernde alte Dame gab, ließ es ebenso weder an Vorder- noch an Hintersinn und auch nicht an Boshaftigkeiten mangeln. Selbst einen Stalin- oder vielleicht auch Nietzscheschnurrbart trug sie mannhaft. Christian Buse wandelte in beiderlei Geschlechtern auf den Kriegspfaden gesellschaftlicher Umgangsformen mit einem sehr eigenen Verständnis von Mitmenschlichkeit. Er stand in seiner emotionalen Ekstase auch schon mal ohne Hosen da.
Ein wichtiger Grund für das Gelingen der Inszenierung war das wunderbare Bühnenbild und die ausschweifenden Kostüme von Claudia Karpfinger. Das Bühnenbild beschrieb keinen realen Topos, sondern einen nüchtern-abstrakten Lebensraum, in dem auch die zahllosen Kostüme vornehmlich artifiziell und dabei doch wundervoll kleidsam waren. Dieses Ambiente lenkte nicht ab und fokussierte die zum Teil surrealen oder absurden Vorgänge. Die Darsteller spielten in den vielen unterschiedlichen Figuren eine immens große Palette darstellerischer Farben. Unter der Spielleitung von Burchard Dabinnus wurde nichts verschenkt und ein reicher Strauß figürlicher Blüten machten den Abend zu einer Ohren- und Augenweide, dessen Textur vermutlich auch mit einem zweiten Besuch nicht endgültig entschlüsselt werden kann.
Es war unbedingt ein wunderbarer Abend, der einmal mehr die Stärken des TamS zutage förderte. Das TamS ist eine Institution, die im Umgang mit anspruchsvollsten Absurditäten oder mit hochklassigem Nonsens überzeugt. Niemand sollte nun glauben, dass sich keine nachhaltigen, für das Leben bedeutsame Wahrheiten in „Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit“ finden. Allein, manche kann man erst erkennen, wenn man die entsprechenden Lebenserfahrungen persönlich gemacht hat. Eine wäre: Misstraue deinem Zeigefinger, wenn es um die Zähne geht!
Prädikat: Erkenntnistheoretisch wertvoll, zumindest bei nahender Demenz!
Wolf Banitzki
Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit
Damengespräche von Horst Hussel
Astrid Polak, Anne-Isabelle Zils, Christian Buse
Regie: Burchard Dabinnus
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