Volkstheater Dingos von Paul Brodowsky




Auf den Hund gekommen

Paul Brodowsky, der von sich sagt, "Ich halte mich gerne in Menschenkollektiven auf", bewegt sich mit dem Stück "Dingos" aus eben diesen Gemeinschaften heraus. Die Wüste Australiens wählte er als Schauplatz für den Machtkampf zwischen den Protagonisten Carla und Georg. Australien als Metapher für den in der Wüste auf sich selbst zurück geworfenen Menschen. Nein, es handelt sich bei der Wahl des Ortes um keine Metapher (so der Autor), sondern schlicht um ein Reiseland, in dem "gesichertes" Abenteuer möglich ist. Wüste und doch nicht Wüste, so spiegelt der Ort gleichsam auch die moderne Einöde Großstadt wieder. Hier sind die "Pisten", auf denen Begegnungen stattfinden, ebenfalls ausgefahren, in Zeitschriften vordefiniert und in den Szene-Karten verzeichnet. Hier wie dort agiert die Unwägbarkeit Mensch, der doch so berechenbar ist in seiner Emotionalität.

Carla und Georg fahren mit einem Geländewagen für eine Woche durch die Wüste. Ausgerüstet mit reichlich Wasser und Treibstoff, sowie einer Landkarte beginnen sie das Abenteuer. Und wäre da nicht Adrian, mit dem Carla eine kurze Affäre hatte, unsichtbar mit im Gepäck, wäre es nicht mehr als eine Urlaubsfahrt. Doch in Georgs Fantasie erstehen immer wieder die Bilder der Begegnungen zwischen den Beiden, bis er schließlich beginnt, diese Szenen nachzustellen und mit Carla auszuleben. Eifersucht, Trotz und die ganze Palette der Gefühle wird ausgebreitet. Carla überfährt ein Känguru, Georg kämpft mit einem Dingo und so kommt auch der Tod ins Spiel.


Xenia Tiling, Justin Mühlenhardt

© Gabriela Neeb


Paul Brodowsky ist ein moderner Autor (Diplom-Kulturwissenschaftler) mit einem genauen Blick auf seine Generation und ihre kulturelle Welt. Die Reproduktion von Wissen und Kultur steht für Lebensinhalt. Carla und Georg singen während der Fahrt abwechselnd Passagen aus bekannten Hits, wobei ein Thema von Lied zu Lied übergreift. Georg improvisiert gelegentlich schon mal. "Wenn du nicht weiter weißt, erfindest du selbst"; aber das lässt Carla nicht gelten. Doch schon wenig später wirft sie Georg vor, er sei zu sehr an Wissen und Tradition orientiert. Brodowsky zeichnete heutige Figuren in ihrer Klischeehaftigkeit. Sie muten an wie Kinder, die den Aufstand proben, ohne Ziele und Inhalte, sieht man von persönlichen Befindlichkeiten, die unter der Bezeichnung Selbstverwirklichung um Anerkennung ringen, ab. Wie gut, dass es den Tod gibt, der in der Lage ist Schlusspunkte zu setzen wo Entwicklung ausbleibt oder an Grenzen gerät.

Regisseur Philipp Jescheck setzte in seiner Inszenierung auf Emotionalität und auf Aktionismus. Leider ist Aktionismus nicht gleichzusetzen mit Dramatik und so rief denn manche Tollerei beim Betrachter nur Langeweile hervor. Xenia Tiling und Justin Mühlenhardt ließen sich von der Regie eine Menge abfordern, wobei nicht immer deutlich wurde, ob sie auch wußten was sie taten. Den Schauspielern ist wohl kein Vorwurf zu machen, denn ihr Bemühen war aufrichtig. So sprunghaft wie der dramatische Entwurf des Autors ist, so sprunghaft war dann auch die Umsetzung durch die Spielleitung. Die innere Logik blieb nicht selten auf der Strecke. Physischer Aktionismus auf der Bühne verlangt, um Wirkung zu entfalten, höchste Präzision. Hier muss man der Regie eine gewisse Schlampigkeit bescheinigen. Mit dem Konflikt, und ein solcher sollte in jedem Theaterstück bewältigt werden, haben sich sowohl Paul Brodowsky als auch Philip Jescheck übernommen, denn keine der Figuren hat eine Wandlung durchlaufen.

Die Aufführung mutete an wie verzappeltes Gezicke, das vielleicht das Lebensgefühl einer Generation wiedergibt, jedoch als Aussage ziemlich mager daher kommt, auch wenn das längst akzeptierter Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft ist.



C.M.Meier

 

 


Dingos

von Paul Brodowsky

Xenia Tiling, Justin Mühlenhardt

Regie: Philipp Jescheck

Volkstheater Peer Gynt von Henrik Ibsen




Auf den Wegen des "großen Krummen"

Peer ist ein Lügner, Egoist und Versager. Und weil er ein Egoist und Versager ist, muss er lügen, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Und um Aufmerksamkeit geht es ihm, schließlich möchte er mindestens der Kaiser - nein, nicht eines Reiches - der ganzen Welt werden. Seine Lügen haben Charme und Poesie, haben das Zeug, Legenden zu werden. Mit einem Brautraub treibt er die Geschichte schließlich auf die Spitze und muss fliehen. Der junge Peer zieht aus, seine Weltherrschaft zu begründen. Unversehens läuft ihm im Hochgebirge eine "Prinzessin" über den Weg. Er wittert seine Chance und erwählt sie zur Frau. Bei Ibsen ist es die "Grüne", Tochter des Dovre-Alten, Herr der Trolle. Auch Peer soll zum Troll gemacht werden. Er läuft mit wehenden Fahnen über, denn in der Troll-Welt gilt: "Sei dir selbst genug." Das oberste menschliche Gebot: "Sei du selber", konnte er ohnehin nicht erfüllen. Später, seine Odyssee hat ihn auf höchst unmoralische Weise finanziell reich gemacht, verrät er das Geheimnis seines Erfolgs: Lass dir keinen Ring an den Finger stecken! Peer weiß nicht, dass Solveig, der er daheim Liebe schwur, ehe er sie sitzen ließ, an diese Liebe selbstlos glaubte und in ihrem Herzen bewahrte. Sie errettet den heimkehrenden, verwahrlosten und abgerissenen Peer vor dem Knopfgießer, Helfershelfer des Teufels, der ihn "umgießen" will, da er nichts "Halbes" und nichts "Ganzes" ist.

 


Tobias van Dieken, Maximilian Brückner, Friedrich Mücke, Sarah Sophia Meyer, Junge Riederinger Musikanten

© Arno Declair


Die große, geradezu Faustische Frage: Wer bin ich?, erfährt immer wieder neue Wandlungen. Peers Entwicklung bleibt eine Kreisbewegung des Selbstbetruges, denn sein Weg ist immer wieder nur der Weg des "großen Krummen". Am Ende muss er erkennen, dass ihn dieser Weg ein halbes Menschenleben lang an seinem "Kaiserreich" vorbei geführt hat. Dieses Reich ist die Liebe Solveigs. Durch diese Liebe wird Peer Gynt entsühnt. Die Handlungsstränge, die Situationen, in die Peer gerät, und die Personen, denen er begegnet, sind für Ibsen nur einem Ziel verpflichtet: ein höhnisches Zerrbild vom selbstzufriedenen Norwegertum zu zeichnen. Dass der Dichter weit über sein selbstgezeichnetes Ziel hinaus gelangte, beweist die Inszenierungstradition dieses "Weltbestsellers" und nicht zuletzt auch die Inszenierung am Münchner Volkstheater. Ibsens Peer Gynt stiegt zur satirisch-tragischen Personifikation von Egoismus, Selbstbetrug und schöpferischer Unfruchtbarkeit auf.

Der Umgang mit diesem Werk ist augenscheinlich kein Leichtes. Ibsen schrieb es 1867. Zu der Zeit stand er noch stark unter dem Einfluss der Romantik. Die vom Autor selbst bei Edvard Grieg in Auftrag gegebene Bühnenmusik, ein Dauerbrenner in den Opernspielplänen, machte Ibsen selbst zum Epigonen der Romantik. Aber es kam noch krasser, wenngleich der Vorgang aus heutiger Sicht für uns Deutsche sehr erhellend war. Dietrich Eckhart, einer von Hitlers Hofschreiberlingen, probierte die Umarbeitung zu einem Germanen-Heros. Man versuche sich das vorzustellen!

Wie näherte sich nun Christian Stückl diesem gewaltigen Stoff? Er machte daraus ein handfestes bayerisches Spektakel. Hauptdarsteller Maximilian Brückner fand einen zutreffenden Vergleich: "Valentin in der Wüste" (Zitat: Hallo München). Brückner war, wie er freimütig gestand, erstaunt, wie lustig das Stück sei. Eines kann mit Sicherheit bestätigt werden, der Zuschauer erlebt wahrhaft lustiges Theater. Stückl griff auf die Jungen Riederinger Musikanten zurück, womit er das Publikum auf seiner Seite hatte. (Siehe "Geierwally" und "Brandner Kasper") Warum sollte man auch auf Bewährtes verzichten? Die Textfassung entbehrte all der Romantik, die das Stück heute so schwer verdaulich macht. Das ist durchaus eine Tugend dieser Inszenierung! Trolle treten nicht auf, dafür schmierige Klischeemafiosie und damit richtig die Post abgeht wird noch gesungen, die "Erste Allgemeine Verunsicherung" beispielsweise, eine Band die im letzten Jahrtausend einiges bewegte. Stückls Regieeinfälle haben Feuerwerkcharakter, funktionieren und verfehlen die Wirkung nicht. Das Publikum erlebte drei Stunden lang viele Überraschungen. Die größte war vielleicht, dass man die Texte von Ibsen in fast jeder Situation auch ins Komische kippen kann. Man kann, man muss nicht! Stückl tat's und tat dem Stück gewaltig Gewalt an. Über längere Strecken hatte das Drama um eine Schlüsselfrage der menschlichen Existenz den Anstrich von Wirtshausgaudi. Die Botschaft, die große Fragestellung wurde zum Nebenprodukt einer sehr unterhaltsamen Aufführung. Zu Zeiten von Bildungsbürgertum wäre es angegangen, denn zu diesen Zeiten kannten die meisten Zuschauer das Stück von der Lektüre her. Aber heute?

Wem diese Inszenierung als "Peer Gynt" von Henrik Ibsen im Gedächtnis bleibt, der liegt mit Sicherheit schief. Trotzdem sei diese Arbeit wärmstens empfohlen, denn sie ist ein theatralisches Ereignis für München. Maximilian Brückner in dieser Rolle zu erleben, ist sicherlich (wie auch als Boandlkramer) eine Sternstunde für das Volkstheater. Sein hochenergetisches, beinahe atemloses Spiel bleibt immer verständlich und präzise. Brückner ließ keinen Zweifel an seinem Talent und Können. Zugleich riss er seine Bühnenpartner wirbelsturmartig mit sich. Tobias van Dieken, Friedrich Mücke und Gabriel Raab, zumeist im Dreierpack agierend, hatten dabei gelegentlich Mühe, mitzuhalten. Jeder von ihnen hatte mindestens drei Rollen zu gestalten. Dabei wechselten sie scheinbar mühelos Spielgestus und Dialekt. Die Spielfreude war allen anzumerken und verhalf ihnen zu erstaunlichen Höhen. Bei den Damen war es Barbara Romaner, die bestach. Als Bauerntrampel Ingrid gab sie ihrem Affen so sehr Zucker, dass sie ihrer eignen Komik nur mit Mühe widerstand. Mit der Anitra, Tochter eines Beduinenhäuptlings, schuf sie das absolute Gegenteil, einen berückenden Hauch von "orientalischer" Weiblichkeit, die alle Klischees bediente. Ursula Burkhart hatte mit ihrer Rolle in dieser Inszenierung die schlechtesten Karten. Als Mutter Aase konnte sie sich nicht über Komik profilieren. Dennoch überzeugte ihre Gestaltung von menschlichem Elend und Hoffnungslosigkeit. Sie kam der Ibsenschen Vorgabe am nächsten. Unbedingt erwähnt werden sollte noch Andreas Tobias. Sein diabolisches Auftauchen aus dem Misthaufen war einer der besten Regieeinfälle.

Christian Stückl hatte sich von Alu Walter ein Bühnenbild gestalten lassen, das dem Zuschauer wegen der Stimmigkeit im Gedächtnis bleiben wird. In der grauen Ärmlichkeit eines schäbigen norwegischen Dorfes konnten Trunksucht, Ignoranz und auch Gewalttätigkeit bestens gedeihen. Die Wüste mit bekletterbarer Palme, erst Sonnenbadeort für Kolonialisten, wurde schnell zur Ödnis, die Peer zu einem aus der Welt gefallenen machte. Und schließlich gelang es Alu Walter, den entfesselten Ozean auf die Bühne zu bringen, in dem Peer sein Sündenregister mit der schlimmsten Tat beschließt. Unter dem Motto: Jeder ist sich selbst der nächste!, verursacht er den Tod eines Menschen.

Diese Inszenierung wird dem Volkstheater ein volles Haus bescheren. "Peer Gynt" ist Volkstheater im besten Sinne, doch was das dramatische Gedicht von Ibsen anbelangt, nur eine Light-Version. Übrigens, wer sich der Heiterkeit allzu hemmungslos hingibt, könnte in Ibsen einen ersten Mohammed-Karikaturisten erkennen. Aber nicht weitersagen!


Wolf Banitzki


 

 


Peer Gynt

von Henrik Ibsen

Maximilian Brückner, Ursula Maria Burkhart, Tobias van Dieken, Junge Riederinger Musikanten, Sarah Sophia Meyer, Friedrich Mücke, Gabriel Raab, Barbara Romaner, Hubert Schmid, Andreas Tobias

Regie: Christian Stückl

Volkstheater Michael Kohlhaas von Heinrich v. Kleist




Der Kohlhaas-Report

Es ist unbestritten eine der spannendsten, bewegendsten und verstörendsten Geschichten der deutschen Literatur: Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist. Und sie ist modern, moderner, als die meisten modernen Literaturen und Bühnenwerke. Sie behandelt das Thema Terrorismus. Michael Kohlhaas, einem Rosshändler aus dem Brandenburgischen widerfährt Unrecht, zuerst einmal nichtstaatliches Unrecht, sondern Unrecht, resultierend aus privater Willkür. Als er sich an die Obrigkeit wendet, um sein Recht einzufordern, wird offenbar, dass staatliches Recht inzwischen staatlich gewordene private Willkür ist. Nicht nur, dass ihm das gesetzlich verbriefte Recht vorenthalten wird, nein, er wird als Querulant und Unruhestifter abgestempelt und in sein Schranken verwiesen. Diese Schranke sind abgesteckt durch die zynische Arroganz der Macht. Vetternwirtschaft und Verantwortungslosigkeit, Selbstgefälligkeit und geistig-moralische Verwahrlosung sind an die Stelle von Rechtsstaatlichkeit getreten. Betrachtet man die Geschichte, so wird man schnell feststellen, dass diese Vorgängen ganz normal und gesetzmäßig sind. Am Ende stand in der Regel eine Revolution oder zumindest (Staats-) Reformen. Kohlhaas war, und er ist als solcher in jeder historischen Gesellschaftssituation auffindbar, ein Handelnder, das moralische Recht auf seiner Seite und das staatliche Recht gegen sich, der auf Veränderung veränderungswürdiger Zustände sann.


Friedrich Mücke

© Arno Declair


"Die Geschichte fordert den Leser heraus, Partei zu nehmen." (Jens Bisky, der mit: Kleist. Eine Biographie. Berlin 2007, von deutschen Gazetten aller Couleur höchstes Lob erntete.) Schön, denkt man sich, endlich mal etwas, was weiterhilft in den Überlegungen bezüglich Terrorismus. Doch weit gefehlt. Die Bühnenfassung, die sich ganz augenscheinlich sehr stark auf die analytischen Gedanken von Herrn Bisky stützt, bezieht keinesfalls Stellung, noch erlaubt sie dem Publikum, sich zu orientieren. Um nicht falsch verstanden zu werden, es geht nicht darum, dass der Zuschauer eine vorgefertigte Weltanschauung vorgesetzt bekommt, aber es ist doch zumindest zu erwarten, dass die Macher (hier Regisseurin Hanna Rudolph und Dramaturgin Katja Friedrich) Argumente liefern für oder gegen Haltungen. Würde der Zuschauer die Kleistsche Novelle lesen, wäre er "so klug als wie zuvor". Diese Haltungslosigkeit der Inszenierung im Münchner Volkstheater befördert zumindest eines: die pluralistische Diskussion in alle Richtungen. Na ja, das ist doch zumindest abendfüllend, wenn auch nicht erkenntniserweiternd.

So brüchig wie das geistige Konzept war denn auch das ästhetische. Scheinbar als Report angedacht, glitt die Inszenierung immer wieder ins ästhetisierende ab. Nicht nachvollziehbar waren schauspielerische Auslassungen, wie das Spiel von Nico Holonics als Pferdeknecht Herse während der Befragung durch Kohlhaas (Friedrich Mücke). In dieser Szene glaubte man einen gespreizten Oscar Wilde auf Koks vor sich zu haben, und dabei war es doch ein brandenburgischer Pferdeknecht. Warum mussten die Schauspieler vorgeben, die Vorstellung musikalisch zu begleiten, wenn doch für jederman sichtbar war, dass die wenig überzeugende Musik (Kriton Klingler-Ioannides) aus der Konserve kam? Und warum gab es eine Rampe durch den gesamten Zuschauerraum, über die die Schauspieler auf und ab gingen? Um das Oben und Unten einer Gesellschaft zu versinnbildlichen? Das wäre dann doch ein recht schwacher Einfall! Das Bühnenbild von Nadia Fistarol, schwarz und durch Folienvorhänge begrenzt, war ganz auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet. Auf der Bühne Stühle, Tische, Lautsprecherboxen, ein elektronisches Klavier. Beinahe alles wurde mit Vehemenz bewegt. Nur selten wurde jedoch der Grund sichtbar und gelegentlich beförderten die Umräumaktionen den Zuschauer unsanft aus der Geschichte heraus.

Dabei musste man den Schauspielern höchstes Lob zollen. Sie spielten engagiert und voller Hingabe. Jeder einzelne konnte seine Stärken ausspielen. Allen voran Friedrich Mücke, dessen physische Präsenz allein den Kohlhaas, einen Mann der einige Städte in Schutt und Asche gelegt hatte, glaubhaft erscheinen ließ. Xenia Tiling überzeugte in der Rolle der Ehefrau von Kohlhaas ebenso wie in der Verkörperung männlicher Rollen, obgleich sie immer ganz Frau war. Gabriel Raab, Robin Sondermann und Andreas Tobias komplettierten bestes Ensemblespiel in nicht weniger als zwölf Rollen, wenngleich es gelegentlich schwierig wurde, den Überblick zu behalten. Zuschauer, die den Kleistschen Kohlhaas nicht kannten, fanden sich dann und wann auf verlorenem Posten wieder. Hier hätte die Dramaturgie besser zum Stift gegriffen.

Es war eine ambitionierte Arbeit von Hanna Rudolph, die ästhetisch entgrenzen wollte und dabei mehrfach ausglitt. Die Wahl der ästhetischen Mittel sollte immer dem Effekt geschuldet sein, den das Mittel auszulösen vermag. Wenn das Mittel Selbstzweck ist, und nicht selten schien es so, wirkt es kontraproduktiv. Die Inszenierung ist aufgrund der guten schauspielerischen Leistungen eines kraftvoll agierenden Ensembles sehenswert. Der Inhalt, einmal von der Großartigkeit der Kleistschen Vorlage abgesehen, vermag nicht zu überzeugen.

Man sollte diesen Text nicht als Vorlage wählen, wenn man kein gesellschaftliches Anliegen verfolgt, wie Kleist es tat, als er den Text schrieb. Angesichts der Modernität wäre eine Provokation angebracht gewesen. Warum gelang es dieser Inszenierung nicht, dem Publikum einmal zu erklären, dass Terroristen nicht vom Himmel fallen oder fehlgeleitete Irre sind, sondern das Produkt einer Gesellschaft, die selbst in die Schieflage geraten ist? Die deutschen Innenminister wissen das längst, allen voran Herr Schäuble. Der ist ein wirklich guter und fleißiger Staatsdiener, denn er wandelt die demokratische deutsche Gesellschaft langsam aber unaufhaltsam in eine geschlossene um. Und er tut das präventiv, um die kommenden Kohlhaasfiguren beizeiten eliminieren zu können. Kohlhaas ist eine historische Gesetzmäßigkeit, was seine permanente Wiederkehr beweist. Insofern sollten wir uns nicht mit der moralischen und juristischen Verurteilung aufhalten.

Diese Inszenierung war durch ihre Unentschiedenheit und durch ihre Haltungslosigkeit bestes Staatstheater. Sie erweckte den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung stattfindet. Sie findet aber ebenso wenig statt, wie bei der Bewältigung der RAF. Und genau in dieser Inkonsequenz besteht das Dilemma bürgerlichen Denkens. Konsequent wäre beispielsweise auch gewesen, den heute lächerlich anmutenden Appendix um die Prophezeiung einer Zigeunerin wegzulassen. Aber das stachelt Befindlichkeiten an und darauf verzichtet heutiges Unterhaltungstheater ungern.


Wolf Banitzki

 


Michael Kohlhaas

von Heinrich v. Kleist

Nico Holonics, Friedrich Mücke, Gabriel Raab, Robin Sondermann , Xenia Tiling, Andreas Tobias

Regie: Hanna Rudolph

Volkstheater wohnen. unter glas von Ewald Palmetshofer




Irrläufer

Die gesellschaftlichen Maßstäbe für die Menschen in der Zeit haben sich geändert. Bot sich den Menschen früher durch starke emotionale sowie geistige Verbindungen Rückhalt und Bezug, so wird in der modernen Gesellschaft die Eigenständigkeit propagiert, in der jeder sich selbst der Nächste und damit auch der Einzige ist. Daraus folgt Vereinzelung, nicht die vermeintlich als Ziel gepriesene Individualität im Sinne von Besonderheit. Dabei ist es doch gerade diese Besonderheit, nach der der Mensch strebt. Flochten sich in der Vergangenheit Freundschaften über die Jahre durch ein ganzes Leben, bereicherten es auf verschiedenste Weise und beförderten so den Vertrauten als einmalig, so stehen diese im Heute ständig unter dem Vorzeichen Trennung. "Für jeden kommt die Kreuzung an der er sich entscheidet. Abbiegt weitergeht. Und du hältst ihn nicht auf ...", lässt Ewald Palmetshofer seinen Protagonisten Max feststellen. Lebensabschnittsgemeinschaft heißt das Prinzip, das vielfach die Stelle der Freundschaft eingenommen hat. Schon der Begriff drückt Funktionalität aus, die ebenso wie Leistung und Erfolg zu den aktuellen anerkannten Gradmessern gehört. Auch Sexualität wird unter dem Aspekt Leistung und Höhepunkt im Dasein bewertet und für Max war der Gipfel in seinem bisherigen Leben die Nacht mit Jeani.

 


Stephanie Schadeweg, Barbara Romaner, Friedrich Mücke

© Arno Declair


Ewald Palmetshofer, Jahrgang 1978, wirft einen scharfen Blick auf seine Generation und setzt sich mit ihrem Beziehungsverhalten auseinander. Er tut dies unter psychologischem Aspekt und schuf dazu in seinem Stück eine Laborsituation. "Es geht hier um den Verlust ideologischer Freundschaften, oder dessen, was man einmal für ideologisch hielt. Die Hirne und Körper vollziehen nach, was es heißt, in einer gänzlich postideologischen Zeit angekommen zu sein. ...", so der Autor zu seinem Werk.

Drei Menschen kommen nach Jahren wieder zusammen. Jeani initiierte das Treffen mit Babsi und Max. Die Begegnungen beschränken sich auf Allgemeines und lassen ansatzweise die Anknüpfungspunkte zwischen den Figuren erkennen. Deren Leben, sowohl Gegenwart wie Vergangenheit, bleiben im Dunkeln. Dafür resümieren die Drei, jeder für sich im Kopf, und erklären egozentrisch ihre Standpunkte. Aufgeworfen wird: "Es ist alles da! Warum geht es nicht?" Doch es gibt keine Annäherung an den anderen, keine Lösung "unter Glas". Jeder geht am Ende wieder seiner Wege, wie er gekommen war. Das Ringen um einen Orgasmus, die tiefe Begegnung, bleibt ohne Erfolg. Onanie in unterschiedlicher Form bestimmt weiterhin die Schicksale. Das gilt auch für Jeani, die sich den "Luxus gönnt, für jemand Platz in ihrem Leben" gemacht zu haben.

Es war eine Inszenierung, die den Nerv des Publikums traf, bezog doch Max auch Zuschauer in seine Reflexionen ein, verwickelte sie in Gespräche und bisweilen waren aus der Schwärze des Raums auch tiefe Seufzer des Erkennens zu vernehmen. Regisseur Frank Abt vertraute in der Inszenierung zu Recht auf die Dichte des Textes und auf die Kraft der Darsteller. Friedrich Mücke gab brillant einen entwurzelten Max, dem der "rechte Biss" im Leben fehlte und der selbst die kleinsten Spitzen als Höhepunkte auszumachen suchte. Jeani, selbstbewusst modern dargestellt von Barbara Romaner, verstand es geschickt, ihre Rolle stets in den Mittelpunkt zu stellen. Während Stephanie Schadeweg überzeugend eine um Ausgleich bemühte Babsi auf die Bühne brachte, die doch letztlich nie über die gutmütige Kameradin zum Kuscheln hinauskam.

Die Bühne von Anne Ehrlich, die Gaststube einer Hütte in den Bergen, spiegelte deutlich einen natur- und heimatverbundenen, konventionellen Hintergrund wieder. Die Projektion der gemeinsamen, in ausgelassener Stimmung stattfindenden Besteigung eines schneebedeckten Berggipfels bildete den Abschluss des Treffens. ... Heimat und Natur als die verbindenden Elemente? ... das wäre dann doch eine zu simple Botschaft.

Es ist eine resignierende Bilanz, die hier auf die Bühne kam, denn das Leben ist so sehr viel mehr als ideologische Reflexion und persönliche Befindlichkeit. Doch es hat keine Chance im Versuch "unter Glas" und um dies zu erkennen, täte gelegentlich mehr als ein Blick zurück Not, einer der über den ideologischen Horizont hinaus geht. "Die Gegenwart ist nur ein kleines rennendes Lichtlein, das flackert: wahre Erhellung aber kommt stets aus dem Vergangenen.", so Heimito v. Doderer.

Werk und Inszenierung führten symptomatisch vor Augen, wo der von verbindenden Gefühlen befreite Mensch in dieser Zeit steht - sind schon allein deshalb für Liebhaber psychologischer Stücke empfehlenswert.



C.M.Meier

 

 


wohnen. unter glas

von Ewald Palmetshofer

Stephanie Schadeweg, Barbara Romaner, Friedrich Mücke

Regie: Frank Abt

Volkstheater Richard III von W. Shakespeare




Mehr Politkrimi als Historiendrama

Ohne Frage ist der Gloster, später "Richard III.", in Shakespeares gleichnamigem Drama ein Traum für jeden anspruchsvollen Darsteller. Das ist auch ein Grund, warum sich das Stück als einziges der "Königsdramen" in deutschen Spielplänen fest etabliert hat. Die Gestalt Richards ist vergleichbar mit der des Mephisto oder, um bei Shakespeare zu bleiben, mit der des Jago, nur ist Gloster effizienter in seinem Treiben. Erfolg für Richard bedeutet immer zugleich den Tod eines anderen Menschen. Er scheut weder vor Frauen noch vor Kindern zurück. Der historische Richard, die Geschichte spielt zwischen 1471 bis 1485, war übrigens viel harmloser als der des William Shakespeare.

König Eduard IV. ist siech. Ein Machtwechsel steht an. Richard ist jedoch weit abgeschlagen in der genealogischen Hierarchie, um berechtigte Ansprüche auf den Thron anzumelden. Dennoch ist er gewillt, ihn sich anzueignen. Es ist dabei gar nicht so sehr Machtgier, die ihn treibt. Vielmehr findet er Vergnügen daran, der Welt seinen Stempel aufzudrücken. Es ist der Stempel eines von der Natur Verhöhnten, eines Krüppels. Ohne Umschweife legt er schon in der ersten Szene des Dramas seinen Plan offen: "Ich, roh geprägt, entblößt von Liebesmajestät, / (…) / Ich, um dies schöne Ebenmaß verkürzt, / Von der Natur um Bildung falsch betrogen, (…) / Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden (…)."

 

Nico Holonics

© Arno Declair


Zu allen Zeiten übte die schauerliche Größe der Figur Richards gleichwohl auf Theaterleute wie Zuschauer einen großen Reiz aus. Richard ist lustvoll und mit Hingabe der Bösewicht, wobei seine physischen Defekte allein längst nicht seinen Charakter erklären können. Er ist außergewöhnlich intelligent, mutig und angeödet vom Mittelmaß, das ihn umgibt. So entfesselt er einen Reigen von Morden, die er sprachgewaltig einfädelt und begehen lässt. Willfährige Diener findet er stets, denn er weiß sie alle zu lenken und zu leiten. Richard stellt sein Genie und seine perversen Lüste in den Dienst seiner Herrschsucht. Am Ende geht er mit klarem Verstand und aufrechten Hauptes auf dem Schlachtfeld in den Tod.

"Hanebüchen einfach: ein heuchlerischer Metzger", urteilte Alfred Kerr. Lessing hingegen hatte den Richard im Menschen an sich entdeckt: "Richard ist ein abscheulicher Bösewicht: aber auch die Beschäftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Vergnügen; besonders in der Nachahmung."

Das Drama ist eine Herausforderung für jeden Regisseur und so war es sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Christian Stückl sich diesen Wunsch erfüllte. Er ging nicht zimperlich mit dem Drama um. Als Vorlage diente ihm die Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, aus der oben bereits zitiert wurde. Die Romantiker heran zu ziehen scheint heute wenig opportun, denn die Sprache ist überaus anspruchsvoll. Christian Stückl peppte sie denn auch mit einigen alltagsprachlichen Einsprengseln auf, was der Inszenierung Schwung verlieh, gelegentlich aber mit Passagen rein Schlegelscher Texte kollidierte (z.B. wenn Ursula Burkhart als Elisabeth agierte). Der Spielhaltung von Nico Holonics (Richard) kamen die Laxheiten entgegen und die waren nicht selten Mittel zur Definition der Rolle als eine verachtungsvolle und zynische. Er gab einen Beau, einen exaltierten, schmeichlerischen, aber auch messerscharfen Charakter, dem allerdings etwas ganz Wesentliches fehlte: Hässlichkeit. Zwar versuchte er die Hässlichkeit in ein, zwei Szenen zu erspielen, doch wurden diese Passagen nur über den Kopf wahrgenommen. Er blieb ein gut aussehender junger Mann, alles andere also, als der Gloster bei Shakespeare. Das nahm der Rolle die vielleicht wichtigste Facette, nämlich das Diabolische. Man muss sich einmal vorstellen, dass ein Mann, ein Mörder, dem wegen seiner Hässlichkeit die Hunde hinterher bellen, während des Leichenzugs die Frau betört, die er gerade zur Witwe gemacht hat. Einem schönen Mann kauft man das vielleicht noch ab, wenn die Frau hinreichend stupid ist. Für einen Krüppel ist das ein Geniestreich. Man vergleiche mit der unvergesslichen Szene aus dem Film "Richard III." aus dem Jahr 1995 (Regie: Richard Loncraine) mit Ian McKellen in der Hauptrolle.

Ungeachtet dessen ist Nico Holonics eine beachtliche Leistung auf der Bühne des Volkstheaters gelungen. Bedauerlich sind allerdings die Abweichungen vom Shakespeareschen Drama, die da waren: der finale Wahnsinn Richards und sein Tod. Schon der berühmt gewordene Satz: "Mein Königreich für ein Pferd.", hat in Stückls Inszenierung den Unterton des in dem eigenen Wahnsinn Resignierenden. Wenn Richard noch nicht abtreten will, dann nicht wegen der Angst vor dem Tode oder dem Untergang, sondern aus Gründen der Inakzeptanz des Verlierens. Er ist ein konsequenter Spieler, der Tod und Teufel nicht fürchtet. An Stelle des exzessiven Aufbegehrens, des Schreiens, Kreischens und fluchtartigen Herumtobens von Nico Holonics im Volkstheater sind die letzten Sätze Richards in Shakespeares Drama: "Ich setz' auf einen Wurf mein Leben, Knecht, / Und will der Würfel Ungefähr bestehn."
Und schließlich kommt Richmond noch zu Wort, der eine historische Zäsur setzt. Er beendet die Rosenkriege, ein herausragendes historisches Ereignis. Christian Stückl lässt Richard auch nicht durch die Hand Richmonds fallen, wie im Stück, sondern durch Gatesby, den Knecht und bedingungslosen Gefolgsmann Richards. Wenn das die Rache des kleinen Mannes war, dem seine Schandtaten nicht entlohnt wurden, war es ein schwacher Abgang für Richard.

Stückl hat mit lockerer Hand inszeniert und einen leicht anzuschauenden "Richard III" geschaffen. Junge Leute versetzten allerdings eher aufgepfropfte Szenen, wie das Verspeisen des Hirns eines getöteten Widersachers in Begeisterung. Vermutlich waren viele Zuschauer dem Regisseur zusätzlich dankbar, dass er, wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit Dramaturgin Christine Böhm, die Personage allein der tragenden Rollen halbierte und folglich auch die Handlung übersichtlicher gestaltete.

Die schauspielerischen Leistungen waren leider sehr unterschiedlich. Neben dem bereits erwähnten Nico Holonics stachen besonders Stefan Murr (Herzog von Buckingham), Axel Röhrle (Lord Stanley), Ursula Burkhart (Elisabeth) und Ilona Grandke (Margarete) heraus. Stark differierend zu den Angeboten der oben genannten war hingegen die Darstellung Thomas Kylaus als John Morton. Dass dieser Mann einen Bischof vorstellen sollte, konnte man kaum glauben. Er war maximal eine Persiflage auf einen Bischof und somit ziemlich deplaziert in diesem blutrünstigen Reigen. Wenig überzeugend war auch die Darstellung des Gatesby durch Justin Mühlenhardt, der ausdauernd an Wänden lehnte und dessen Umgang mit den S-Lauten keine künstlerische Ebene erlange konnte. Xenia Tillig zahlte einen hohen Preis für die Verkürzung des Textes. Sie konnte ihrer Lady Anne gerade ein paar Posen verleihen. Für eine Entwicklung der Figur blieb zu wenig Raum.

Ein echtes Highlight der Inszenierung war das visuell beeindruckende Bühnenbild von Alu Walter. Ein anthrazitfarbener Raum im Vordergrund suggerierte die Düsternis englischer Intrigen und Politik. Eine Schiebetür im Hintergrund ermöglichte den Ausstieg und den Ausblick in die grüne Landschaft. Einfach aber eindrucksvoll die Sicht ins Land, die durch eine weitschwingende Schaukel lebendig wurde. Die grüne Idylle verschwand im zweiten Teil, der den Untergang beschrieb. An ihre Stelle trat verbrannte Erde.

Unterm Strich muss man leider sagen, dass Regisseur Christian Stückl zwar eine zeitgemäße Inszenierung des Shakespearedramas hinbekam, der Dimension der dramatischen Vorlage allerdings nicht unbedingt gerecht wurde. Es war mehr Politkrimi als Historiendrama.


Wolf Banitzki

 

 


Richard III

von W. Shakespeare

Christoph Baumann, Ursula Maria Burkhart, Ilona Grandke, Nico Holonics, Thomas Kylau, Stefan Murr, Justin Mühlenhardt, Axel Röhrle, Robin Sondermann , Xenia Tiling, u. a.

Regie: Christian Stückl