Volkstheater Peer Gynt von Henrik Ibsen
Auf den Wegen des "großen Krummen"
Peer ist ein Lügner, Egoist und Versager. Und weil er ein Egoist und Versager ist, muss er lügen, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Und um Aufmerksamkeit geht es ihm, schließlich möchte er mindestens der Kaiser - nein, nicht eines Reiches - der ganzen Welt werden. Seine Lügen haben Charme und Poesie, haben das Zeug, Legenden zu werden. Mit einem Brautraub treibt er die Geschichte schließlich auf die Spitze und muss fliehen. Der junge Peer zieht aus, seine Weltherrschaft zu begründen. Unversehens läuft ihm im Hochgebirge eine "Prinzessin" über den Weg. Er wittert seine Chance und erwählt sie zur Frau. Bei Ibsen ist es die "Grüne", Tochter des Dovre-Alten, Herr der Trolle. Auch Peer soll zum Troll gemacht werden. Er läuft mit wehenden Fahnen über, denn in der Troll-Welt gilt: "Sei dir selbst genug." Das oberste menschliche Gebot: "Sei du selber", konnte er ohnehin nicht erfüllen. Später, seine Odyssee hat ihn auf höchst unmoralische Weise finanziell reich gemacht, verrät er das Geheimnis seines Erfolgs: Lass dir keinen Ring an den Finger stecken! Peer weiß nicht, dass Solveig, der er daheim Liebe schwur, ehe er sie sitzen ließ, an diese Liebe selbstlos glaubte und in ihrem Herzen bewahrte. Sie errettet den heimkehrenden, verwahrlosten und abgerissenen Peer vor dem Knopfgießer, Helfershelfer des Teufels, der ihn "umgießen" will, da er nichts "Halbes" und nichts "Ganzes" ist.
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Tobias van Dieken, Maximilian Brückner, Friedrich Mücke, Sarah Sophia Meyer, Junge Riederinger Musikanten
© Arno Declair
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Die große, geradezu Faustische Frage: Wer bin ich?, erfährt immer wieder neue Wandlungen. Peers Entwicklung bleibt eine Kreisbewegung des Selbstbetruges, denn sein Weg ist immer wieder nur der Weg des "großen Krummen". Am Ende muss er erkennen, dass ihn dieser Weg ein halbes Menschenleben lang an seinem "Kaiserreich" vorbei geführt hat. Dieses Reich ist die Liebe Solveigs. Durch diese Liebe wird Peer Gynt entsühnt. Die Handlungsstränge, die Situationen, in die Peer gerät, und die Personen, denen er begegnet, sind für Ibsen nur einem Ziel verpflichtet: ein höhnisches Zerrbild vom selbstzufriedenen Norwegertum zu zeichnen. Dass der Dichter weit über sein selbstgezeichnetes Ziel hinaus gelangte, beweist die Inszenierungstradition dieses "Weltbestsellers" und nicht zuletzt auch die Inszenierung am Münchner Volkstheater. Ibsens Peer Gynt stiegt zur satirisch-tragischen Personifikation von Egoismus, Selbstbetrug und schöpferischer Unfruchtbarkeit auf.
Der Umgang mit diesem Werk ist augenscheinlich kein Leichtes. Ibsen schrieb es 1867. Zu der Zeit stand er noch stark unter dem Einfluss der Romantik. Die vom Autor selbst bei Edvard Grieg in Auftrag gegebene Bühnenmusik, ein Dauerbrenner in den Opernspielplänen, machte Ibsen selbst zum Epigonen der Romantik. Aber es kam noch krasser, wenngleich der Vorgang aus heutiger Sicht für uns Deutsche sehr erhellend war. Dietrich Eckhart, einer von Hitlers Hofschreiberlingen, probierte die Umarbeitung zu einem Germanen-Heros. Man versuche sich das vorzustellen!
Wie näherte sich nun Christian Stückl diesem gewaltigen Stoff? Er machte daraus ein handfestes bayerisches Spektakel. Hauptdarsteller Maximilian Brückner fand einen zutreffenden Vergleich: "Valentin in der Wüste" (Zitat: Hallo München). Brückner war, wie er freimütig gestand, erstaunt, wie lustig das Stück sei. Eines kann mit Sicherheit bestätigt werden, der Zuschauer erlebt wahrhaft lustiges Theater. Stückl griff auf die Jungen Riederinger Musikanten zurück, womit er das Publikum auf seiner Seite hatte. (Siehe "Geierwally" und "Brandner Kasper") Warum sollte man auch auf Bewährtes verzichten? Die Textfassung entbehrte all der Romantik, die das Stück heute so schwer verdaulich macht. Das ist durchaus eine Tugend dieser Inszenierung! Trolle treten nicht auf, dafür schmierige Klischeemafiosie und damit richtig die Post abgeht wird noch gesungen, die "Erste Allgemeine Verunsicherung" beispielsweise, eine Band die im letzten Jahrtausend einiges bewegte. Stückls Regieeinfälle haben Feuerwerkcharakter, funktionieren und verfehlen die Wirkung nicht. Das Publikum erlebte drei Stunden lang viele Überraschungen. Die größte war vielleicht, dass man die Texte von Ibsen in fast jeder Situation auch ins Komische kippen kann. Man kann, man muss nicht! Stückl tat's und tat dem Stück gewaltig Gewalt an. Über längere Strecken hatte das Drama um eine Schlüsselfrage der menschlichen Existenz den Anstrich von Wirtshausgaudi. Die Botschaft, die große Fragestellung wurde zum Nebenprodukt einer sehr unterhaltsamen Aufführung. Zu Zeiten von Bildungsbürgertum wäre es angegangen, denn zu diesen Zeiten kannten die meisten Zuschauer das Stück von der Lektüre her. Aber heute?
Wem diese Inszenierung als "Peer Gynt" von Henrik Ibsen im Gedächtnis bleibt, der liegt mit Sicherheit schief. Trotzdem sei diese Arbeit wärmstens empfohlen, denn sie ist ein theatralisches Ereignis für München. Maximilian Brückner in dieser Rolle zu erleben, ist sicherlich (wie auch als Boandlkramer) eine Sternstunde für das Volkstheater. Sein hochenergetisches, beinahe atemloses Spiel bleibt immer verständlich und präzise. Brückner ließ keinen Zweifel an seinem Talent und Können. Zugleich riss er seine Bühnenpartner wirbelsturmartig mit sich. Tobias van Dieken, Friedrich Mücke und Gabriel Raab, zumeist im Dreierpack agierend, hatten dabei gelegentlich Mühe, mitzuhalten. Jeder von ihnen hatte mindestens drei Rollen zu gestalten. Dabei wechselten sie scheinbar mühelos Spielgestus und Dialekt. Die Spielfreude war allen anzumerken und verhalf ihnen zu erstaunlichen Höhen. Bei den Damen war es Barbara Romaner, die bestach. Als Bauerntrampel Ingrid gab sie ihrem Affen so sehr Zucker, dass sie ihrer eignen Komik nur mit Mühe widerstand. Mit der Anitra, Tochter eines Beduinenhäuptlings, schuf sie das absolute Gegenteil, einen berückenden Hauch von "orientalischer" Weiblichkeit, die alle Klischees bediente. Ursula Burkhart hatte mit ihrer Rolle in dieser Inszenierung die schlechtesten Karten. Als Mutter Aase konnte sie sich nicht über Komik profilieren. Dennoch überzeugte ihre Gestaltung von menschlichem Elend und Hoffnungslosigkeit. Sie kam der Ibsenschen Vorgabe am nächsten. Unbedingt erwähnt werden sollte noch Andreas Tobias. Sein diabolisches Auftauchen aus dem Misthaufen war einer der besten Regieeinfälle.
Christian Stückl hatte sich von Alu Walter ein Bühnenbild gestalten lassen, das dem Zuschauer wegen der Stimmigkeit im Gedächtnis bleiben wird. In der grauen Ärmlichkeit eines schäbigen norwegischen Dorfes konnten Trunksucht, Ignoranz und auch Gewalttätigkeit bestens gedeihen. Die Wüste mit bekletterbarer Palme, erst Sonnenbadeort für Kolonialisten, wurde schnell zur Ödnis, die Peer zu einem aus der Welt gefallenen machte. Und schließlich gelang es Alu Walter, den entfesselten Ozean auf die Bühne zu bringen, in dem Peer sein Sündenregister mit der schlimmsten Tat beschließt. Unter dem Motto: Jeder ist sich selbst der nächste!, verursacht er den Tod eines Menschen.
Diese Inszenierung wird dem Volkstheater ein volles Haus bescheren. "Peer Gynt" ist Volkstheater im besten Sinne, doch was das dramatische Gedicht von Ibsen anbelangt, nur eine Light-Version. Übrigens, wer sich der Heiterkeit allzu hemmungslos hingibt, könnte in Ibsen einen ersten Mohammed-Karikaturisten erkennen. Aber nicht weitersagen!
Wolf Banitzki
Peer Gynt
von Henrik Ibsen
Maximilian Brückner, Ursula Maria Burkhart, Tobias van Dieken, Junge Riederinger Musikanten, Sarah Sophia Meyer, Friedrich Mücke, Gabriel Raab, Barbara Romaner, Hubert Schmid, Andreas Tobias
Regie: Christian Stückl |
Volkstheater Michael Kohlhaas von Heinrich v. Kleist
Der Kohlhaas-Report
Es ist unbestritten eine der spannendsten, bewegendsten und verstörendsten Geschichten der deutschen Literatur: Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist. Und sie ist modern, moderner, als die meisten modernen Literaturen und Bühnenwerke. Sie behandelt das Thema Terrorismus. Michael Kohlhaas, einem Rosshändler aus dem Brandenburgischen widerfährt Unrecht, zuerst einmal nichtstaatliches Unrecht, sondern Unrecht, resultierend aus privater Willkür. Als er sich an die Obrigkeit wendet, um sein Recht einzufordern, wird offenbar, dass staatliches Recht inzwischen staatlich gewordene private Willkür ist. Nicht nur, dass ihm das gesetzlich verbriefte Recht vorenthalten wird, nein, er wird als Querulant und Unruhestifter abgestempelt und in sein Schranken verwiesen. Diese Schranke sind abgesteckt durch die zynische Arroganz der Macht. Vetternwirtschaft und Verantwortungslosigkeit, Selbstgefälligkeit und geistig-moralische Verwahrlosung sind an die Stelle von Rechtsstaatlichkeit getreten. Betrachtet man die Geschichte, so wird man schnell feststellen, dass diese Vorgängen ganz normal und gesetzmäßig sind. Am Ende stand in der Regel eine Revolution oder zumindest (Staats-) Reformen. Kohlhaas war, und er ist als solcher in jeder historischen Gesellschaftssituation auffindbar, ein Handelnder, das moralische Recht auf seiner Seite und das staatliche Recht gegen sich, der auf Veränderung veränderungswürdiger Zustände sann.
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Friedrich Mücke
© Arno Declair
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"Die Geschichte fordert den Leser heraus, Partei zu nehmen." (Jens Bisky, der mit: Kleist. Eine Biographie. Berlin 2007, von deutschen Gazetten aller Couleur höchstes Lob erntete.) Schön, denkt man sich, endlich mal etwas, was weiterhilft in den Überlegungen bezüglich Terrorismus. Doch weit gefehlt. Die Bühnenfassung, die sich ganz augenscheinlich sehr stark auf die analytischen Gedanken von Herrn Bisky stützt, bezieht keinesfalls Stellung, noch erlaubt sie dem Publikum, sich zu orientieren. Um nicht falsch verstanden zu werden, es geht nicht darum, dass der Zuschauer eine vorgefertigte Weltanschauung vorgesetzt bekommt, aber es ist doch zumindest zu erwarten, dass die Macher (hier Regisseurin Hanna Rudolph und Dramaturgin Katja Friedrich) Argumente liefern für oder gegen Haltungen. Würde der Zuschauer die Kleistsche Novelle lesen, wäre er "so klug als wie zuvor". Diese Haltungslosigkeit der Inszenierung im Münchner Volkstheater befördert zumindest eines: die pluralistische Diskussion in alle Richtungen. Na ja, das ist doch zumindest abendfüllend, wenn auch nicht erkenntniserweiternd.
So brüchig wie das geistige Konzept war denn auch das ästhetische. Scheinbar als Report angedacht, glitt die Inszenierung immer wieder ins ästhetisierende ab. Nicht nachvollziehbar waren schauspielerische Auslassungen, wie das Spiel von Nico Holonics als Pferdeknecht Herse während der Befragung durch Kohlhaas (Friedrich Mücke). In dieser Szene glaubte man einen gespreizten Oscar Wilde auf Koks vor sich zu haben, und dabei war es doch ein brandenburgischer Pferdeknecht. Warum mussten die Schauspieler vorgeben, die Vorstellung musikalisch zu begleiten, wenn doch für jederman sichtbar war, dass die wenig überzeugende Musik (Kriton Klingler-Ioannides) aus der Konserve kam? Und warum gab es eine Rampe durch den gesamten Zuschauerraum, über die die Schauspieler auf und ab gingen? Um das Oben und Unten einer Gesellschaft zu versinnbildlichen? Das wäre dann doch ein recht schwacher Einfall! Das Bühnenbild von Nadia Fistarol, schwarz und durch Folienvorhänge begrenzt, war ganz auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet. Auf der Bühne Stühle, Tische, Lautsprecherboxen, ein elektronisches Klavier. Beinahe alles wurde mit Vehemenz bewegt. Nur selten wurde jedoch der Grund sichtbar und gelegentlich beförderten die Umräumaktionen den Zuschauer unsanft aus der Geschichte heraus.
Dabei musste man den Schauspielern höchstes Lob zollen. Sie spielten engagiert und voller Hingabe. Jeder einzelne konnte seine Stärken ausspielen. Allen voran Friedrich Mücke, dessen physische Präsenz allein den Kohlhaas, einen Mann der einige Städte in Schutt und Asche gelegt hatte, glaubhaft erscheinen ließ. Xenia Tiling überzeugte in der Rolle der Ehefrau von Kohlhaas ebenso wie in der Verkörperung männlicher Rollen, obgleich sie immer ganz Frau war. Gabriel Raab, Robin Sondermann und Andreas Tobias komplettierten bestes Ensemblespiel in nicht weniger als zwölf Rollen, wenngleich es gelegentlich schwierig wurde, den Überblick zu behalten. Zuschauer, die den Kleistschen Kohlhaas nicht kannten, fanden sich dann und wann auf verlorenem Posten wieder. Hier hätte die Dramaturgie besser zum Stift gegriffen.
Es war eine ambitionierte Arbeit von Hanna Rudolph, die ästhetisch entgrenzen wollte und dabei mehrfach ausglitt. Die Wahl der ästhetischen Mittel sollte immer dem Effekt geschuldet sein, den das Mittel auszulösen vermag. Wenn das Mittel Selbstzweck ist, und nicht selten schien es so, wirkt es kontraproduktiv. Die Inszenierung ist aufgrund der guten schauspielerischen Leistungen eines kraftvoll agierenden Ensembles sehenswert. Der Inhalt, einmal von der Großartigkeit der Kleistschen Vorlage abgesehen, vermag nicht zu überzeugen.
Man sollte diesen Text nicht als Vorlage wählen, wenn man kein gesellschaftliches Anliegen verfolgt, wie Kleist es tat, als er den Text schrieb. Angesichts der Modernität wäre eine Provokation angebracht gewesen. Warum gelang es dieser Inszenierung nicht, dem Publikum einmal zu erklären, dass Terroristen nicht vom Himmel fallen oder fehlgeleitete Irre sind, sondern das Produkt einer Gesellschaft, die selbst in die Schieflage geraten ist? Die deutschen Innenminister wissen das längst, allen voran Herr Schäuble. Der ist ein wirklich guter und fleißiger Staatsdiener, denn er wandelt die demokratische deutsche Gesellschaft langsam aber unaufhaltsam in eine geschlossene um. Und er tut das präventiv, um die kommenden Kohlhaasfiguren beizeiten eliminieren zu können. Kohlhaas ist eine historische Gesetzmäßigkeit, was seine permanente Wiederkehr beweist. Insofern sollten wir uns nicht mit der moralischen und juristischen Verurteilung aufhalten.
Diese Inszenierung war durch ihre Unentschiedenheit und durch ihre Haltungslosigkeit bestes Staatstheater. Sie erweckte den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung stattfindet. Sie findet aber ebenso wenig statt, wie bei der Bewältigung der RAF. Und genau in dieser Inkonsequenz besteht das Dilemma bürgerlichen Denkens. Konsequent wäre beispielsweise auch gewesen, den heute lächerlich anmutenden Appendix um die Prophezeiung einer Zigeunerin wegzulassen. Aber das stachelt Befindlichkeiten an und darauf verzichtet heutiges Unterhaltungstheater ungern.
Wolf Banitzki
Michael Kohlhaas
von Heinrich v. Kleist
Nico Holonics, Friedrich Mücke, Gabriel Raab, Robin Sondermann , Xenia Tiling, Andreas Tobias
Regie: Hanna Rudolph |