Cuvilliés Theater Das Missverständnis von Albert Camus
Müder Krimi, statt philosophischem Exkurs
“Ein Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten.“ (Albert Camus in „Der Mythos von Sisyphos“) Diesen Satz schrieb Albert Camus im Jahr 1942, dem Jahr der Veröffentlichung von „Der Fremde“. Darin liest Meursault, Hauptfigur des Romans und ein gleichgültiger, zum Tode verurteilter Mörder im Gefängnis immer und immer wieder eine Zeitungsnotiz. Darin wird berichtet, wie ein Mutter gemeinsam mit ihrer Tochter, beide betreiben eine Pension, alleinstehende Gäste aus Habgier töten. Eines Tages jedoch checkt unerkannt der Sohn und Bruder der beiden ein. Nachdem sie ihn getötet und beraubt haben, erkennen sie die absurde Wahrheit und nehmen sich voller Verzweifelung das Leben. Eben diese Geschichte erzählt Camus in „Das Missverständnis“ noch einmal in dramatischer Form. Darin philosophieren die beiden Frauen über Verbrechen und Mord. Unter Berufung auf die eigene Humanität beim Töten (Die Opfer leiden nicht.) kommen sie zu dem Schluss, dass der Tod weniger grausam ist als die Natur. Doch dann geschieht das scheinbar Absurde und sie werden „Opfer ihrer eigenen Wahrheiten“.
Camus Prosaarbeiten und auch seine Dramen sind im Wesentlichen lebendige Illustrationen seiner Existenzphilosophie, deren Schlüsselwerk „Der Mythos von Sisyphos“ ist. Darin geht Camus von einer fundamentalen Sinnlosigkeit der Existenz aus. Und wenn etwas, was geschieht, keinen Sinn hat, so ist es absurd. Allein, der Weg zu den Schlüssen des Existenzialisten erzeugen Betroffenheit, weil die reale Existenz diese philosophischen Lehrsätze erbarmungslos belegt. Der Mensch befindet sich in einem Teufelskreis, den er selbst durch Suizid nicht durchbrechen kann, weil auch der Tod absurd ist. Da tröstet auch der Erlösungsgedanke nicht, denn welchen Sinn macht es, ohne sinnvolle Alternative von der Sinnlosigkeit befreit zu werden.
Martha, die von einem Leben jenseits der ländlichen Tristesse im „Wolkenland“ träumt, sich nach Sonne und den Gestaden des südlichen Meeres sehnt, glaubt sich am Ziel ihrer Wünsche, denn dieser eine Gast, er ist vermögend und hält damit auch nicht hinter dem Berg, könnte die ersehnte finanzielle Unabhängigkeit bringen. Die Mutter, mörderische Komplizin, hat aus unerklärlichen Gründen Skrupel, Jan, von dessen Identität sie noch nichts weiß, zu töten. Jan hat sich unter falschem Namen im Hotel eingeschrieben, um zu erkunden, ob Mutter und Schwester ihn noch erkennen und seiner Hilfe tatsächlich bedürfen. Maria, seine Ehefrau, hegt Zweifel an diesem Plan, kann ihn jedoch nicht davon abbringen. Im Klima menschlicher Kälte und Entfremdung sieht auch Jan ein, dass dieser Plan ihm nur Verdruss bereitet. Er entschließt sich zur Abreise. Doch es ist zu spät. Der Schierlingstrank ist bereitet und die Dinge nehmen unweigerlich ihren Lauf.
Camus ging es nicht darum, eine scheinbar unglaubliche Geschichte zu erzählen, sondern die Argumente herauszuarbeiten, die diese mörderischen (menschlichen) Eigenarten erklären. Schon nach wenigen Augenblicken weiß der Zuschauer oder Leser Bescheid. Das Schicksal Jans ist besiegelt. Interessant ist jetzt nur noch, wie sich die Protagonisten zu ihren eigenen Wahrheiten, deren Opfer sie werden, verhalten. In der Inszenierung von Jan Philipp Gloger nahm diese Herangehensweise nur einen marginalen Platz ein. Er erzählte die Geschichte und unterließ es, die Betonungen auf die Argumentation und ihre psychischen Folgen, den eigentlichen Essenzen dieses Werks, zu legen. Dadurch fehlten zwei wesentliche Grundpfeiler für eine erfolgreiche Umsetzung. Zum Einen entstand, wegen der baldigen Überschaubarkeit der Handlung, keine wirkliche Spannung und zum Anderen fehlte der existenzialistische Grundton, der von Ausweglosigkeit aus der absurden menschlichen Existenz kündet. Es entstand eine absurde Geschichte und nicht eine Geschichte von der Absurdität der menschlichen Existenz. Thema verfehlt, musste man leider konstatieren. Heraus kam ein müder Krimi, statt eines philosophischen Exkurses.
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Anne Schäfer, Felix Klare, Katharina Hauter, Ulrike Arnold
© Thomas Dashuber
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Dabei war eigentlich alles gegeben. Franziska Bornkamm hatte einen vivisektiven Schnitt durch ein Hotel gemacht, und zeigte mindestens drei, sich einander wie eineiige Drillinge ähnelnde, unwirtliche Hotelzimmer. Sie waren in Ausstattung und Aufteilung völlig identisch. Nichts war dazu angetan, diese Räume als dauerhafte menschliche Heime zu begreifen. Durch diese Räume ging das Leben, ohne wirklich zu verweilen, lediglich hindurch. Felix Klare schuf einen Jan, der sich durch Lauterkeit auszeichnete, und dem es nur bedingt gelang, die Dimensionen der innere Zerrissenheit eines Menschen widerzuspiegeln, der auf eine existenzielle Entscheidung zusteuerte. Katharina Hauter (Martha) und Ulrike Arnold (Mutter) gelang es hingegen, weit eindrucksvoller einen Lebensentwurf zu verdeutlichen, der sich am besten mit dem Satz von de Sade beschreiben lässt: „Mord heißt, der Natur geringfügig vorzugreifen.“
Verbliebene Restmenschlichkeit wurde nur im Moment der Katastrophe sichtbar. Beide sind verhärmte, blaustrümpfige, vom Leben ausgeschlossene, ungeliebte Frauen, die in ihrer Farb- und Bedeutungslosigkeit zu materieller und sozialer Unsichtbarkeit neigen. Gänzlich aus dem Rahmen fiel Anne Schäfer als Ehefrau Jans. Diese Rolle ist vermutlich die einzige Schwäche des dramatischen Entwurfs, war sie doch ausschließlich ein Katalysator, der das Endergebnis an das Tageslicht brachte. Das war eigentlich gar nicht von Nöten. Anne Schäfer durchbrach mit ihrer emotionalen Spielweise den metaphysischen Charakter der dramatischen Grundstimmung.
Wenn sich in der Inszenierung im Cuvilliés Theater überhaupt so etwas wie eine absurde existenzialistische Grundstimmung einstellte, so war dies nicht dem Spiel der Darsteller oder der szenischen Umsetzung durch Jan Philipp Gloger zu danken, sondern der Musik von Kostia Rapoport. Sie erzeugte einen Erregungsgrad, der die Bühnenrealität in den Rang des Existenzialistischen erhob.
Dem Programmhefttext von Georg Holzer kann man entnehmen, dass das zentrale Thema die Unfähigkeit zur Aufrichtigkeit ist. Dabei stellt Georg Holzer fest, dass Camus` Bemühen, eine Sprache zu erschaffen, die an die antiken Tragödien erinnern, fehlschlug. Es entstand eine „hölzerne und sogar untheatralische Sprache, in der die Figuren ebenso fremd sind wie in ihrer Welt“. Dem kann man entgegenhalten, dass eine Vertrautheit mit der Welt ohnehin nur eine Illusion ist, und Camus` Sprache durch die ihr eigene Befremdlichkeit nur Wahrheit transportiert. Der Sprache dieses Stückes wohnt ein Verfremdungseffekt inne. In jedem Fall war die Darstellung der Kommunikationsunfähigkeit deutlich zu kurz gegriffen. Vielleicht hat der Titel des Dramas „Das Missverständnis“ dazu verführt.
Schade, möchte man meinen. Selbst wenn man den Vorgaben der Existenzialisten nicht zu folgen bereit ist, muss doch immerhin zugestanden werden, dass das Absurde fester Bestandteil des Lebens und mehr noch der Gesellschaft ist. Während Camus seine wichtigen Werke unter dem Eindruck des verheerenden 2. Weltkrieges mit 60 Mio. Opfer schrieb, können wir uns heute nur über die Absurditäten wundern, die das neoliberale System und die Politik täglich mit größtem Selbstverständnis gebiert. Der Existenzialismus kann längst noch nicht als erledigt abgehakt werden.
Wolf Banitzki
Das Missverständnis
von Albert Camus
Ulrike Arnold, Katharina Hauter, Anne Schäfer, Felix Klare
Regie: Jan Philipp Gloger |
Cuvilliés Theater Ritter, Dene, Voss von Thomas Bernhard
Ein Polterabend für den Wahnsinn
Wahnsinn und Genie – das war schon immer eine Melange für gute Unterhaltung. Dass heute niemand weiß, wo die Grenzen zwischen beidem sind, ist dabei unerheblich, entscheidend ist, dass es Quote bringt. Genau dieser Quotensucht fiel schon Friedrich Hölderlin zum Opfer, als sein erster Biograf Wilhelm Waiblinger bei seinen konzeptionellen Überlegungen für einen Bestseller ausrief: „Ich brauche einen wahnsinnigen Dichter!“ Und so gilt Hölderlin noch heute als ein Dichter der wahnsinnig war. Wenn sich Thomas Bernhard diesem Thema nähert, dann ist es nie pathologischer Wahnsinn, sondern stets ein aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten resultierender.
So auch bei Ludwig Worringer, Sohn eines Großindustriellen, unbegrenzt vermögend und mit hochfliegenden, zugleich sinnsuchenden philosophischen Ambitionen. Gerade hatte er den zweiten Teil seiner „Logischen Abhandlung“ verfasst. Und wenn es der Geschichte an etwas gebricht, dann ist es Logik. Ludwig ist ein aus der Welt gefallener. Das Verhältnis zu den Eltern war traumatisierend. Es ist am Rande von Inzest des Achtzehnjährigen mit der Mutter die Rede. Ludwig, kaum flügge, nahm Reißaus; ging in eine Blockhütte in den Weiten Skandinaviens, besann sich auf seine philosophischen Ambitionen und versuchte sich an einer renommierten englischen Universität. Letztlich strandete er in Steinhof, einer psychiatrischen Klinik am Rande Wiens. Hier fand er sein eigentliches Zuhause. Ist er wirklich wahnsinnig? Wohl eher nicht, denn seine Hasstiraden auf die Welt, auf die Medizin, die Kunst und die Philosophie, sind die Hasstiraden Thomas Bernhards, und der war bei klarem Verstand, verbittert zwar, ausgestoßen und angefeindet, aber keineswegs wahnsinnig. Obgleich es ihm einige Zeitgenossen, insbesondere die, die sich ertappt fühlen, allzu gern unterstellen würden.
Ludwig hat zwei Schwestern, die eine müßiggängerisch, die andere autistisch-pedantisch, die gänzlich ohne Lebensinhalte dahinvegetieren. Beide nennen sich Schauspielerinnen und in der Tat, sie treten gelegentlich im Josefstädter Theater auf. Sie müssen nicht um die Gunst des Intendanten buhlen, um Rollen zu bekommen, denn der Vater erwarb einundfünfzig Prozent des Theaters und so ist der Intendant den Schwestern hörig. Ob Zweiminutenauftritte als Blinde oder große Rollen in Shakespearestücken, sie haben die freie Wahl.
Die ältere Schwester, hausbacken, blaustrümpfig und devot von Ulrike Willenbacher gespielt, holte Ludwig, den sie über Jahre aufopferungsvoll in der Anstalt gepflegt hatte, aus der Klinik heim. Schon die Umstände dieser Heimholung ließen Schlimmstes ahnen. Die jüngere Schwester, unglaublich lasziv, pantherhaft, renitent und kettenrauchend von Barbara Melzel gestaltet, duldete es, war aber eigentlich dagegen, da sie keinen wirklichen Sinn in der Dreisamkeit sah. Als Familie war dieses seltsame Gebilde ohnehin noch nie intakt. So war der erste Teil des Stückes ein Austausch der Schwestern über das Für und Wider. Dabei öffneten sich wichtige Fenster in die Psyche der geschwisterlichen Verhältnisse, in denen inzestuöse Neigungen, wie in anderen Texten Bernhards auch, immer eine unterschwellige, aber nicht unwichtige Rolle spielten.
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Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Stefan Hunstein
© Thomas Dashuber
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Tom Schenk gestaltete ein sehr realistisches Bühnenbild. Aus einer leicht schrägen schachbrettartigen Bühne wuchs die großbürgerliche Pracht der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zu bedrückender Spießigkeit. An allen Wänden zeugten Porträts der Familienpatriarchen, von bedeutenden Künstler gemalt und längst in die Kunstgeschichte eingegangen, von schlechtestem Kunstgeschmack, wie Ludwig meinte. Der Geist, der das Leben der drei Geschwister zerstört hatte, war allgegenwärtig. Und dann waren da die Soßen zum Fleisch, viele Soßen, Lieblingssoßen, in denen alles Gefühl ertränkt wurde. Ludwig schwamm in den Soßen, bis er plötzlich um sich schlug wie ein Ertrinkender. Es waren die Brandteigkrapfen, die seine Fähigkeiten zur Selbstkontrolle außer Kraft setzen. Von da an gab es nur noch Scherben, einen Polterabend für den Wahnsinn, der der Situation innewohnte, nicht den Personen.
Die Hauptfigur war „naturgemäß“ (ein Lieblingswort von Thomas Bernhard) der Bruder Ludwig. Stefan Hunstein bekam mit dieser Rolle die Möglichkeit zur einer Gestaltung, wie man es bei ihm bisher selten sah. Er spielte eine Menge psychischer Macken, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Er war ein Gehetzter, dessen intensive und hypertrophe Gedanken sprunghaft durch die Szenerie geisterten. Sein ruheloser Blick, die ganze Bandbreite von Hass bis Verwunderung beschreibend, glich einem Irrlicht im Sumpf bürgerlicher Verlogenheit. Wenn er aus seinem Tagebuch las, tat er das nur mit einem Auge. So war der Einäugige der Sehende unter den Blinden. Heraus kam ein bedauernswerter Mensch, dessen Verbogenheit sich durch sich selbst erklärte.
Regisseur Antoine Uitdehaag, 1951 in Hertogenbosch in den Niederlanden geboren und somit noch unter dem Einfluss des lebenden und sehr umstrittenen Autors Bernhard gereift, setzte in seiner Inszenierung auf das komödiantische Talent der Darsteller, ohne die Quintessenz des Stückes aus den Augen zu verlieren. Das ist nicht nur in den Dramen von Thomas Bernhard schwierig, denn er verlor sich in seinen Texten lustvoll in endlosen Wiederholungen, Tiraden, Abschweifungen und Sprunghaftigkeiten. Als Stefan Hunstein am Ende in sich zusammengesunken bekannte, dass ihm eine Aspirantur auf den Doktor der Universität Oxford versagt geblieben war, wusste der Zuschauer um die Tragik des begabten, aber durch den Fluch seiner Herkunft fehlgeleiteten Menschen. Der ganze vermeintliche Wahnsinn wurde plötzlich relativ.
Mit dieser Inszenierung hat das Residenz Theater ein Stück im Spielplan, das das Publikum anziehen wird. Es war ein düster-heiterer Abend, der am Ende mit viel Applaus und Bravos für die exzellenten Darsteller und für das Team um Regisseur Uitdehaag bedacht wurde.
Wolf Banitzki
Ritter, Dene, Voss
von Thomas Bernhard
Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Stefan Hunstein
Regie: Antoine Uitdehaag |