Metropol Theater Tannöd von Andrea Schenkel


 

 

Tannöd - ein bebildertes Hörbuch

Tannöd war ein abgelegener Hof. Man mied ihn, denn die Bewohner waren unfreundlich und ungastlich. Verwahrlosung hatte Einzug gehalten, wie Besucher zu berichten wussten. Doch dann geschah das Unfassbare. Die ganze Familie, insgesamt sechs Personen, wurde über Nacht martialisch ermordet. Die Untersuchungen verliefen im Sande. Weder ein Mörder noch ein Motiv konnte ermittelt werden. Andrea Maria Schenkel griff den aus dem Jahr 1922 stammenden Stoff auf und erzählte ihn neu. Dabei verlegte sie die Geschichte in die Nachkriegszeit, eine Zeit, durch die noch immer der Geist einer archaischen Landschaft vermischt mit dem Geist des gerade untergegangenen 3. Reiches wehte. Jochen Schölch, angetan von der erzählerischen Kraft der Prosavorlage, adaptierte die Geschichte für die Bühne des Metropol Theaters.

Der Zuschauer erfuhr, was die authentische Geschichte um den Kriminalfall "Hinterkaifeck" schuldig blieb, Täter und Motiv. Andrea Maria Schenkels fiktionale Aufarbeitung ist in sich logisch und schlüssig. Der Bauer Danner heiratete in den Hof ein, um ihn in seinen Besitz zu bringen. Er schändete die noch kindliche Tochter und zeugte später zwei Kinder mit ihr. Eines wurde einem arglosen Zugewanderten untergeschoben, der, als er schließlich dahinter kam, ausbezahlt wurde und angeblich nach Amerika verschwand. Das zweite Kind wurde dem verwitweten Nachbarn ins Nest gelegt. Der, in Barbara sein spätes Glück erhoffend, kam über ihre letztgültige Ablehnung nicht hinweg und töte in tiefster Verzweifelung die gesamte Familie.

Es ist eine Geschichte, wie sie einmal wöchentlich in der Bild-Zeitung zu lesen ist. Man hat sich beinahe daran gewöhnt. Es war auch nicht die Geschichte, um die es Schenkel/Schölch ging, sondern um das Umfeld und die Reaktion auf die Bluttat. Bei näherem Hinschauen taten sich Abgründe auf, die erschauern ließen. Von irrwitzigsten Aberglauben über religiöse Bigotterie hin zu Hass und Ignoranz fand sich jede Denkungsart des Diabolischen. Nur Menschlichkeit fand nicht statt und als der Mörder selbst am Grab der Ermordeten trauerte, war das Bild von einer irdischen Hölle komplett.
 
   
 

Thomas Meinhardt, Andreas Thiele, Martin Dudek

© Hilda Lobinger

 

 

Bei der zumindest in Bayern hinlänglich bekannten Geschichte ging es um größere Fragestellungen als die um Motiv und Täter. Es stellte sich die Frage, ob es den Gott gibt, den jedermann so beflissen im Munde führte. Diese Frage wurde verneint. Doch man gelangte immerhin zu einer anderen Antwort, nämlich zu der nach einer Hölle, die "auf Erden, in unseren Köpfen, in unseren Herzen ist." Diese Hölle könnte jederzeit über uns hereinbrechen.

So wenig spektakulär wie diese Erkenntnis war denn auch die theatralische Umsetzung auf der Bühne. Es war eine minimalistische Inszenierung, die auf die Darsteller baute. Nicht verwunderlich für den, der Jochen Schölchs Ästhetik kennt. Die Bühne von Thomas Flach zeigte nur eine abgearbeitete Tür, die sich scheinbar auch von selbst bewegte und einen kleinen groben Tisch. Rechts, ein wenig im Hintergrund gesichtslose bekleidete Ständer, die die permanente Anwesenheit der Ermordeten suggerierten, und dem z.T. das Spiel der Darsteller entstieg. Das war jedoch eine Lösung, die der fleißige Metropoltheatergänger bereits kannte. Einige rote Kerzen waren positioniert, die bei Bedarf verrückt oder gelöscht wurden.

Von Spiel konnte dabei kaum die Rede sein. Die Darsteller deklamierten, monologisierten oder erzählten. Es war keine Dramatik, sondern Epik. Das führte denn auch zu etlichen Längen. Es gab wenig Überraschendes und die Geschichte bewegte sich ziemlich zäh auf einen Plot zu, der recht bald absehbar war. Einige wenige bemerkenswerte Lösungen bleiben im Gedächtnis; beispielsweise wenn Judith Toth für den Zuschauer uneinsehbar Thomas Meinhardt ihre Stimme lieh, wenn dieser die alte Bäuerin spielte. Auch die sichtbare Verwandlung Andreas Thieles von einem Kind in einen Amtmann erinnerte daran, dass es sich um Theater handelte. Allen Darstellern war ihr Engagement anzumerken, das sich leider nicht im szenischen Spiel entfalten konnte.

Unterm Strich blieb eine bekannte Geschichte, die vornehmlich erzählt und kaum erspielt wurde und deren Katharsis ausblieb. Oder mit anderen Worten, der Zuschauer erlebte ein bebildertes Hörbuch.

 
Wolf Banitzki

 

 


Tannöd

von Andrea Schenkel

Christian Baumann, Martin Dudeck, Thomas Meinhardt, Andreas Thiele, Judith Toth, Susanne von Medvey, Elisabeth Wasserscheid

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Tage wie Nächte von Josef Rödl


 

 
Elegie über das Vergessen

Eine Frau wird von ihrem Sohn in ein Haus geführt. Es ist ihr Zuhause, doch sie kann sich nicht erinnern. Ihr Geburtstag steht bevor. Als der Sohn der Mutter ihr Alter verrät, ist sie erstaunt. Sie fühlt sich fremd, da sie ihr Zimmer nicht mehrt findet. Sie beharrt darauf, dass es verschwunden ist. Immer wieder bedeutet der Sohn ihr, sie solle sich entspannen und einen Griesbrei essen, der sich leicht essen lässt. Es will nicht gelingen. Wo ist der Ehemann? Der ist tot, seit 15 Jahren. Alles ist unfassbar und dann plötzlich ein Wiedererkennen, ein Lichtblick in der unheimlichen Düsternis des Vergessens. Es ist gut, das Erinnern zu üben. Dann wird es besser, meint der Sohn. Mitnichten. Der vorgeschriebene Weg ins Nichts muss gegangen werden. Dabei gibt es noch ein gelegentliches Erinnern. An den Großvater beispielsweise: Opa das Schwein, der gute Logistiger, der Fahrkarten in die Gaskammern verteilte. Auch der Ehemann ersteht auf, im Auto und ohne Führerschein. Immerhin ein guter Ort, die Ehefrau zu verführen hinter verschlossenen Garagentüren. "Sich erinnern ist Leben im Leben. Tage ohne Erinnern sind Tage wie Nächte.(...)" und so lebt die alte Frau noch einmal in kurzen Sequenzen des Erkennens.

Josef Rödls Stück erzählt Geschichten, die man so oder anders bereits kennt.
Dennoch entfaltet das Drama eine zwingende Magie, denn die Blickwinkel aller beteiligten Personen verschmelzen zu einer erschütternden Einsicht über das Leben und seine zuweilen tragische Vergänglichkeit. Die Hilflosigkeit bekommt archaische Größe und lässt die Kreatur in seinem natürlichen Kontext sichtbar werden.

Der dramatische Entwurf sieht zwei mögliche Spielarten vor. Es kann mit zwei Darstellern gespielt werden oder aber auch nur mit einem. Der Autor Rödl verführte den Regisseur Rödl zur spannenderen, weil riskanteren Variante. Dies konnte nur gelingen, weil er in Thomas Meinhardt einen hervorragenden Schauspieler zur Seite hatte, der allein sieben Rollen spielte. Meinhardt entwickelte eine unhektische, über weite Strecken getragene Spielweise, die es ihm ermöglichte, alle Rollen sehr deutlich und für das Publikum jederzeit verständlich zu gestalten. Als demente Mutter spiegelte er das Erstaunen eines Menschen über die bekannte und doch unbekannte Welt. Ängste vor dem Verlorensein wurden fühlbar. Als Sohn hingegen war ihm die Anspannung ins Gesichte geschrieben, die Verzweifelung eines Sisyphos nicht überhand nehmen zu lassen. Er lieh den anderen Kindern der alten Frau die Stimmen der Intriganz, Lieblosigkeit und des Egoismus.

Sein Spiel und der unprätentiöse, doch artifizielle Text verschmolzen zu einem magischen Spektakel am Rande des Abgrunds. Sätze wie: "Kinder, das ist Mutterliebe. Kinder sind mein Vertrag. Eine Vereinbarung gegen Vereinsamung, gegen alle Plag'" entblößten Zeitgeist und verliehen dem Stück die notwendige gesellschaftliche Relevanz. Dabei gab es durchaus heitere und komische Momente, die allerdings der bedrückenden Monumentalität eines gesellschaftlichen Problems nie ins Gehege kam.

Die Bühne von Thomas Flach, eine Andeutung des Wohnhauses, war Spielraum für die Haltlosigkeit von Überliefertem. Die wenigen konkreten Gegenstände schufen über den philosophischen Ansatz hinaus konkrete Atmosphäre. Tobias Zohners Lichtgestaltung beförderte perfekt den Wechsel der Zeiten, Orte und Personen.

Das Publikum erlebte im Metropol-Theater eine Inszenierung, die ohne Aufbietung multimedialer Mittel oder zusätzlicher Regietricks die Anfälligkeit des menschlichen Bewusstseins erahnen ließ. Und es erlebte einen Thomas Meinhardt, dessen schauspielerische Fähigkeiten verblüfften, anrührten und in jeder Situation überzeugten.
Wieder einmal gelang es dem Metropoltheater, durch ästhetische Solidität, einen starken Text und gutes Schauspiel in den Bann zu schlagen. Zurück blieb eine elegische Traurigkeit und eine große Nachdenklichkeit.

 
Wolf Banitzki

 

 


Tage wie Nächte

von Josef Rödl

Thomas Meinhardt

Regie: Josef Rödl

Metropol Theater Das Maß der Dinge von Neil LaBute


 

 
Kunst oder nicht Kunst

Aus Ton formte Gott den Menschen und hauchte ihm seinen Odem ein. Das ist der Inbegriff des Schöpfungsakts, dessen Bildhaftigkeit bis zum heutigen Tag nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. Es ist auch der Akt, den auf die eine oder andere Weise nachzuvollziehen es jeden Künstler treibt.

Oder ist das heute bereits auch nur noch Klischee und der Mensch lediglich eine misslungene Kreation? Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach, und wenn man den Hebel nur an der richtigen Stelle ansetzt, ist Gottes Kunstwerk locker zu manipulieren. Das wusste bereits Eva im Paradies für sich zu nutzen. Doch zu welchem Ende? Die Welt zu verändern? Betrachtet man die biblische Geschichte, so ist ihr dies auch wirklich durchschlagend gelungen.

Der amerikanische Erfolgsautor Neil LaBute, Jahrgang 1963, verflicht in seinem tragisch-komischen Stück geschickt die Ebene der modernen Frau-Mann-Beziehung mit der des Kunstmarktes. Evelyn, eine Kunststudentin an einem amerikanischen Kleinstadt-College, zieht mit der Spraydose bewaffnet gegen die Scheinmoral, das Feigenblatt am Kunstwerk, zu Felde. Für die Wahrheit in der Kunst ist sie zu allem bereit. Im Museum begegnet sie Adam, seines Zeichens schüchterner Anglistikstudent, der als Aufseher sein Brot verdient. Adam ist an ihrer Telefonnummer interessiert. Die Geschichte nimmt ihren Lauf und Adam erfährt durch Evelyn eine sehr weitgehende Verwandlung.
 
   
 

Philipp Moschitz, Judith Toth

© Hilda Lobinger

 

Er lässt diese mit sich geschehen, trägt sie sogar weitgehend, glaubt er doch an Evelyns Liebe bis hin zur Selbstverleugnung. Das Bild des modernen erfolgreichen männlichen Typs wird hier als Ideal vorgeführt, soll Wahrheit darstellen, die sie aber, wie hier im Falle Adams, doch nicht ist. Denn dieses, auch in den Medien bereits allzu breit getretene allgemeine Musterbild nachzuformen, hat weniger mit einem die Welt verändernden Schöpfungsakt zu tun, sondern mehr mit Manipulation nach Vorlage. Taugt eine Eva überhaupt zur Schöpferin? Im Stück wendet Adam sich ab.


Neil LaButes Wortwitz und die Situationskomik des Textes kamen in der Inszenierung nur selten wirklich zum Tragen, zieht doch der Autor viele allzu bekante Register aus der Beziehungskiste, um sie dem Belächeln frei zu geben. Auch mangelt es im Text nicht an Seitenhieben auf den modernen Kunstbetrieb. In der Darstellung mutete dies dagegen emotional geladen, ja bisweilen ernsthaft und pathetisch an und von Ironie und Satire war im Spiel weniger wahrzunehmen. Regisseurin Cordula Jung setzte mehr auf gerade comedyhafte Gestaltung und bisweilen verschwamm die Grenze zwischen Schauspiel und Realität. Philipp Moschitz gab einen erst zurückhaltend verklemmten, dann einen gestylten Adam, dem man den Erfolgstyp locker abnahm. Evelyn, Judith Toth, ließ den Faden nie aus der Hand und selbstbewusst trieb sie das Spiel voran auf ihr Ziel zu. Konsequenz bis zum Fanatismus könnte auf ihren Fahnen gestanden haben. Ging es doch um "das Maß der Dinge", das für sie die Kunst darstellt. Judith Toth hatte dies verinnerlicht. Die Freunde Adams, Jenny und Philip, wurden gespielt von Henriette Schmidt und Pablo Sprungala. Jenny, mädchenhaft und bisweilen unsicher, hatte vergeblich versucht, aus Adam die Frage nach einer Verabredung herauszulocken. Schließlich hatte Philip die Chance wahrgenommen und Jenny für sich gewonnen. Pablo Sprungala brachte einen klaren jungen Mann auf die Bühne, der vor der Ehe als endgültigen Ausgang einer Verbindung dann aber doch zurückschreckte.

Es ist die Abschlussarbeit einer College-Studentin, die am Ende präsentiert wird. An ihr wird die bürgerliche Vorstellung, das allgemeine Missverständnis "Kunst ist machbar" deutlich. Ein wenig abrupt bricht das Werk ab und entlässt den Zuschauer mit einer knappen Definition von Kunst. Der wirklich schöpferische Akt bleibt also weiter im Dunkel.



C.M.Meier

 

 


Das Maß der Dinge

von Neil LaBute

Philipp Moschitz, Henriette Schmidt, Pablo Sprungala, Judith Toth

Regie: Cordula Jung

Metropol Theater The Black Rider Music und Lyrics von Tom Waits


 

 

Wenn der Teufel äfft

Carl Maria von Webers bekannteste Oper "Der Freischütz" entstand zwischen 1817 und 1820 und war inspiriert von den im Jahr 1730 gedruckten "Unterredungen von dem Reiche der Geister" (Otto Graben zum Stein) und dem 1810 erschienen "Gespensterbuch" (Johann August Apel und Friedrich Laun). Letzteres enthielt die "Volkssage des Freischütz", nach der Friedrich Kind in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten das Opernlibretto schrieb. Thema ist der "Freischuss", der immer trifft. In Webers Oper geht es, wie der Untertitel verrät, romantisch zu. Seine Kompositionen waren und sind Hits.

Tom Waits ließ sich seinerseits von Webers Oper inspirieren, ohne jedoch, wie sich bei Waits denken lässt, Romantik erzeugen zu wollen. Der Schreiber Wilhelm, ein schlechter Schütze, kann seiner Angebetenen nur hinterher schmachten. Käthchen ist leider die Tochter des Försters und der verabscheut Männer, die das Gewehr nicht sicher handhaben. Wilhelm geht einen Pakt mit dem "Stelzfuss" ein und bezieht bei dem Kugeln, die ihr Ziel nie verfehlen. Unmittelbar vor der Hochzeit gilt es, eine letzte Probe für das Können zu liefern. Doch Wilhelm ist die magische Munition ausgegangen. So schleicht er in die Wolfsschlucht, um selbst Kugeln zu gießen. Doch Stelzfuß fordert seinen Tribut. "Sechs für dich und eine mir - deine treffen, meine äffen ..." Die Eine hat es in sich.

Der Geschichte von Burroughs/Waits wird nachgesagt, dass sie düster und abgründig sei. Es könnte an dieser Stelle der Gedanke aufkommen, dass dies nur die zeitgenössische Spielart von Romantik sei. Weit gefehlt. Es ist sogar eine sehr realistische Geschichte. Am 6. September 1951 wollte William Burroughs gemeinsam mit seiner Frau Joan in einem billigen Hotelzimmer in Quito/Mexiko einen Mann treffen, um ihm ein Gewehr Marke 380-Automatik zu verkaufen. William war stark angetrunken. Seine Südamerikareise war ohnehin ein einziger Drogentrip. Während das Ehepaar gemeinsam mit drei anderen Männern auf den Käufer wartete, kam William eine Idee. "Joanie, lass uns doch den Jungen mal zeigen, was für ein Schütze der alte Bill ist." Joan war einverstanden und stellte sich ein Cocktailglas auf den Kopf. William zielte und schoss. Das Glas fiel unbeschädigt auf den Boden und Joans Kopf zur Seite. Blut sickerte aus einem kleinen Loch. Joan war tot. Burroughs schrie: "Joan, Joan, Joan!", kniete neben ihr und weinte.
 
   
 

Christian Baumann, Viola von der Burg, Andreas Thiele

© Hilda Lobinger

 

 

Vor dem Hintergrund dieser Geschichte ist "Black Rider" gar nicht mehr so hipp und kultig wie beispielsweise "The Rocky Horror Pictures Show". Die Düsternis ist hier Düsternis und kein Theaternebel. Und die Botschaft ist eine sehr pädagogische, denn der Pakt mit dem Teufel ist eine unmissverständliche Metapher für den Pakt mit der Droge.

Tom Waits Arrangements sind eingängig und von feinster Musikalität. Der einstige Mozart des Undergrounds, der als Türsteher vor Clubs angefangen hatte, ist längst zu einem Klassiker der Moderne geworden und seine Musik ist dauerhaft, ohne je modisch gewesen zu sein. Die Hamburger Bühnenvorgabe durch Robert Wilson setzte Maßstäbe.

Die Inszenierung von Jochen Schölch hingegen war der Versuch, einen Festakt zu begehen. Das Metropol Theater in Freimann besteht seit 10 Jahren. Theaterleiter Schölch und seine Mitstreiter haben guten Grund zu feiern, denn die künstlerischen Bilanzen sind prächtig.

Auch wenn das Publikum die Inszenierung frenetisch feierte, war es ganz sicher nicht die beste Arbeit dieser 10 Jahre. Man setzte nur halbherzig auf schrill und daneben. Viola von der Burg bediente dies unbestritten. Sie gab als Stelzfuß eine Mischung aus Joel Grey (Cabaret) und Conrad Veit (als Somnambule Cesare), sehens- und bemerkenswert. Ähnlich stark konnten sich Christian Baumann als rollstuhlfahrender Conferencier und Andreas Thiele als dessen Famulus in Szene setzten. Philipp Moschitz, jungenhaft und linkisch, war in der Rolle des Schreibers Wilhelm vorzüglich besetzt. Zudem konnte er mit seinen inzwischen hinlänglich bekannten gesanglichen Qualitäten überzeugen. Die anderen Darsteller blieben jedoch weitestgehend profillos. Ernst Matthias Friedrich, der den Förster spielte, tat dies ausgesprochen hölzern.

Schmissige Choreografien von Katja Wachter verliehen dem Stück immerhin ein wenig von dem, was die Werbung als "eigenwillige Mischung aus schrägem Varieté und schrillem Vaudeville" bezeichnete. Wirklich schrill war es aber nicht. Davor war möglicherweise der sich durch das ganze Stück ziehende Einfall, alles mit Regenschirmen darzustellen. So wurden die Darsteller zu Bäumen, zu Vögeln oder, Schirm im Anschlag, zu Jägern. Die durchkalkulierte Ordnung dieses Einfalls, hübsch anzuschauen, nahm der Handlung gelegentlich das dämonisch-anarchische. (Erinnerungen an die Ästhetik von "Die Regenschirme von Cherbourg" drängten sich auf.)

Der Musik (Leitung: Andreas Lenz von Ungern-Sternberg) fehlte die einschneidende Prägnanz, wie man sie aus den Interpretationen von Waits kennt. Waits ist der Meister des Beiläufigen. Ein Seufzen, ein Hüsteln, ein Grummeln hat bei ihm den Stellenwert einer ganzen Arie in einer Oper. Ähnlich verfährt er mit seinen Instrumenten, schrottreifes Zeug z.T., gekoppelt mit altersschwachen Verstärkern. Die Nuance des sich daneben Befindens stößt die Türen in die Räume der sinnlichen Wahrnehmung auf. Alles klingt zudem, als nähme es ein Fußbad in Whiskey. Aber die Zeiten, "als Alkoholismus noch fester Bestandteil des Entertainments war", sind vorbei. Darin liegt vielleicht eine Ursache begründet, warum es so schwer ist, Tom Waits auf die Bühne zu bringen.

Für eine Kult-Inszenierung fiel dieser Schuss zu kurz aus.



Wolf Banitzki

 

 


The Black Rider

Music und Lyrics von Tom Waits

'The Casting of the Magic Bullets'
Original Direction and Stage Design by Robert Wilson
Original Arrangements by Tom Waits and Greg Cohen
Texts by William Burroughs

Christian Baumann, Viola von der Burg, Kerstin Dietrich, Matthias Friedrich, Katharina Haindl, Sven Hussock, Iris Kotzian, Philipp Moschitz, Katja Schild/Silke Nikowski, Andreas Thiele

Regie: Jochen Schölch
Musikalische Leitung: Andreas Lenz von Ungern-Sternberg

Metropol Theater Enigma von Eric-Emmanuel Schmitt


 

 

Auf der Suche

Gibt es ein zeitloseres Thema als die Liebe? Gibt es ein Thema, das die Menschen mehr bewegt als die Liebe und die Suche nach Glück? Der französische Schriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt versucht der Liebe in "Variations énigmatiques" auf den Grund zu gehen und veranschaulicht in dem facettenreichen Kammerspiel viele ihrer Erscheinungsformen. Doch sie ist und bleibt ein Rätsel, dessen Lösung ewig beschäftigen wird. Es sind nur die Erscheinungsformen, die wir erkennen können, nie die Liebe selbst. Die Enigma-Variationen des britischen Komponisten Edward Elgar ziehen sich wie ein Faden durch das Theaterstück und stellen gleichsam den musikalischen Spiegel dar, vierzehn Abwandlungen um ein Thema.

Er schießt auf jeden der sich ihm nähert, Abel Znorko, seines Zeichens Literaturnobelpreisträger, der sich auf eine Insel im norwegischen Polarkreis zurückgezogen hat. Er gilt als exzentrisch, lebensfeindlich und sein letztes Buch, ein Liebesroman in Briefen, wird von den Kritikern als sein bestes bezeichnet. So gänzlich gegen seine Gewohnheit gewährt er dem Journalisten Erik Larsen ein Interview. Auch neben Larsens Kopf schlägt eine Kugel in das Portal ein, als er Znorkos Grundstück betritt. Erik Larsen ist gekommen, um die Wahrheit und den autobiographischen Gehalt des Romans aufzudecken. Znorko hält nicht viel von der so genannten Wahrheit und es entspinnt sich ein wechselvolles Gespräch zwischen den beiden ungleichen Männern über Leben, Liebe und Alltag. Larsen gibt nicht so schnell auf und treibt Znorko immer weiter in die Enge. Wer hat die Briefe geschrieben? Das Spiel kippt von Szene zu Szene ähnlich den musikalischen Variationen und es lässt sich nur für Momente feststellen, welcher der beiden Männer im Augenblick der Wahrheit näher ist, wer nun den Zug im Spiel für sich entscheiden konnte.
 
   
 

Rüdiger Hacker, Matthias Grundi

© Hilda Lobinger

 

 

Spielfläche war ein Raum im Hause Znorkos, gebildet aus einer großen dicht beschriebenen Fläche Packpapiers, die von Bücherstapeln eingefasst wurde. Mauerkanten, der Eingang und die Einfassung des Fensters "gegen die Welt" wurden nur angedeutet. Das Bühnenbild, gestaltet von Thomas Flach, unterstützte sinnfällig die klare und stringente Inszenierung von Jochen Schölch. Der Regisseur setze ganz auf den Text, und heraus kam ein raffiniertes Spiel in dichten gehaltvollen Dialogen. Rüdiger Hacker gab den lebensfeindlichen Literaten, der nach einer intensiven Affäre die Liebe nur idealisiert genießen wollte und für den der Alltag den Tod derselben bedeutete. Hart, herrisch und bisweilen zynisch klangen die Worte aus seinem Mund und doch blitzte auch ein großes Maß an Sensibilität durch. Stets suchte er seine "Karten" verdeckt zu halten. Der Gegenpart, der vermeintliche Journalist Erik Larsen, wurde von Matthias Grundig auf die Bühne gebracht. Freundlich, fast weich und doch stets bewusst, forderte er immer wieder nach der Wahrheit. Menschliche Nähe, Vertrautheit und Freundschaft bildeten in seinem Weltbild die tragenden Säulen zwischen denen die Liebe gedeiht. Immer wieder ging er an den Schallplattenspieler und setzt die Nadel auf die schwarze Scheibe mit den Enigma-Variationen. Durch die Musik kam die unsichtbare Frau mit auf die Szene. Geht es um die Liebe zu ihr, die Vorstellungen die mit ihr verbunden sind und die Träume, die verbindenden und die trennenden? Die Antworten liegen verborgen in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen, in der Lüge wie in der Wahrheit.

Jochen Schölch schuf eine sehenswerte Inszenierung, die mit vielen überraschenden und vielen zutiefst menschlichen Momenten aufwartete.

 
C.M.Meier

 

 


Enigma

von Eric-Emmanuel Schmitt

Rüdiger Hacker, Matthias Grundig

Regie: Jochen Schölch