Kammerspiele Neues Haus Hochdeutschland nach Alexander Schimmelbusch
Theater sollte mehr leisten
Victor ist ein erfolgreicher Banker, der Millionen verdient und sich alles leisten kann. Doch er ist nicht wirklich glücklich, denn er spürt, dass die Gesellschaft in eine Schieflage geraten ist. Und obwohl es ihn eigentlich gar nichts angeht, denn er ist ja auf der Gewinnerseite, also auf dem Heck, der bugwärts sinkenden Titanic, fühlt er sich auf absurde Weise herausgefordert. Er denkt ernsthaft darüber nach, wie diese Ungleichheit aufgehoben werden kann. Die Gründung einer „Deutschland AG“ erscheint ihm ein probates Mittel zu sein. Zudem soll der Reichtum gedeckelt werden. Maximal 25 Millionen Euro pro Person erscheinen ihm angemessen. Und das Land soll sich erheblich mehr um sich selbst kümmern, soll egoistischer sein und dabei seine Stärken ausbauen über Bildung, Chancengleichheit und ausgewogene Ernährung. Es soll tatsächlich Menschen geben, die die Produkte von Kentucky Fried Chicken als Nahrung ansehen. Vor allem muss darauf bestanden werden, dass jedes Individuum sich den „Deutschen Werten“ verpflichtet fühlt. Die anderen sollen gefälligst draußen bleiben. Kurz und gut, hier kommt ein programmatischer Verhau zustande, der zwischen den geistigen Polen (wenn man überhaupt von solchen sprechen kann) von Donald Trump und Gauland/Meuthen/Weidel liegt.
Victor ist wild entschlossen, diese politischen Ziele, denen sich ja kein „vernünftiger“ Mensch verschließen kann, in die Tat umzusetzen. Dazu, und das ist der Kern des Romans von Alexander Schimmelbusch, braucht es ein populistisches Manifest, das die Leute aufrüttelt und in Bewegung bringt. Tatsächlich findet sich ein Politiker, ehemals Grüner, jetzt populistisch, der genau auf diese geniale Rede, die Victor in einer halben Stunde ganz nebenbei verfasste, gewartet hat. Im Roman kommt Victor überraschend zu Tode. Er wird Opfer einer radikalen Bewegung, die noch niemand so recht auf dem Schirm hatte. Dumm gelaufen, möchte man sagen. Alexander Schimmelbusch war selbst fünf Jahre Investmentbanker in London. Er weiß also, wovon er redet, wenn er über Finanzen und deren Gewinnen spricht, die allen versprochen, auch dem kleinsten Sparer, jedoch nur einer immer kleiner werdenden Zahl von Menschen in immer höheren Margen zufließt. Schon Brecht hatte festgestellt, dass ein noch größeres Verbrechen, eine Bank auszurauben, die Gründung einer solchen sei. Das war kein Witz!
In Schimmelbuschs Werk geht es auf provokante Weise darum, über Politik nachzudenken und Alternativen im künstlerischen Raum durchzuspielen. Eine sehr sinnvolle Sache, wenn man einen wirklich neuen Ansatz und vielleicht ein paar revolutionäre Ideen hat. Die hat Schimmelbusch nicht. Vielmehr versucht er den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Nationalistischem Egoismus stellt Victor eine „Deutschland AG“ gegenüber. Neoliberalem Egoismus begegnet der Protagonist mit einer diffusen Hoffnung auf ein kollektives „Wir“. Und er beginnt damit, den Reichtum pro Person auf 25 Millionen zu begrenzen. Somit gehört auch der fünfundzwanzigfache Millionär endlich wieder zum Mittelstand und ist nicht abgekoppelt von der Realität und der Gesellschaft, was ja häufig das traurige und bedauernswerte Los reicher Menschen ist.
Was für ein abstruser Irrsinn! Tatsächlich hat Schimmelbusch keine Ahnung, wie man dieser negativen und vermutlich folgenreichen Entwicklung begegnen kann. Doch diese Ahnungslosigkeit verkauft er eloquent und in sehr hipper Sprache. Dabei bedient er vornehmlich den erlesenen Geschmack der intellektuellen Sophisten und Drübersteher im Land. Da begegnet man wenig Aufrichtigkeit und viel Jux, wenig ehrlichem Mitgefühl und viel arrogantem Wortwitz. Am Ende, soviel kann schon mal verraten werden, gibt es weder neue Erkenntnisse, noch Ansätze für praktisches politisches Handeln.
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Julia Windischbauer, Abdoul Kader Traoré, Zeynep Bozbay, Jannik Mioducki
© Gabriela Neeb
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Der Bühnenraum des Neuen Hauses der Münchner Kammerspiele war gänzlich mit Schaum geflutet. Damit sollte allerdings keine Schaumparty suggeriert werden, sondern ein Raum geschaffen werden, in dem es nichts Konkretes gab, in dem alles abstrakt und schwer fassbar blieb. Die Darsteller konnten in den Schaum greifen und zutage fördern, was immer ihnen beliebte. Und sie konnten das, was sie dem Publikum präsentierten, liebkosen, formen, zerstören oder von sich schleudern. Der Idee darf man getrost Respekt zollen. (Bühne Manuel La Casta) Der hintere Bereich der Bühne war schwarz verhangen und mit einem Flügel ausgestattet, auf dem Sachiko Hara ihre musikalischen Kommentare beisteuerte. Und so nahm denn das Spiel seinen Lauf, besser gesagt die Handlung des Romans, die vornehmlich deklamiert wurde. Dabei dominierte die Qualität der Sprache, die vom Publikum auch hinreichend honoriert wurde. Inhaltlich gab es im Wesentlichen nur Bekanntes und Altbekanntes.
Regisseur Kevin Barz setzte auf Körperlichkeit, denn der Schaum wollte bewegt werden. Sämtliche Darsteller bewiesen Einfühlungsvermögen in die jeweils geschilderte Situation, die gestisch und mimisch kommentiert wurden, ohne dass Rollenspiel dabei herauskam. Rolle gab es ja nicht oder nur ansatzweise und so setzten Zeynep Bozbay, Abdoul Kader Traoré, Jannik Mioducki und Julia Windischbauer das gesprochene Wort in Posen um, stets bemüht, dabei auch unterhaltsam zu sein. An physischer Aktion ließen sie es nicht mangeln. Die wäre vermutlich wesentlich effektvoller gewesen, hätten die (nicht vorhandene) Handlung eine Richtung und vielleicht sogar ein Ziel gehabt und die Figuren sich in dialogischen Verhältnissen befunden. So war die Inszenierung nur bedingt kurzweilig. Doch Kurzweiligkeit sollte eigentlich ein sekundäres Kriterium für eine gute Inszenierung sein, schließlich befand man sich ja nicht im Komödiantenstadl. Wichtiger sollten der Inhalt und die Botschaft sein. Doch auf echte substanzielle Botschaften warten wir seit geraumer Zeit in zunehmendem Maß. Stattdessen pflegen wir eine Diskurskultur mit abstrusen Modellen, die selten mehr als ergötzlich sind. Wenn man nichts zu sagen hat, wird umso mehr geredet. Dabei ist es ernst, wirklich ernst.
Der gesellschaftliche Diskurs ist ziemlich heruntergekommen zu einem Tummelplatz für Worthülsenproduzenten, Demagogen und Egomanen, die nicht selten über erhebliches kriminelles Potenzial verfügen. Grundvoraussetzung für eine Karriere in der Wirtschaft ist heutigen tags die Abwesenheit von Moral, also keine negative Moral, sondern die Abwesenheit von Moral. Dieser Zustand wird mit dem Gefangensein im System erklärt. Selbst wenn man moralisch sein wollte, man könnte es nicht, und wenn doch, dann um den Preis, dass einen das System ausscheidet. Das nennt man Wirtschaftsliberalismus und bedeutet unterm Strich, dass eine kleine Gruppe dank ihres Besitzes an Kapital oder Produktionsmitteln diesen permanent vermehrt, während die Schicht der Besitzlosen stetig wächst. Die relative Verarmung schreitet ungehemmt voran.
Und wenn einer um die Ecke kommt und recht zögerlich einen Vorschlag macht, der durchaus in die richtige Richtung geht, hagelt es Häme und arroganten Spott. Ein junger Sozialist nimmt das Wort Verstaatlichung in den Mund und sofort hagelt es Maulschellen von allen Seiten. Der Kapitalismus, von dem genannter Victor glaubt er sei reformierbar, ist möglicherweise die letzte existenzielle Geißel der Menschheit. Er hat nur ein Ziel: Streben nach Profit. Und dabei nimmt er weder Rücksicht auf die Ressourcen, die erwiesenermaßen endlich sind, noch darauf, dass Reichtum im Umkehrschluss Armut bedeutet. Wenn nicht langsam an Stelle der Gier die Vernunft zu regieren beginnt, dann war es das. Wenn das permanente extensive Wachstum ungebremst weitergeht, dann wird sich der „no return point“ des Klimawandels nicht in elf Jahren einstellen, sondern noch früher. Karl Marx schrieb, dass sich der Kapitalist bei der Aussicht auf 100 % Profit bereitfindet zu lügen, bei 200 % zu betrügen und bei 300 % zu töten. Schauen wir uns um. Alles das findet statt und wir weigern uns immer noch, von einem kriminellen System zu sprechen. Ein Aufschrei des Entsetzens geht um, wenn mal ein sozialistischer Politiker das Wort Sozialismus in den Mund nimmt. Diese politische Keule funktioniert noch immer und sofort kommt der Reflex, lieber tot als rot. Das könnte klappen. Dabei weiß noch niemand, wie ein richtiger Sozialismus aussieht, denn es gab ihn noch nie.
Die Münchner Kammerspiele haben sich auf die Fahnen geschrieben, politisch und multikulturell zu sein. Das kommt gut an, bewirkt aber nicht das Geringste, wenn das politische Engagement keine Richtung, keine echten Prämissen und vor allem kein handwerklich funktionierendes Instrumentarium hat. Multikulturalismus ist unterm Strich ohne eindeutige und verbindliche humanistische Leitsätze sowieso nur Folklore. Die Botschaft von „Hochdeutschland“ ist so, wie sie sich durch die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen darstellt, kein tauglicher Versuch, die Fragen, wie sie in der Bewerbung durch die Kammerspiele formuliert sind, zu beantworten „Kann sich das System von innen selbst zerstören? Wie weit ist die Elite in Deutschland von der Realität entfernt? Deutschland 2019: Braucht es einen Neuanfang?“ Wenn wir noch lange darüber lamentieren, werden uns die Antworten, nach denen wir nicht gefragt haben, erbarmungslos ins Gesicht schlagen. Die Verwirrung des politischen Geistes schreitet voran und die „starken Männer“ stehen vor der Tür. Egal, wir feiern uns lieber in unserem Bemühen, darüber oder über andere Dinge zu diskutieren. Theater sollte mehr leisten.
Wolf Banitzki
Hochdeutschland
Nach dem Roman von Alexander Schimmelbusch
Mit: Zeynep Bozbay, Abdoul Kader Traoré, Jannik Mioducki, Julia Windischbauer Am Flügel: Sachiko Hara
Inszenierung: Kevin Barz
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Kammerspiele Neues Haus Yung Faust nach Johann Wolfgang von Goethe
Faust gefiltert
Leonie Böhm, Jahrgang 1982, ist studierte Bildende Künstlerin. 2011 wechselte sie zur Schauspielregie und wartete bereits während ihres Studiums an der Theaterakademie der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg mit beachtlichen Arbeiten auf. Heute versteht sie sich selbst als Regisseurin, Performerin und Bildende Künstlerin. Gemeinsam mit den Darstellern Annette Paulmann, Julia Riedler und Benjamin Radjaipour hat sie sich daran gemacht, Goethes Faust auf seinen emotionalen Gehalt zu untersuchen. Nun steht das Werk „Faust“ (I und II) weniger für Gefühlstheater, als vielmehr für Weltanschauungstheater, doch wer will es der Jugend schon verargen, ein so großes Werk auch auf andere Substanzen hin auszuloten. Die Sehnsucht Fausts nach einem weiblichen Pendant ist immerhin unbestritten und wo Liebe im Spiel ist, sind auch Gefühle dabei. Allein, bei Faust bleibt es ungestillte Sehnsucht.
Faust, aller Wissenschaften überdrüssig, denn sie konnten ihm nicht vermitteln, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, sucht neue Wege, seinen unbändigen Forschergeist und seinen Lebensdrang zu befriedigen. In tiefster Verzweiflung fasst er sogar einen Suizid ins Auge. Das ist das Stichwort für Mephistopheles, der eines der beiden dualistischen Prinzipien des Daseins repräsentiert. „Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / Ist wert, dass es zugrunde geht; / Drum besser wär´s, dass nichts entstünde. / So ist denn alles, was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element.“ Immerhin verspricht er Faust, ihm sämtliche Genüsse zu bereiten, die Himmel und Erde vorhalten. Faust ist willens, seine Seele zu geben, sollte er letzte Befriedigung finden. Der Deal lautet: „Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen, / So sei es gleich um mich getan! / Kannst du mich schmeichelnd je belügen, / Dass ich mir selbst gefallen mag, / Kannst du mich mit Genuss betrügen - / Das sei für mich der letzte Tag! / Die Wette biet ich!“
Und los ging es, nachdem sich Julia Riedler zögerlich vor den Vorhang getraut hatte und ihr Begehren vortrug. Sie war Faust, doch nur der Faust, der seine emotionale Sehnsucht zu stillen suchte. Gesucht wurde ein Mensch, der ihre Gefühle bemerkte, lesen konnte, erwiderte. Erster Ansprechpartner war das Publikum. Im Publikum war Benjamin Radjaipour und der Funke sprang über. Allerdings auch auf den einen oder anderen Zuschauer, der in das improvisiert wirkende Spiel einbezogen wurde. Die beiden Darsteller kehrten zurück vor den Vorhang und beschlossen, das Spiel zu beginnen. Vorhang auf und weiter ging es auf der etwas steril wirkenden Bühne von Sören Gerhardt. Ein weißer, brusthoher Springbrunnen, einige zweidimensionale, den Raum strukturierende Stellelemente und ein großer Prospekt mit einer sattgrünen Topfpflanze in horizontaler Lage, der den Hintergrund bildete. Das Leben wurde ausgekostet, vornehmlich verbal unter Verwendung der wunderbaren und starken Texte Goethes. Rausch wurde als Wasserschlacht dargestellt und als die Bühne hinreichend geflutet war, ließ es sich darauf auch gut Bodysurfen. Ein roter Faden war nicht auszumachen, vielmehr wurde ein Bilderreigen aufgefächert, in dem emotionale Fundstücke aus Goethes „Faust“ in Spiel umgesetzt wurden, in ekstatisches, aber auch zurückhaltendes zärtliches oder erotisches.
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Julia Riedler
© Julian Baumann
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Doch in Goethes „Faust“ steckt auch Verrat, Kindsmord und Hinrichtung. „(..), mir graut vor dir“, konnte man vernehmen und Textkenner wussten, um die Szene. Die Gretchenfrage wird gestellt, allein das „Wie hältst du es mit der Religion, Heinrich?“ wurde nicht ausgesprochen, wie vieles auf die Handlung verweisendes. Damit blieb Konkretheit in Bezug auf die Geschichte aus. Doch darum ging es auch nicht, wie ein Statement auf der Vorderseite des Programmheftes propagierte: „Gefühl ist alles“. Das ist allemal eine gewagte These! Den Gefühlen, die aufgespürt wurden im Text und auch in der Geschichte wurden mit großem körperlichem Einsatz Ausdruck verliehen. Dabei muss angemerkt werden, dass Bewegungs- und auch Sprachelemente und Codes einer Jugendkultur verwendet wurden, für deren Verständnis einiges Wissen oder Kenntnisse vorausgesetzt werden.
So findet sich das Wort „Yung“ nur in einem noch nicht kanonisierten Urbandictionary. Eine Bedeutung des Wortes ist adjektivisch und heißt so viel wie „dumm oder cool“. In diesem Zusammenhang bezieht es sich aber auf die Funktion als Namenszusatz. Man findet ihn bei Cloudrappern Yung Hurn oder Yung Lean. (Cloud Rap ist eine Spielart des Hip-Hop, der geprägt ist von sphärischen Synthesizer-Klängen und dem Einsatz von Auto Tune.) Im Zusammenhang mit „Yung Faust“ werden allerdings eine unbedingte Jugendlichkeit und ein entsprechendes Herangehen definiert.
Die einstündige Vorstellung, die vom Live-Musiker Johannes Rieder auf bisweilen sehr witzige Weise gesanglich und an Drums und Keyboards begleitet wurde, war, wie bereits erwähnt, geprägt von körperbetontem Spiel, bei dem Annette Paulmann (in der Premiere) kleinlaut gestand, dass sie dafür eigentlich zu alt sei (Originaltext oder Verzweiflung?) Zur Verbeugung humpelte sie denn auch auf die Bühne. Unbestritten hatte die Performance einen großen Unterhaltungswert, wobei angemerkt werden muss, dass die wunderbaren Verse in Goethescher Kunstsprache allen modernen Konfrontationen, sei es Musik, Kostüme (Mascha Mihoa Bischoff) oder an Kung-Fu oder verwandten asiatischen Kampfsportarten ähnelnden Bewegungsabläufen unerschütterlich standhielten.
Die Macher bezeichneten ihr Vorhaben als „frischen Zugriff auf die Welt und die Beziehungen“ im „alten Faust-Text“. Sie wollten „den allzu viel gesprochenen Sätzen des mächtigen alten weißen Mannes (Goethe) eine verletzliche Unmittelbarkeit abgewinnen“. Das ist ihnen ganz sicher gelungen und der Unterhaltungswert war ebenso unbestritten. Allerdings stellt sich die Frage, ob es nicht allzu gewagt ist, das vielleicht bedeutendste deutschsprachige literarische Werk herzunehmen, Goethe hat immerhin sechzig Jahre daran gearbeitet, um emotionale Marginalien herauszufiltern, sie in einem unterhaltsamen Potpourri darzubieten, und die letzte große Botschaft des Dramas abzuändern in die Bekundung, emotional nie zu erstarren oder zu verstummen. Das mag dem Lebensgefühl der Generation zwanzig plus entsprechen, doch Goethes Botschaft ist da weitreichender. „Das ist der Weisheit letzter Schluss: / Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, / der täglich sie erobern muss!“ In Zeiten von „Fack ju Göhte“ sollte man das allerdings nicht allzu ernst nehmen.
Nein, es war wohl nicht zu gewagt, denn das vornehmlich junge Publikum feierte die Inszenierung frenetisch. Und das macht man bekanntlich nur, wenn man überzeugt und ergriffen ist von der intellektuellen und künstlerischen Leistung aller Beteiligten. Und wer aus dem Alter heraus ist, in dem Beziehungen, Liebe, Sex, Rausch etc. nicht mehr die vorrangige Bedeutung hat, und vermutlich kommt beinahe jeder irgendwann einmal dahin, dem bleibt ja immer noch das ganze Werk, auf Papier gedruckt und in Buchdeckeln eingebunden. Also, keine Panik!
Wolf Banitzki
Yung Faust
nach Johann Wolfgang von Goethe
Mit: Annette Paulmann, Benjamin Radjaipour, Julia Riedler
Inszenierung: Leonie Böhm
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