Residenz Theater Der eingebildet Kranke von Moliére


 

 

Im Auge der Hypochondrie

"Er bewegt sich, schläft, isst und trinkt genau wie alle anderen. Trotzdem ist er sehr leidend" so Molière, der in seiner gesellschaftskritischen Charakterkomödie weißbekittelte Narren und deren gläubige Anhänger zur Zielscheibe des Spotts machte. Spieglein, Spieglein … wer ist gesund noch in diesem Land? Man ist so geizig wie wohlhabend. Man ist so sehr um seine Gesundheit besorgt, dass Krankheit sich automatisch einstellt. Einer Welt, in der an Hypochondrie und Geiz gelitten wird, kann man nur Molière "verordnen". Ob die Rezeptur wirkt?
 
 

 
 

Rudolf Wessely, Eva Gosciejewicz

© Thomas Dashuber

 
 
Das Wundermittel enthält die Ingredienzien des menschlichen Daseins - gieren, lieben, kranken, verdauen, ausscheiden, verschwenden, behalten, kämpfen, leiden, einbilden, ordnen, herrschen, bezahlen, überleben, sterben. Argan, der Held, erfährt sie alle. Mehr noch, Rudolf Wessely ist ein eingebildeter Kranker von mitreißendem Temperament und sprühender Lebendigkeit und das selbst wenn er dem Tod ins Auge sieht und um der Wahrheit willen kurz die Luft anhalten muss. So jedenfalls in der Inszenierung von Thomas Langhoff, der mit Comedy Effekten frischen Wind in den von Fritz Kortner dramaturgisch bearbeiteten Klassiker brachte. Fritz Kortner, Regie-Ikone der 50er Jahre an deutschten Theatern, war gleichzeitig auch Schauspieler und Drehbuchautor zahlreicher Filme des Unterhaltungskinos.Die Geschichte: Bürger Argan ist wohlhabend und leidet an … nun woran leidet er, am Leben vielleicht? Er sitzt im Krankenstuhl inmitten seines, von Ezio Toffolutti sinnfällig gestalteten, großzügigen grünen Hauses und blättert nachdenklich in den Rechnungen seines Arztes und seines Apothekers. Was liegt da näher, als seine heiratsfähige Tochter mit einem Arzt, dem Neffen seines Hausarztes, zu verheiraten. Damit wären zwei Probleme auf einen Schlag gelöst, man hätte einen Arzt im Haus und die hohen Kosten gesenkt. Doch seine Tochter Angelique (Franzika Rieck) liebt heimlich Cleant. Das jedenfalls vertraut sie dem Hausmädchen Toinette in ihrer Verliebtheit, staksig einen Steptanz vollführend, an. Sie hat kein Interesse an dem frischgebackenen Doktor, einem Ereignis der Tölpelhaftigkeit, den Robert Joseph Bartl unnachahmlich in Szene setzt. Seine Untersuchung des eingebildeten Kranken reizt jedes Zwerchfell. Beline, die zweite Frau Argans, hasst ihre Stieftochter und nährt überaus zärtlich den Krankheitswahn ihres Mannes. Insgeheim, doch plakativ offensichtlich, arbeitet Eva Gosciejewicz daran, als Alleinerbin eingesetzt zu werden. Argans Bruder Berald, von dessen Gesundheit überzeugt, bringt durch seinen Besuch Bewegung in das Denken Argans. Dem daraufhin in einem Alptraum, der medizinischen Kunst ausgeliefert, ein Arm abgesägt und von dem jungen Doktor, mit großen roten Gummihandschuhen, ein Auge entfernt wird. Über der Szene schwebt Cleant als Retter in der Pose Supermans. Jetzt kommt Toinette, ihrem Herrn ergeben und Angelique eine Vertraute, zum Zug. Sie hilft mit einer List der Wahrheit auf die Sprünge und öffnet Argan die Augen. Angelique darf Cleant heiraten. Beline verlässt das Haus. Zurück bleiben Argan und Toinette und die Gewohnheit, die in der täglichen Frage gipfelt: "War heute morgen Galle in meinem Urin?"

Es ist das Zeichen von Hilflosigkeit, das Festhalten an den Gewohnheiten, in einer Zeit in der jederfrau und jedermann die eigenen Wege geht und schon das familiäre Zusammenspiel auseinanderfällt. Die Gewohnheit ist die letzte Bastion einer untergehenden Ordnung, sie wird mit Macht gepflegt.

Es muss ein amüsanter Abend gewesen sein. Das Stück hat sein Publikum erreicht, denn die Inszenierung bedient moderne Sehgewohnheiten - wohlbemerkt Gewohnheiten. Ob jedoch außer Kontraktion von Muskulatur noch andere Bewegung stattfand, bleibt fraglich.

 

C.M.Meier

 

 

 

 

Der eingebildet Kranke

von Moliére

Nach einer Bearbeitung von Fritz Kortner

Sibylle Canonica, Eva Gosciejewicz, Franziska Rieck, Robert Joseph Bartl, Burchard Dabinnus, Claus Eberth, Daniel Friedrich, Alfred Kleinheinz, Marc Oliver Schulze, Fred Stillkrauth, Rudolf Wessely

Regie: Thomas Langhoff

Residenz Theater Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O'Neill


 
 
Hysterie statt Leidenschaft

"Ich gehe aus von der Theorie, dass die Vereinigten Staaten, anstatt das erfolgreichste Land der Erde zu sein, der größte Fehlschlag sind ...", schrieb Eugen O'Neill. Spiegelbild dieses Versagens sollte auch sein Drama "Eines langen Tages Reise in die Nacht" sein, das er 1940 als Teil eines geplanten und nicht vollendeten autobiografischen Zyklus verfasste. Der Ich-Bezug ist bei Kenntnis seiner Biografie unübersehbar. Das veranlasste ihn schließlich auch dazu, das Stück bis 25 Jahren nach seinem Ableben zu sperren. Bereits 1956, drei Jahre nach seinem Tod, fand die Uraufführung am Königlichen Dramatischen Theater in Stockholm statt, an einem Theater, dass er aufgrund der Verdienste um Strindberg für die Uraufführungen seiner Stücke favorisierte. Strindberg, so betonte er in seiner Nobelpreisrede 1936, war sein literarischer Übervater, womit er seine Poetikauffassung deutlich definierte. Der erfolgreichste Amerikanische Dramatiker (mehr als 40 Stücke) avancierte zum großen Naturalisten/Realisten des Theaters jenseits des Großen Teiches. Seine Stücke sind zutiefst psychologisch, wenn nicht sogar psychoanalytisch, wie der Theatertheoretiker Georg Hensel bemerkte.

"Schicksal entspringt aus der Familie", notierte O'Neill während der Arbeit an "Elektra muss Trauer tragen". So führt er uns die schicksalhafte Verstrickung der Mitglieder der Familie Tyrone in einer großen und unbarmherzigen Vivisektion vor. James Tyrone, einstmals bejubelter Liebhaberdarsteller, hinter der Figur verbirgt sich O'Neills Vater, der jahrelang als "Graf von Monte Christo" Triumphe feierte, ist Alkoholiker und von krankhaftem Geiz geplagt. Sein Sohn James jr. tut es ihm gleich. Als Schauspieler hat auch er sein Talent bereits im Alkohol ertränkt. Hinter dieser Figur steckt Eugenes älterer Bruder James, der 1923 an den Folgen seines Alkoholismus starb. Edmund, der Poet und Seefahrer der Familie - und O'Neill selbst - hat die Schwindsucht. (Wie viel Poesie in diesem Wort steckt!) Er erfährt die endgültige Diagnose an jenem Augusttag des Jahres 1912, an dem das Stück spielt. Auch er widmet sich voller Hingabe dem Alkohol. Die Mutter, wie auch im wahren Leben des Eugen O'Neill, ist gerade aus der Entziehungskur entlassen und reitet schon wieder auf der Nadel.
 
 

 
 

Jens Harzer, Rainer Bock

© Thomas Dashuber

 

 

Inhalt des Stückes ist der verzweifelte Versuch aller Figuren, die Schuld am eigenen Dilemma auf die Angehörigen abzuwälzen. Es ist ein martialischer Prozess, der angesichts des Abstumpfungsgrades schon eine Weile anhalten muss. Und es ist ein psychologisches Drama in der Tradition Strindbergs, das einige Erwartungen weckt. Anders als bei Strindberg, gelingt den handelnden Personen keinerlei Kommunikation. Niemand ist wirklich an der Anschauung des Anderen interessiert, jeder weicht aus, flüchtet schnell wieder in die eigene Hölle. Und so bleibt am Ende der Kadaver einer Familie zurück, in der viel von Liebe und noch mehr von Hass gesprochen wurde.

Eine große Geschichte wird hier in einem großen Stück erzählt, dass auf den Bretter des Residenztheaters allerdings keine große Gestalt annahm. Elmar Goerden inszenierte mehr Hysterie als Leidenschaft und unterm Strich blieb kaum mehr als der schrille Abklatsch einer Familientragödie. Psychologische Brüche beim Kippen von Liebe, in Hass und in Verzweifelung und umgekehrt, meisterlich von O'Neill vorgegeben, wurden weitestgehend ignoriert. Anstelle dieser kam es in regelmäßigen Abständen zu exzessiven Ausbrüchen, deren Motivationen nicht immer nachvollziehbar waren.
Und die Darsteller? O'Neill schrieb sinnfällig: "Ich glaube nicht, dass eine Idee einem Publikum übermittelt werden kann, außer durch Charaktere." Hans Peter Hallwachs James Tyrone, der Patriarch der Familie und Hauptschuldiger am Dilemma, war allzu häufig in der Defensive. Es überzeugt kaum, dass ein Mensch, der als einziger für die Familie gearbeitet hat, so deutlich auf der Flucht vor sich selbst und den Anklägern ist. Dabei hat er für sein Fehlverhalten noch einleuchtende Gründe, was ihn sehr menschlich macht. James jr. wurde von Rainer Bock als schnodderiger Zyniker gegeben, dessen noch vorhandenen Potenzen durch diese Darstellung weitestgehend negiert wurden. Jens Harzer spielte den Edmund als einen umtriebigen, permanent rauchenden und gelegentlich hustenden Siechen, der zumeist eine unangemessen aggressive Spannung erzeugte. Cornelia Froboess gestaltete ihre Rolle als Mutter mit geradezu königlicher Haltung. Man vergaß allzu leicht, dass es sich um eine drogensüchtige, von Schlaflosigkeit und Entdeckungsängsten geplagte Frau handelt, die zudem in einer verklärten Vergangenheit lebt. Hier wäre weniger wirklich mehr gewesen.

Was fehlte, waren Zwischentöne, das sinnfällige Innehalten, um die Dramatik des Stückes freizusetzen. Kommunikationslosigkeit auf einer Bühne darf nicht geschehen, sondern muss gestaltet werden. Das Spiel der Darsteller war erregt, ohne das eine zündende Erregung beim Zuschauer aufkam. Respekt vor ihrer dreieinhalbstündigen Arbeit, doch der erzeugte Effekt war angesichts der Vorlage mäßig. Bedauerlich war auch, wie die Poesie des Stücks zum Teil fortgespült wurde. Der Baudelairetext aus Harzers Mund klang eher wie auf einem Poetry Slam. Dabei wurde im Konzept des Bühnenbildes von Silvia Merlo und Ulf Stengl eine deutliche Anlehnung an den textlichen Symbolismus sichtbar. Durch das Fluten der Vorderbühne hatten sie das Meer ins Blickfeld des Zuschauers geholt und der Bühnenhintergrund, von einer großen Gardine verdeckt, machte den bedrohlichen Nebel glaubhaft.

Ähnlich wie in der Inszenierung von "Warten auf Godot" (Premiere am 31.12.2004) hat Regisseur Goerden einen Kniefall vor dem Publikum gemacht. Leider um den Preis, dass wesentliche emotionale Aussagen, die auf eine Katharsis zielen, auf der Strecke blieben. Wenn das Publikum diese Inszenierung aus einem gutem Grund annimmt, dann wohl, weil zwischen denn allzu häufig eingestreuten "Scheiße!" und "Ach, Scheiße!" immer wieder der große, unzerstörbare Text von Eugene O'Neill wie ein Wetterleuchten durchscheint.

 
Wolf Banitzki

 

 


Eines langen Tages Reise in die Nacht

von Eugene O'Neill

Cornelia Froboess, Franziska Rieck, Rainer Bock, Hans Peter Hallwachs, Jens Harzer

Regie Elmar Goerden

Residenz Theater Geschichten aus dem Wiener Wald von Ödön v. Horváth


 
 
Vom Sterben im Leben

Ich habe dir gesagt, du kannst meiner Liebe nicht entgehen, spricht Metzger Viktor zu Marianne und es erinnert an den Satz: Ich werde die Sau jetzt abstechen. Marianne war Viktor versprochen. Ihr Vater Leopold Zauberkönig ist darüber glücklich, denn eine Metzgerei in der Familie sichert den Wohlstand. Doch Marianne hat Flausen im Kopf, träumt von einer Ausbildung als gymnastische Tänzerin und einer eigenen Schule. Und noch ein Traum hat Besitz von ihr ergriffen, nämlich, dass sie den Mann, mit dem sie das Leben verbringen wird, liebt und begehrt. Viktor ist dieser Traummann nicht.

Dann begegnet ihr Alfred, ein Spieler und Tunichtgut. Er lebt in einer ökonomisch begründeten Beziehung mit der Trafikantin Valerie, einer verblühten Frau voller Sehnsucht nach ein wenig Wärme. Alfred ist ein schwacher Mensch und gibt der ersten Versuchung nach, ohne die Konsequenzen in Betracht zu ziehen. Marianne wird schwanger und lebt in "wilder Ehe" mit Alfred. Sie wird vom Vater und von der Kirche verstoßen und schließlich von Alfred verlassen. Die Odyssee führt sie durchs Maxim, wo sie ihre Haut verkauft und ins Gefängnis, wo sie für die perverse Laune eines Misters büßt. Als sie auch noch ihr Kind verliert, resigniert sie und ergibt sich, innerlich abgestorben, in die Ehe mit Viktor. Die Gesellschaft, hier die Bewohner des 8. Wiener Bezirks, hat sie wieder.

Ödön von Horváth beendete dieses Stück im Jahr 1931, in der Zeit der großen Depression. Die braunen Horden schickten sich zudem an, die Macht zu übernehmen. Er avancierte insbesondere mit dieser Arbeit zum Erneuerer des Volkstheaters. Sein Volkstheater war ein realistisches und ein Happy End kam darin nicht vor. Auch war dieses Volkstheater nicht vordergründig unterhaltend, denn Horváth blickte nicht nur in die Abgründe der Seelen, sondern auch in die der Gesellschaft. Und die waren und sind tief.
 
 

 
 

Michael von Au, Juliane Köhler

© Thomas Dashuber

 

 

Inzwischen werden hier und heute Stimmen laut, die meinen, wir befänden uns in einer wirtschaftlichen (und wohl auch geistigen) Rezession. Tatsächlich berichten die Gazetten schon seit längerem von einer schleichenden Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung. Auch Politiker besinnen sich plötzlich wieder auf die Gefahren, die soziale Instabilität bergen. Stehen die das Volk verhetzenden Ideologen vielleicht schon in den Startlöchern? Eines ist sicher, der Schoß ist fruchtbar noch.

So erübrigt sich die Frage nach der Aktualität des Horvártschen Stückes. Bleibt die Frage, ob die ästhetische Umsetzung angemessen gelang. Die muss ohne Einschränkung mit ja beantwortet werden. Regisseurin Barbara Frey erzielte mit ihrer Umsetzung ein Höchstmaß an Wirkung. Dabei verließ sie sich auf den schwergewichtigen Text, auf die für eine tiefe Katharsis geeignete Geschichte und auf die exzellenten Darsteller. Bettina Meyer schuf mit einem stilisierten Mittelstandsghetto in schmutzigem Weiß ein gutes Terrain mit viel Raum. Zwischen den Bullaugenfenstern der Mietskaserne baute sie eine Projektionsfläche ein, die sich als sehr funktional erwies. Die einzelnen Szenen öffneten sich mit dem Verschluss einer Kamera und zeigten Orte oder auch Vorgänge an. So zum Beispiel die Szene der Beichte Mariannes, die von Thomas Holtzmann abgenommen wurde.

Über drei Stunden gelang es der Regisseurin, die Spannung zu halten und zudem viel Lachen im Publikum zu erzeugen. Horváths Sprache, die auf Entlarvung zielt, steckt voller Witz und Sarkasmus. Barbara Frey spürte diesen zielsicher auf und bewies damit solides Handwerk.

Aus einer sehr überzeugenden Ensembleleistung stachen sämtliche Hauptdarsteller mit einer sehr rollenspezifischen Gestaltung hervor. Juliane Köhler als Marianne zeigte eine zerbrechliche und sehnsuchtsvolle Frau, deren Horizont darum keineswegs weiter war als der ihrer Mitbürger. Erst als sie sich die Absolution verspielt, da sie Liebe nicht als Sünde akzeptieren kann, wird deutlich, warum sie scheitern muss. Thomas Loibls Oskar machte Gänsehaut. Sein Metzger trug faschistoide Züge, die sich hinter einer vermeintlichen moralischen Überlegenheit verbargen. Michael von Au zeigte einen schwachen, erbärmlichen und darum gar nicht so verurteilungswürdigen Alfred. Neben Lambert Hamel als Zauberkönig muss unbedingt die Leistung Sunnyi Melles als Trafikantin Valerie hervorgehoben werden. Mit einem bemerkenswerten körperlichen Aufwand im Spiel gelang ihr die präzise Darstellung einer sehr menschlichen, wenngleich intellektuell schlichten Figur, deren Harmoniestreben zutiefst kleinbürgerlich, aber bis zu einem gewissen Grad auch liebenswert war. Sie verschenkte nichts!

Mit dieser Inszenierung ist dem Residenztheater nicht nur eine überzeugende ästhetische Arbeit gelungen, nein, es hat sich auch eindeutig zum Zeitgeist verhalten. Dabei ist von einer Zeit die Rede, aus der der Geist zu weichen beginnt, da die soziale Kälte ihn austreibt.

Wolf Banitzki

 

 


Geschichten aus dem Wiener Wald

von Ödön v. Horváth

Lambert Hamel, Juliane Köhler, Thomas Loibl, Sunnyi Melles, Michael von Au, Gerd Anthoff, Christian Friedel, Arnulf Schumacher, Catherine Stoyan, Heidy Forster, Doris Buchrucker, Michael Goldberg, Steffi Kölle / Aurelia Königsbauer, Thomas Holtzmann

Regie: Barbara Frey

Residenz Theater Die Bakchen von Euripides


 

 

Im Zweifel unverbindlich

Dionysos hält in Begleitung einer Schar willfähriger Frauen, Bakchen genannt, Einzug in Theben. Es ist die erste Stadt, in der er seinen Kult einführen will und die ihm als Gott huldigen soll. Das gibt er vor, doch in Wirklichkeit ist er gekommen, um diese Stadt zu strafen, da sie seine Göttlichkeit in Abrede gestellt hat. Der junge Herrscher Pentheus stellt sich ihm in den Weg, da er den Kult für einen barbarischen und seinen Stifter für einen Scharlatan hält. Der stierköpfige Gott nimmt in menschlicher Gestalt blutige Rache und reißt die Stadt unter wahnhafter Mithilfe der Bakchen ins Verderben.

Als Euripides 408 v.Chr., also nur gut ein Jahr vor seinem Tod, Athen verließ, war er zutiefst desillusioniert. Er ging an den Hof des Mazedonischen Königs Archelaos, wo er einen friedvollen Lebensabend verlebte. Im Verständnis der Griechen allerdings ging er an den Hof der Barbaren. In prophetischer Weise und vermächtnishaft hinterließ er den Griechen seine "Bakchen", die mit der Uraufführung 405 v.Chr. vorab ihren eigenen Untergang feierten. Das Ende des Peloponnesischen Krieges besiegelte 404 v.Chr. diesen. Der nachfolgende Hellenismus war nicht weniger barbarisch als die Zeit vor Perikles und seinem "Goldenen Zeitalter".

Bis zu dieser Zeit galten die Griechen als Menschen, die von heiterer Gelassenheit beseelt waren. Sie lebten in so genannter "Vorsicht", was bedeutete, dass sie "Vorsorge" für ihr Leben trafen, um es sicherer zu gestalten. Das hatte nun ein Ende mit Bakchos oder Dionysos.

"Beim Sturm durch den lydischen, phrygischen Wald / Erhascht er ein Böcklein, um blutige Gier / Am zuckenden Fleische zu letzen."

Das macht Schaudern, heute, und war doch Realität. Aber würden wir noch natürlich - nicht kulturell von den ureigenen Instinkten entwöhnt - empfinden, wäre es durchaus einleuchtend. Bertrand Russel schrieb zu diesem Thema: "Es ist nicht weiter überraschend, dass der Dionysos in Griechenland so freudig aufgenommen wurde. Wie alle Völker, die sich kulturell rasch entwickelten, hatten auch die Griechen eine Vorliebe für das Primitive; sie sehnten sich nach einer triebhafteren und leidenschaftlicheren Lebensweise, als die herrschenden Moralvorschriften es zuließen. Vernünftig zu sein ist für den Mann und die Frau beschwerlich, die sich zwangsweise kultivierter benehmen müssen als sie empfinden; Tugend wirkt dann wie eine Last und wie die Sklaverei." Das war also der Hintergrund für einen Bakchoskult.
 
 

 
 

Jens Harzer, Rolf Boysen

© Thomas Dashuber

 

 

Ein weiterer Aspekt soll zumindest erwähnt werden, damit man den barbarischen Akt des Tötens und Verspeisens von Tieren mit bloßen Händen versteht. Es gab eine Vielzahl von Dionysos-Mythen. Einer besagte, dass Dionysos bereits als Knabe von den Titanen in Stücke gerissen und sein Fleisch bis auf das Herz verzehrt wurde. Dieses wurde in einer Fassung von Zeus verschluckt, was zur Wiedergeburt Dionysos führte. Die Bakchen haben mit dem barbarischen Akt des Zerfleischens diesen Vorgang wiederholt. Das Tier war dann die Inkarnation des Gottes. Es ist kaum vorstellbar, doch mit diesem Akt wollten die Menschen eine höhere, eine göttliche Vollkommenheit erlangen.

Einem fest verwurzelten Irrtum soll noch widersprochen werden, nämlich, dass Bacchus oder Dionysos ursprünglich der Gott des Weines war. Tatsächlich trat er seinen Siegeszug mit dem Bier an. Er war ein thrakischer Gott und die Thraker erfanden erst das Bierbrauen, ehe sie zum Wein kamen. Bacchus wurde als der Stifter des göttlichen Rausches verehrt.

Wie verwirrend sind alle die wunderbaren Denkansätze bezüglich des Dramas, des Autors und der im Stück handelnden Personen. Sie sind so wunderbar verwirrend, dass wir davon ausgehen können, auch in den nächsten zwei Jahrtausenden genug Stoff zum Nachdenken und Schreiben zu haben. War das alles so geplant von Euripides? Ich wage es zu bezweifeln, denn seine Motive, die attische Welt war überschaubar und die Handlungen ihre Protagonisten ebenso, reduzierten sich in dieser, der Archaik gerade entsprungenen Gesellschaft, auf natürliche, den vitalen Bedürfnissen entsprechenden, die mit unbeugsamen Willen verfolgt wurden.

Die Verwirrung der heutigen Auffassungen ist ebenso grenzenlos wie die Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel. Grund dafür ist, dass es keine in einem "natürlichen" Willen geeinte Kraft mehr gibt. Wie auch, wenn Visionen ins Reich der Legenden verbannt sind. Wo Pragmatismus herrscht, herrscht kein Geist des Gestaltens sondern des Verwaltens und der braucht weder Titanentum, Begabungen noch den göttlichen Funken. Was wir heute in der Welt erleben ist die Auflösung alles Denkens, aller Formen und des Willens. Übrig bleibt bestenfalls ein Konsumismus, der als weltumspannende (mit Absolutheitsanspruch agierende) Religion vielleicht Quantitäten eint wie nie zuvor eine andere Religion, doch keine Qualitäten mehr aufweist. Der größte gemeinsame Nenner bleibt doch immer ein kleiner, häufig unter dem Mittelmaß angesiedelter.

Was von alledem finde ich in der Residenztheaterinszenierung wieder? Alles und Nichts. Im Stück und auch in der Inszenierung prallen zwei Willen aufeinander. Beide Protagonisten versuchen sich Mehrheiten zu verschaffen und, so verfuhr die Geschichte häufig, unterliegt eine der beiden Seiten, wird sie von der Bühne (des Weltgeschehens) getilgt. Bemerkenswerter Weise, und auch hier finden sich zahlreiche Parallelen zur Geschichte, ist es selten der entwickelte, aufgeklärte Geist der obsiegt, sondern das Rohe, das Unkultivierte. Auch das ist nur natürlich, denn das Rohe und Unkultivierte folgt den Instinkten und nicht der Vernunft, braucht sich also an keine kulturellen Regeln zu halten.

Das ist etwas, was wir tagtäglich erleben und so nicht wahrhaben wollen, denn es könnte polarisieren und vielleicht sogar ideologisieren. Davor aber sei unsere liberale und demokratische Geisteshaltung. Hier zeigt sich auch eine Facette unserer in der Geschichte beschädigten deutschen Seele. Während andere Völker achselzuckend und sich selbst lauthals preisend über ihre blutige und nicht weniger unmenschliche Geschichte hinweggehen, steht Deutschland dem Rest der Welt als personifizierter Sündenbock zur Verfügung, demutsvoll und unfähig, die eigenen Interessen zu vertreten. Dabei sind die jetzigen Bürger dieses Landes die Nachgeborenen und schuldlos. Bei alledem fragt man sich, wie konnte es in einer so rundum blutigen Geschichte überhaupt zu einem gesellschaftlichen Fortschritt kommen?

Und hier wäre ein guter Ansatz, dem Stück eine deutliche Aussage zu geben, nämlich die der Vernunft. Immerhin geht es in dem Stück um den Irrationalismus, von dem beide Seiten befallen sind. Die Vernunft, und wir sind noch im Besitz derselben, sollte den Kult des Dionysos als das klassifizieren, was er ist, nämlich die pure Barbarei, die es zu überwinden gilt. - Folgten wir einst dem kategorischen Imperativ, beherrscht uns zunehmend der kategorische Instinktiv! - Aber das fand leider nicht statt. Vielmehr beließ man den Zuschauer im Bann der Mysterien.

Pentheus, in lebendiger Darstellung durch Jens Harzer, war ein Herrscher, der sich verantwortlich zeigte für das Gemeinwesen, der sich jedoch zu den heutigen echten Demokraten darin unterschied, dass er sich seines Machtmonopols ohne Skrupel bediente, wie beispielsweise diejenigen, denen Demokratie ein Vorwand ist. Er hatte allerdings keine Chance, denn er legte sich, was er nicht wusste oder zumindest leugnete, mit einem Gott an. Man sollte bei der ganzen Vorgeschichte meinen, Dionysos sei verschwenderisch in allem, in Gesten, Minen und Handlungen. Rolf Boysen als derselbe ging hingegen kühl berechnend und generalstabsmäßig vor. Während sich Harzer noch menschlicher Verhaltensweisen bediente, blieb der Widerpart Rolf Boysen unterkühlt und kraftvoll deklamierend. Sein weibliches Pendant fand er in Gisela Stein als Anführerin der Bakchen.

Regisseur Dieter Dorn verstand es durchaus, die dumpfe animalische Kraft der Backchen erlebbar zu machen. Der Aufwand war groß, auf Stefan Hageneiers Bühne den Niedergang Thebens sichtbar zu machen. Ein großer Felsen durchschlug effektvoll gleich eingangs die Decke des Hauses Kadmos, die Ankunft Dionysos verkündend. Später verwandelte sich dieses Haus, das gleichsam für Theben stand, in Trümmer.

Große Mimen agierten unter geübter Regie und dennoch konnte diese Inszenierung nicht Offenbahrungscharakter erlangen. Das lag ein wenig auch an der Übersetzung von Michael Wachsmann, die in ihrer geradezu barocken Opulenz nicht unbedingt dem kargen Sprachduktus des antiken Deklamationstheaters entsprach. Die Vielzahl der Lyrismen und sprachlichen Stilmittel war derart auffällig, dass diese hörbar wurden und Beachtung einforderten, letztlich also ablenkten. Sprache war hier nicht immer nur Mittel, gelegentlich schien sie auch Zweck zu sein. Erinnert sei an die wunderbare "König Ödipus" Inszenierung von Sophokles am selben Haus in der genialen Übersetzung von Hölderlin!

Doch der entscheidende Faktor, warum die aufwendige Inszenierung nicht wirklich in den Bann schlug, war die Unverbindlichkeit. Die besondere, aus der heutigen Zeit resultierende Sicht fehlte und der Zuschauer sah eine ordentliche Inszenierung mit guten Schauspielern, ohne jedoch zu erfahren, warum ihm dieses Stück hier und heute geboten wird. Fehlte es an guten Gründen und blieb man darum im Zweifel unverbindlich?
Bleibt abzuwarten, ob die Kammerspiele einen deutlicheren Grund haben, dieses Stück auf die Bühne zu bringen.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Die Bakchen

von Euripides

Rolf Boysen, Gisela Stein, Ulrike Arnold, Lena Dörrie, Katharina Gebauer, Anna Riedl, Andrea Barabas, Uschi Beckers, Renate Buchecker, Maria Falk, Barbara Fried, Andrea Hermenau, Anastasia Papadopoulou, Babett Pönisch, Andrea Schick, Janine Schmidt, Angelika Vizedum, Fred Stillkrauth, Rudolf Wessely, Jens Harzer, Burchard Dabinnus, Stefan Wilkening, Helmut Stange, Sibylle Canonica

Regie: Dieter Dorn

Residenz Theater Maria Stuart von Friedrich Schiller


 

 

Alter Wein in alten Schläuchen

Jeder eifrige Theatergänger wird irgendwann in die Situation kommen, dasselbe Stück ein zweites oder ein drittes Mal in neuer Inszenierung zu sehen. Vergleiche werden gezogen über die Darstellung der Rollen, über das Bühnenbild und vor allem aber über den Inszenierungsansatz. Wenn es der Regie darum geht, einen Klassiker zu entstauben, riskiert sie oder er den Unwillen des Betrachters. Also ist auf der sicheren Seite, wer einen Zeitbezug zum Stück herstellen kann, der brennend aktuell ist. In der Inszenierung des Münchener Residenz Theaters heißt dieser Ansatz "Geschlechterdiskurs". Der ist zwar nicht neu, aber ohne Zweifel aktuell. Es ist beinahe prophetisch zu nennen, das Stück nur wenige Wochen nach der deutschen Kanzlerwahl ins Programm zu nehmen. Ungeachtet der erschreckenden Visionslosigkeit der deutschen Kanzlerin und eingedenk unserer guten liberalen Erziehung verbietet sich jedoch der (öffentliche Geschlechter-) Diskurs und anerkennendes Kopfschütteln wabert durch das Land, wie tapfer sich die Dame (aus Ostdeutschland!) auf dem internationalen Parkett hält. Die Schweizer haben da weniger Hemmungen und sprechen ganz unverhohlen in ihren Gazetten von "das Merkel". Die ersten hundert Tage ihrer Regierung sind noch nicht ins Land gegangen und also halte auch ich mich an die Regeln.

Schiller rief seinerzeit mit diesem Stück einigen Unwillen hervor. Sein Frauenbild reizte insbesondere die "gelehrten" Herren zu heftigen Ausfällen. Seltsam, dass Goethe, Herder und Hegel deren Auffassungen das andere Geschlecht betreffend nicht nachgetragen werden. Die wenigsten Zeitgenossen kennen sie und hier schafft das Programmheft sinnvoll Abhilfe.

Der große Olympier erzählt uns in seinem Trauerspiel eine Geschichte, die jedem halbwegs gebildeten Mitbürger bekannt ist und die sich in der Kunst als thematischer Dauerbrenner durch die Jahrhunderte zieht. Es geht um den Tod Maria Stuarts, hingerichtet auf Befehl der eigenen Halbschwester Elisabeth. Maria (Königin von Schottland) hatte ihren Gatten ermordet und sich unter den Schutz Elisabeths (Königin von England) begeben. Da beide Töchter Heinrich VIII. waren, hatten beide auch einen Anspruch auf die Königswürden. Elisabeth setzte die plötzlich aufgetauchte Rivalin hinter Schloss und Riegel, fürchtete sie die Schwester und deren Ansprüche doch nicht zu Unrecht. Am Ende stand die Hinrichtung Marias. Nach Marias, und das erfährt man im Stück nicht, fallen noch einige Köpfe. Die Regierung Elisabeths geht schließlich als einzigartig in die Geschichte ein.
 
 

 
 

Thomas Loibl, Juliane Köhler, Jennifer Minetti, Anna Schudt, Jan-Peter Kampwirth

© Thomas Dashuber

 

Die Besetzung der Rollen beider Protagonistinnen mit Juliane Köhler (Elisabeth) und Anna Schudt (Maria) konnte trefflicher nicht sein. Im Ergebnis der Auseinandersetzung siegte nicht das Weibliche, sondern (auch das unterstreichen die Autoren des Programmheftes) das Männliche. Elisabeth tat kund und zu wissen, dass sie "wie ein Mann und wie ein König" regiert habe. Während Anna Schudt weiblich, sehr weiblich daherkam und ihre verführerische Sinnlichkeit, die schnell auch in Verschlagenheit und Eitelkeit umschlug, für jedermann sichtbar machte, hielt Juliane Köhler nicht selten nur schrill dagegen. Gegen diese Waffen der Weiblichkeit kam sie nicht an, was durchaus auch den historischen Tatsachen entsprach. Doch Elisabeth hatte eine andere Stärke, nämlich den absoluten Willen zur Macht. Diese Besessenheit verzerrte nicht nur das Antlitz Elisabeths, sondern auch das der Darstellerin Juliane Köhler. Bei allen inneren Kämpfen, die Schiller dieser Rolle einverleibte, misslang auf der Bühne so manche Pose in übersteigertem Pathos. So konnte sie im Gegensatz zu Anna Schudt nicht immer überzeugen. Der Kampf der gleichgeschlechtlichen Rivalinnen hatte dabei einen guten Rahmen, das schmucklose, im Sinne von politischer Anbetung sakral überhöhte Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau glich einer Kampfarena, durch die man hindurch zieht ohne sich einzurichten. Die Bezeichnung "Flure der Macht" hatte auf unmenschliche Weise Gestalt angenommen.


Die Männer waren in diesem Stück eigentlich mehr oder weniger Staffage, Stichwortgeber oder Katalysatoren der Geschichte. Bei genauerer Betrachtung wird man jedoch feststellen, dass sie die eigentlichen Träger staatsmännischer Qualitäten sind. Wilhelm Cecil (Großschatzmeister) ist die treibende Kraft im politischen Geschehen und Rainer Bock, ganz Kalkül und emotionsloser Beobachter, bereitete erschreckend lautlos und mit pragmatischem Nachdruck alle "notwendigen" Entscheidungen vor. Er war der wahre Verfechter der Staatsräson. Und dann gibt es im Stück noch die beiden Gentlemen. Georg Talbot, maßvoll von Ulrich Beseler gegeben, und Amias Paulet, Oliver Nägele zeigte einen Mann von Gesinnung und Herz, demonstrieren in ihren Handlungen Ethos und Verantwortungsbewusstsein für das Volk und vor der Geschichte. Jan-Peter Kampwirth (Mortimer) als der intrigante Bösewicht war gleichklingend mit Juliane Köhler ebenfalls ein wenig zu überdreht. Immerhin stand Thomas Loibl als Robert Dudley die Hysterie ganz gut zu Gesicht, denn er war der fast somnambule Tänzer zwischen den Fronten, beide Königinnen waren ihm gleichermaßen zugetan. Die Einsicht in die nahende Katastrophe ließ ihn glaubhaft schlottern. Klein aber fein war die Rolle Marcus Calvins als Subalterner Wilhelm Davison. Der unbedarfte Mann war in Höhen aufgestiegen, deren Regeln er nicht beherrschte, was Calvin deutlich sichtbar machte. Seinen Handschweiß spürte man förmlich. Bei allen Qualitäten, die die einzelnen Darsteller boten, war die Inszenierung nicht homogen, nicht schlüssig. Immer wieder zerfaserte der mühsam sichtbar gemachte Faden durch die Geschichte.

Regisseurin Amélie Niermeyer glaubte wohl aus unerfindlichen Gründen, die Dramatik mit überflüssigem Aktionismus anheizen zu müssen. Dies ist zumindest bei Schiller das am wenigsten geeignete Rezept, denn der große Dramatiker verstand es, Historie in wahre Krimis zu verwandeln. Auf diese Texte kann man bauen, sie bedürfen nur guter Medien, denn sie selbst gestalten zwingend.

Wie überzeugend ist denn nun die Botschaft? Haben Frauen das Vermögen, Männer in höchsten Positionen zu ersetzen und wenn, sind sie dann noch Frauen? Die beiden Damen sind in der heutige Zeit unbrauchbar für ein Exempel, denn Elisabeth sagte sich selbst vom Frausein los und kreierte die "unbefleckte Königin". Jeder Psychologe legt die Stirn in Falten, wenn er wahrnehmen muss, dass er von einer Frau regiert wird, die auf alle Sinnlichkeit verzichtet. Man stelle sich einmal einen französischen Staatschef ohne Affären vor. Undenkbar. Maria taugt ebenso wenig als Exempel, denn sie war nicht nur eine Mörderin, sondern sogar ein Massenmörderin, ließ sie doch immerhin in drei Regierungsjahren mehr als dreihundert Scheiterhaufen entzünden, im Namen der katholischen Kirche, wohlgemerkt.

Selbst nach all den Auseinandersetzungen mit Schiller im Jubiläumsjahr ist kein wirklich neuer Schiller entstanden. Die Lesart ist eine alte und das Problem "Geschlechterdiskurs" haben wir noch immer vor uns. Wir haben uns diesem Problem noch nicht einmal genähert, denn sonst würden wir nicht so beredt darüber schweigen. Verlassen wir uns doch einfach darauf, dass das Problem mit jeder Frau in einem hohem Amte schwindet. Es war wieder nur alter Wein in alten Schläuchen.
Wäre es nicht vielmehr angebracht gewesen, über die Menschenverachtung von Macht nachzudenken, egal ob sie von einer Frau oder einem Mann ausgeübt wird? Das ist im Stück unübersehbar enthalten! Diese Lesart des Werks von Herrn Schiller wäre allemal spannender gewesen. Im Übrigen wäre es an der Zeit, sich Schiller kritisch zu nähern, denn auch er warf lange Schatten. Immerhin verabschiedete er sich noch zu Lebzeiten von den Idealen der Französischen Revolution und wurden dafür mit dem Adelstitel entlohnt. Ein Judaslohn, wie ich meine. Fazit: Eine Rebellion war diese Inszenierung nicht!

 
Wolf Banitzki

 

 


Maria Stuart

von Friedrich Schiller

Juliane Köhler, Jennifer Minetti, Anna Schudt, Gerd Anthoff, Ulrich Beseler, Rainer Bock, Marcus Calvin, Jan-Peter Kampwirth, Thomas Loibl, Oliver Nägele

Regie: Amélie Niermeyer