TamS Die Oppelts haben ihr Haus verkauft von David Gieselmann


 

 

Das Schmunzeln in Albert Einsteins Gesicht oder Alles relativ

Es sind nicht nur Raum und Zeit relativ, vergleicht man die Uhren in denen die Zeit stattfindet, zumal wir uns in einem bewegten Bezugssystem befinden und die Mechanik auf andere Einflüsse reagiert als die Elektronik währenddessen beugt die Gravitation ... Wer zieht wen auf welcher Ebene an, stößt ihn ab. Die Welt besteht aus vielen Ebenen, ist weit mehr als ein Kontinuum der Münze und des Speeres. So wie in der Welt des Geldes das Kapital die immaterielle Überhöhung bildet, so wie aus der virtuellen Welt der Computer die Algorithmen in Bilder zurück verwandelt, so versetzt eine bestimmte Frequenz den Menschen auf die Ebene zu materieller Schöpfung. David Gieselbach schuf in diesem ehemals freien Raum ein wundervolles Gedankenspiel, heiter und intelligent.


Laura Ambrosia Gudmund, ein hellsehendes Medium, veranstaltet Seminare und verbreitet  darin auch die Überzeugung: „Es existieren andere Welten!“ Unterstützt von ihrem Sohn Peter wird daraus eine Gemeinschaft, ein einträgliches Geschäft. Verdammt dünne Luft. Pia folgt dem amerikanischen Traum von Freiheit und Reichtum in die US. Die für sie mögliche Variante der Umsetzung bietet eine Heirat mit dem wohlhabenden Tom. Doch als dieser in der Finanzkrise alles verliert, verliert er auch seine Frau an den Zwillingsbruder Ted. Gleiches Aussehen, gleiche Gewohnheiten, sehr ähnliche Männer. Das Konzept steht. Pia nimmt an einer Veranstaltung von Laura Ambrosia teil und schon gerät die bewährte Vorstellung durcheinander und die beiden werden Nachbarinnen. Denn: Die Oppelts haben ihr Haus verkauf(en müssen). Wiederholung des Plans in einer Parallelwelt.


Beles Adam verkörperte die, mit dem Ob-Raum experimentierende Laura Ambrosia. Souverän verfolgte sie den Faden ins Jenseits. Die pure Überzeugung haftete beinahe sichtbar an ihr, das änderte sich auch nicht, wenn sieerkundend „durch die falsche Türe gegangen“ war. Densich erwachsen wähnenden Jungen, der dem Programm der Mutter folgt, daraus Kapital zu sammeln sucht, spielte Burchard Dabinnus. „Eines Tages werde ich auch mal eigene Wege gehen.“ Naseweise Spitzbübigkeit in Person. Pia, die pragmatische Frau mit den glänzend blitzenden Ohrringen,  wurde zielgerichtet von Catalina Navarro Kirner gegeben. „Bist du zur Liebe fähig?“ Kalkül der Verführung und doch Opfer derselben. Stephan M. Fischer kam der Funktionalismus Pias entgegen, bediente geradezu seine Denkschemen. Allein er trug zwei verschiedene Schuhe, den flexiblen Turnschuh und den stabilen Cowboystiefel. Tom und Ted. Ted und Tom. Er schlitterte verwirrt schließlich ins Verhängnis. „Früher war damals anders.“

Das Geschäft mit dem Glauben und den Konsequenzen ist phänomenal, boomt wie kaum eine andere Branche. Heute wie vor tausenden Jahren. Der Glanz blendet ebenso wie der Durchblick abstößt. Ein Duschvorhang, nein, der Schleider des Geheimnisses oder des Vergessens zierte die Bühne. Die Darsteller versteckten sich dahinter, um unerkannt dem virtuellen Glashaus zu entkommen. Oder war es die kleine Freiheitszone in der man sich traf? Einerlei der Name. Am Ende waren alle Darsteller und das Publikum aufgeräumt im Ob-Raum angekommen. 

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  © Hilda Lobinger
 

Seile hingen von der Decke auf die Bühne, gleich Gedankensträngen im Ob-Raum. Ein alttestamentarischer Strang eines Feldherren lautet: „Macht euch die Erde untertan.“ Der Glaube an ihn ließ Millionen und Abermillionen danach handeln. Die verheerende Zerstörung ist eklatant. Und doch hat noch keiner versucht das Seil zu kappen, den Satzin der Datenbank zu löschen, haben wenige ihn durch einen anderen ersetzt. „Lebe durch Inspiration in Kooperation mit der Natur auf der Erde.“ Zumindest ein Versuch.


Es ist die Frage, welchen Gedanken man folgt, an welcher Idee klammert, bewegt, schaukeltman im Wind. Treibgut im Universum. Der universell gebildete Mensch ist in der Lage zu verstehen und zu begreifen über eine entwickelte Intelligenz. Sie steht über der Natur des Fressens und gefressen Werdens und über der Gefolgschaft des bloßen anhängenden Wiederholens einer, einem bestimmten Augenblick entsprechenden Aussage. Albert Einstein formulierte: „Ein Problem kann niemals auf der Ebene gelöst werden, auf der es entstanden ist???“ Dafür steht der Ob-Raum mit seinen Möglichkeiten offen. Ob dies … ob dies … und/oder ob dies … eine Option in einer Zeit ist, gilt es zu erforschen und vorumsichtig zu probieren.


Wie im zeitgemäßen Theaterstück von David Gieselbach, in dem das Vielleicht ausgebreitet und darin gespielt wurde, kann Aufklärung unterhaltend stattfinden. Die enthaltende Metaphysik setzte die Regisseurin Judith von Radetzky fantasievoll in, der skurrilen Realität absolut entsprechenden Bildern um. Überboten wurden diese lebensnah von den Schauspielern, grandios amüsant.

 

C.M.Meier

 

 


Die Oppelts haben ihr Haus verkauft
von David Gieselmann

Beles Adam, Catalina Navarro Kirner,  Burchard Dabinnus, Stephan M. Fischer

Regie: Judith von Radetzky

 

 

TamS Die Nachtigall mit der Kettensäge von Anette Spola / Lorenz Seib


 

 

Sommerwind und die Bilder vom blauen Sternenhimmel

Ein Abend in Schwabing, die Sonne stand tief, die Luft war mild warm, kleine weiße Wolken drifteten über den Himmel und Publikum betrat den Vorgarten der Künstler. So wie das Leben ein Theater ist, findet auch im Theater Leben statt. Die Kantine ist der Treffpunkt für Sänger, Schauspieler, Musiker und alle üblicherweise Unsichtbaren. Doch diesmal war es anders, der Zuschauer durfte den TRaum betreten und war unmittelbar in der anderen Welt aufgenommen.

Die Soubrette Elly gab zum Empfang ein Chanson aus ihren erfolgreichen Tagen zum Besten und die Souffleuse kramte in der Kiste nach Stücktexten wie nach Erinnerungen. Der Musiker konnte wie immer das Bier nicht bezahlen und der Garderobiere hantierte nicht nur mit der großen Schere, sondern hatte auch sichtlich Schwierigkeiten die volle Kleiderstange durch die Türe zu bugsieren. Ein Abend voller Hindernisse und überraschender Wendungen wurde entfaltet von einem künstlerisch fabelhaft ausgewogenen Ensemble. „Schön und gut ...“  Wären da nicht die Nachtigall mit der Kettensäge und ihr Lied „What you help the money ...“, sowie auf der Theke die goldene chinesische Katze mit der winkenden Tatze.

Es waren die kleinen Gesten durch welche Lächeln auf die Gesichter gezaubert wurde, es waren die subtilen Momente in denen sich allzu Bekanntes als zauberhaftes Schauspiel entlarvte. Das Stück von Anette Spola und Lorenz Seib, gespickt mit wunderbaren Tricks aus der Theaterkiste, enthüllte einen Kosmos und viele mehr ... Die Nachtigall zwitscherte aus dem Lautsprecher, vor dem Tor stand der Mann mit der Kettensäge.

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  © Hilda Lobinger
 

Der Aufbruch des Theaters ins ....  Eine Arche wurde gefüllt, nur diesmal blieben die Tiere zurück, weil die Requisiten und die zahlenden Abonnenten in dieser Zeit wichtiger sind als das Leben per se. Hauptsache die Logistik stimmt, die Inhalte sind durchaus subjektiv verhandelbar und können auch aus selbstgemalten Bildern des blauen Sternenhimmels naiver Romantik bestehen. In rasender Fahrt ging es weiter voran, verfolgt von dem Mann mit der Kettensäge, dessen wichtigste Aufgabe wohl Kahlschlag heißt oder der den Baum der Tradition zu fällen bereit ist. Dann, ein Unfall und das Publikum wurde gebeten den ihm zugedachten Platz, den Zuschauerraum zu verlassen um im Foyer zu warten, zu warten auf seinen nächsten Einsatz. Durch einen Nebeneingang, vorbei an einer Verletzten mit blutender Hand – der künstlerischen Sphäre u.a. – trat es anschließend auf die Bühne.

Geboten wurden eine Fülle von Bildern und eine wahre Geschichte, die auf leichte Weise unterhielten. Darin der unverzichtbare Blick auf die Vergangenheit, die Nostalgie, deren Glorifizierung mittlerweile nur noch langweilt, ausgebreitet und  am Ende unaufdringlich vermittelt - Aufklärung ist etwas anderes als Exhibitionismus – das sich selbst zur Schau stellen, dem allgemein gesellschaftlich gehuldigt wird. Der Applaus dazu kam aus der Konserve, als Schauspieler und Publikum auf der Bühne standen und gemeinsam in den leeren schwarzen Zuschauerraum blickten, sich vor leeren Stühlen und der schwarzen Luft verbeugen sollten.

Einblick gewähren ist eine Aufgabe an deren Beginn das verbindende Gespräch in einer Sommernacht stehen kann, in dem sich Träume, Gedanken und Realität zu neuen Bildern formen. Was würden Sie sehen, erleben, sagen?

 

C.M.Meier

 

 


Die Nachtigall mit der Kettensäge
von Anette Spola / Lorenz Seib

Charlotte von Bomhard, Stephanie Heyl, Dagmar Koch, Isabel Kott, Astrid Polak, Sophie Wendt, Kukas Baueregger, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Niko Schabel, Zoltan Sloboda

Konzept/Regie: Anette Spola, Lorenz Seib

 

TamS UA Competition, Competition! von Claudia Lohmann


 

 

Am Fließband der Leistungsgesellschaft

Wie könnte es anders sein, es war abends nach 20 Uhr und die Show begann. Gepflegtes Ambiente. Der Podest mit dem Mikrofon nahm einen zentralen Platz auf der Bühne, die mit hohen glänzenden Spiegelsäulen begrenzt war, ein. Aus dem Hintergrund leuchteten vereinzelt die Blätter grüner Hängepflanzen. Herbert Oberwasser - schwarzer Smoking, weißes Hemd, an Stelle der Fliege ein dekoratives Halsband - begrüßte das Publikum und erklärte die Regeln der Casting Veranstaltung. Procedere bekannt.  Der beste Darsteller sollte gefunden werden. Dieser erhielte einen befristeten Vertrag zur Mitarbeit beim nächsten Projekt im Theater. Die Bewerber stellten sich vor. Der Startschuss.

Die vier Kandidaten, aufgereiht hinter dem Podium, nahmen „Konkurrenzmodus“ an. Ist Lächeln gerade „in“ oder „out“? „Heute ist eben anders“ und der „Besondere“ nimmt den Platz in der ersten Reihe ein, ist Sieger. Wie und worüber auch immer. Bloß nicht „in der Masse untergehen“. Individualität, Gefälligkeitsgrad bei Intersocial, Besitz und Ausstattung. Alle bekannten Aspekte und einige mehr wurden ins Spiel gebracht. Regisseur Lorenz Seib und Autorin Claudia Lohmann arbeiteten mit messerschaftem Blick, blühender Fantasie und mit Humor. Das Wunderbare an der Inszenierung war, dass diese das Mißverhältnis zwischen Idee, Wort und möglicher Umsetzung durch die Darsteller, als gelebtem Zustand unmissverständlich sichtbar machte. In den absurdesten Verrenkungen, die komischsten Bewegungen und in den verrücktesten Versuchen überboten sich die Drei. Judith Huber fehlte ein wenig das Selbstbewusstsein und die Durchsetzungsfähigkeit. Anne Römeth dagegen war sich durchaus ihrer Wirkung auf Publikum und Männer bewusst, verstand ihre Stärken einzusetzen. Axel Röhrle gab einen dynamischer Macher und Siegertyp, den immer in der ersten Reihe dabei. Runde für Runde wurden Aufgaben gestellt, Geschichten erzählt, die Missstände aufgezeigt und von Robert Kühn souverän moderiert. „Dabei sein ist alles.“  - „Nein ... ich brauche das nicht.“, äußerte schüchtern Timo Wenzel und blieb beiseite bis ...

Das Schlussbild überzeugte: Die vier in ihrer Art sehr unterschiedlichen Darsteller legten einander die Arme auf die Schultern und bildeten ein Team. Der Moderator bat nun das Publikum um die Entscheidung, wem der Vertrag zukäme. Einiger Applaus!

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Axel Röhrle,  Anne Römeth, Judith Huber, Timo Wenzel

© Hilda Lobinger

 

Einhellige Entscheidung. Immerhin trugen die Darsteller alle die gleichen ultrabequemen geschlechtsneutralen Joggingoveralls und diese unterschieden sich nur durch Größe und Farbe. Die hochgelobt gepriesene Individualität des Einzelnen lässt sich also auf das Tragen der gleichen Kleidungsstücke in unterschiedlichen Farben reduzieren. Überspitzte Realität. Doch die Werbung stellt die Marken-Kleidung vor und die Konsumenten wählen über das Label ihre Zugehörigkeit. Doch  wie unterschiedlich sind die Produkte wirklich? Und dennoch lassen sich daraus Lebenshaltungen und – interessen ableiten, reicht doch die Palette von Öko bis Luxus bis Luxusöko, Punk, Vintage u.v.a.m.

Was ist Mensch? Ein programmgesteuerter Organismus im Mechanistischen Weltbild, welches alles einer Funktion unterordnet, es gleich einer Maschine einsetzt und als Wirtschaftsfaktor nutzt? Ausbeutung in Reinform. Als sich der Kapitalismus aus dem Feudalismus herauskristallisierte, blühte der Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika. Etwa gleichzeitig überführte die gesellschaftliche Entwicklung in Europa Menschen vom Leibeigenen zum Lohnarbeiter und verhieß ihm mehr Freiheiten. Das ist bis zu einem, von den Gesetzesschreibern vorbestimmten, Grad auch geschehen, doch nun gilt es den nächsten Schritt zu mehr Unabhängigkeit für den Einzelnen zuzulassen und die nötigen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Liberalismus als Gesellschaftsform einzuführen, wäre die Konsequenz. Doch kann Mensch damit wirklich umgehen?

Derzeit hat man sich vom Menschenbild im humanistischen Sinn weit entfernt. Die Diskrepanz zwischen intellektueller Abstraktion und Lebensvorgang als Programm veranschaulichte die Inszenierung. Auf wunderbar unterhaltsame Weise wurde vor Augen geführt, wie sehr Mensch bereits von der Neoliberalen Wirtschaftsideologie programmiert und zu deren Erfolgs- bzw. Gefolgsorganismus geworden ist. Stehenbleiben oder Weiter- und Hingehen? Geboten wurden ein Erlebnis der künstlerisch anspruchsvoll anregenden Art und einige Antworten.

 

C.M.Meier

 

Weiterführend wirkt die zur Inszenierung entwickelte Ausstellung „ Glück ...“

 


UA Competition, Competition!

oder zum Thema Utopie kommen wir vielleicht später noch.

von Claudia Lohmann

Judith Huber, Anne Römeth, Robert Kühn, Axel Röhrle, Timo Wenzel

Idee/Konzept: Claudia Lohmann und Lorenz Seib
Regie: Lorenz Seib

 

TamS Traumbürgerhochzeitl von Maria Peschek


 

Traumbürger statt Kleinbürger

1919 verfasste der Bürgerschreck Bertolt Brecht, angeregt von Karl Valentin, den vielleicht schönsten seiner fünf Einakter. Das Drama kam 1926 im Frankfurter Schauspielhaus unter dem Titel „Die Hochzeit“ zur Uraufführung. Die Prinzipien des epischen Theaters waren in diesem Schauspiel, geschrieben von dem 21jährigen Studenten Brecht, noch sehr unausgegoren. Späterhin, als Brecht seine Kunst „klassenspezifisch“ verstand, änderte er den Titel in „Kleinbürgerhochzeit“. Immerhin zeugte dieses Werk von einem recht liebevollen Umgang mit seinen Zeitgenossen. Das Damoklesschwert des Klassenkampfes pendelte noch nicht. Erzählt wird von einer Hochzeit „kleiner Leute“, die als Desaster endet.

Im Verlauf der Geschichte versucht der Brautvater unentwegt eine Geschichte zu erzählen, was ihm nicht gelingt; die Braut gibt vor, stolz auf den Zukünftigen zu sein, der sämtliche Möbel des neuen Hausstandes selbst gezimmert hat, die allerdings nach und nach das Zeitliche segnen. Der Bräutigam seinerseits ist eifersüchtig auf seinen Freund, einen „Gitarren-Casanova“. Schließlich erfährt auch noch alle Welt, dass die Braut schwanger ist. Und obgleich alles im Chaos unterzugehen droht, gelingt es dem Paar über die ganze Geschichte zu lachen, bis sie gemeinsam am Ende des gescheiterten Festes ins Bett sinken. Aber auch das hält der Wucht des Fatums nicht Stand und verabschiedet sich.

Unter Hinweis auf das Baal-Desaster am Münchner Residenztheater verfasste Maria Peschek vorab eine Selbstanzeige, denn auch ihr wurde es nicht gestattet, das von ihr verfasste und von Brecht inspirierte Stück „Kleinbürgerhochzeit“ zu nennen. Nach der Uraufführung kann man sagen, dass ihr damit ein Bärendienst erwiesen wurde, denn das von Frau Peschek verfasste Schauspiel gefällt mit dem Titel „Die Traumbürgerhochzeit“ ohnehin besser. Spätestens seit der Werbung eines Geldinstitutes: „Wenn ich einmal groß bin, möchte ich Spießer werden.“ ist das Wort Kleinbürger kein Schimpfwort mehr, sondern eine anerkannte Massenbewegung.

Unter Beibehaltung der Personage und auch der Grundkonflikte transponierte Maria Peschek die Geschichte in die heutige Welt der medialen Öffentlichkeit. Natalie Wurster, selbstbewusst-dümmlich und aggressiv wie ein Pitbull von Catalina Navarro Kirner gespielt, sehnte sich nach ihrem Tag des Ruhms. (Mit den 15 Minuten Ruhm – Andy Warhol – gibt sich heute niemand mehr zufrieden.) Der könnte ihr Hochzeitstag sein, denn die Familie Wurster (Blut ist in jedem Fall dicker als Wasser!) beteiligte sich an einem Fernsehwettbewerb zum Thema „Traumhochzeit“. Sie hatten es bis in die Endrunde geschafft und genossen die mediale Anerkennung (A star is born!). Und da es an Professionalität im Umgang mit den Medien mangelte, tappten sie in jede Falle, in jedes Fettnäpfchen und ihre Performance war einfach nur peinlich und blamabel – man nennt es auch „Unterschichtenfernsehen“. Mutti Elvira entblätterte dabei auch schon mal ihre unrühmliche Vergangenheit. Sophie Wendt, stets eine Kippe im Mundwinkel, überspielte die Vulgarität ihrer Figur ausgesprochen dilettantisch. Ihre wichtigste Strategie: Einfach nicht ignorieren! Helmut Dauner als Lebensgefährte Jacko zeichnete sich vornehmlich dadurch aus, dass er Denkvorgänge, die zu keinem Ergebnis führten, auf erschütternde Weise sichtbar machte. Er widerlegte die These, dass Gedanken etwas immaterielles sein. Komplettiert wurde die Quadriga deutscher Fernsehhochkultur durch die ideenreiche, pubertierende Schwester Polli. Ante Brekalo war, bei unübersehbarer Ähnlichkeit, der fabelhafte Gegenentwurf zu Conchita Wurst, ein echter Wurster eben.

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  Catalina Navarro Kirner, Helmut Dauner, Sophie Wendt, Ante Brekalo
© Hilda Lobinger
 

Burchard Dabinnus, ein Ableger der Leningrad-Cowboy von Kaurismäki, moderierte agil und skurril die Show, ein echter Medien-Hanswurst. Andreas Mayers Bräutigam war alles, nur nicht mündig, und seine Emanzipationsbemühungen wurde brutal weggebügelt. Last but not least kommentierte Lorenz Claussen als Onkel Hubsi das Geschehen von der Toilette aus, die er eifrig besuchte und deren Spülgeräusche fester Bestandteil der Klangkulisse waren. Er war es auch, der Brechtsches Gedankengut in homöopathischen Dosen eintröpfeln lies: „Der Mensch ist gar nicht gut / drum hau ihn auf den Hut…“ (Aus: Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens) An Unzulänglichkeiten mangelte es nicht und das berührte das TV-Publikum wohl am meisten, denn gute Kunst ist die Kunst, in der man sich wiederfindet. Schließlich wurde Familie Wurster zum Sieger gekürt. Das Glück war vollkommen. Doch damit nicht genug. Zeitgleich mit der Nachricht ihres Sieges ereilte sie die Mitteilung, dass ein chinesischer Oligarch die Sendung gekauft hatte. Fortan würden die Wursters also ihr Leben im chinesischen Fernsehen fristen. Sie hatten endlich ihre Bestimmung gefunden, oder sollte man sage: errungen? Ein Schelm, wem der Vergleich mit einem Zoo in den Sinn kommt.

Anette Spola hatte diese Groteske schrill in Szene gesetzt. Bühne und vor allem die Kostüme von Claudia Karpfinger erinnerten ein wenig an die Aufgedrehtheit der „Lollipop“-Kultur, bunt, schrill, sinnfrei und anspruchslos. Peter Mentzel leuchtete das Ganze kongenial aus. Es ging so schrill zu, dass man hätte meinen können, die maßlose darstellerische Übertreibung unterlaufe die Ideen der Autorin. Doch weit gefehlt. Man schaue sich einmal eine dieser Shows an, die für so simple Geschöpfe gemacht werden, die nicht einmal wissen, dass es so etwas wie Würde gibt. Tatsächlich (re-)produzieren diese Shows dank ihrer unglaublichen Effizienz Herrscharen ihres geist- und geschmacklosen Kanonenfutters. The show must go on! Und so kann man getrost konstatieren, dass sich seit Brecht nichts wirklich geändert hat. Es bleibt bei der „Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“.

Auch wenn es Maria Peschek und ihrer Regisseurin Anette Spola nicht unbedingt gelang, die Geschichte stringent und zwingend zu erzählen, so hatte der Abend unbedingt wahnsinnig komische Momente. Die Darsteller barsten schier vor Spiellust und es gab eine Vielzahl von Momenten, in denen philosophischer Hintersinn aufblitzte, womit man unbedingt die schwer überbietbare, abgebildete Realität überwand. Es fiel dem Publikum nicht schwer, sich zu positionieren. Das ist eine Qualität, die nicht jeder Theaterabend bietet.

 

Wolf Banitzki

 


Die Traumbürgerhochzeit
von Maria Peschek
nach einer Idee von Bert Brecht

Ante Brekalo, Lorenz Claussen, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Catalina Navarro Kirner, Andreas Mayer, Sophie Wendt

Regie: Anette Spola

TamS Brandstifterei frei nach „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch


 

 

Weltanschauungsgroteske als Slapstick

„Biedermann und die Brandstifter“ ist ein Lehrstück ohne Lehre. Es ist die Subordination bester deutscher Befindlichkeit. Frisch beschreibt die Vorgänge in seiner „Weltanschauungsgroteske“ sinngemäß wie folgt: ‚Selbst die Hölle versuchen wir uns in unserer dummen Bewusstseinsbelügung auszutapezieren. Wir machen weiß aus schwarz. Und wir wissen, dass wir es tun.‘  Das Stück zielt nicht nur auf den Nerv der Zeit, es zielt auf den Nerv der (deutschen) Geschichte, der mit viel Aufwand bedeckt gehalten wird, damit ihn ja niemand anbohrt. Frisch hat es gnadenlos getan. Autsch! Obgleich er Schweizer war, traf er mithin auch das deutsche Wesen punktgenau auf den Kopf. Das kommt nicht von ungefähr, denn Schweizer sind in ihrem Herzen, wie die Deutschen, auch nur Deutsche. Manchmal sogar die besseren, siehe Ackermann. Der kleine Unterschied kann vernachlässigt werden und den beschrieb Georg Kaiser in seinem zweizeiligen Gedicht „Schweiz“ wie folgt: „Und ist der Käse noch so Loch – ein bisschen Käse ist er doch.“

Zum Inhalt: Ein Chor aus Feuerwehrmännern, einem antiken Chor der griechischen Tragödie nicht unähnlich, kommentiert parodistisch-pathetisch (und ulkig, weil ironisch verzerrt) die Vorgänge. Herr und Frau Biedermann sind wahre Helden, gestrickt aus Gemütlichkeit, falschem Biedersinn und Herzensfeigheit, doch ungeachtet dessen ausgemachte Gutmenschen, denn wo sie sind, da muss der Himmel sein. Gottlieb Biedermann hat ein Geschäft, in dem auch Haarwasser vertrieben wird. Er hat seinen Angestellten Knechtling um ein Patent betrogen. Der nimmt sich das Leben. Plagt Herrn Biedermann das Gewissen? Es ist so eine Sache mit dem Gewissen. Wenn einer eins hat, dann ist es meistens ein schlechtes. Das meint Schmitz, Josef Schmitz, arbeitsloser Ringer, der plötzlich vor Biedermanns Tür steht und um Obdach bittet. Schmitz ist einer, der echte Tugenden noch zu schätzen weiß. Und er erkennt in Biedermann einen Tugendmenschen, einen, der noch ein „regelrechtes Gewissen“ hat, und „das spürt die ganze Wirtschaft“. Auch Zivilcourage hat der Biedermann, insbesondere, wenn es um die Brandstifter geht, die beinahe täglich Teile der Stadt in Schutt und Asche legen. „Aufhängen sollte man sie. Alle. Je rascher, um so besser. Aufhängen.“ Ja, Biedermann „ist vom alten Schrot und Korn, hat noch eine positive Einstellung.“

Ehe er sich’s versieht, sind sie auf seinem Dachboden eingezogen, die Brandstifter Schmitz und sein Kumpan Eisenring, ein arbeitsloser Kellner. Arbeitslos sind die Herren auch, weil die jeweiligen Etablissements, in denen sie gearbeitet haben, abgebrannt sind. Jeder weiß, dass sie die Brandstifter sind, doch jeder meint, man könne sie zu Freunden machen und dann wird es so schlimm schon nicht werden. Selbst als fässerweise Benzin unterm Dach gehortet und die Zündschnüre verlegt werden, glaubt man noch an ein gutes Ende. Die Parallelen zur Geschichte sind unübersehbar. Max Frischs Stück ist eine Parabel auf den feigen Vogel-Strauß-Menschen, der sehenden Auges und getrübten Geistes in jede nur denkbare Katastrophe schlittert. Der Dramatiker zielte seinerzeit auf das gerade überwundene 3. Reich und seine Brandstifter, aber auch schon auf die zündelnden Gesellen, die an Atom- und Wasserstoffbombe bastelten. Niemand hat es aufgeregt. Klar, so schlimm wird’s schon nicht kommen. Doch es kommt immer wieder so schlimm, darauf kann man sich angesichts der Geschichte verlassen.

Für die Inszenierung der leicht abgewandelten Fassung der Frischschen Vorlage schuf Claudia Karpfinger  eine Bühne, die an eine Hopseburg aus weißen Polstern erinnerte, in der Verletzungsmöglichkeiten so gut wie ausgeschlossen waren. Das war auch notwendig, denn die Inszenierung von Lorenz Seib hatte durchaus zirzensischen Charakter.  Mittig befand sich ein Kamin, über dem vier Monitore eingelassen waren. Links war in weichen Formen eine Sitzecke integriert und rechts stieg der gepolsterte Fussboden bis auf Augenhöhe an. Rechts neben dem Kamin waren von der Decke bis zum Fußboden vier goldenen Stangen angebracht, deren Sinn bald entschlüsselt wurde. Sie wurden wie die Rutschstange in einer Feuerwache genutzt, wenn die Feuerwehrleute schnell ins Untergeschoss zum Auto müssen. Man hatte keinen Aufwand gescheut, um der Enge der kleinen Bühne zu entrinnen. Der Raum über der Bühne war der Boden, auf dem die Pyromanen lebten und ihr infernalisches Werk vorbereiteten. Eine Kamera übertrug das Geschehen auf einen der Monitore. Eine andere Kamera übertrug die Vorgänge vor der Eingangstür ins Theater, eine dritte zeigte die Gasse neben der Bühne, die gleichsam Flur, aber auch Schlafzimmer der Biedermanns war. Der vierte Monitor zeigte die Treppe auf den Dachboden (variabel). So waren die gesamten Räumlichkeiten des TamS einbezogen, was eine ungeahnte Opulenz und unbedingt ein gelungenes Konzept darstellte. Das war neu und es bewährte sich visuell auf Anhieb.

Ungewöhnlich war auch die Ästhetik der szenischen Umsetzung der großen Lehrparabel. Lorenz Seib inszenierte eine schrille, völlig überdrehte Slapstickkomödie. Der Chor der Feuerwehrmänner, in dem sämtliche Darsteller auftraten, trug riesige wackelnde Schnauzbärte, wie sie die Feuerwehrleute oder Polizisten in den Chaplin-Filmen trugen. Ihre Auftritte ähnelten denn auch sehr den der Feuerwehrleute in Chaplins Film „The Fireman“ von 1916. Es war choreografierter Wahnwitz, der auch auf die meisten anderen Rollen übertragen wurde.

So sprang, hopste, kugelte, kroch, hing, rutschte und schwitzte Axel Röhrle als Biedermann durch die Szenen. Sein Stimmaufwand war gewaltig und dabei eher selten differenziert. Physisch ebenso anspruchsvoll und aufwendig war die Rolle des Dienstmädchens Anna, in der Ines Honsel mehr als einmal aus der Fassung geriet. Während Röhrle jedoch von seiner eigenen inneren Zerrissenheit und unhaltbaren Charakterlosigkeit umgetrieben wurde, war Honsels Anna Opfer ihrer Rolle als Dienstmagd, des Archetypus des Butlers mit der Torte im Gesicht. Helmut Dauner (Schmitz) und Burchard Dabinnus (Eisenring) waren im Gegensatz zu den anderen Figuren so etwas wie das Auge im Taifun. Sie strahlten in ihrer heimtückischen Frechheit eine innere, geradezu stoische Ruhe aus. Der Grund dafür war, dass, was immer sie auch sagten, selbst wenn es die reine Wahrheit war, man ihnen gar nicht glaubte. Man verschloss die Augen, weil nicht sein durfte, was nicht sein konnte. Wozu also sich aufregen, es lief doch bestens. Sophie Wendt gab Biedermanns bessere Hälfte Babette. Sie glaubte den Beschwörungen ihres Mannes, dass die beiden keine Brandstifter seien, denn er hatte sie ja schließlich gefragt. So genoss sie mit zärtlich enthemmter Dämlichkeit die Anwesenheit der beiden verruchten Ex-Knackis und machte ihnen erotische Avancen. Judith Riehl hingegen strickte ihren eigenen Pullover. Als Witwe Knechtling driftete sie wie eine Somnambule durch die Szenen und trieb stumm und stumpf ihren Anteil am Besitz der Biedermanns als Wiedergutmachung für den Freitod ihres Mannes ein.

Lorenz Seib, der sich als Polizist in seiner Anbetung für das weibliche Geschlecht schon mal hoffnungslos in den Rutschstangen verfing, vervollkommnete zudem den Chor der Feuerwehrleute. Sein Regiekonzept war letztlich inhaltlich nicht von Erfolg gekrönt. Die Slapstick-Eskapden gerieten bisweilen peinlich, weil hemmungslos überzogen, und sie überdeckten dabei noch den grandiosen szenischen Witz, der sich im sprachlichen Doppelsinn verbarg. Bei den zirzensischen Aufwendungen blieb die Komik nicht selten auf der Strecke und für den Sinnwitz waren die Bilder häufig zu aufdringlich. Das war überaus bedauernswert, da das Stück von Frisch brandaktuell ist und eine Katharsis bei den Zuschauern umso wünschenswerter wäre. Leider konnte sich das unterhaltsame, irrsinnig komische Lehrstück nicht wirklich entfalten, da die Botschaft im Getöse des aufwendigen inszenatorischen Getriebes unterging.

Man sollte meinen, dass ein Lehrstück gar nicht komisch sein kann. Frisch überzeugte mit „Biedermann und die Brandstifter“ vom Gegenteil. Das TamS hat mit dieser ambitionierten Produktion visuell und konzeptionell erst einmal überrascht. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass, was die Botschaft des Stückes anbelangt, zu viel auf dem Altar der Unterhaltung geopfert wurde. Weniger wäre hier unbedingt mehr gewesen. Slapstick mag durchaus Philosophie beinhalten. Chaplin hat es bewiesen. Doch um Philosophie zu artikulieren und zu transportieren, ist Slapstick ganz sicher nicht die erste Option.

 

Wolf Banitzki

 


Brandstifterei

frei nach „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch

Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Ines Honsel, Judith Riehl, Axel Röhrle, Lorenz Seib, Sophie Wendt

Regie: Lorenz Seib